· Fachbeitrag · Stromlieferungsvertrag
Gaststättenpächter wird durch Stromentnahme Vertragspartner des Versorgers
von RiOLG Günther Geldmacher, Düsseldorf
(BGH 2.7.14, VIII ZR 316/13, Abruf-Nr. 142380) |
Sachverhalt
Die Klägerin erbrachte als Stromversorgerin Stromlieferungen für das im Eigentum des Beklagten stehende Grundstück. Dieses war an den Streithelfer verpachtet, der dort eine Pizzeria betrieb. Der Streithelfer verbrauchte in erheblichem Umfang Strom, ohne entgegen seiner pachtvertraglichen Verpflichtung einen schriftlichen Vertrag mit einem Stromversorger zu schließen oder der Klägerin mitzuteilen, dass er Strom entnehme. Auch der Beklagte teilte der Klägerin nicht mit, dass die Stromentnahme durch den Streithelfer erfolgt.
Die Klägerin sieht den Beklagten als ihren Vertragspartner an und nimmt ihn auf Zahlung der Vergütung für den gelieferten Strom in Anspruch (32.514,09 EUR). Die Klage hat in den Instanzen keinen Erfolg. Der BGH weist die Revision zurück.
Entscheidungsgründe/Praxishinweis
Die Klage war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, weil zwischen den Parteien kein Stromlieferungsvertrag bestand. Der VIII. Senat teilt die Auffassung des Berufungsgerichts, dass sich das konkrete Angebot der Klägerin auf Abschluss eines Versorgungsvertrags bei der gebotenen Auslegung aus der Sicht eines verständigen Dritten in der Position des Empfängers (§§ 133, 157 BGB) nicht an den Beklagten, sondern an den Streithelfer richtete und von diesem konkludent angenommen wurde, indem er Strom verbrauchte.
Der Senat hat schon wiederholt entschieden, dass in dem Leistungsangebot eines Versorgungsunternehmens grundsätzlich ein Vertragsangebot zum Abschluss eines Versorgungsvertrages in Form einer sogenannten Realofferte zu sehen ist.
Diese wird von demjenigen konkludent angenommen, der aus dem Leitungsnetz des Versorgungsunternehmens Elektrizität, Gas, Wasser oder Fernwärme entnimmt. Durch diesen Rechtsgrundsatz, der in § 2 Abs. 2 der Verordnungen über die Allgemeinen Bedingungen für die (Grund-)Versorgung mit Energie und Wasser (StromGVV, GasGVV, AVBWasserV, AVBFernwärmeV) lediglich wiederholt wird, wird der Tatsache Rechnung getragen, dass in der öffentlichen leitungsgebundenen Versorgung die angebotenen Leistungen vielfach ohne ausdrücklichen schriftlichen oder mündlichen Vertragsschluss in Anspruch genommen werden. Er zielt darauf ab, einen ersichtlich nicht gewollten vertragslosen Zustand bei den zugrunde liegenden Versorgungsleistungen zu vermeiden (BGH NJW 14, 1951; NJW 11, 3509; NZM 09, 195; NZM 05, 356), und berücksichtigt die normierende Kraft der Verkehrssitte, die dem sozialtypischen Verhalten der Annahme der Versorgungsleistungen den Gehalt einer echten Willenserklärung zumisst.
Merke | Aus Sicht eines objektiven Empfängers stellt sich typischerweise die Vorhaltung der Energie und die Möglichkeit der Energieentnahme an den ordnungsgemäßen Entnahmevorrichtungen nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte als Leistungsangebot und damit als Vertragsangebot dar. Die Inanspruchnahme der angebotenen Leistungen beinhaltet - auch bei der entgegenstehenden ausdrücklichen Erklärung, mit dem Unternehmen keinen Vertrag schließen zu wollen - die schlüssig erklärte Annahme dieses Angebots. Grund: Der Abnehmer weiß, dass die Lieferung nur gegen eine Gegenleistung erbracht zu werden pflegt.
Kommen mehrere Adressaten des schlüssig erklärten Vertragsangebots des Versorgungsunternehmens in Betracht, muss durch Auslegung ermittelt werden, an wen sich die Realofferte richtet. Dabei hat im Fall der Divergenz eine dem Erklärenden zurechenbare objektive Bedeutung des Verhaltens aus der Sicht des Erklärungsgegners Vorrang vor dem subjektiven Willen des Erklärenden (BGH NZM 05, 356).
Merke | Empfänger der im Leistungsangebot des Versorgungsunternehmens liegenden Realofferte zum Abschluss eines Versorgungsvertrags ist typischerweise derjenige, der die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt ausübt (Nachweise Urteilsgründe Tz 11).
Nach BGH (WuM 06, 207) richtet sich die Beantwortung dieser Frage nicht nach der Eigentümerstellung als solcher, sondern maßgebend ist die dadurch vermittelte Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss. Das heißt: Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt kann der Grundstückseigentümer, aber auch eine andere Person sein, etwa - wie hier - der Mieter oder Pächter des Grundstücks, da diesem aufgrund des Miet- oder Pachtvertrags die tatsächliche Verfügungsgewalt über die ihm überlassene Miet- oder Pachtsache eingeräumt wird. Darauf, ob dem Versorger die Identität des Inhabers der tatsächlichen Verfügungsgewalt bekannt ist, kommt es für die Realofferte nicht an.
Merke | Die vorstehenden Grundsätze gelten auch, wenn mehrere Mieter gemeinschaftlich den Mietvertrag abschließen. Die Realofferte des Energieversorgungsunternehmens richtet sich in diesem Fall regelmäßig an sämtliche Mitmieter (BGH WuM 14, 1835).
Beachten Sie | Hiervon abweichend richtet sich die Realofferte eines Wasserversorgers nach BGH (NJW 03, 3131) regelmäßig an den Grundstückseigentümer. Grund: Nur diesem steht nach den einschlägigen Gemeindesatzungen ein Anspruch auf Anschluss an die Versorgung zu und Wasserversorgungsunternehmen erfüllen ihre Versorgungsaufgabe durch Abschluss des Wasserversorgungsvertrages mit diesem Personenkreis. Da hier die Lieferung und der Verbrauch von Strom infrage stehen, musste der Senat hierzu keine Stellung beziehen.
Der BGH bestätigt, dass die auf den Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss weisenden Grundsätze nur dann nicht gelten,
- wenn gegenläufige Anhaltspunkte vorhanden sind, die im Einzelfall unübersehbar in eine andere Richtung weisen (BGH NZM 09, 195; NZM 10, 314)
- oder wenn der Abnehmer der Versorgungsleistung bereits anderweitig feststeht, weil das Versorgungsunternehmen oder der Abnehmer zuvor mit einem Dritten eine Liefervereinbarung geschlossen haben, aufgrund derer die - nur einmal fließende - Leistung in ein bestehendes Vertragsverhältnis eingebettet ist (BGH NJW 14, 1951; NZM 09, 195; WuM 05, 1717; NZM 05, 356).