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  • 26.02.2009 | Minderung

    Publikumsverkehr als Mangel: BGH setzt hohe Hürden für den Mangelbegriff

    von RiOLG Günther Geldmacher, Düsseldorf

    Zur Frage, wann Art und Umfang des Publikumsverkehrs eines gewerblichen Mitmieters (hier: Arbeitsgemeinschaft der Bundesagentur für Arbeit und des Landkreises, ARGE) in einem vor Vertragsschluss als exklusiv angepriesenen Bürohochhaus als Mangel der Mietsache anzusehen sind (BGH 15.10.08, XII ZR 1/07 und 2/07, Abruf-Nr. 090408).

     

    Sachverhalt

    Das OLG Stuttgart hat mit Urteilen vom 30.11.06 (13 U 54/06 und 55/06) entschieden, dass die von Besuchern der ARGE in einem Bürohaus mit exklusivem Ambiente ausgehenden Beeinträchtigungen eine Minderung der übrigen Mieter rechtfertigen und deren Feststellungsklage stattgegeben. Eine weitere Parallelentscheidung ist von Horst (MK 07, 39, Abruf-Nr. 070315) besprochen worden. Der BGH hat nun die ersten beiden Entscheidungen auf Revision der beklagten Vermieterin aufgehoben.  

     

    Entscheidungsgründe/Praxishinweis

    Der BGH klärt in seiner Entscheidung wichtige Einzelfragen des Mangelbegriffs und gibt praktische Hinweise für die Mandatsbearbeitung.  

     

    Checkliste: So begründet der BGH seine Entscheidung
    • Ständig offene Eingangstür als Mangel: Einen Mangel hat das OLG darin gesehen, dass der mietvertraglich geschuldete Betrieb einer Zugangskontrolle zu dem Gebäude während der Öffnungszeiten der ARGE durch die stattdessen ständig geöffnete Eingangstür nicht mehr gewährleistet sei. Der BGH teilt den Ausgangspunkt, dass dieser Umstand eine Abweichung von der vertraglich vorgesehenen Sollbeschaffenheit darstellt. Grund: Nach der Mieterbaubeschreibung, die Bestandteil des Mietvertrags ist, sollte die Zugangskontrolle (nur) solchen Personen den Zutritt ermöglichen, die entweder über eine Codekarte verfügen oder denen die Tür nach Anmeldung über die Sprechanlage vom jeweiligen Mieter mittels des elektrischen Türöffners geöffnet wurde. Das heißt: Die Eingangstür musste regelmäßig geschlossen bleiben, damit die Mieter jeweils selbst entscheiden konnten, wem sie Einlass gewährten. Der BGH bemängelt jedoch ausreichende Feststellungen zu den konkreten Auswirkungen der geänderten Handhabung auf den Mietgebrauch. Das heißt: Es fehlt eine tragfähige Grundlage für die tatrichterliche Beurteilung, ob die Beeinträchtigung der Funktion der Zugangskontrollanlage die Erheblichkeitsschwelle des § 536 Abs. 1 S. 3 BGB überschreitet.

     

    • Vermieterin muss Unerheblichkeit des Mangels beweisen: Darlegungs- und beweisbelastet für die Umstände, die eine Beeinträchtigung des Mietgebrauchs als unerheblich erscheinen lassen, ist die Vermieterin (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, 68. Aufl., § 536, Rn. 5). Dem ist sie hier nachgekommen, indem sie behauptet und unter Beweis gestellt hat, dass der - unstreitige - Einsatz einer Aufsichtsperson im Eingangsbereich dazu geführt hat, dass sich die Sicherheitslage jedenfalls nicht verschlechtert hat. Auch hat der Publikumsverkehr der ARGE bislang nicht zu Unzuträglichkeiten geführt, insbesondere nicht in den Bereichen des Gebäudes, die von den Klägern mitbenutzt werden. Das OLG hat demgegenüber zu Unrecht bereits die abstrakte Gefahr des Eindringens Unbefugter als einen die Minderung rechtfertigenden Mangel der Mietsache angesehen und den einmaligen Vorfall der Beschädigung eines Aufzugsspiegels als exemplarischen Beleg für eine tatsächliche Verschlechterung der Sicherheitslage herangezogen.

     

    • Diese Feststellungen hätte das OLG treffen müssen: Nach Auffassung des BGH wäre es erforderlich gewesen, nähere Feststellungen zu Art, Intensität und Effizienz der von der Aufsichtsperson im Eingangsbereich ausgeübten Zutrittskontrolle zu treffen, ggf. durch Ortsbesichtigung zu den Öffnungszeiten der ARGE. Diese Feststellungen hätten sodann mit der hypothetischen Situation verglichen werden müssen, die bestünde, wenn es bei Vollvermietung der jetzt von der ARGE genutzten Geschosse bei dem bisher gehandhabten Einlass mittels Türsprechanlage verblieben wäre. Insoweit hätte auch die bisherige oder zu erwartende Intensität dieser Zugangskontrolle in Betracht gezogen werden müssen, namentlich die Frage, ob sämtliche Mieter über die Türsprechanlage den Namen des Besuchers erfragen, eine entsprechende Terminvereinbarung überprüfen oder Maßnahmen ergreifen, wenn ein Besucher nicht innerhalb angemessener Zeit nach Einlass bei ihnen vorstellig wird.

