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  • · Fachbeitrag · Räumungsvollstreckung

    Schutzantrag nach § 712 ZPO muss bereits tatsacheninstanzlich gestellt werden

    Zu den Voraussetzungen einer einstweiligen Einstellung der aus einem vorläufig vollstreckbaren Herausgabe- und Räumungsurteil betriebenen Zwangsvollstreckung in der Revisionsinstanz (BGH 2.7.14, XII ZR 65/14, Abruf-Nr. 142187).

     

    Sachverhalt

    Die Beklagten zu 1 und 2 hatten von der Klägerin gewerbliche Räume zum Betrieb eines Restaurants gemietet und diese an die Beklagte zu 3 (GmbH), deren geschäftsführender Alleingesellschafter der Beklagte zu 1 ist, untervermietet. Die von der Klägerin nach Kündigung des Mietverhältnisses erhobene Herausgabe- und Räumungsklage hat in den Instanzen Erfolg. Das OLG hat die Revision zugelassen und den Beklagten nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung (240.000 EUR) vorläufig abzuwenden, falls nicht die Klägerin zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet. Die Klägerin hat die Sicherheit geleistet und betreibt die Zwangsvollstreckung. Einen Antrag nach § 712 ZPO haben die Beklagten vor dem OLG nicht gestellt.

     

    Im Revisionsverfahren beantragen sie, gestützt auf ein Schreiben ihres Steuerberaters, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil einstweilen einzustellen. Grund: Ihnen würde durch die Vollstreckung ein nicht zu ersetzender Nachteil entstehen. Könnten sie das Restaurant nicht weiter betreiben, könnten sie zwei weitere von der Beklagten zu 3 betriebene defizitäre Lokale nicht weiter aus den Gewinnen des Restaurants finanziell unterstützen und müssten auch diese beiden Lokale schließen. Der BGH weist den Einstellungsantrag zurück.

     

    Entscheidungsgründe/Praxishinweis

    Wird Revision gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil eingelegt, ordnet das Revisionsgericht auf Antrag an, dass die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt wird, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht (§ 719 Abs. 2 S. 1 ZPO).

     

    Nicht unersetzlich sind Nachteile, die der Schuldner selbst vermeiden kann. Deswegen kann er sich nach der ständigen Rechtsprechung der Mietsenate des BGH - auch bei Gefahr des Existenzverlustes (BGHR ZPO § 719 Abs. 2 Einstellungsgründe 3: Gaststättenbetreiber) - grundsätzlich nur dann darauf berufen, die Zwangsvollstreckung bringe ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil, wenn er in der Berufungsinstanz einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO gestellt hat. Hat der Schuldner dies versäumt, kommt eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 719 Abs. 2 ZPO nur ausnahmsweise in Betracht, wenn es dem Schuldner im Berufungsverfahren aus besonderen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar war, einen Vollstreckungsschutzantrag zu stellen (XII. Senat: GuT 13, 217; NJW-RR 06, 1088; VIII. Senat: WuM 03, 637). Hieran hält der XII. Senat fest.

     

    Merke | Ist der Mieter in erster Instanz nach § 708 Nr. 7 ZPO vorläufig vollstreckbar zur Räumung verurteilt und hat er im Berufungsverfahren einen Schutzantrag nach § 712 ZPO unterlassen, kann der Vermieter aus dem für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteil grundsätzlich die Räumungsvollstreckung betreiben, auch wenn die Revision zugelassen und eingelegt worden ist.

     

    Ein im Berufungsrechtszug gemäß § 719 Abs. 1 S. 1, § 707 ZPO gestellter Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung kann den Antrag nach § 712 ZPO schon wegen der unterschiedlichen Zielrichtung nicht ersetzen. Gleiches gilt für den Antrag auf Gewährung einer Räumungsfrist (BGH, WuM 03, 710). Der Antrag nach § 712 ZPO ist Sachantrag, der in der mündlichen Verhandlung gestellt werden muss (BGH FamRZ 03, 598; vgl. § 714 ZPO). Im Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO genügt es, den Antrag schriftsätzlich innerhalb der gesetzten Frist zur Stellungnahme auf den Hinweisbeschluss zu stellen (BGH NZM 12, 382).

     

    Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, zu denen auch Räumungsverfahren gehören, sind gemäß § 708 Nr. 10 ZPO ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass das (Berufungs-) Gericht versehentlich versäumt, zugunsten des Schuldners eine Entscheidung nach § 711 ZPO zu treffen. Diese ist immer dann erforderlich, wenn die Beschwer des Schuldners die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO (bis 31.1.14: 20.000 EUR) übersteigt. Der Umstand, dass das Gericht dem Schuldner keine Abwendungsbefugnis eingeräumt hat, stellt keinen besonderen Grund dar, der das Antragserfordernis nach § 712 ZPO entfallen lässt. Grund: Der Schuldner kann gemäß §§ 716, 321 ZPO eine entsprechende Ergänzung des (Berufungs-)Urteils beantragen. Entsprechendes gilt bei Nichtbescheidung des Schutzantrags nach § 712 ZPO (BGH WuM 08, 613). Macht der Schuldner von der Möglichkeit der Urteilsergänzung keinen Gebrauch, ist ein unersetzlicher Nachteil zu verneinen.

