Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 26.09.2013 · IWW-Abrufnummer 133013

    Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 26.07.2013 – 15 W 248/13

    Ein Grundbuchamt hat einen Erbvertrag auszulegen. Die Vorlage eines Erbscheins kann nur verlangt werden, wenn entscheidungserheblicher Sachverhalt aufzuklären ist. Zur Auslegung eines Testaments, in dem eine Nacherbfolge und eine Schlusserbfolge angeordnet sind.


    Oberlandesgericht Hamm

    15 W 248/13

    Tenor:

    Die angefochtene Zwischenverfügung wird aufgehoben.

    G r ü n d e :

    I.

    In dem eingangs genannten Grundbuch sind die Ehegatten C2 und C3 geb. C8 zu je ½ Anteil als Miteigentümer eingetragen.

    Die Ehegatten schlossen zu notarieller Urkunde vom 10.08.1999 (UR-Nr. 245/1999 Notar C7 in Warendorf) einen Erbvertrag, der auszugsweise folgenden Wortlaut hat:

    „§ 1 Erbeinsetzung

    Wir setzen uns wechselseitig zu Alleinerben ein und nehmen diese Erbeinsetzung an.

    § 2 Erbeinsetzung

    Unsere Kinder, C 4 … sowie C1 sollen Nacherben zu ½ Anteil werden, wobei jedoch die Hausbesitzung eingetragen (im o.g. genannten Grundbuch) unsere beiden Erben als Vorvermächtnisnehmer zu je ½ Miteigentumsanteil erhalten.

    Ersatzvermächtnisnehmer für beide Vermächtnisnehmer sind die Kinder von C1, nämlich C 5 und C 6 zu je ½ Anteil.

    Im übrigen sind die Ersatzvermächtnisnehmer auch Nachvermächtnisnehmer hinsichtlich unserer beiden Erben, so dass letztlich Eigentümer der genannten Besitzung allein im Wege des Nachvermächtnisses die Kinder C 5 und C 6 von Herrn C1 werden. …“

    C3 ist am 12.11.2012, C2 ist am 23.03.2013 verstorben.

    Die Beteiligten zu 1) und 2) haben mit Erklärung vom 08.04.2013 bei dem Grundbuchamt beantragt, sie aufgrund des Erbvertrages als Eigentümer im Grundbuch einzutragen. Das Grundbuchamt hat mit Zwischenverfügung vom 28.05.2013 beanstandet, die Erbenstellung der Beteiligten sei wegen des in sich nicht widerspruchsfreien Wortlautes der notariellen Urkunde nicht hinreichend nachgewiesen. Zur Behebung der Beanstandung hat des Beteiligten die Vorlage eines Erbscheins aufgegeben.

    Gegen diese Zwischenverfügung richtet sich die Beschwerde der Beteiligten, die sie mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 10.06.2013 bei dem Grundbuchamt eingelegt haben. Das Grundbuchamt hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

    II.

    Die namens der Beteiligten vom Urkundsnotar (§ 15 GBO) eingelegte Beschwerde ist nach §§ 71, 73 GBO zulässig (vgl. Bauer/von Oefele/Budde, GBO, 3. Aufl., § 71 Rn. 11) und begründet.

    Der Senat legt den Grundbuchberichtigungsantrag der Beteiligten vom 02.05.2013 dahin aus, dass sie als Eigentümer in Erbengengemeinschaft zu je ½ Anteil eingetragen werden wollen; denn eine Umwandlung der Erbengemeinschaft in eine Bruchteilsgemeinschaft (§§ 1008 ff. BGB) ist noch nicht in der Form der §§ 873, 925 BGB und auf grundbuchrechtlicher Ebene der Bewilligung (§ 19 GBO) und des Nachweises der erforderlichen Einigung (§§ 20, 29 GBO) erfolgt (vgl. dazu OLG München FamRZ 2012, 154 = ZEV 2012, 415).

    In der Sache ist das Rechtsmittel begründet, weil das Grundbuchamt die beantragte Grundbuchberichtigung im Ergebnis zu Unrecht von der Vorlage eines Erbscheins abhängig gemacht hat.

    Nach § 35 Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 GBO kann eine in einer öffentlichen Urkunde enthaltene letztwillige Verfügung Grundlage einer Grundbuchberichtigung nach Eintritt der Erbfolge sein. Nur wenn das Grundbuchamt die Erbfolge durch die vorgelegte Urkunde nicht für nachgewiesen erachtet, kann es die Vorlage eines Erbscheins verlangen (Halbs. 2 derselben Vorschrift). Aus dem Zusammenhang beider Vorschriften hat die Rechtsprechung abgeleitet, dass das Grundbuchamt verpflichtet ist, die in einer öffentlichen Urkunde errichtete letztwillige Verfügung in eigener Verantwortung auszulegen, wobei die gesetzlichen Auslegungsregeln zu berücksichtigen sind. Nur Zweifel tatsächlicher Art, die die Erforderlichkeit einer weiteren Sachverhaltsaufklärung begründen, berechtigen das Grundbuchamt, die Berichtigung von der Vorlage eines Erbscheins abhängig zumachen. Denn erforderliche tatsächliche Ermittlungen (§ 26 FamFG) können nicht im Grundbucheintragungsverfahren durchgeführt werden, sondern sind dem Verfahren auf Erteilung eines Erbscheins vorbehalten (vgl. etwa Senat Rpfleger 2001, 71; Demharter, GBO, 28. Aufl., § 35 Rdnr. 39 jeweils m.w.N.).

