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  • · Fachbeitrag · Aufrechnung

    Verjährte Schadenersatzansprüche vs. Kautionsrückzahlungsanspruch

    von VRinLG Astrid Siegmund, Berlin

    | Es ist für beide Mietvertragsparteien schwierig, den Fälligkeitszeitpunkt für den Anspruch des Mieters auf Abrechnung und Rückzahlung einer vereinbarten Mietkaution einzuschätzen. Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme zur „großen Mietrechtsreform 2001“ eine gesetzliche Höchstfrist angeregt. Die Bundesregierung ist dem nicht gefolgt. Sie verwies darauf, dass dem Vermieter nach der BGH-Rechtsprechung eine angemessene Prüfungsfrist einzuräumen ist, die ‒ je nach Einzelfall ‒ auch länger als sechs Monate sein könne; eine schematische Beantwortung der Frage der Fälligkeit sei nicht möglich (BT-Drucksache 14/4553, S. 84, 99). Der BGH hat nun über einen Fall entschieden, in dem die kurze Verjährung von Ansprüchen des Vermieters wegen Verschlechterungen der Mietsache nach § 548 Abs. 1 BGB mit der großzügiger zu bemessenen Überlegungs- und Abrechnungsfrist zu kollidieren drohte, weil der Vermieter seine Befugnis, anstelle der Naturalrestitution den erforderlichen Geldbetrag zu verlangen, erst nach Ablauf der kurzen Verjährungsfrist ausgeübt hatte. |

    Sachverhalt

    Die Klägerin war bis zum 8.11.19 Mieterin einer Wohnung des Beklagten. Sie verlangt die Rückzahlung der von ihr gemäß der mietvertraglichen Vereinbarung bei Mietbeginn geleisteten Barkaution. Kurz nach Ablauf von sechs Monaten seit der Rückgabe der Wohnung an den Beklagten rechnete dessen späterer Prozessbevollmächtigter mit Schreiben vom 20.5.20 über die Mietkaution ab und mit behaupteten Gegenforderungen wegen Beschädigung der Mietsache auf. Die Klägerin bestritt Ansprüche des Beklagten und erhob die Einrede der Verjährung. Die Klage der Mieterin hatte vor dem AG und dem LG Erfolg. Der BGH hat die Entscheidung des LG aufgehoben und den Rechtsstreit zurückverwiesen (BGH 10.7.24, VIII ZR 184/23, Abruf-Nr. 242696).

    Entscheidungsgründe

    Der BGH bejaht ‒ anders als die Vorinstanzen ‒ einen zur Aufrechnung geeigneten Schadenersatzanspruch des Beklagten wegen Beschädigung der Mietsache aus § 535, § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 823 Abs. 1 BGB. Die nach § 387 BGB erforderliche Aufrechnungslage sei gegeben. Mit der Kautionsabrechnung habe der Vermieter schlüssig Geld statt Naturalrestitution verlangt. Die Forderung der Mieterin sei ebenfalls auf Geld gerichtet gewesen, sodass die geschuldeten Leistungen sich als Forderungen gleichartig gegenüberstanden. Die Frage, die der BGH zunächst beantworten musste, war die, ob die Aufrechnung wegen § 390 BGB nicht (mehr) möglich war.

     

    MERKE | Nach § 390 BGB kann eine Forderung, der eine Einrede entgegensteht, nicht aufgerechnet werden. Zu den Einreden gehören sämtliche Leistungsverweigerungsrechte, auch die Einrede der Verjährung (§ 214 Abs. 1 BGB).

     

    Für Schadenersatzansprüche wegen Beschädigung der Mietsache sieht § 548 Abs. 1 S. 1 BGB eine verkürzte Verjährungsfrist von sechs Monaten vor, die nach § 548 Abs. 1 S. 2 BGB mit dem Zeitpunkt beginnt, in dem der Vermieter die Mietsache zurückerhält. Die kurze Verjährungsfrist war hier im Zeitpunkt der ‒ einzig unstreitigen ‒ Aufrechnungserklärung des Vermieters vom 20.5.20 bereits abgelaufen.

     

    Zwar sieht § 215 Alt. 1 BGB eine Ausnahme zu § 390 BGB vor. Danach ist die Aufrechnung mit einer verjährten Forderung nicht ausgeschlossen, wenn der Anspruch in dem Zeitpunkt, in dem er erstmals aufgerechnet werden konnte, noch nicht verjährt war.

     

    Keine Aufrechnungslage in unverjährter Zeit

    Die nach § 387 BGB erforderliche Aufrechnungslage habe aber ‒ so der BGH ‒ in unverjährter Zeit nicht bestanden. Vor der Kautionsabrechnung mit Schreiben vom 20.5.20 nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist des § 548 Abs. 1 BGB seien die gegenseitigen Forderungen (noch) nicht gleichartig gewesen.

