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  • · Fachbeitrag · Verfassungswidrigkeit

    Erbschaftsteuerliche Begünstigungen mal wieder auf verfassungsrechtlichem Prüfstand

    von Dipl.-Finw. (FH), Thomas Rennar, Hannover

    | Die erbschaft- und schenkungsteuerliche Ungleichbehandlung von Privat- und Betriebsvermögen wird seit Jahren kritisch gesehen. Der BFH (17.1.22, II B 49/21) hat jüngst nochmals klargestellt, dass eine Erbschaftsbesteuerung des Privatvermögens nicht deshalb verfassungswidrig ist, weil in demselben Zeitraum eine Überbegünstigung des Betriebsvermögens zu verzeichnen wäre, und die vom Kläger angestrebte Revision nicht zugelassen. Der Beschwerdeführer hat sich dies jedoch nicht gefallen lassen und Verfassungsbeschwerde eingelegt, da die Nichtzulassung der Revision ihn in seinem Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes beschwere. |

    1. Ungleichbehandlung von Privat- & Betriebsvermögen

    Die Ungleichbehandlung von Privat- und Unternehmensvermögen führt vor dem Hintergrund steigender Vermögenswerte zu einer stetig wachsenden Gerechtigkeitslücke. Insbesondere die Konzeption der Bedürfnisprüfung führt dazu, dass mit steigendem übertragenen Unternehmenswert auch das Ausmaß der Begünstigung zunimmt, während die (steigenden) Werte des nicht begünstigten Privatvermögens progressiv besteuert werden.

     

     

    Im Jahr 2019 lagen die steuerfreien Unternehmensübertragungen noch bei 23,1 Mrd. EUR, eine abgeschlossene Bedürfnisprüfung gab es bis dahin nicht. In 2021 haben sich die steuerbefreiten Unternehmensvermögen allerdings mit 37 Mrd.EUR im Vergleich zu 2019 nahezu verdoppelt (vgl. Stellungnahme des Netzwerks Steuergerechtigkeit im Mai 2023 zur Verfassungsbeschwerde ‒ BvR 804/22).

    2. Streitiger Sachverhalt ‒ II B 49/21

    Der Kläger war Erbe seiner verstorbenen Tante. Im Nachlass befand sich ausschließlich Privatvermögen, u. a. ein Wertpapierdepot bei der Sparkasse und Miteigentum an einer Wohnung. Das FA berücksichtigte bei der ErbSt-Festsetzung das Wertpapierdepot und einen Einkommensteuererstattungsanspruch. Eine Verrechnung mit einem untergegangenen verbleibenden Zuwendungsvortrag erfolgte nicht. Die Klage war erfolglos. Der Kläger begehrte die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und wegen Verfahrensfehlern vor dem BFH, jedoch ohne Erfolg.

    3. Entscheidung des BFH: Revisionsablehnung

    3.1 Keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache

    Die Rechtssache hat bereits keine grundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die für die Zulassung maßgebliche Rechtsfrage ist im anschließenden Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, wenn die Entscheidung des FG nicht von ihrer Beantwortung abhängig ist (vgl. BFH 27.9.10, II B 164/09, BFH/NV 11, 193; 17.5.21, VIII B 88/20, BFH/NV 21, 1353). Insofern genügt es für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht, dass die Klärung einer bestimmten Rechtsfrage theoretisch möglich erscheint. Vielmehr muss zu erwarten sein, dass es tatsächlich zu einer Klärung der Grundsatzfrage kommen wird. Dies ist dann nicht der Fall, wenn die Rechtsfrage hinweggedacht werden kann, ohne dass das Urteil entfiele (vgl. BFH 9.3.16, X B 142/15, BFH/NV 16, 1030).

     

    3.2 Keine Fortbildung des Rechts erforderlich

    Auch eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts ist nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO nicht erforderlich. Die vom Kläger formulierte Frage, ob das Verschonungsregime der §§ 13a, 13b, 13c, 19, 28a ErbStG gegen Art. 3 GG oder andere Grundrechte verstößt (mit der Folge, dass das FG verpflichtet gewesen wäre, das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen), ist durch die Rechtsprechung des BFH mittlerweile geklärt. So hat der BFH (6.5.21, II R 1/19, BStBl II 22, 77) bereits ausgeführt, dass er nicht von der Verfassungswidrigkeit der angewandten Normen des materiellen Rechts überzeugt sei. Insbesondere sei die im Streitfall vorgenommene Erbschaftsbesteuerung des Privatvermögens nicht deshalb verfassungswidrig, weil in demselben Zeitraum eine erbschaftsteuerliche Überbegünstigung des Betriebsvermögens zu verzeichnen wäre.