    Nach diesen Grundsätzen lässt sich entgegen der Auffassung der Beschwerde aus der notariellen Urkunde vom 10.08.1999 nicht mit einer die Erforderlichkeit weiterer tatsächlicher Ermittlungen ausschließenden Gewissheit ableiten, dass die Ehegatten sich im Sinne des § 2269 BGB gegenseitig zu (Voll-) Erben und die Beteiligten zu 1) und 2) zu Schlusserben nach dem Letztversterbenden einsetzen wollten. Der Wortlaut der notariellen Urkunde ist in diesem Zusammenhang nicht widerspruchsfrei. Die gegenseitige einschränkungslose Erbeinsetzung der Ehegatten in § 1 der Urkunde spricht zwar dafür, dass der überlebende Ehegatte die Rechtsstellung eines nicht beschränkten Vollerben des Erstversterbenden erlangen sollte, die Kinder hingegen ausschließlich als Erben des Letztversterbenden eingesetzt werden sollten (sog. Einheitslösung). Im Widerspruch dazu werden in § 2 der notariellen Urkunde die Beteiligten zu 1) und 2) als Kinder der Ehegatten zu „Nacherben“ eingesetzt. Es handelt sich um einen juristischen Fachausdruck. Die Rechtsstellung des Nacherben ist komplementär zu derjenigen des Vorerben, der lediglich bis zum Eintritt des Nacherbfalls (regelmäßig dem Tod des Vorerben) Herr des Nachlasses ist und bis zu diesem Zeitpunkt Verfügungsbeschränkungen unterliegt, die durch die letztwillige Verfügung in beschränktem Rahmen näher ausgestaltet werden können. Mit dem Tod des Vorerben treten dann zwei rechtlich gesonderte Erbfälle ein, nämlich der Nacherbfall in das von dem erstverstorbenen Ehegatten hinterlassene Vermögen und der (Schluss-) Erbfall in das eigene Vermögen des überlebenden Ehegatten (sog. Trennungslösung). Die Bezeichnung als Alleinerbe schließt nicht aus, dass der so Bedachte mit den Verfügungsbeschränkungen einer Nacherbfolge beschwert ist.

    Das grundbuchverfahrensrechtliche Privileg, ohne Durchführung eines Erbscheinsverfahrens eine Grundbuchberichtigung herbeiführen zu können, gewährt § 35 Abs. 2 S. 2 GBO nur deshalb, weil der Gesetzgeber die Erwartung gehegt hat, dass die in einer notariellen Urkunde errichtete letztwillige Verfügung gerade unter Verwendung juristischer Fachausdrücke so klar geregelt wird, dass Zweifel am Inhalt der letztwilligen Verfügung regelmäßig nicht begründet sind. Soll sich also das Grundbuchamt bei seiner Auslegung maßgebend an der Formulierung der notariellen Urkunde orientieren, so muss im Grundbucheintragungsverfahren eine Auslegung ausscheiden, die inhaltlich im Widerspruch zu der Bedeutung der Erklärung steht, die sich aus einem dort verwendeten juristischen Fachbegriff ableitet. Eine solche Auslegung ist zwar durchaus rechtlich möglich, wenn festgestellt werden kann, dass die Urkundsbeteiligten tatsächlich etwas anderes gewollt haben als es dem Wortlaut der notariellen Urkunde entspricht. Eine solche Schlussfolgerung ist jedoch erst nach eingehenden weiteren tatsächlichen Ermittlungen möglich, die dem Verfahren auf Erteilung eines Erbscheins vorbehalten sind und insbesondere einzuschließen haben eine eingehende Zeugenvernehmung des Urkundsnotars über die Erklärungen der Beteiligten und den näheren Hergang des Beurkundungsvorgangs nach Befreiung des Notars von seiner Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit (§ 18 Abs. 2 BNotO). Damit nicht im Einklang steht die Vorstellung der Beteiligten, eine vom Wortlaut der Erklärung abweichende Auslegung der notariellen Urkunde kurzerhand im Grundbucheintragungsverfahren herbeiführen zu können. An der Erforderlichkeit dieser weitergehenden Sachverhaltsaufklärung ändert nichts, dass von der Beschwerde angeführte sachliche Gesichtspunkte zusätzlich den Schluss auf eine gewollte Einheitslösung stützen mögen. Solange die erforderliche Sachverhaltsaufklärung nicht durchgeführt ist, kann deshalb im Grundbucheintragungsverfahren nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen werden, dass der Erbvertrag eine Vor- und Nacherbfolge im Sinne der oben dargestellten Trennungslösung enthält.