     

    Der Anspruch der Mieterin sei auf Rückzahlung der Barkaution als Geldforderung, der Schadenersatzanspruch des Vermieters (zunächst) auf Naturalrestitution, § 249 Abs. 1 BGB, gerichtet gewesen. Die danach geschuldete Naturalrestitution sei keine Geldzahlung, sondern auf die Wiederherstellung des Zustands gerichtet, der bestünde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre.

     

    MERKE | Nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann der Gläubiger eines Schadenersatzanspruchs wegen Beschädigung einer Sache zwar statt der Naturalrestitution durch den Schädiger den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Der Anspruch auf Geldersatz setzt jedoch voraus, dass der Gläubiger die ihm zustehende Ersetzungsbefugnis ausübt. Es werden nicht von vornherein mehrere Leistungen geschuldet. Der Gläubiger ist vielmehr nur berechtigt, an die Stelle der einen geschuldeten Leistung (hier: Naturalrestitution durch den Schädiger) eine andere Leistung (hier: Geldersatz) mit der Folge zu setzen, dass fortan nur diese Letztere Erfüllung ist. Die Ersetzungsbefugnis ist eine Willenserklärung, die (erst) mit Zugang beim Schuldner wirksam wird (§ 130 Abs. 1 BGB).

     

    Den Zugang eines früheren Abrechnungsschreibens hatte der Vermieter im Streitfall nicht beweisen können. Mit dem Abrechnungsschreiben vom 20.5.20 hatte der Vermieter seine Ersetzungsbefugnis erst nach Ablauf der Verjährungsfrist des § 548 Abs. 1 BGB ausgeübt.

     

    Aber: Dies stand der Anwendung des § 215 Alt. 1 BGB wegen der Barkautionsabrede im Mietvertrag nicht entgegen. Unabhängig davon, ob es sich bei der von den Parteien im Mietvertrag getroffenen Barkautionsabrede um eine vom Vermieter gestellte AGB oder Individualvereinbarung handele, sei diese dahin wie folgt auszulegen: Die Möglichkeit des Vermieters, sich nach dem Ende des Mietverhältnisses im Rahmen der Kautionsabrechnung hinsichtlich etwaiger Schadenersatzansprüche wegen Beschädigung der Mietsache durch Aufrechnung befriedigen zu können, soll nicht an einer fehlenden Ausübung der Ersetzungsbefugnis in unverjährter Zeit scheitern.

     

    Interessenlage bei Barkaution

    Die Barkaution soll sicherstellen, dass der Vermieter sich nach Beendigung des Mietverhältnisses auf einfache Weise durch Aufrechnung gegen den Kautionsrückzahlungsanspruch befriedigen kann. Ihm stehe dabei nach dem Ende des Mietverhältnisses eine angemessene Überlegungs- und Abrechnungsfrist zu. Die Länge dieser Frist bestimme sich nach den Umständen des Einzelfalls, wobei auch mehr als sechs Monate für den Vermieter erforderlich und dem Mieter zumutbar sein können.

     

    Für den Fall, dass der Vermieter Ansprüche wegen Veränderungen oder Verschlechterungen der Mietsache geltend machen will, könne daher die Abrechnungsfrist in ein Spannungsverhältnis zur kurzen Verjährungsfrist des § 548 Abs. 1 S. 1 BGB geraten, die eine möglichst schnelle Klärung über bestehende ‒ auch deliktische ‒ Ansprüche bewirken soll (BT-Drucksache 14/4553, S. 45).

     

    In der Fallgestaltung des § 215 Alt. 1 BGB habe der Gesetzgeber die Verjährungseinrede aufgrund einer Interessenabwägung zurückstehen lassen. Bei der Barkautionsabrede, die dem Vermieter eine Befriedigung durch Aufrechnung ermöglichen soll, widerspräche es den beiderseitigen Interessen der Parteien, wenn die Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 215 Alt. 1 BGB allein daran scheitern würde, dass der Vermieter in unverjährter Zeit die ihm zustehende Ersetzungsbefugnis nicht ausgeübt hat. Der Ersetzungsbefugnis würde eine Stellung eingeräumt, die ihr die Parteien ‒ jedenfalls im Wohnraummietverhältnis ‒ bei vereinbarter Barkaution regelmäßig nicht zukommen lassen wollen.

     

    Ersetzungsbefugnis und ihre Ausübung

    Die Ersetzungsbefugnis soll den Geschädigten davon befreien, die Sache zur Schadensbeseitigung dem Schädiger anzuvertrauen und ihm die Möglichkeit eröffnen, die Schadensbeseitigung in eigener Regie durchzuführen. Ihre Ausübung ist für den Geschädigten nicht an bestimmte formelle Hürden geknüpft; sie bedarf insbesondere keiner Angabe von Gründen oder näherer Absprachen mit dem Schädiger. Auch eine Bezifferung des beanspruchten Geldbetrages ist nicht erforderlich.

