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  • · Kündigung

    (Unwirksame) Schriftsatzkündigung gegenüber einer „Naturalpartei“ im elektronischen Rechtsverkehr

    Bild: © Pungu x - stock.adobe.com / KI-generiert

    von VRinLG Astrid Siegmund, Berlin

    | Kündigungserklärungen sind fehleranfällig. Im Zusammenhang mit neuen prozessual zwingenden Regeln zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs bei den Gerichten hat sich eine ‒ lange unentdeckte und vom Gesetzgeber nicht bedachte ‒ Gesetzeslücke ergeben, die auf kollidierende materiell-rechtliche Anforderungen an das Wirksamwerden empfangsbedürftiger Willenserklärungen zurückzuführen ist und die Frage aufwirft, ob wir Grundsätze aufgeben, für die es gute Gründe gibt. Der BGH hat dies nun in einer mit Ungeduld erwarteten Entscheidung zur Wirksamkeit einer Kündigung beantwortet, die in einem dem Gericht elektronisch übermittelten Schriftsatz enthalten und einer nicht anwaltlich vertretenen Partei durch das Gericht zuzustellen war. Wäre der Gesetzgeber nicht inzwischen tätig geworden, spätestens diese Entscheidung hätte ihn wohl alarmiert. |

    Sachverhalt

    Der Beklagte ist Mieter einer Wohnung der Klägerin. Die Bruttomiete betrug zuletzt monatlich 648,97 EUR. Der Beklagte geriet mit der Mietzahlung in Höhe von mehr als zwei Monatsmieten in Rückstand. Mit Schreiben vom 10.2.22 kündigte die Klägerin außerordentlich und fristlos das Mietverhältnis. In der qualifiziert elektronisch signierten Klageschrift vom 9.3.22 hat die Klägerin erneut die außerordentliche fristlose Kündigung wegen des Zahlungsrückstands erklärt. Eine weitere außerordentliche fristlose und hilfsweise ordentliche Kündigung ist mit dem qualifiziert elektronisch signierten Schriftsatz vom 13.5.22 erfolgt. Beide als elektronisches Dokument eingereichten Schriftsätze sind durch das Gericht ausgedruckt und dem ‒ erstinstanzlich noch nicht anwaltlich vertretenen ‒ Beklagten zugestellt worden. Das AG hat die auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das LG zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter (BGH 27.11.24, VIII ZR 159/23, Abruf-Nr. 245590).

    Entscheidungsgründe

    Die Revision hatte keinen Erfolg. Der BGH folgt dem LG: Beide in den elektronisch übermittelten Schriftsätzen erklärten Kündigungen sind gemäß § 125 S. 1 BGB unwirksam, weil sie das Schriftformerfordernis des § 568 Abs. 1 BGB mangels Zugangs einer formgerechten Willenserklärung beim Beklagten (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB) nicht erfüllt haben.

     

    Beachten Sie | Der BGH schließt zunächst die Anwendbarkeit des (erst) seit dem 17.7.24 geltenden § 130e ZPO aus, der das Problem der materiell-formwirksamen Schriftsatzkündigung im elektronischen Rechtsverkehr löst. § 130e ZPO fingiert in S. 1 für empfangsbedürftige Willenserklärungen, die klar erkennbar in einem vorbereitenden Schriftsatz enthalten sind und die der schriftlichen oder elektronischen Form bedürfen, den formwirksamen Zugang, sofern der Schriftsatz als elektronisches Dokument nach § 130a ZPO bei Gericht eingereicht und dem Empfänger zugestellt oder mitgeteilt wurde. Die Formfiktion gilt nach § 130e S. 2 ZPO selbst dann, wenn die Ersetzung der schriftlichen Form durch die elektronische Form gesetzlich ausgeschlossen ist (wie außerhalb des Mietrechts z. B. in §§ 623 HS. 2, 781 BGB). Die in der ZPO enthaltene Norm regelt das materielle Recht betreffende Fragen der Abgabe und des Zugangs form- und empfangsbedürftiger Willenserklärungen. Die Frage der Wirksamkeit solcher Erklärungen muss sich aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit nach dem in diesem Zeitpunkt geltenden Recht beurteilen.

