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  • · Fachbeitrag · Eigenbedarf

    Vorgetäuschter und verschuldeter Eigenbedarf: Das riskieren Vermieter

    von RA Axel Wetekamp, RiAG a.D., München

    | In Zeiten knappen Wohnraums und steigender Mieten sowie Mietpreisbremsen oder kompletter Deckelung von Mieten weckt die Kündigungsmöglichkeit des Eigenbedarfs die Fantasie vieler Vermieter. Aber Vorsicht: Wer Eigenbedarf vortäuscht oder verschuldet, riskiert nicht nur die Klageabweisung, er kann auch teuer dafür bezahlen ‒ sogar strafrechtlich. |

    1. Verschuldeter Eigenbedarf

    Besitzt der Vermieter eine leer stehende Wohnung und vermietet sie, obwohl er weiß, dass er oder eine begünstigte Person Bedarf an dieser Wohnung hat, kann er sich später nicht auf Eigenbedarf aus diesem Grund berufen. Dies wäre rechtsmissbräuchlich (BGH MK 15, 132, Abruf-Nr. 175495).

     

    • Prognose: Wenn jedoch mit dem Eigenbedarfsfall erst in nicht genau bestimmter Zukunft gerechnet werden kann, gilt dies nicht (z. B. späterer Bedarf heranwachsender Kinder, Heirat des Vermieters zu einem unbestimmten Zeitpunkt (BGH MK 09, 65, Abruf-Nr. 090720) für den Fall, dass Eigenbedarf für die heranwachsende Tochter des Vermieters vier Jahre nach Abschluss (Erneuerung) des Mietvertrages geltend gemacht wird).
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    • Vgl. auch LG Gießen WuM 96, 416: Eigenbedarf ist durch den Vermieter vorausschauend zu bedenken. War ein entstehender Eigenbedarf jedoch nicht bei Abschluss des Mietvertrags absehbar, ist eine Eigenbedarfskündigung, die wenig später erfolgt, nicht missbräuchlich (BGH MK 13, 111, Abruf-Nr. 131180). Der Vermieter ist nicht verpflichtet, vor Abschluss eines Mietvertrags Ermittlungen über einen möglichen künftigen Eigenbedarf anzustellen (BGH MK 15, 132, Abruf-Nr. 175495).

     

    • Kauf: Der Käufer einer vermieteten Eigentumswohnung, handelt nicht treuwidrig, wenn er nach dem Kauf Eigenbedarf geltend macht. Es liegt kein „verschuldeter Eigenbedarf“ vor (BayObLG NJW 81, 2197). Eigenbedarf muss aber tatsächlich vorliegen.

     

    • Mehrere Wohnungen: Hat der Vermieter mehrere vergleichbare Wohnungen vermietet, kann er nach eigenem Ermessen bestimmen, von welchem Mieter er die Räumung verlangen will (LG Landau i. d. Pfalz ZMR 92, 396). Etwas anderes gilt, wenn insoweit Unterschiede bestehen. Dann ist das Interesse gerade an einer Wohnung nachzuweisen (LG Augsburg WuM 86, 318).

    2. Wegfall des Eigenbedarfs und vorgetäuschter Eigenbedarf

    Ist Eigenbedarf objektiv nicht vorhanden, muss der Vermieter handeln. Hält er am Eigenbedarf fest, hat dies für ihn Konsequenzen.

     

    a) Grundsätze, Beweislast

    Entfällt der Eigenbedarf vor Ablauf der Kündigungsfrist, muss der Vermieter den Mieter davon unterrichten und auf Verlangen das Mietverhältnis fortsetzen. Ein Wegfall nach Ablauf der Kündigungsfrist muss nicht mehr berücksichtigt werden (BGH WuM 05, 782, Begründung: Das Besitzrecht des Mieters ist mit Ablauf der Kündigungsfrist erloschen; bestätigt durch BVerfG NZM 06, 459).

     

    Ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht vor Ablauf der Kündigungsfrist stellt eine Pflichtverletzung dar (OLG Karlsruhe ZMR 82, 50). Außerdem begründet die mietvertragliche Nebenpflicht, den Mieter vom Wegfall des Kündigungsgrundes zu unterrichten, eine strafrechtliche Garantenpflicht. Das Unterlassen verwirklicht den Tatbestand des Betrugs (AG Wittlich WuM 89, 253).

     

    Der Vermieter muss allerdings nicht nach Ausspruch der Kündigung Eigenbedarfsgründe, die nicht in seiner Person liegen (z. B. von Angehörigen), ständig auf ihr Vorhandensein überprüfen. Nur bei besonderen Anhaltspunkten muss sich der Vermieter vergewissern, ob der Eigenbedarfsgrund des Angehörigen weiter besteht (LG Köln WuM 80, 48).