     

    Beachten Sie | Selbst bei Anordnung der Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO ist der Schutzantrag nach § 712 ZPO nicht völlig entbehrlich. Grund: Diese entfällt, wenn der Gläubiger seinerseits vor der Vollstreckung Sicherheit leistet (BGH WuM 04, 553).

     

    Ausreichende Gründe, warum es den Beklagten hier nicht möglich oder nicht zumutbar war, im Berufungsverfahren einen Vollstreckungsschutzantrag zu stellen, haben diese aus Sicht des BGH nicht dargelegt. So begründet der BGH seine Entscheidung:

     

    • In der zur Glaubhaftmachung ihres Vortrags vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des Beklagten zu 2 wird aus Presse-Veröffentlichungen über Streitigkeiten mit den Vermietern der beiden anderen von der Beklagten zu 3 betriebenen Lokalen auf die Gefahr geschlossen, dass auch die Informationen aus dem vorliegenden Verfahren der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden könnten. Woraus sich diese Gefahr ergeben soll, erschließt sich jedoch nicht, zumal eine personelle Verflechtung der Klägerin des vorliegenden Verfahrens mit den dortigen Vermietern oder auch der Verfahrensbevollmächtigten der jeweiligen Vermieter miteinander nicht behauptet ist.

     

    • Ebenso wenig ist ersichtlich, inwiefern die Angaben zum im vorliegenden Verfahren gegenständlichen Restaurant Einfluss auf die - möglicherweise auch in der Presse ausgetragenen - Streitigkeiten betreffend die beiden anderen Lokale haben sollen.

     

    • Nicht nachvollziehbar ist auch die in der eidesstattlichen Versicherung angeführte Besorgnis, es könnte zum Fernbleiben von Gästen in einem der drei Lokale führen, wenn bekannt würde, dass mit dem ertragreichen Betrieb des Restaurants die beiden anderen Lokale „bezuschusst“ werden.

     

    Der BGH macht ferner deutlich, dass ein Schutzantrag nach § 712 ZPO auch dann erforderlich ist, wenn der Schuldner aufgrund einer (offen gelegten) vorläufigen Einschätzung des Berufungsgerichts davon ausgegangen ist, sein Rechtsmittel würde erfolgreich sein. Grund: Die Einschätzung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels fällt grundsätzlich in seinen Risikobereich. Bei einer nur vorläufigen Bewertung der Erfolgsaussichten der Berufung muss immer damit gerechnet werden, dass die endgültige Beurteilung des Berufungsgerichts auch gegenteilig ausfallen kann.

     

    Beachten Sie | Ein rechtzeitig gestellter Schutzantrag nach § 712 ZPO ist keine Garantie für eine positive Einstellungsentscheidung. Diese kommt dann nicht in Betracht, wenn das Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg hat (BGH GuT 12, 370; NZM 08, 611). Gleiches gilt, wenn ein unersetzlicher Nachteil nicht vorliegt. Hieran fehlt es z.B. bei der Verpflichtung zur Herausgabe und Räumung gemieteter Arztpraxisräume (BGH NZM 98, 863), von Büroräumen, die zur Berufsausübung genutzt werden (BGH GuT 13, 217) oder von einem Ladenlokal zum Betrieb eines Friseurbetriebs (OLG Düsseldorf, 10.12.09, I-10 U 108/09 n.v.; a.A. OLG Düsseldorf 22.12.09, I-21 U 14/09 juris: Saunaclub).

     

    Die Beklagten haben sich auf Gewinneinbußen infolge der Räumung des streitgegenständlichen Restaurants berufen. Hierin liegt zwar ein Nachteil, dieser kann aber finanziell ausgeglichen werden. Dass die Klägerin hierzu bei Aufhebung oder Abänderung des Vollstreckungstitels infolge Mittellosigkeit nicht in der Lage wäre (BGH WuM 07, 143), haben die Beklagten nicht einmal behauptet.

     

    Beachten Sie | Insbesondere der 10. Zivilsenat des OLG Düsseldorf vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass der auf drohende unersetzliche Nachteile gründende Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung bereits im Berufungsverfahren mit der Begründung zurückgewiesen werden kann, der Schuldner habe erstinstanzlich einen Schutzantrag nach § 712 ZPO unterlassen (z.B. OLG Düsseldorf, 24.6.14, 10 U 135/11; 6.10.11, 10 U 136/11 n.v.; ebenso OLG Frankfurt a.M, NJOZ 12, 1209).

     

    Weiterführender Hinweis

    • Zu den Grundsätzen der Räumungsvollstreckung, Wetekamp, MK 14, 53
    Quelle: Ausgabe 09 / 2014 | Seite 155 | ID 42875231