     

    • Einmalige Störungen sind kein Mangel: Der BGH stellt klar, dass der einmalig gebliebene Vorfall der Aufzugsbeschädigung nicht den Schluss auf eine allgemeine, einen Mitmieter beeinträchtigende Gefahrenlage rechtfertigt, etwa in Gestalt einer gestiegenen Zahl von Personen, die sich unbefugt im Gebäude aufhalten. Die Feststellung eines Mangels setzt zudem voraus, dass die Veränderung der Zugangskontrolle für die Beschädigung des Aufzugsspiegels ursächlich war. Das OLG hätte daher prüfen müssen, ob der Täter - unstreitig ein Besucher der ARGE -

     

    • das Gebäude unbefugt betreten hatte,
    • bei Anmeldung über die Türsprechanlage abgewiesen worden wäre und
    • die Sachbeschädigung hätte vermieden werden können, wenn die ARGE ihn wegen eines Anliegens eingelassen und somit von seiner Anwesenheit im Gebäude Kenntnis gehabt hätte.

     

    Auf dieses Kausalitätserfordernis zur Abwehr einer Gewährleistungshaftung des Vermieters hat der BGH bereits in MK 09, 20 (Abruf-Nr. 083584) bei der Frage abgestellt, ob der Vermieter den Brand der vermieteten Lagerhalle mit dem - fehlenden - Feuerlöscher hätte löschen können.

     

    • Keine Minderung bei zeitnaher Reparatur oder Reinigung: Der BGH sieht in der Beschädigung des Aufzugsspiegels auch deshalb keine unmittelbare Beeinträchtigung des Mietgebrauchs der Kläger, weil weder die Funktion des Aufzugs beeinträchtigt war noch die Kläger vorgetragen haben, dass das negative Erscheinungsbild des Aufzugs erst nach unangemessen langer Zeit durch eine Reparatur beseitigt worden sei. Das heißt: Je schneller der Vermieter einen Mangel beseitigt, um so weniger wird eine Minderung gerechtfertigt sein. Gleiches gilt, wenn durch Besucherverkehr stärkere Verschmutzungen der Zugänge und des Treppenhauses auftreten, diese aber regelmäßig und zeitnah gereinigt werden.

     

    • „Exklusives Ambiente“ rechtfertigt keinen Milieuschutz: Die Vermietung von Räumen an die ARGE ist als solche kein Mangel. Grund: Ohne besondere Absprachen kann aus der bloßen Vereinbarung einer deutlich über den örtlichen Spitzenpreisen liegenden Miete, auch vor dem Hintergrund eines das „einmalige Ambiente“ und die „angenehme Atmosphäre“ hervorhebenden Exposés, noch keine Verpflichtung des Vermieters abgeleitet werden, einen bestimmten „Mietermix“ oder ein bestimmtes „Milieuniveau“ zu bewahren. Das OLG hat ferner aus der Miethöhe die konkludente Abrede gefolgert, das Umfeld, namentlich die Mitmieter und deren Besucherverkehr müssten zumindest „eher über dem Durchschnitt liegenden Anforderungen“ gerecht werden. Dem tritt der BGH entgegen. Grund: Dieser Begriff ist bereits so unbestimmt, dass die Miethöhe allein kein hinreichendes Indiz für einen dahingehenden Rechtsbindungswillen der Parteien darstellt.

     

    • Folge: Der Mieter hat keinen Anspruch darauf, dass sich im Umfeld seiner Mieträume nur Kunden oder Besucher anderer Mieter einfinden, die einer „gehobenen“ Bevölkerungsschicht angehören oder sich durch ein angenehmes Erscheinungsbild und Verhalten auszeichnen. Gehören zu den Bestandsmietern - wie hier - Anwälte und Ärzte, ohne dass Anhaltspunkte ersichtlich sind, dass diese infolge ihrer Spezialisierung bzw. mangels Kassenzulassung sämtlich nur einen exklusiven Mandanten- oder Patientenstamm betreuen, ist ohnehin damit zu rechnen, dass das Gebäude von Angehörigen aller Bevölkerungskreise aufgesucht wird.

     

    Ausnahme: Der Vermieter hat im Rahmen der Vertragsverhandlungen versichert, er werde lediglich an „ausgewählte, besonders exklusive Mieter“ vermieten, bei der Auswahl „strengste Maßstäbe anlegen und darauf achten, dass es keine Mieter mit nennenswertem Publikumsverkehr“ gebe. Der BGH weist das OLG an, bei der neuen Verhandlung über diese Mieterbehauptung Beweis zu erheben. Folge: Je nach dem Ergebnis dieser Beweisaufnahme kann sich nämlich eine andere vertraglich vereinbarte Sollbeschaffenheit des Mietobjekts herausstellen, als sie ohne derartige Absprachen zugrunde zu legen ist.

