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  • · Fachbeitrag · Kündigung

    Mieter trägt Vermieterin aus der Wohnung:BGH verneint routinemäßiges Besichtigungsrecht

    von RiOLG Günther Geldmacher, Düsseldorf

    • 1. In die Würdigung, ob der Vermieter angesichts einer Pflichtverletzung des Mieters ein berechtigtes Interesse (§ 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB) an der Beendigung des Mietvertrags hat oder die Fortsetzung des Mietverhältnisses für ihn unzumutbar ist (§ 543 Abs. 1 BGB), ist ein vorangegangenes vertragswidriges Verhalten des Vermieters einzubeziehen, insbesondere, wenn es das nachfolgende vertragswidrige Verhalten des Mieters provoziert hat.
    • 2. Eine Nebenpflicht des Mieters, dem Vermieter - nach entsprechender Vorankündigung - den Zutritt zu seiner Wohnung zu gewähren, besteht nur, wenn es hierfür einen konkreten sachlichen Grund gibt, der sich z.B. aus der Bewirtschaftung des Objekts ergeben kann.
    • 3. Eine Formularbestimmung, die dem Vermieter von Wohnraum ein Recht zum Betreten der Mietsache ganz allgemein „zur Überprüfung des Wohnungszustands“ einräumt, ist wegen unangemessener Benachteiligung des Mieters (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB) unwirksam.

    (BGH 4.6.14, VIII ZR 289/13, Abruf-Nr. 141780)

     

    Sachverhalt

    Der Mietvertrag enthält die Formularklausel, dass die Klägerin berechtigt ist, das vom Beklagten von ihr gemietete Haus nach vorheriger Ankündigung zur „Überprüfung des Wohnungszustands“ zu besichtigen. Bereits in 09 war es zwischen den Parteien zu zwei gerichtlichen Auseinandersetzungen gekommen, die ihre Ursache in einem Streit über das Besichtigungsrecht der Klägerin hatten.

     

    Am 16.8.12 suchte die Klägerin den Beklagten vereinbarungsgemäß in dem von ihr vermieteten Haus auf, um zwischenzeitlich installierte Rauchmelder in Augenschein zu nehmen. Bei dieser Gelegenheit versuchte die Klägerin, das gesamte Haus zu besichtigen und gegen den Willen des Beklagten weitere als die mit Rauchmeldern versehenen Zimmer zu betreten. Der daraufhin vom Beklagten unmissverständlich ausgesprochenen Aufforderung, das Haus zu verlassen, leistete sie keine Folge. Sie verweilte vielmehr in der Diele vor der Haustür. Dort öffnete sie ein Fenster im Flur, nachdem sie zuvor Gegenstände des Beklagten von der Fensterbank genommen hatte. Daraufhin umfasste der Beklagte mit den Armen die Klägerin am Oberkörper und trug sie vor die Haustür.

     

    Wegen dieses Vorfalls erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 29.8.12 die fristlose und hilfsweise die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses. Das Berufungsgericht gibt dem Räumungsantrag statt und weist die auf Schadensersatz wegen außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Widerklage ab. Die Revision hat Erfolg.

     

    Entscheidungsgründe/Praxishinweis

    Die fristlose Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses setzt gemäß § 543 Abs. 1 S. 2 BGB voraus, dass dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Das Berufungsgericht sieht eine die fristlose Kündigung rechtfertigende Verletzung mietvertraglicher Pflichten durch den Beklagten darin, dass dieser die Grenzen seines Notwehrrechts (§ 227 BGB) überschritten habe, indem er die Klägerin in „demütigender“ Weise aus dem Haus getragen habe. Der Beklagte habe die Klägerin allenfalls nach einer erfolglosen Drohung mit einer Anzeige wegen Verletzung des Hausrechts aus dem Haus „herausdrängen“ dürfen.

     

    Schon diese Annahme des Berufungsgerichts ist zweifelhaft. Zwar muss der Angegriffene grundsätzlich das am wenigsten schädliche Mittel zur Abwehr einsetzen (Palandt/Ellenberger, 73. Aufl., § 228 BGB, Rn. 7). Auf ein milderes Mittel muss er aber nur dann ausweichen, wenn hierdurch eine sofortige und endgültige Beseitigung des rechtswidrigen Angriffs mit Sicherheit erwartet werden kann (BeckOK BGB/Dennhardt, § 227, Rn. 15). Konkrete Feststellungen des Berufungsgerichts zu der von der Klägerin zu beweisenden Überschreitung des Notwehrrechts sind der Entscheidung des BGH nicht zu entnehmen. Das im Sachverhalt genannte Verhalten der Klägerin spricht eher dafür, dass die Klägerin auch einer nochmaligen verbalen Aufforderung zum Verlassen des Hauses keine Folge geleistet hätte.

