· Fachbeitrag · Modernisierungsmieterhöhung
Neues zu den fiktiven Erhaltungskosten
von RiAG Prof. Dr. Ulf Börstinghaus, Gelsenkirchen
| Zwei neue Entscheidungen des BGH von 2020 führen dazu, dass bei einer Mieterhöhung wegen Modernisierung nicht nur die Kosten „fälliger“ Instandsetzungsmaßnahmen abzuziehen sind, sondern auch so gut wie immer fiktive Erhaltungskosten. Was genau bei Anwendung dieser neuen Rechtsprechung zu beachten ist, zeigt der folgende Beitrag. |
1. Ausgangssituation und BGH-Entscheidungen von 2020
Seit der Mietrechtsreform 2001 gehören nach § 559 Abs. 2 BGB „Kosten, die für Erhaltungsmaßnahmen erforderlich gewesen wären, […] nicht zu den aufgewendeten Kosten nach Absatz 1“. Das entsprach schon früher der h. M. Aus der Formulierung wurde gefolgert, dass die Erhaltungsmaßnahmen zum Zeitpunkt der Modernisierungsarbeiten fällig gewesen sein mussten.
Beachten Sie | Nun hat der BGH (VIII ZR 81/19, Abruf-Nr. 217177; VIII ZR 369/18, Abruf-Nr. 220486) entschieden, dass bei einer modernisierenden Instandsetzung nicht nur Kosten „fälliger“ Instandsetzungsmaßnahmen abzuziehen sind, sondern auch solche für die Erneuerung von Bauteilen und Einrichtungen, die zwar noch funktionsfähig sind, aber schon über einen erheblichen Zeitraum ihrer zu erwartenden Gesamtlebensdauer hinaus abgenutzt worden sind. Dass Vermieter neue Bauteile wegen der Modernisierung austauschen, ist kaum denkbar. Auch bei gesetzlich vorgegebenen Maßnahmen, z. B. nach dem GEG, gibt es Übergangsfristen.
2. Die maßgeblichen Parameter
Bei der Anwendung der neuen Rechtsprechung müssen einige Parameter ermittelt werden, um den richtigen Abzugsbetrag festzulegen.
MERKE | Zunächst muss die Gesamtlebensdauer eines Bauteils ermittelt werden. In der Praxis wird unterschieden zwischen der wirtschaftlichen und der technischen Lebensdauer eines Bauteils. Unter wirtschaftlicher Lebensdauer wird der Zeitraum verstanden, innerhalb dessen ein Bauteil noch kosteneffektiv eingesetzt werden kann. Häufig werden Abschreibungstabellen verwendet. |
Da es hier um die den Vermieter treffende Erhaltungspflicht geht, die wiederum der Eignung zum vertragsgemäßen Gebrauch dient, kommt es für die Ermittlung fiktiver Instandsetzungskosten auf die technische Lebensdauer eines Bauteils an. Diese kann wiederum abstrakt anhand von Durchschnittswerten und entsprechenden Tabellen oder anhand des konkreten Zustands ermittelt werden. Die konkrete Abnutzung des Bauteils unterliegt regelmäßig unterschiedlichen Einflüssen. Sie hängt von der konkreten Beanspruchung und natürlich von Art um Umfang der Wartung ab.
MERKE | Möglich und zulässig, aber kein Muss, ist es, die Gesamtlebensdauer des konkreten Bauteils zu ermitteln. Auch Durchschnittswerte aus Tabellen oder nach der Wertermittlungsrichtlinie 2006 dürfen verwendet werden und sind oft weniger streitträchtig. Das Gesetz erlaubt es sogar, zu schätzen. Der Gesetzgeber wollte überzogene Anforderungen an die Berechnung ausdrücklich vermeiden. |
Von der so ermittelten Gesamtlebensdauer muss bei Austausch des Bauteils ein „nicht unerheblicher“ Zeitraum abgelaufen sein. Der BGH macht keine konkreten Vorgaben, wann dies der Fall ist. „Nicht unerheblich“ ist weniger als „erheblich“. Auch nutzt der BGH den Begriff „wesentlich“, was ca. 1/3 bedeuten soll (VIII ZR 369/18). In § 559 Abs. 4 Nr. 1 BGB definiert er „allgemein üblich“ als 2/3 (VIII ZR 21/19). Ab einem Nutzungszeitraum von ca. 1/4 der Lebensdauer kann man von einem „nicht unerheblichen Zeitraum“ ausgehen.
Bei den Kosten ist nicht auf die Kosten der erstmaligen Anschaffung des Bauteils, sondern auf die im Rahmen der modernisierenden Instandsetzung aufgewandten Kosten abzustellen. Als Modernisierungskosten ist dann nur der überschießende Kostenanteil in Ansatz zu bringen, also der um den prozentualen Anteil für die zeitanteilige Nutzung verringerte aktuelle Preis.
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Austausch alter Kunststoffdoppelfenster nach 30 Jahren bei angenommener Gesamtlebensdauer von 40 Jahren durch modernere neue Fenster. Kosten: 10.000 EUR; fiktive Erhaltung 3/4: 7.500 EUR; anrechenbarer Aufwand: 2.500 EUR. Mieterhöhung von 8 Prozent p. a.: 200 EUR. |
Beachten Sie | Es lohnt sich, hier eine Kontrollrechnung durchzuführen. Der Gesetzgeber erlaubt seit 1.1.19 auch Mieterhöhungen im vereinfachten Verfahren nach § 559c BGB. Bei einem Aufwand bis 10.000 EUR pro Wohnung müssen dabei pauschal immer 30 Prozent als Erhaltungskosten abgezogen werden. Möglich wäre im Beispielsfall dann eine Mieterhöhung um 560 EUR p.a. Jedoch kann das Verfahren nur einmal in fünf Jahren durchgeführt werden und sperrt auch Mieterhöhungen nach § 559 BGB in diesem Zeitraum.
Modernisierungsmieterhöhungen beruhen auf einseitiger Gestaltungserklärung des Vermieters. Diese ändert den Vertrag, soweit sie zulässig und begründet ist. Es ist keine Willenserklärung des Mieters erforderlich. Auch die Zahlung der erhöhten Mieten führt zu keiner vertraglichen Änderung der Miethöhe. Ältere Modernisierungsmieterhöhungen haben also nur so weit zur Mieterhöhung geführt, wie sie wirksam waren. Wurde damals kein Abzug für fiktive Erhaltungskosten vorgenommen, ist die Mieterhöhung teilunwirksam. Hat der Mieter mehr geleistet, kann er die Überzahlung kondizieren. Ihn trifft dann die Darlegungs- und Beweislast für das negative Tatbestandsmerkmal „ohne Rechtsgrund“ in § 812 BGB.
Er hat aus einer vertraglichen Nebenpflicht einen Auskunftsanspruch gegen den Vermieter zum Anschaffungszeitpunkt des Bauteils und zur Spezifikation. Die Gesamtlebensdauer muss er aber darlegen und beweisen. Hat später eine Mieterhöhung nach § 558 BGB stattgefunden, liegt ab dann eine Vertragsänderung vor und eine Rückforderung ist ausgeschlossen.