     

    • Hoher Besucherverkehr als Mangel: Unter einem Mangel i. S. von § 536 Abs. 1 BGB ist eine für den Mieter nachteilige Abweichung des tatsächlichen Zustands der Mietsache von dem vertraglich geschuldeten zu verstehen, wobei sowohl tatsächliche Umstände als auch rechtliche Verhältnisse in Bezug auf die Mietsache als Fehler in Betracht kommen können. So können bestimmte äußere Einflüsse oder Umstände - etwa die Behinderung des Zugangs zu einem gemieteten Geschäftslokal - einen Fehler des Mietobjekts begründen. Erforderlich ist allerdings, um Ausuferungen des Fehlerbegriffs zu vermeiden, stets eine unmittelbare Beeinträchtigung der Tauglichkeit bzw. eine unmittelbare Einwirkung auf die Gebrauchstauglichkeit der Mietsache. Demgegenüber sind Umstände, die die Eignung der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch nur mittelbar berühren, nicht als Mängel zu qualifizieren (BGH MK 06, 71, Abruf-Nr. 053643).

     

    • Dass sich der Besucherverkehr der ARGE aus einem überdurchschnittlich hohen Anteil sozial auffällig gewordener Personen zusammensetzen soll, rechtfertigt hiernach für sich allein ebenso wenig die Annahme eines Mangels wie der Besuch durch Mandanten eines Strafverteidigers, Klienten eines Bewährungshelfers oder Patienten eines Psychiaters.

     

    • Ein Mangel liegt vielmehr nur vor, wenn der vertragsgemäße Mietgebrauch hierdurch konkret beeinträchtigt wird. Erst wenn wiederholt konkrete Anlässe oder Gefahrensituationen auftreten, die dem Besucher- oder Kundenkreis eines anderen Mieters zuzuordnen sind, kommt dieser Umfeldeinfluss als mietrechtlich relevanter Mangel in Betracht. Das heißt: Fühlen sich Mieter, deren Mitarbeiter oder Kunden allein wegen der Vorstellung, mit einem solchen Personenkreis konfrontiert werden zu können, in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt, rechtfertigt dies keine Minderung.

     

    • Soweit die Kläger geltend gemacht haben, ihre Besucher fühlten sich bereits durch den Anblick einer von der ARGE eingesetzten Aufsichtsperson im Eingangsbereich eher verunsichert oder abgeschreckt, weil dies zugleich die Vermutung einer problematischen Gefahrenlage nahe lege, konnte der BGH offen lassen, ob hierin ein Mangel zu sehen ist. Grund: Die Kläger haben die ihnen obliegende Darlegungs- und Beweislast nicht erfüllt. Sie haben hierfür weder Beweis angetreten noch dargelegt, dass etwa Klienten/Patienten oder potentielle Klienten/Patienten deswegen davon Abstand genommen hätten, ihre Praxis aufzusuchen.

     

    Beachte: Der vertragsgemäße Gebrauch der Mieträume wird durch die Vielzahl oder das Verhalten der Kunden und Besucher eines Mitmieters (hier: täglich 280 ARGE-Besucher) erst dann mehr als nur unwesentlich beeinträchtigt, wenn sich daraus Unzuträglichkeiten oder Belästigungen ergeben, die sich konkret auf den Mieter und seinen Betrieb auswirken.

     

    • Das kann z.B. der Fall sein, wenn sich im Eingangsbereich, im Treppenhaus oder gar im Zugangsbereich zu den Praxisräumen der Mieter in den anderen Stockwerken Schlangen wartender ARGE-Besucher aufhielten, an denen vorbei sich die Kläger, ihre Angestellten oder ihre Patienten einen Weg bahnen müssten. Hierbei kommt es für die von einem Mitmieter wahrzunehmende Belastung des Gebäudes mit Publikumsverkehr der ARGE allein auf die Zahl derer an, die sich zu gleicher Zeit in den allgemein zugänglichen Bereichen des Gebäudes aufhalten, weil sie sich auf dem Weg zur ARGE oder zurück befinden oder gegebenenfalls Wartezeiten auf den Fluren und nicht in den Räumen der ARGE selbst verbringen. Diese Zahl bedarf sodann der Gegenüberstellung mit der korrespondierenden Größenordnung des Publikumsverkehrs, die zu erwarten wäre, wenn die Räumlichkeiten der ARGE von anderen Mietern - beispielsweise als freiberufliche Praxen - genutzt würden.

     

    • Auch längere Wartezeiten an den Aufzügen, mit denen ohne den Besucherverkehr nicht zu rechnen ist, sind aus Sicht des BGH in einem Bürohochhaus (hier: 13-geschossig) nur minderungsrelevant, wenn sie eine mehr als nur unerhebliche Beeinträchtigung des Zugangs darstellen. Insoweit bedarf es eines Vergleichs mit den Wartezeiten, mit denen in einem Gebäude bei einer Vollvermietung von Büro- und Praxisräumen typischerweise zu rechnen ist.