· Fachbeitrag · Eigentümer-Besitzer-Verhältnis
Für Nutzungsherausgabe kommt es auf den tatsächlichen Besitz an
(BGH 14.3.14, V ZR 218/13, Abruf-Nr. 141618) |
Sachverhalt
Die Klägerin vermietete an den Beklagten 2 - der dort nie einzog - ein Haus. Die Beklagte 1 will hiervon nur zwei Zimmer und die Gemeinschaftsküche genutzt haben. Die Klägerin kündigte den Mietvertrag zum 30.6.12. Sie behauptet, die Beklagte 1, an die die Räumungsklage am 5.7.12 zugestellt wurde, bereits am 14.6.12 zur Räumung aufgefordert zu haben. Das rechtskräftige Räumungsurteil gegen beide Beklagten wurde am 6.11.12 vollstreckt. Erstinstanzlich wurden die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin die Bruttomieten für 7 bis 10/12 (die Beklagte 1 aus §§ 987, 990 Abs. 1 S. 2 BGB, der Beklagte 2 aus § 546a BGB), sowie bis zur Räumung und Herausgabe der Mietsache jeweils 1.595 EUR monatlich im Voraus zu zahlen. In der Berufung verurteilte das LG Bonn (BeckRS 14, 09240) die Beklagte 1 unter Klageabweisung im Übrigen lediglich zur Zahlung anteiliger Nutzungen für 7/12 bis 6.11.12. Der BGH verweist den Rechtsstreit durch Versäumnisurteil an das LG zurück. Der hiergegen eingelegte Einspruch ist zurückgenommen.
Entscheidungsgründe/Praxishinweis zu Leitsatz 1
Nach § 987 BGB hat der Besitzer dem Eigentümer die Nutzungen herauszugeben, die er nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit zieht. § 990 Abs. 1 S. 2 BGB vorverlagert den Haftungsbeginn auf den Zeitpunkt des Besitzerwerbs, wenn der Besitzer von Anfang an bösgläubig war. Erfährt der Besitzer erst später von seiner fehlenden Besitzberechtigung, haftet er gemäß § 990 Abs. 1 S. 2 BGB ab seiner Kenntniserlangung. Die §§ 987 ff. BGB sind auch auf den Besitzer anzuwenden, dessen ursprüngliches Besitzrecht entfallen ist. Das heißt: Sie gelten in gleicher Weise für den infolge des Wegfalls des Hauptmietvertrags nicht mehr zum Besitz berechtigten Untermieter oder sonstigen Nutzer (BGH NZM 05, 830; BGHZ 131, 95).
Die für die Anwendung der §§ 987 ff. BGB erforderliche Vindikationslage liegt vor. Das Eigentum der Klägerin ist unstreitig. Die fehlende Besitzberechtigung der Beklagten 1 steht aufgrund des rechtskräftigen Räumungsurteils fest.
Merke | Die Rechtskraft des zwischen dem Eigentümer und dem Besitzer ergangenen Urteils auf Herausgabe der Sache hat auch die Feststellung zum Gegenstand, dass dem Besitzer bei Schluss der mündlichen Verhandlung kein Recht zum Besitz zustand. Folge: Eine rechtskräftige Verurteilung zur Herausgabe kann Bindungswirkung in einem Folgeprozess entfalten, für den es - wie hier - als Vorfrage darauf ankommt, ob die zur Herausgabe verurteilte Partei die Herausgabe verweigern darf (BGH NJW 06, 63).
Der BGH bestätigt entgegen OLG Düsseldorf (ZMR 10, 755) die Ansicht des Berufungsgerichts, dass es für den Anspruch nach § 987, § 990 Abs. 1 BGB darauf ankommt, in welchem Umfang der bösgläubige Besitzer Besitz an der herauszugebenden Sache hatte. Das heißt: Für die Höhe der herauszugebenden Nutzungen ist nur der tatsächliche Umfang des Besitzes maßgebend. An Räumlichkeiten, an denen kein Besitz besteht, können Nutzungen nicht gezogen werden.
Beachten Sie | Der BGH differenziert zwischen dem Anspruch auf Herausgabe der Nutzungen und dem Schadenersatzanspruch gemäߧ 990 Abs. 2, § 286 BGB. Das heißt: Nur wenn ein unmittelbarer Besitzer eines Raums einer Wohnung diesen nicht herausgibt und es dem Eigentümer nicht zumutbar ist, nur Teile der Wohnung zu vermieten, setzt der unmittelbare Besitzer des Raums die Ursache dafür, dass die gesamte Wohnung nicht vermietet werden kann und daher ein entsprechender Mietausfallschaden entsteht (OLG Köln, NJW 61, 30; OLG Hamburg, ZMR 58, 298).
In welchem Umfang die Beklagte 1 das Haus tatsächlich genutzt hat, steht allerdings nicht bereits aufgrund des Räumungsurteils fest. Der BGH räumt mit der in der Praxis verbreiteten Fehlvorstellung auf, dass sich der Eigentümer für den Umfang des Besitzes auf die Rechtskraft des Räumungsurteils berufen kann.