     

    Soweit der Kläger die Verfassungswidrigkeit der Regelungen hingegen aufgrund eines Verstoßes gegen das Sozialstaatsprinzip geltend macht, genügt sein Vortrag bereits nicht den Darlegungsanforderungen. Insofern beruft er sich ausschließlich auf das Sondervotum des BVerfG (17.12.14, 1 BvL 21/12, NJW 15, 303), wonach Art. 20 Abs. 1 GG ergänzend heranzuziehen ist, wobei dennoch die Möglichkeit der Rechtfertigung der Begünstigung auch sehr großer und größter Vermögen gesehen wird. Nicht erkennbar wird, warum trotz der mit dem Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BGBl I 16, 2464) vorgenommenen Nachbesserungen und des vom BVerfG gewährten sehr weiten Entscheidungsspielraums des Gesetzgebers ein Verstoß gegen Art. 3 GG unter Berücksichtigung des Sozialstaatsprinzips vorliegen sollte.

     

    3.3 Letztlich auch kein Verfahrensfehler begründet

    Auch aufgrund der vom Kläger gerügten Verfahrensfehler des FG ist die Revision weder gem. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen noch die Vorentscheidung gemäß § 116 Abs. 6 FGO aufzuheben.

     

    Der Anspruch auf rechtliches Gehör (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) umfasst vor allem das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern sowie in rechtlicher Hinsicht alles vorzutragen, was sie für wesentlich halten. Darüber hinaus gebietet es der Anspruch auf rechtliches Gehör, für die Prozessbeteiligten überraschende Entscheidungen zu unterlassen (vgl. BFH 12.6.20, II B 46/19, BFH/NV 20, 1273; 27.10.20, XI B 33/20, BFH/NV 21, 459, m. w. N.). Für eine Verletzung dieses Grundsatzes sah der BFH hier allerdings keine Anzeichen.

     

    Somit sei auch kein Verfahrensfehler (Vorenthaltung des gesetzlichen Richters; Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) darin zu sehen, dass das FG nicht das Verfahren ausgesetzt und die Entscheidung des BVerfG nach § 100 Abs. 1 S. 1 GG eingeholt bzw. kein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV an den EuGH gerichtet hat.

    4. Verfassungsbeschwerde ‒ BVerfG: 1 BvR 804/22

    Wegen Nichtzulassung der Revision (BFH-Beschluss v. 17.1.22, II B 49/21) wurde nachfolgend Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG unter dem Az. 1 BvR 804/22 erhoben. Hierbei geht es nunmehr um die verfassungsrechtliche Frage, ob die erbschaft- und schenkungsteuerlichen Begünstigungen beim Übergang betrieblichen Vermögens gem. §§ 13a, 13b, 13c, 19, 19a, 28a ErbStG und § 203 BewG mit dem Grundgesetz vereinbar sind oder ob sie Erwerberinnen und Erwerber, für die die genannten Normen keine Anwendung finden, in verfassungsrechtlich zu beanstandender Weise benachteiligen. Der weitere Verfahrensverlauf bleibt hier zu beobachten.

     

    FAZIT | Ob die vom Beschwerdeführer erhobene Verfassungsbeschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch den BFH Erfolg haben wird, wird unterschiedlich beurteilt. Während der Bund der Steuerzahler die Verfassungsbeschwerde für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet hält, geht die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) von ihrer Zulässigkeit und Begründetheit aus. M. E. dürfte Letzteres zutreffend sein. Sowohl die Entscheidung der Vorinstanz als auch die des BFH verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Die Entscheidung ist somit aufzuheben und die Sache an den BFH zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Der BFH dürfte somit Gelegenheit erhalten, seine Auffassung zur Zulassung der Revision sowie im Rahmen der Revision seine Auffassung zur Verfassungswidrigkeit des ErbStG zu überprüfen und über eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG i. V. m. § 80 BVerfGG zu beschließen. Das Verfahren bleibt daher von praktischer Bedeutung für sämtliche Einzelfälle der Erbschaft- und Schenkungsteuerbesteuerung, gerade der ungleichen Betriebsvermögensbegünstigung im Vergleich zum Privatvermögen.

     
    Quelle: Ausgabe 10 / 2023 | Seite 256 | ID 49682824