     

    Schriftform gilt für Abgabe und Zugang einer Kündigung

    § 568 Abs. 1 BGB gibt materiell-rechtlich die Schriftform für die Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses vor. Die Einhaltung der Schriftform setzt nach § 126 Abs. 1 BGB u. a. eine eigenhändige Namensunterschrift voraus. Sie kann nach § 126 Abs. 3 BGB durch die elektronische Form ersetzt werden, § 126a Abs. 1 BGB. Die formgerechte Abgabe der (empfangsbedürftigen) Kündigungserklärung reicht nach st. Rspr. des BGH nicht. Um wirksam zu werden, muss die Erklärung dem Erklärungsgegner zudem in der vorgeschriebenen Form zugehen, § 130 BGB. Das gilt auch für den Fall einer empfangsbedürftigen Willenserklärung in elektronischer Form. Nach § 126 Abs. 3 BGB kann die schriftliche Form durch die elektronische nur ersetzt werden, wenn sich nicht aus dem Gesetz etwas anderes ergibt. § 568 Abs. 1 BGB schließt ‒ anders als etwa die Formvorschriften der §§ 623, 766 S. 2, § 780 S. 2 und § 781 S. 2 BGB ‒ für die Kündigung eines Mietverhältnisses die elektronische Form nicht aus.

     

    Beachten Sie | Der BGH streift einen weiteren aktuellen Streitpunkt in Rechtsprechung und Literatur. Umstritten ist, ob die Ersetzung der Schriftform durch die elektronische Form nach § 126 Abs. 3 BGB voraussetzt, dass der Empfänger der Willenserklärung hiermit einverstanden ist. Der BGH kann die Frage offenlassen, da sie nicht entscheidungserheblich ist. Unabhängig von einem eventuell erforderlichen Einverständnis des Beklagten mit der Ersetzung der Schriftform durch die elektronische Form, sind die in den elektronischen Schriftsätzen enthaltenen Kündigungserklärungen dem Beklagten jedenfalls nicht formgerecht zugegangen.

     

    Funktionsäquivalenz zwischen Schriftform und elektronischer Form

    Bei der Schaffung der Möglichkeit der Wahrung von gesetzlichen Formvorschriften durch ein elektronisches Dokument mit qualifizierter elektronischer Signatur hat der Gesetzgeber auf Sonderregelungen über den Zugang bewusst verzichtet. Er ist davon ausgegangen, dass § 130 BGB auch auf in elektronischen Dokumenten abgegebene Willenserklärungen Anwendung findet (BT-Drucksache 14/4987, S. 20).

     

    Dies erklärt sich durch das gesetzgeberische Ziel einer Funktionsäquivalenz zwischen der Schriftform des § 126 Abs. 1 BGB und der elektronischen Form des § 126a Abs. 1 BGB. Die elektronische Form muss so ausgestaltet sein, dass sie die mit der Schriftform bezweckten Leistungsfunktionen in vergleichbarer Weise sicherstellt (BT-Drucksache 14/4987, S. 15). Hierzu gehört ‒ neben der Identitätsfunktion (Erkennbarkeit des Erklärenden und Möglichkeit der Identifizierung durch dessen unverwechselbare Unterschrift) und der Echtheitsfunktion (Gewährleistung der inhaltlichen Urheberschaft des Unterzeichners durch die räumliche Verbindung der Unterschrift mit dem Dokument) ‒ auch die damit zusammenhängende Verifikationsfunktion, nach der es dem Empfänger des Dokuments möglich sein soll, zu prüfen, ob die Unterschrift echt ist (BT-Drucksache 14/4987, S. 16 f.). Diese Funktion kann nur erfüllt werden, wenn das Dokument dem Empfänger für eine eigene Prüfung zur Verfügung steht.