     

    Auch nach Beendigung des Mietverhältnisses bzw. Räumung der Wohnung aufgrund eines Räumungsvergleichs im Räumungsprozess hat der Mieter einen Auskunftsanspruch hinsichtlich des Eigenbedarfs, wenn der Vermieter an einen Dritten neu vermietet hat (LG München I WuM 86, 219; AG Wuppertal WuM 95, 185). Je nach den Umständen, die den Anschein einer unberechtigten Eigenbedarfskündigung erwecken, sind hohe Anforderungen an das Rechtfertigungsvorbringen des Vermieters zu stellen (LG Konstanz WuM 86, 256).

     

    • Beispiele
    • Gibt der Vermieter die Wohnung einem Makler, der die Wohnung dann auch kurzfristig zum Verkauf anbietet, ist nicht davon auszugehen, dass die zuvor ausgesprochene Eigenbedarfskündigung begründet ist (LG Kleve WuM 91, 271).

     

    • Wird der Eigentumswunsch nicht realisiert, muss der Vermieter überzeugend auf hohem Niveau darlegen, dass der Eigenbedarfsgrund erst nach dem Auszug des Mieters entfallen ist (BVerfG WuM 97, 361).

     

    • Täuscht der Vermieter den zur Begründung eines Eigenbedarfs erforderlichen dauerhaften Wohnzweck an der Mietwohnung vor und nutzt er die Wohnung nach der Räumung des Mieters zu lediglich zeitweisem Aufenthalt, haftet er auf Schadenersatz wegen Vertragsverletzung (LG Karlsruhe WuM 91, 272).
     

    Gegenüber dem schlüssigen Schadenersatzanspruch des Mieters wegen vorgetäuschten Eigenbedarfs muss der Vermieter ihn entlastende Umstände darlegen (LG Saarbrücken WuM 89, 251). Der BGH (WuM 05, 521) weist allerdings darauf hin, dass sich die Beweislast in diesen Fällen nicht ändere, also beim Mieter bleibe. Möglich sei aber der Anscheinsbeweis. Nach LG Hamburg (WuM 95, 175) trägt der Vermieter bei anderer Verwertung der Mieträume die Beweislast für den Eigenbedarf (Umkehr der Beweislast).

     

    b) Anspruchsgrundlagen und Verschulden

    Für Schadenersatzansprüche des Mieters stehen ihm mehrere Anspruchsgrundlagen zur Verfügung. Stets bedarf es eines Verschuldens des Vermieters.

     

    • Positive Vertragsverletzung: Da der Vermieter bei Vorspiegeln nicht vorliegender Kündigungsgründe vertragliche Pflichten verletzt, kommt ein Anspruch aus positiver Vertragsverletzung in Betracht. Der Vermieter muss Vorsatz und Fahrlässigkeit vertreten. Fahrlässigkeit kommt in Betracht, wenn der Vermieter es vorwerfbar unterlassen hat, Erkundigungen über den Eigenbedarf nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB Begünstigter einzuholen.
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    • Mitverschulden des Mieters kann vorliegen, wenn auch für einen Laien erkennbar ist, dass kein berechtigtes Kündigungsinteresse gegeben ist (LG Mannheim WuM 95, 711). Bei Austausch der Eigenbedarfsperson fehlt es an der Kausalität für einen Schaden des Mieters (LG Münster WuM 95, 171).

     

    • Unerlaubte Handlung: Nicht vorliegende Kündigungsinteressen durchzusetzen, ist Betrug gegenüber dem Mieter. Es kommt daher ein Schadenersatzanspruch aus unerlaubter Handlung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB in Betracht. Prozessbetrug liegt vor, wenn das Nichtvorliegen des Kündigungsgrunds verschwiegen wurde, um ein Räumungsurteil herbeizuführen (OLG Zweibrücken WuM 83, 209).
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    • Räumt der Mieter nach der Eigenbedarfskündigung aufgrund des rechtskräftigen Räumungsurteils, haftet der Vermieter bei unberechtigter Kündigung jedoch nur in den Grenzen des § 826 BGB (LG Aachen WuM 87, 394).

     

    • Angedrohte Kündigung: Andererseits kommt ein Schadenersatzanspruch auch in Betracht, wenn der Vermieter eine Kündigung noch nicht ausgesprochen hat, der Mieter aber unter dem Druck einer angedrohten Eigenbedarfskündigung der Auflösung des Mietverhältnisses zustimmt (LG Saarbrücken WuM 86, 255). Auch ein Zurückziehen der vorgetäuschten Eigenbedarfskündigung schließt deren Kausalität für einen Schaden des Mieters nicht aus, wenn er bereits einen neuen Mietvertrag abgeschlossen hatte und die neue Wohnung bezieht (LG Kassel WuM 87, 85 und BGH WuM 15, 510).