    Der Senat gelangt gleichwohl zu einer abweichenden Sachentscheidung, weil die weitere Auslegung des Erbvertrages zu dem Ergebnis führt, dass auch bei Annahme einer Vor- und Nacherbfolge nach dem erstverstorbenen Ehegatten daneben eine Schlusserbeinsetzung der Kinder nach dem letztverstorbenen Ehegatten angeordnet ist. Das Nebeneinander von Nacherbfolge nach dem erstverstorbenen Ehegatten und Schlusserbfolge nach dem Letztversterbenden führt dann zu demselben im Grundbuch zu verlautbarenden Ergebnis, nämlich einer Eigentümerstellung der Beteiligten zu 1) und 2) am Gesamtgrundstück in Erbengemeinschaft.

    Allerdings hat das Grundbuchamt zutreffend darauf hingewiesen, dass der Wortlaut der notariellen Urkunde ausdrücklich eine Schlusserbeinsetzung der gemeinschaftlichen Kinder nicht enthält. Anknüpfungspunkt für eine solche Auslegung ist aber bereits im Ausgangspunkt die gesetzliche Auslegungsregel des § 2102 Abs. 1 BGB, die auch vom Grundbuchamt zu beachten ist. Danach ist im Zweifel anzunehmen, dass der Nacherbe für den Fall des Wegfalls des Vorerben zugleich als Ersatzerbe berufen ist. Eine solche Situation ist hier im Hinblick auf die letztwillige Verfügung des überlebenden Ehegatten gegeben. Seine Einsetzung des erstverstorbenen Ehegatten als Vorerben ist gegenstandslos, so dass insoweit auch eine Nacherbfolge nicht eintreten kann. Es kommt nur eine Ersatzerbfolge in Betracht. Die Auslegungsregel des Gesetzes beruht auf der Lebenserfahrung, dass der Erblasser den Rechtserwerb des Nacherben nur mit Rücksicht auf den Vorerben hinausschieben will, bei dessen Wegfall also für den Erblasser kein Grund besteht, dem als Nacherben Berufenen die Erbschaft nicht sogleich zukommen zu lassen. Dieser Wertungszusammenhang kommt nach gefestigter Rechtsprechung auch bei einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament (hier einem Erbvertrag) zum Tragen, in dem die Ehegatten sich gegenseitig zu Vorerben und die gemeinsamen Kinder zu Nacherben berufen, ohne die Erbfolge nach dem Letztversterbenden ausdrücklich zu regeln (BGH FamRZ 1987, 475; ZEV 1999, 26; KG NJW-RR 1987, 451; OLG Hamburg FGPrax 1999, 225; OLG Köln FGPrax 2000, 89; Senat FGPrax 2005, 74).

    Die Verfügungen der Ehegatten belegen in ihrer Gesamtheit mit Deutlichkeit, dass sie auch bei Annahme einer Vor- und Nacherbfolge nach dem erstverstorbenen Ehegatten ergänzend eine Schlusserbfolge (Ersatzerbfolge) der Kinder nach dem Letztversterbenden anordnen wollten. Sie haben nämlich die Beteiligten zu 1) und 2) in § 2 des Erbvertrages ausdrücklich als „unsere Erben“ bezeichnet. Diese Bezeichnung wäre unzutreffend, wenn die Ehegatten im Rahmen einer Trennungslösung sich nur auf die Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge nach dem erstversterbenden Ehegatten beschränken und die Schlusserbfolge nach dem Letztversterbenden hätten offen lassen wollen. Ausschlaggebend kommt hinzu, dass die Ehegatten die Beteiligten zu 1) und 2) in Ansehung des hier betroffenen Grundbesitzes als Vorvermächtnisnehmer und die Enkelkinder C1 und C5 C als Nachvermächtnisnehmer (§ 2191 BGB) eingesetzt haben. Auf diese Weise wollten die Ehegatten nach § 2 Abs. 3 des Erbvertrages sicherstellen, dass diese beiden Enkelkinder „letztlich Eigentümer der genannten Besitzung allein im Wege des Nachvermächtnisses werden.“ Dann muss sich also auch die Erbeinsetzung auf den Nachlass beider Ehegatten erstrecken, weil nur dann die Vor- und schlussendlich die Nachvermächtnisse auch erfüllt werden können. Dies wäre demgegenüber bei Annahme einer auf den Nachlass des erstversterbenden Ehegatten beschränkten Vor- und Nacherbfolge nicht möglich.

    Eine Wertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren ist nicht veranlasst.

    RechtsgebieteGBO, BGBVorschriftenGBO § 35 Abs. 1 S. 2; BGB § 2102 Abs. 1