     

    Für den Zugang einer in einem qualifiziert elektronisch signierten elektronischen Dokument enthaltenen Willenserklärung ist es deshalb gemäß § 126a Abs. 1 BGB ‒ vergleichbar dem Zugang einer papiergebundenen Willenserklärung ‒ erforderlich, dass dieses Dokument so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass dieser die qualifizierte elektronische Signatur des Erklärenden und damit die Echtheit des Dokuments (selbst) prüfen kann. Das ist im Zivilprozess nur gewährleistet, wenn ein elektronischer Schriftsatz mit einer qualifizierten elektronischen Signatur vom Gericht unter Aufrechterhaltung der qualifizierten elektronischen Signatur elektronisch an den Empfänger der Willenserklärung weitergeleitet wird.

     

    Teilweise wird zwar vertreten, dass die Legitimationswirkung der Signatur des Absenders nur gegenüber dem Gericht gelte, nicht aber auch im Verhältnis zu der anderen Partei, der der Schriftsatz durch das Gericht übermittelt werde. Dabei wird nicht bedacht, dass die Überprüfung einer qualifizierten elektronischen Signatur (Art. 3 Nr. 12, Art. 26 eIDAS-VO) nicht nur dem ersten Empfänger möglich ist, sondern auch Dritten, denen das elektronische Dokument mitsamt der qualifizierten elektronischen Signatur elektronisch weitergeleitet wird. Daher kann ein wirksam qualifiziert elektronisch signierter elektronischer Schriftsatz grundsätzlich unter Aufrechterhaltung der gültigen und prüfbaren elektronischen Signatur elektronisch vom Gericht an den gegnerischen Prozessbevollmächtigten oder ‒ im Fall des § 173 Abs. 4 S. 1 ZPO ‒ auch an den Gegner persönlich übermittelt werden.

     

    Beachten Sie | Hier wurde dem Beklagten nur ein Ausdruck der jeweils mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenen elektronischen Schriftsätze übermittelt (§ 298 Abs. 1 S. 1 ZPO), nicht aber „medienwahrend“ die elektronischen Schriftsätze selbst mit der gültigen und prüfbaren elektronischen Signatur. Ein formgerechter Zugang der in den Schriftsätzen enthaltenen Kündigungserklärungen konnte auch nicht dadurch herbeigeführt werden, dass diesen jeweils der Ausdruck eines Transfervermerk nach § 298 Abs. 3 ZPO beigefügt war. Auch diese Frage wurde in Rechtsprechung und Literatur diskutiert. Für eine materiell-rechtliche Bedeutung des einem Ausdruck eines elektronischen Dokuments beigefügten Transfervermerks im Hinblick auf die Erfüllung der materiell-rechtlichen Formvoraussetzungen des § 126a Abs. 1 BGB sieht der BGH weder im Wortlaut des § 298 ZPO noch in den Gesetzesmaterialien einen Anhaltspunkt (BT-Drucksache 17/12634, S. 29; zur vorherigen Fassung BT-Drucksache 15/4067, S. 32).

     

    Auch unter dem Gesichtspunkt der vom Gesetzgeber beabsichtigten Funktionsäquivalenz zwischen Schriftform und elektronischer Form (BT-Drucksache 14/4987, S. 15) kann ein formwirksamer Zugang einer mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenen Willenserklärung nicht vorliegen, wenn nur ein Ausdruck des Dokuments und der zugehörige Transfervermerk nach § 298 Abs. 3 ZPO in den Machtbereich des Empfängers gelangen.

