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  • · Fachbeitrag · Wegfall der Geschäftsgrundlage

    Übertragungsvertrag unter Geschwistern:Pflegeverpflichtung nicht erfüllt ‒ was nun?

    von RA und Notar, StB, FA ErbR Dipl.-Kfm. Gerhard Slabon, Paderborn

    | In seinem aktuellen Urteil vom 9.7.21 hatte der BGH die Frage zu klären, unter welchen Voraussetzungen der Schenker von einem Übertragungsvertrag zurücktreten kann, wenn der Beschenkte die vertraglich übernommene Pflegeverpflichtung nicht erfüllt und das Verhältnis untereinander damit möglicherweise heillos zerrüttet ist. |

     

    Sachverhalt

    Ende 2013 übertrug der 1944 geborene K, der zuvor einen schweren Herzinfarkt erlitten hatte, sein Wohnhaus auf seine Schwester S. Als Gegenleistung bestellte die S zugunsten des K ein Wohnrecht an bestimmten Räumen des Hauses und verpflichtete sich, ihn lebenslang zu betreuen und zu pflegen. Die S bezog das Haus zusammen mit ihrem Ehemann, ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn. In der Folgezeit kam es zu Streitigkeiten zwischen den Parteien. Ab Februar oder März 2014 erbrachte die S keine Pflegeleistungen mehr. Daraufhin erklärte K den Rücktritt vom Vertrag, auch weil die S von ihm Miete verlange und ihn bedrängt und genötigt habe.

     

    Das Ausgangsgericht verneinte einen Anspruch auf Rückübertragung nach § 323 Abs. 1 BGB und war der Auffassung, der K hätte unter Fristsetzung konkrete Pflegeleistungen verlangen müssen, woran es hier fehle.

     

    Bei einem Übertragungsvertrag mit Pflegevereinbarung unter Geschwistern ist die dauerhafte, von gegenseitigem Vertrauen der Parteien getragene Beziehung im Zweifel Geschäftsgrundlage des Vertrags. Ist das Verhältnis zwischen dem Übertragenden und dem Übernehmenden heillos zerrüttet, führt dies ‒ vorbehaltlich vertraglicher Vereinbarungen ‒ zum Wegfall der Geschäftsgrundlage. Der Übertragende kann die Rechte aus § 313 BGB geltend machen, es sei denn, die Zerrüttung ist eindeutig ihm allein anzulasten.

    (Abruf-Nr. 224839)

     

    Entscheidungsgründe

    Nach Auffassung des BGH war hier zwar ein gegenseitiger Vertrag gegeben, auf den die Regelungen der §§ 320 ff. BGB anwendbar sind. Die Vorschrift des § 323 Abs. 1 BGB sei aber dennoch nicht einschlägig. Der K hat den Rücktritt nämlich nicht darauf gestützt, dass die B die geschuldeten Pflegeleistungen nicht mehr erbringt. Er macht vielmehr geltend, es sei ihm aufgrund eines heillosen Zerwürfnisses nicht länger zumutbar, Pflegeleistungen der Beklagten anzunehmen. Ist Grundlage des Anspruchs des K aber nicht die Nicht- oder Schlechtleistung der Pflege, sondern die Unzumutbarkeit der persönlichen Leistungen durch die B, bestimmt sich die Frage, ob ein Anspruch auf Rückübertragung des Grundstücks besteht, nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 3 BGB.

     

    MERKE | Für einen solchen Anspruch auf Rückübertragung kommt es nicht mehr wie früher darauf an, ob dies zur Vermeidung „untragbarer, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbarerer Folgen unabweisbar erscheint“. Die durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 26.11.01 eingeführte Vorschrift des § 313 Abs. 3 BGB sieht bei Wegfall der Geschäftsgrundlage die Rechtsfolge der Auflösung des Vertrags nunmehr dann vor, wenn eine Anpassung nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist (§ 313 Abs. 3 BGB).

     

    Dass in dem Vertrag Rückforderungsrechte für bestimmte Fälle vorgesehen waren (Veräußerung oder Belastung des Grundstücks ohne Zustimmung des K; Vorversterben), schließt die Anwendbarkeit des § 313 BGB nicht aus. Zwar ist für den Wegfall der Geschäftsgrundlage kein Raum, wenn sich damit ein Risiko verwirklicht hat, das nach der vertraglichen Regelung in den Risikobereich der betroffenen Partei fällt. Allerdings sind die vertraglich vereinbarten Rücktrittsgründe nicht in dem Sinne abschließend, dass der K bei heilloser Zerrüttung des Verhältnisses zu seiner Schwester nicht nach § 313 Abs. 3 BGB zurücktreten könnte. Für diesen Fall haben die Parteien vielmehr gerade keine Regelung getroffen, weil sie ihn erkennbar nicht bedacht haben.

     

    Beachten Sie | Bei der Anwendung der Regelung über den Wegfall der Geschäftsgrundlage aufgrund Zerwürfnisses kommt es nicht darauf an, welche Vertragspartei welchen Anteil daran trägt. In der Regel tragen nämlich beide Vertragsparteien ihren Anteil daran. Allerdings kann sich eine Partei nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage nach Treu und Glauben berufen, wenn sie nicht schutzwürdig ist. Dafür reicht es jedoch nicht aus, dass der Übertragende überhaupt zu dem Zerwürfnis beigetragen hat. Erforderlich wäre insoweit, dass er allein den Grund für das Zerwürfnis gesetzt hat.

     

    Liegen danach die Voraussetzungen des § 313 BGB vor, ist zu prüfen, ob der K die Auflösung des Vertrags verlangen kann, weil ihm die vorrangige Vertragsanpassung nicht möglich oder ihm bzw. der S nicht zumutbar ist (§ 313 Abs. 3 S. 1 BGB). Als eine solche vorrangige Vertragsanpassung könnte eine Zahlung in Geld anstelle der Sach- und Dienstleistungen in Betracht kommen. Ist eine Vertragsanpassung in Form von Geldleistungen nicht möglich bzw. dem Kläger wegen der finanziellen Verhältnisse der Beklagten nicht zumutbar, könnte er die Rückübertragung des zugewendeten Eigentums an dem Hausgrundstück von der Beklagten verlangen.

     

    Relevanz für die Praxis

    Da in Fällen der vorliegenden Art der Vertrag wegen der Pflegeverpflichtung Elemente eines Dauerschuldverhältnisses enthält (§ 313 Abs. 3 S. 2 BGB), kommt die Auflösung des Vertrags nur mit Wirkung ex nunc in Betracht und kein Rückgewährschuldverhältnis nach § 346 BGB. S müsste also das Grundstück zurückübertragen und würde im Gegenzug von ihrer Pflegeverpflichtung befreit. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass nur die Auflösung des Vertrags in Betracht kommt, weil die vorrangige Anpassung nicht möglich ist, trägt dabei derjenige, der die Rückübertragung verlangt.

    Quelle: Ausgabe 11 / 2021 | Seite 271 | ID 47738385