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  • · Fachbeitrag · Verwirkung

    13 Jahre lang nicht vollstreckt: Bloßer Zeitablauf schafft noch keinen Vertrauenstatbestand

    von RiOLG Günther Geldmacher, Düsseldorf

    • 1. Der Gläubiger verwirkt einen rechtskräftig ausgeurteilten Zahlungsanspruch nicht allein dadurch, dass er über einen Zeitraum von 13 Jahren keinen Vollstreckungsversuch unternimmt.
    • 2. Zur Herausgabe des Vollstreckungstitels bei mehreren Titelschuldnern.
     

    Sachverhalt

    Die Gläubigerin (Beklagte) erwirkte als gewerbliche Vermieterin in den Jahren 93 und 94 insgesamt fünf Vollstreckungstitel gegen den Schuldner (Kläger) und seinen Mitmieter. Die Forderungen sind teilweise befriedigt. Weitere Zahlungen sind streitig. Der Schuldner hat die vollständige Tilgung aller Schuldtitel und weiter behauptet, er verfüge jedoch über keine Unterlagen und Belege aus dem fraglichen Zeitraum mehr, da diese bereits vernichtet seien und auch von der Bank nicht mehr reproduziert werden könnten. Der letzte Vollstreckungsversuch hatte in 4/95 stattgefunden. Danach war die Angelegenheit bei der Gläubigerin außer Kontrolle geraten und 13 Jahre unbeachtet geblieben, bis diese in 08 ein Inkassounternehmen mit der Einziehung der Forderung beauftragte. Die Instanzgerichte geben der Klage des Schuldners auf Unzulässigkeitserklärung der Zwangsvollstreckung und Herausgabe der Titel statt. Die Revision hat Erfolg.

     

    Entscheidungsgründe/Praxishinweis zu Leitsatz 1

    Das Rechtsinstitut der Verwirkung, das auch im Miet- und Pachtrecht gilt, ist ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung aufgrund widersprüchlichen Verhaltens. Danach ist ein Recht verwirkt,

    • wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht,
    • der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat
    • und nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde.

     

    Das heißt: Verwirkung setzt somit neben dem Zeitablauf das Vorliegen besonderer, ein solches Vertrauen des Verpflichteten begründender Umstände voraus. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist eine Frage des Einzelfalls. Das entspricht gefestigter Rechtsprechung (BGH MK 11, 43, Abruf-Nr. 110020; MK 10, 59, Abruf-Nr. 100552), wird aber, wie der Streitfall zeigt, von den Instanzgerichten häufig fehlerhaft angewandt.

     

    Der BGH lässt die Verwirkung an dem fehlenden Vertrauenstatbestand scheitern. Der Schuldner durfte sich nach den gesamten Umständen nicht darauf einrichten, die Gläubigerin werde ihre Rechte aus den Titeln nicht mehr geltend machen. Grund: Bei dem Rechtsgedanken der Verwirkung kommt es in erster Linie auf das Verhalten des Berechtigten an. Mit der Verwirkung soll die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Verpflichteten ausgeschlossen werden. Dabei ist das Verhalten des Berechtigten nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Maßgebend ist, ob bei objektiver Beurteilung der Verpflichtete dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, ob er sich also darauf einrichten durfte, dass er mit einer Rechtsausübung durch den Berechtigten nicht mehr zu rechnen brauche (BGH NJW 57, 1358).

     

    Merke | Der Vertrauenstatbestand kann nicht durch bloßen Zeitablauf geschaffen werden. Es müssen vielmehr besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen (BGH NJW 03, 824; NJW 10, 1074). Wird der Einwand der Verwirkung mit dem zugrunde liegenden Sachverhalt ordnungsgemäß vorgetragen, ist er - wie jeder Einwand aus § 242 BGB - von Amts wegen zu prüfen (BGH NJW 66, 343). Die Darlegungs- und Beweislast für die die Verwirkung begründenden Umstände trägt jedoch der Schuldner.