     

    Beachten Sie | Im Wohnraummietverhältnis sei die Ausübung der Ersetzungsbefugnis durch den Vermieter bei Beschädigung der Mietsache durch den Mieter typischerweise zu erwarten, weil er eine Schadenbeseitigung in eigener Regie vornehmen will, um eine zeitnahe und fachgerechte Durchführung zu gewährleisten. Sie erfolge zulässigerweise und konkludent bei der Kautionsabrechnung „zusammen mit der Aufrechnungserklärung“. Mit dem Zugang der Aufrechnungserklärung beim Mieter sei der dem Vermieter zustehende Schadenersatzanspruch in Geld zu erfüllen und werde damit die für eine Aufrechnungslage nach § 387 BGB erforderliche Gleichartigkeit zu dem Kautionsrückzahlungsanspruch geschaffen.

     

    Würde die Anwendbarkeit des § 215 Alt. 1 BGB für das Verhältnis zwischen dem Anspruch auf Rückzahlung der Barkaution und dem (verjährten) Anspruch auf Schadenersatz in Geld wegen Beschädigung der Mietsache allein deshalb verneint, weil der Vermieter die ihm zustehende Ersetzungsbefugnis nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB nicht in unverjährter Zeit ausgeübt hat, würde der Vermieter gezwungen, ggf. bereits vor Ablauf dieser Abrechnungsfrist gesondert seine Ersetzungsbefugnis auszuüben. Damit bliebe außer Betracht, dass die Interessenlage, deren Schutz § 215 Alt. 1 BGB dienen soll, gerade im Hinblick auf den Sinn der von den Parteien vereinbarten Barkaution auch ohne Ausübung der Ersetzungsbefugnis gegeben ist. Vor allem würde nicht berücksichtigt, dass der Mieter an einer isolierten Ausübung der Ersetzungsbefugnis innerhalb der Verjährungsfrist des § 548 Abs. 1 S. 1 BGB meist kein Interesse hat. Ihm sei regelmäßig bewusst, dass der Vermieter von der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen Beschädigung der Mietsache zunächst deshalb absieht, weil er sich ohne Weiteres durch Aufrechnung und die damit zugleich und typischerweise ausgeübte Ersetzungsbefugnis aus dem ihm gerade zu diesem Zweck gestellten Kautionsguthaben befriedigen kann.

     

    Die isolierte Erklärung des Vermieters innerhalb der Verjährungsfrist des § 548 Abs. 1 S. 1 BGB, er übe ‒ möglicherweise auch nur vorsorglich ‒ die ihm zustehende Ersetzungsbefugnis nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB aus, bringe dem Mieter in der geschilderten Konstellation auch keine ersichtlichen Vorteile, weil er bis zu der Abrechnung des Vermieters über das Kautionsguthaben ohnehin nicht weiß, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe sich dieser auf Schadenersatzansprüche wegen Beschädigung der Mietsache beruft. Es bestehe demnach kein berechtigtes Vertrauen des Mieters, nach Ablauf der Verjährungsfrist nicht mehr ‒ im Wege der Aufrechnung ‒ wegen Veränderungen oder Verschlechterungen der Mietsache in Anspruch genommen zu werden, solange der Vermieter noch keine Abrechnung erteilt hat.

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidung ist für die in der Praxis häufige Barkaution von erheblicher Bedeutung, jedenfalls für die Wohnraummiete. Ob für das Gewerbemietrecht ebenso zu entscheiden wäre, lässt der VIII. Zivilsenat offen.

     

    Beanstandet der Vermieter bei Rückgabe der Wohnung deren Zustand und behält sich Schadenersatzansprüche vor, muss der Mieter ‒ bei vereinbarter Barkaution ‒ damit rechnen, dass die Kautionsabrechnung entsprechend ungünstig für ihn ausfällt. Dabei reicht es aus, dass der Vermieter aufrechnet; er übt damit konkludent seine Ersetzungsbefugnis nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB aus. Erinnert sei daran, dass geklärt ist, dass der Schadenersatzanspruch des Vermieters besteht, ohne dass es einer vorherigen Fristsetzung zur Beseitigung der Schäden bedarf (BGH 28.2.18, VIII ZR 157/17, MK 18, 130). Der Vermieter kann seinen Schadenersatzanspruch zudem fiktiv auf der Grundlage eines Kostenvoranschlags bemessen (BGH 10.5.22, VIII ZR 277/20; 19.4.23, VIII ZR 280/21, NZM 23, 498).

     

    Beachten Sie | In der Literatur wird vertreten, dass der „Umweg“ über die Auslegung der Kautionsabrede nicht zwingend sei. Der Geldanspruch aus § 249 Abs. 2 S. 1 BGB sei wohl als verhaltener Anspruch anzusehen, der zwar nicht erfüllbar, gleichwohl aber fällig und damit zur Aufrechnung geeignet war (Flatow, Anm. 1, juris-PR-MietR 20/24, unter Hinweis auf BGH 7.4.92, X ZR 119/90).

    Quelle: Ausgabe 12 / 2024 | Seite 223 | ID 50219335