     

    PRAXISTIPP | Zwar lässt ein dokumentbezogener Transfervermerk i. S. d. § 298 Abs. 3 ZPO die Identität des Erklärenden und die Echtheit des elektronischen Dokuments erkennen, indem er darüber Auskunft gibt, wer Inhaber der Signatur ist, deren mathematisch-logische Verbindung zum elektronischen Text die inhaltliche Urheberschaft des Signierenden sicherstellt (BT-Drucksache 14/4987, S. 16 f.). Die Integritätsprüfung gewährleistet auch, dass das elektronische Dokument nicht nachträglich verändert wurde. Der Transfervermerk dokumentiert aber nur das Ergebnis einer entsprechenden Prüfung durch das Gericht. Er ermöglicht dem Empfänger nicht, die Echtheit der Signatur selbst zu überprüfen. Daher ist die nach dem Gesetzgeber mit der Formvorschrift zu erfüllende Verifikationsfunktion (BT-Drucksache 14/4987, S. 16 f.) der qualifizierten elektronischen Signatur in einem solchen Fall nicht gewahrt. Der Möglichkeit einer eigenen Verifizierung durch den Erklärungsempfänger kommt dabei auch deshalb Bedeutung zu, weil ein bei Gericht eingereichtes elektronisches Dokument‒ sofern die Akten in Papierform geführt werden ‒ nach Ablauf von sechs Monaten gelöscht werden kann, § 298 Abs. 4 ZPO. Bei nachträglich aufkommenden Zweifeln zur Echtheit des Dokuments kann eine Überprüfung deshalb unmöglich werden.

     

    Der BGH setzt sich dann mit dem Argument der Klägerin auseinander, dass der Gesetzgeber mit dem Formanpassungsgesetz die möglichst weitgehende Nutzung der (damals) neuen Technologien im Rechtsverkehr ermöglichen wollte. Er hält dem entgegen, dass eine vorbehaltlose Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs unter Zurückstellen sonstiger Grundsätze des Rechts der Willenserklärung und vor allem ihres Zugangs mit dieser Zwecksetzung aber gerade nicht verbunden war (BT-Drucksache 14/4987, S. 11, 20).

     

    Daher sei hinzunehmen, dass die Kündigung von Wohnraum durch einen zivilprozessualen ‒ und wegen § 130d ZPO zwingend elektronischen ‒ Schriftsatz eines Anwalts gegenüber einer anwaltlich nicht vertretenen Naturalpartei, die keine Zustimmung i. S. d. § 173 Abs. 4 S. 1 ZPO erteilt hat, bis zum Inkrafttreten des § 130e ZPO nicht formwirksam erklärt werden konnte. Dies sei keine unzumutbare Beeinträchtigung der Kündigungsmöglichkeiten, da die Kündigung auch noch während eines Räumungsprozesses außergerichtlich unter Wahrung der Schriftform des § 126 Abs. 1 BGB erfolgen und diesbezüglicher Vortrag durch elektronischen Schriftsatz in den Prozess eingeführt werden konnte.

    Relevanz für die Praxis

    Die gute Nachricht ist: § 130e ZPO löst das Problem der (auch) materiell-rechtlich formwirksamen Schriftsatzkündigung im elektronischen Rechtsverkehr. Die schlechte: Bei Kündigungen gegenüber einer Naturalpartei gilt das „nur“ für die Zukunft. Die Regelung wurde ‒ nachdem das Problem erkannt war ‒ in einem straffen Gesetzgebungsverfahren erlassen. Bei den Gerichten sind noch zahlreiche Verfahren anhängig. Die klare Antwort des BGH: Gegenüber einer Naturalpartei war die Kündigung in einem elektronisch an das Gericht übersandten Schriftsatz formwirksam selbst dann nicht möglich, wenn der Schriftsatz qualifiziert elektronisch signiert war.

     

    Die Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs ist kein Anlass, Grundlagen des Zivilrechts ‒ z. B. das Wirksamwerden empfangsbedürftiger Willenserklärungen ‒ „über Bord zu werfen“. Ergeben sich Lücken, muss der Gesetzgeber sie schließen.

    Quelle: Ausgabe 03 / 2025 | Seite 42 | ID 50318364