     

    Zwar kann auch ein titulierter Anspruch verwirken, wenn der Titel vor langer Zeit erwirkt wurde und die letzte Zahlung auf die Schuld bzw. der letzte Vollstreckungsversuch mehr als zehn Jahre zurück liegt, sofern der Schuldner sich darauf eingestellt hat und - das ist entscheidend - einstellen durfte, nicht mehr aus dem Titel in Anspruch genommen zu werden (OLG Koblenz, NJW-RR 00, 347; OLG Frankfurt, OLGR 02, 347). Solche vertrauensbildenden Umstände fehlen hier. Daraus, dass die Angelegenheit bei der Gläubigerin außer Kontrolle geraten und deshalb 13 Jahre lang unbeachtet geblieben ist, lässt sich kein Vertrauensschutz ableiten. Lässt ein Gläubiger seinen Anspruch titulieren, gibt er bereits dadurch zu erkennen, dass er die Forderung durchsetzen will und sich dazu eines Weges bedient, der ihm dies grundsätzlich für die Dauer von 30 Jahren (§ 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB) ermöglicht. Unter diesen Umständen ist die Annahme des Schuldners, ein anschließendes Ruhen der Angelegenheit könne bedeuten, der Gläubiger wolle den Anspruch endgültig nicht mehr durchsetzen, regelmäßig fernliegend. Will der Schuldner endgültige Gewissheit erlangen, muss er sich bei dem Gläubiger erkundigen.

     

    Selbst wenn der Schuldner - wie hier - seine Zahlungsbelege nach Ablauf der steuerlichen Aufbewahrungsfristen vernichtet hat, schafft dies keinen Vertrauenstatbestand, weil es nicht auf Umständen aus der Sphäre des Gläubigers beruht.

     

    Entscheidungsgründe/Praxishinweis zu Leitsatz 2

    Anspruchsgrundlage für eine Klage auf Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung eines unter § 794 ZPO fallenden Titels ist § 371 BGB analog. Die Klage ist zulässig,

    • wenn über eine Vollstreckungsabwehrklage rechtskräftig zugunsten des Herausgabeklägers entschieden worden ist oder

     

    • die Erfüllung der dem Titel zugrunde liegenden Forderung zwischen den Parteien unstreitig ist oder vom Titelschuldner zur Überzeugung des Gerichts bewiesen wird (BGH NJW 09, 1671).

     

    Aus Sicht der Revision ist die Klage auf Herausgabe der Titel schon deshalb abweisungsreif, weil die Titel bei der Gläubigerin noch zur Vollstreckung gegen einen zweiten Schuldner - den Mitmieter - benötigt würden. Der BGH teilt diese Auffassung nicht. Grund: Sind mehrere Schuldner als Gesamtschuldner verurteilt und hat einer von ihnen die Schuld erfüllt, bleibt für den Gläubiger nichts mehr zu vollstrecken. Bei einer Verurteilung nach Kopfteilen ist dagegen für jeden Schuldner eine Ausfertigung zu erteilen und insoweit nur mit der Klausel gegen diesen Schuldner zu versehen (Zöller/Stöber ZPO 30. Aufl. § 724 Rn. 12). Der Schuldner könnte daher diejenige Ausfertigung heraus verlangen, die mit der gegen ihn gerichteten Vollstreckungsklausel versehen ist. Zur Vollstreckung gegen den anderen Schuldner müsste sich der Gläubiger eine andere Ausfertigung mit Vollstreckungsklausel nur gegen diesen erteilen lassen.

     

    Damit hängt der Erfolg beider Klageanträge davon ab, ob der Schuldner die behauptete Erfüllung beweisen kann. Da das OLG hierzu keine Feststellungen getroffen hat, verweist der BGH die Sache zurück.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Zur Unpfändbarkeit des Erstattungsanspruchs eines ALG II-Beziehers MK 13, 207
    Quelle: Ausgabe 02 / 2014 | Seite 24 | ID 42471328