     

    Zu entscheiden brauchte der BGH diese Frage nicht. Grund: Das Berufungsgericht hat nicht berücksichtigt, dass die Klägerin ihrerseits vor dem beanstandeten Verhalten des Beklagten ihre mietvertragliche Rücksichtnahmepflicht verletzt und dadurch dessen nachfolgendes Verhalten herausgefordert hat. Über die vereinbarungsgemäß zu besichtigenden Räume mit den angebrachten Rauchmeldern hinaus, war die Klägerin zu einer weiteren eigenmächtigen Besichtigung nicht berechtigt. Indem sie dies gleichwohl - gegen den Willen des Beklagten - durchzusetzen versuchte und sich seiner Aufforderung, das Haus zu verlassen, verweigerte, hat sie das Hausrecht des Beklagten verletzt. Das heißt: Sie trägt deshalb zumindest eine Mitschuld am folgenden Geschehen, die das Berufungsgericht bei seiner Abwägung rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt hat. Hieran muss sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung bei der gebotenen Abwägung scheitern.

     

    Von erheblicher praktischer Relevanz sind die Ausführungen des BGH zum Besichtigungsrecht des Vermieters. Der VIII. Senat stellt erstmals für den Bereich des Mietrechts klar, dass

    • dem Vermieter weder ein periodisches, etwa alle ein bis zwei Jahre zu gewährendes Recht zusteht, ohne besonderen Anlass den Zustand der Wohnung zu kontrollieren,

     

    • noch dass sich ein solches Recht aus der im Sachverhalt genannten formularmäßigen Besichtigungsklausel ergibt.

     

    Diese und vergleichbare Klauseln halten einer Inhaltskontrolle nicht stand und sind daher nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Grund: Sie regeln ein anlassloses Betretungsrecht und benachteiligen den Mieter hierdurch unangemessen. Verfassungsgerichtlich ist geklärt, dass das alleinige und uneingeschränkte Gebrauchsrecht an der Wohnung während der Dauer des Mietvertrags dem Mieter zugewiesen ist. Zudem steht die Wohnung des Mieters als die räumliche Sphäre, in der sich das Privatleben entfaltet, unter dem Schutz des Art. 13 Abs. 1 GG. Dieser gewährleistet das grundsätzliche Recht des Mieters, in diesen Räumen „in Ruhe gelassen zu werden“ (BVerfG NJW 99, 2035; NZM 04, 186).

     

    Wichtig | Vor diesem Hintergrund verneint der VIII. Senat entgegen einer verbreiteten Instanzrechtsprechung (LG Stuttgart ZMR 85, 273; LG Berlin MM 04, 125; LG Frankfurt a.M. BeckRS 2013, 06643; AG Münster WuM 09, 288; AG Schöneberg GE 07, 453; AG Saarbrücken ZMR 05, 372; AG Rheine WuM 03, 315) zutreffend ein routinemäßiges Recht des Vermieters, die Mietsache auch ohne besonderen Anlass in einem regelmäßigen zeitlichen Abstand von ein bis zwei Jahren zu besichtigen.

     

    Merke | Eine vertragliche, aus § 242 BGB herzuleitende Nebenpflicht des Mieters, dem Vermieter - nach entsprechender Vorankündigung - den Zutritt zu seiner Wohnung zu gewähren, besteht nur, wenn es hierfür einen konkreten sachlichen Grund gibt.

     

    Dieser kann sich z.B. aus der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung des Objektes ergeben, etwa wenn

    • es um die Feststellung und Beseitigung eines vom Mieter gerügten Mangels der Mietsache geht,
    • der Vermieter die Wohnung zur Planung einer konkreten Modernisierungsmaßnahme betreten muss (AG Berlin-Mitte GE 10, 1425),
    • eine Bauprüfung zur Erteilung einer Abgeschlossenheitsbescheidung durchzuführen ist (LG Hamburg WuM 94, 425)
    • oder im Veräußerungs- bzw. Kündigungsfall der Vermieter die Wohnung mit potenziellen Käufern bzw. etwaigen Nachmietinteressenten besichtigen will (AG Bonn NZM 06, 698).

     

    Der mit der Widerklage geltend gemachte Schadenersatzanspruch des Beklagten rechtfertigt sich aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB. Der BGH hält daran fest, dass der Vermieter, der - wie hier - schuldhaft eine materiell unbegründete Kündigung ausspricht und dem Mieter auf diese Weise sein Besitzrecht grundlos streitig macht, eine vertragliche Nebenpflicht aus dem Mietvertrag verletzt und dem Mieter die hierdurch entstandenen Rechtsanwaltskosten ersetzen muss (BGH NZM 98, 718; BGHZ 89, 296; 179, 238).

     

    Weiterführender Hinweis

    • Die wichtigsten Fragen zum Besichtigungsrecht des Vermieters, MK 08, 167
    Quelle: Ausgabe 09 / 2014 | Seite 147 | ID 42875099