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  • · Fachbeitrag · Gewerberaummietvertrag

    Kein Wohnraummietschutz für die kommunale Anmietung von Flüchtlingsunterkünften

    von RiOLG a.D. Günther Geldmacher, Düsseldorf

    | Viele Kommunen können ihnen zugewiesene Flüchtlinge nur unterbringen, indem sie Wohnungen oder ganze Häuser privat anmieten. Das geschieht häufig durch einen unbefristeten Formularmietvertrag mit einem zeitlich befristeten Kündigungsausschluss. Dessen Wirksamkeit darf bei einer Wohnraummiete vier Jahre nicht übersteigen. Was aber gilt, wenn der Mietvertrag nicht als Wohn-, sondern als Gewerberaummietvertrag einzustufen ist? Der BGH zeigt, worauf es für die Auslegung ankommt. |

     

    Sachverhalt

    Die beklagte Stadt mietete von den Klägern mit einem als „Mietvertrag über Wohnräume“ überschriebenen Formularvertrag ein Wohnhaus, in dem sie beabsichtigte, ihr als Flüchtlinge zugewiesene Personen unterzubringen. § 4 lautet: „Das Recht beider Mietvertragsparteien zur ordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses wird für die Dauer von 60 Monaten ab Abschluss des Vertrags ausgeschlossen. Der darin liegende Kündigungsverzicht kann höchstens für die Dauer von 47 Monaten seit Abschluss des Vertrags und mit der Möglichkeit zum Ablauf dieses Zeitraums vereinbart werden. Das Recht der Parteien zur außerordentlichen Kündigung bleibt davon unberührt. Für die Fristen der ordentlichen Kündigung nach Wegfall des Kündigungsausschlusses gelten die gesetzlichen Regelungen.“ Die in der Klausel genannte Zahl „60“ wurde an der vorgegebenen Stelle handschriftlich eingefügt. Neben der Klausel befindet sich ein mit einem Sternchen markierter Hinweis, der am Ende der Klausel mit der Formulierung „Sonderprogramm Flüchtlingswohnraum“ erläutert wird.

     

    Wegen Rückgangs der Flüchtlingszahlen fand eine Belegung des Hauses nicht statt. Daher kündigte die Beklagte das Mietverhältnis am 17.1.17 zum 30.4.17. Kurze Zeit später forderte sie die Kläger auf, einer Mietanpassung auf 5 EUR/qm zuzustimmen, weil die vereinbarte Kaltmiete von 10,62 EUR/qm (insgesamt 2.645 EUR) die ortsübliche Miete um 112 Prozent übersteige. Wegen der Weigerung der Kläger, dem zuzustimmen, kündigte die Beklagte das Mietverhältnis hilfsweise fristlos. Die Klage auf Zahlung rückständiger Miete für 5 bis 12/17 (21.160 EUR) hat in zweiter Instanz Erfolg. Der BGH weist die Revision zurück.

     

    • 1. Ein Mietvertrag, den eine Gemeinde abgeschlossen hat, um in dem Mietobjekt ihr zugewiesene Flüchtlinge unterbringen zu können, ist unbeschadet seiner Bezeichnung kein Wohnraummietvertrag i. S. v. § 549 Abs. 1 BGB.
    • 2. Eine in diesem Vertrag enthaltene formularmäßige Klausel, mit der für beide Mietvertragsparteien das Recht zur ordentlichen Kündigung für die Dauer von 60 Monaten ausgeschlossen wird, ist nicht wegen unangemessener Benachteiligung des Mieters unwirksam.

    (Abruf-Nr. 212419)

     

    Entscheidungsgründe

    Der BGH hat bereits mehrfach entschieden, dass selbst bei einem Wohnraummietverhältnis die Vertragsparteien die ordentliche Kündigung im Wege der Individualvereinbarung für sehr lange Zeit oder in den Grenzen des § 138 BGB sogar dauerhaft ausschließen können (Nachweise Urteilsgründe Tz. 17).

     

    Der vereinbarte Kündigungsausschluss ist aber auch wirksam, wenn es sich bei § 4 des Mietvertrags um AGB handelt, weil die Klausel der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB standhält. Zwar hat der BGH bereits mehrfach entschieden, dass ein formularvertraglich vereinbarter Kündigungsausschluss, der die Dauer von vier Jahren übersteigt, den Mieter entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt und daher gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam ist (Nachweise Urteilsgründe Tz. 19). Diese Entscheidungen bezogen sich jedoch auf den Bereich der Wohnungsmiete und lassen sich auf den vorliegenden Fall nicht übertragen, weil ein Wohnraummietverhältnis hier nicht vorliegt.

     

    Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Mietverhältnis über Wohnraum vorliegt, ist auf den Zweck abzustellen, den der Mieter mit der Anmietung des Mietobjekts vertragsgemäß verfolgt. Wohnraummiete liegt vor, wenn die Räume dem Mieter vertragsgemäß zur Befriedigung seiner eigenen Wohnbedürfnisse und/oder der Wohnbedürfnisse seiner Familie dienen sollen. Erfolgt die Vermietung zu Zwecken, die keinen unmittelbaren Wohnraumcharakter haben, ist hingegen allgemeines Mietrecht maßgebend. Die Beklagte hat die Immobilie angemietet, um dort den Wohnbedarf der ihr zugewiesenen Flüchtlinge decken zu können. Das heißt: Der Zweck der Anmietung war nicht darauf gerichtet, selbst die Räume zu Wohnzwecken zu nutzen, zumal eine juristische Person keinen eigenen Wohnbedarf haben kann.