Beachten Sie | Ebenso wenig wie bei der auf § 985 BGB gestützten Räumungsklage rechtskräftig über das Eigentum entschieden wird (BGH NJW-RR 99, 376), kann dem Räumungsurteil eine Bindungswirkung entnommen werden, in welchem Umfang der Beklagte Besitzer der herauszugebenden Sache war. Das heißt: So paradox es klingen mag, die Beklagte 1 ist durch das gegen sie ergangene rechtskräftige Räumungsurteil im Folgeprozess auf Nutzungsherausgabe nicht gehindert, den Besitz an sämtlichen Räumen zu bestreiten.
Damit obliegt der Klägerin als Eigentümerin die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der §§ 987 ff. BGB (MüKo/Baldus, BGB, 6. Aufl., § 985 Rn. 141). Das heißt: Die Klägerin, die eine Nutzungsentschädigung für das gesamte Haus und nicht nur für einzelne Zimmer verlangt, muss den Umfang des Besitzes der Beklagten zu 1 an den Räumen zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit (§ 987 BGB) oder des Eintritts ihrer Bösgläubigkeit (§ 990 Abs. 1 S. 2 BGB) beweisen. Hier hatte die Klägerin behauptet, die Beklagte 1 habe das Haus allein genutzt und damit aus Sicht des BGH ihre Darlegungslast erfüllt. Beweisschwierigkeiten lassen sich reduzieren, wenn der Hauptmietvertrag den Mieter für den Fall der Untervermietung zur Auskunft über den tatsächlichen Umfang des dem Untermieter eingeräumten Besitzes verpflichtet.
Entscheidungsgründe/Praxishinweis zu Leitsatz 2
Dem Eigentümer steht ein Wahlrecht zu, welchen Schuldner er in Anspruch nehmen will:
- Er kann unter den Voraussetzungen der § 987, § 991 BGB den mittelbaren Besitzer - hier den Beklagten zu 2 - auf Herausgabe der Rechtsfrüchte in Anspruch nehmen. Hierzu zählen die Miete oder eine Nutzungsentschädigung nach § 546a Abs. 1 BGB aus dem Untermietverhältnis.
- Beachten Sie | Nach Rechtshängigkeit des Rückgabeanspruchs schuldet der Mieter ferner gemäß § 546 Abs. 1, § 292 Abs. 2, § 987 Abs. 1, § 99 Abs. 3 BGB auch eine „Entschädigung“, die er von dem Untermieter als Abfindung für eine vorzeitige Beendigung des Untermietverhältnisses erhalten hat (BGH NZM 09, 701).
- Von dem unmittelbaren Besitzer kann er unter den Voraussetzungen der § 987, § 990 BGB die tatsächlich gezogenen Nutzungen herausverlangen. Die Höhe des Wertersatzes für Gebrauchsvorteile bemisst sich bei vermietbaren Sachen nach deren objektivem Mietwert; hierzu zählt auch die Mehrwertsteuer (BGH NZM 98, 192).
Zwischen dem mittelbaren und dem unmittelbaren Besitzer besteht in diesen Fällen keine Gesamtschuld (MüKoBGB/Baldus, 6. Aufl., § 991 Rn. 9; BeckOK BGB/Fritzsche, Edition 30, § 987 Rn. 73). Die Ansprüche haben jeweils einen anderen Inhalt. Sie decken sich bei einer Abweichung des objektiven Mietwerts von dem jeweils vereinbarten Mietzins auch nicht in ihrer Höhe (BGH NZM 09, 701).
Der VIII. Senat hält daran fest, dass der Eigentümer nach der erfolglosen Inanspruchnahme eines Besitzers auch noch gegen den anderen Besitzer vorgehen kann. Das heißt: Das Wahlrecht wird nicht bereits dadurch endgültig ausgeübt, dass der Eigentümer einen der Schuldner verklagt. Jeder Schuldner haftet vielmehr weiter, solange der Eigentümer nicht in voller Höhe befriedigt ist (BGH WM 68, 1370).
Beachten Sie | Der BGH lässt nunmehr aus prozessökonomischen Gründen auch eine gleichzeitige Inanspruchnahme des unmittelbaren und des mittelbaren Besitzers zu, sofern der Eigentümer sicherstellt, dass er die Leistung - wie bei einer Gesamtschuld - nur einmal beanspruchen kann. Insoweit verweist der BGH auf eine entsprechende Heranziehung der §§ 421 ff. BGB. Nur mit dieser Vorgehensweise sichert sich der Eigentümer eine zeitnahe Zwangsvollstreckung gegen beide Schuldner. Der Binnenausgleich zwischen mittelbarem und unmittelbarem Besitzer erfolgt dann nach § 426 BGB.
Weiterführender Hinweis
- Zur Nutzungsherausgabe im Zusammenhang mit Zwangsverwaltung einer nicht eigentümervermieteten Immobilie, MK 13, 171