     

    • § 573 BGB als Schutzgesetz: § 573 BGB kann auch als Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB aufgefasst werden, da die Bestimmung auch den Schutz des einzelnen Mieters vor unberechtigten Kündigungen bezweckt. Dann müssen nur die Voraussetzungen eines schuldhaften Verstoßes gegen § 573 BGB hinsichtlich der zutreffenden Angabe des Kündigungsgrundes gegeben sein, auf die weitergehenden Tatbestandsmerkmale des § 263 StGB kommt es nicht an.
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    • § 573 BGB kann nicht als Schutzgesetz angesehen werden, wenn der Mieter einer unwirksamen Kündigung des Vermieters freiwillig Folge geleistet hat (OLG Hamm WuM 84, 94). Anders verhält es sich aber, wenn der Mieter die Unwirksamkeit der nicht formgerecht begründeten Kündigung zwar erkannt hat, aufgrund der schlüssig mündlich vorgetragenen Eigenbedarfsgründe, die der Mieter materiell für berechtigt hält, das Mietverhältnis einvernehmlich mit dem Vermieter beendet hat (BayObLG WuM 82, 203; BGH NZM 09, 429). Dem Mieter bleibt der Schadenersatzanspruch dann voll erhalten (so auch LG Mosbach WuM 92, 192). Dieser unterliegt nicht der Verjährung nach § 548 BGB (LG Mannheim WuM 91, 693).

     

    c) Abschluss eines Räumungsvergleichs

    Schließen Vermieter und Mieter einen Räumungsvergleich, gilt Folgendes:

     

    • Wenn der Vergleich das Bestehen des Eigenbedarfsgrundes mit umfasst, kommt ein Schadenersatzanspruch nicht in Betracht (LG Berlin GE 95, 1551), anders, wenn dies nicht der Fall ist (LG Berlin GE 96, 1487).

     

    • Nach BGH WuM 15, 510 kommt es darauf an, ob mit dem Vergleich etwaige Ansprüche des Mieters wegen vorgetäuschten Bedarfs abgegolten werden sollten. Ein stillschweigender Verzicht des Mieters auf Ansprüche kann nur bei besonders bedeutsamen Umständen angenommen werden

     

    • Wird der Streit beigelegt, spielt es keine Rolle, ob sich herausstellt, dass der Kündigungsgrund nicht bestanden hat (OLG Frankfurt WuM 94, 500).

     

    d) Umfang des Schadenersatzes

    Der Schadenersatzanspruch des Mieters wegen vorgetäuschten Eigenbedarfs umfasst die dem Mieter adäquat kausal entstandenen Vermögenseinbußen. Im Einzelnen gilt Folgendes:

     

    Checkliste / Diese Schäden sind dem Mieter zu ersetzen / nicht zu ersetzen

    • Umzugskosten: (LG Berlin GE 196, 1487), d. h. Kosten der Räumung der Wohnung (LG Saarbrücken WuM 95, 173), Beförderung des Umzugsguts, Makler- und Inseratskosten, Telefonummeldung (LG Karlsruhe DWW 95, 144), Umarbeiten von Vorhängen und Möbelstücken, Umbau einer Einbauküche (AG Bad Oldesloe WuM 95, 170).

     

    • Kosten des Räumungsprozesses, wenn die Rechtslage nicht eindeutig ist (LG Berlin ZMR 88, 387), also Gerichtskosten, Rechtsanwaltskosten, auch aus außergerichtlicher Inanspruchnahme (AG Heidelberg WuM 75, 67) und Kosten eines erforderlichen Detektivs (AG Hamburg WuM 97, 990, LG Berlin WuM 00, 313).

     

    • Kosten für die Renovierung der alten und ggf. neuen Wohnung sind zu ersetzen (AG Essen WuM 74, 197).

     

    • Mehrkosten für die Ersatzwohnung sind nur zu ersetzen, soweit diese Wohnung gleichen Wohnwert, gleiche Ausstattung und gleiche Qualität wie die geräumte Wohnung hat (LG Berlin WuM 88, 387). Zu ersetzen sind die notwendigen Kosten der Wohnungssuche. Der Mietdifferenzschaden ist höchstens für vier Jahre zu ersetzen (LG Darmstadt WuM 95, 165). Anders AG Waiblingen, WuM 19, 334: 24 Monate.

     

    • Der Mieter hat auch einen Anspruch darauf, dass ihm seine alte Wohnung wieder überlassen wird und keinem Dritten, was durch einstweilige Verfügung durchgesetzt werden kann (LG Karlsruhe DWW 92,22). Der Anspruch besteht, solange die Wohnung noch nicht an einen Dritten vermietet worden ist.

     

    • Auf den Schadenersatzanspruch wegen vorgetäuschten Eigenbedarfs sind die Leistungen des Vermieters anzurechnen, die er gemäß einer Vereinbarung in einem Mietaufhebungsvertrag an den Mieter zur Auflösung des Mietverhältnisses gezahlt hat (AG Hamburg-Harburg WuM 89, 391).

     

    • Nicht zu ersetzen sind Kosten für den Kauf einer Eigentumswohnung nach Kündigung (LG Karlsruhe DWW 92, 22).
     
    Quelle: Ausgabe 08 / 2019 | Seite 140 | ID 46007350