     

    Liegt demnach kein Wohnraummietverhältnis vor, wird die Beklagte durch den in § 4 des Mietvertrags vereinbarten Kündigungsausschluss auf die Dauer von 60 Monaten auch nicht unangemessen benachteiligt i. S. v. § 307 Abs. 1 BGB.

     

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidung behandelt zwei zentrale Themen: zum einen die Frage, nach welchen Kriterien Wohn- und Gewerberaummietverträge voneinander abzugrenzen sind, zum anderen die Frage, ob die Kündigung in einem gewerblichen Mietvertrag formularmäßig länger als vier Jahre ausgeschlossen werden kann.

    Der BGH hält daran fest, dass es für die Abgrenzung nicht auf die Bezeichnung des Mietvertrags als Wohnraum- oder Gewerberaummietvertrag oder die Eignung der Räume zum Wohnen ankommt, sondern entscheidend auf den vereinbarten Nutzungszweck.

     

    • So hat der BGH z. B. einen im Rahmen eines sog. Werkförderungsvertrags geschlossenen Mietvertrag zwischen dem Darlehensgeber und dem Bauherrn über von diesem zu errichtende Wohnungen, die bestimmungsgemäß an die Bediensteten des Darlehensgebers untervermietet werden sollten, nicht als Mietvertrag über Wohnraum eingeordnet. Denn der vertragsgemäße Gebrauch durch den Mieter lag für die Vertragsteile gerade nicht im Wohnen, sondern im Weitervermieten (BGH NJW 81, 1377).

     

    • Ebenso hat der BGH einen Mietvertrag, den die Bundesrepublik mit dem Vermieter von Wohnungseigentum abgeschlossen hatte, um der ihr nach dem Nato-Truppenstatut und dessen Zusatzabkommen obliegenden Verpflichtung zur Deckung des Wohnraumbedarfs der US-Streitkräfte nachzukommen, nicht als Wohnraummietvertrag behandelt (BGHZ 94, 11).

     

    Ist aber der vereinbarte Nutzungszweck entscheidend, kann für das Anmieten eines Wohnhauses durch eine Gemeinde, die ‒ wie hier ‒ darin Flüchtlinge unterbringen will, nichts anderes gelten. Abgesehen davon, dass ‒ wie der BGH festhält ‒ eine juristische Person keinen Wohnbedarf haben kann (anders für die GbR: KG WuM 19, 579), bezog sich der vertragsgemäße Gebrauch der Beklagten allein darauf, die Mieträume zugewiesenen Flüchtlingen zu Wohnzwecken überlassen zu dürfen. Diese Wertung steht in Einklang mit § 549 Abs. 2 Nr. 3, § 578 Abs. 3 BGB. Wäre bereits der Hauptmietvertrag als Wohnraummietverhältnis i. S. v. § 549 Abs. 1 BGB zu qualifizieren, wären die in den beiden Normen aufgeführten Mieterschutzvorschriften unmittelbar anzuwenden und es bedürfte der Regelungen in § 549 Abs. 2 Nr. 3, § 578 Abs. 3 BGB nicht.

     

    Handelt es sich nicht um Wohnraum, wird die Beklagte durch den vereinbarten Kündigungsausschluss nicht unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 BGB).

     

    MERKE | Die Höchstgrenze von vier Jahren für die Befristung eines Mietverhältnisses bei Vereinbarung einer Staffelmiete gemäß § 557a Abs. 3 BGB, an der sich der BGH bei der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle einer Kündigungsverzichtsklausel orientiert, gilt ausschließlich für Wohnraum (Ausnahme: § 549 Abs. 2 und 3 BGB).

     

    Bei Formularverträgen über allgemeine Mietverhältnisse hat der BGH eine mehrjährige Bindung für sich genommen nicht als unangemessene Benachteiligung gewertet. Mietverträge sind als typische Dauerschuldverhältnisse i. d. R. auf längere Laufzeit angelegt; gesetzliche Bestimmungen, die die Länge der Dauer beschränken, existieren nicht (BGH NZM 08, 243). Der BGH entnimmt § 544 BGB die Wertung, dass außerhalb von Wohnraum auch Laufzeiten von über 30 Jahren vereinbart werden können. Hinzu kommt, dass die Beklagte als Träger der öffentlichen Verwaltung im Rahmen der ihr obliegenden Aufgabe, ihr zugewiesene Flüchtlinge mit Wohnraum zu versorgen, bereits bei Vertragsabschluss entscheidet, für welche Dauer sie die Anmietung vornehmen will. Auch das schließt es aus, § 307 Abs. 1 BGB zu ihren Gunsten anzuwenden.

     

    Last not least verwirft der BGH auch das Argument der Beklagten, sie hätte wegen Rückgangs der Flüchtlingszahlen aus wichtigem Grund nach § 543 Abs. 1 BGB kündigen dürfen. Grund: Im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter trägt der Mieter das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache (BGH MK 16, 23, Abruf-Nr. 182762; MK 11, 203, Abruf-Nr. 112816; MK 10, 155, Abruf-Nr. 101334).

    PRAXISTIPP | Die Parteien können vereinbaren, dass der Vermieter das Verwendungsrisiko des Mieters ‒ ganz oder zum Teil ‒ übernimmt. Ob das der Fall ist, ist durch Auslegung der getroffenen Vertragsvereinbarungen zu ermitteln (BGH NJW 00, 1714). Soll der gewerbliche Mietvertrag den Schutzmechanismen des Wohnraummietrechts unterliegen, sollte dies ausdrücklich geregelt werden.

     
    Quelle: Ausgabe 03 / 2020 | Seite 39 | ID 46351770