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  • · Fachbeitrag · Parabolantenne

    Auch im Internet-Zeitalter: Einzelfallbezogene Abwägung muss vorgenommen werden

    von RiOLG Günther Geldmacher, Düsseldorf

    Ist eine angemessene Zahl von Programmen aus dem jeweiligen Heimatland nicht über den vom Vermieter bereitgestellten Kabelanschluss, sondern nur über eine Parabolantenne zu empfangen, muss das Gericht eine konkret fallbezogene Abwägung zwischen dem Informationsinteresse des ausländischen Mieters aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG und dem Grundrecht des Eigentümers aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG vornehmen (BVerfG 31.3.13, 1 BvR 1314/11, Abruf-Nr. 131832).

     

    Sachverhalt

    Die Beschwerdeführer sind türkische Staatsangehörige turkmenischer Abstammung. Sie fühlen sich einer in der Türkei lebenden turkmenischen Minderheit zugehörig, die eigenen Traditionen und der turkmenischen Sprache verbunden geblieben ist. Nachdem sie an der Gebäudefassade ihrer Mietwohnung im Erdgeschoss ohne die nach dem Mietvertrag erforderliche Zustimmung des Vermieters eine Parabolantenne angebracht hatten, um ein nur über Satellit empfangbares, ganztägig in türkischer und turkmenischer Sprache ausgestrahltes Programm empfangen zu können, wurden sie von ihrer Vermieterin zunächst auf Beseitigung der Antenne, nach erfolgter Entfernung auf Unterlassung der Anbringung einer Antenne verklagt. Das BVerfG hebt die der Klage stattgebenden Instanzentscheidungen auf und verweist den Rechtsstreit an das AG zurück.

     

    Entscheidungsgründe

    Nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG hat jeder das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu informieren. Hierzu gehören insbesondere Hörfunk- und Fernsehprogramme, einschließlich aller ausländischen Rundfunkprogramme, deren Empfang in der Bundesrepublik Deutschland möglich ist (BVerfGE 90, 27). Soweit der Empfang von Rundfunkprogrammen von technischen Anlagen abhängt, erstreckt sich der Schutz der Informationsfreiheit auch auf die Anschaffung und Nutzung solcher Anlagen. Das heißt: Die Installation einer Parabolantenne, die den Empfang von Rundfunkprogrammen ermöglicht, die über Satellit ausgestrahlt werden, ist daher ebenfalls von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG geschützt (BVerfGE 90, 27). Folge: Auch einer Parabolantenne zum Zweck des Empfangs eines Rundfunkprogramms, das in turkmenischer Sprache kulturelle, politische und historische Informationen über die Turkmenen in der Türkei ausstrahlt, ist vom Schutzbereich des Grundrechts auf Informationsfreiheit der Beschwerdeführer umfasst.

     

    Allerdings findet die Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken unter anderem in den allgemeinen Gesetzen. Hierzu gehören auch die miet- und eigentumsrechtlichen Bestimmungen des BGB, die die Rechte und Pflichten von Mietern und Vermietern festlegen. Das heißt: Bei der Auslegung und Anwendung der §§ 541, 1004 und 242 BGB, auf deren Grundlage das Amtsgericht die Beschwerdeführer zur Unterlassung der Anbringung der Parabolantenne verurteilt hat, ist einerseits dem Grundrecht der Informationsfreiheit Rechnung zu tragen und andererseits das Grundrecht des Eigentümers aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zu berücksichtigen.

     

    Bei der danach gebotenen Abwägung nimmt das BVerfG an, dass die Entscheidungen der Instanzgerichte die Beschwerdeführer in ihrer Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG verletzen. Grund: Beide Gerichte haben ihr spezifisches Informationsinteresse nicht ausreichend berücksichtigt und damit die Bedeutung des Grundrechts der Informationsfreiheit verkannt. Es trifft zwar typischerweise zu, dass dem Informationsinteresse eines ausländischen Mieters schon Genüge getan ist, wenn er - wie hier - über die zur Verfügung gestellte zentrale Satellitenempfangsanlage gegen ein geringes Zusatzentgelt eine ausreichende Zahl von Programmen seines Heimatlandes empfangen kann. Die Gerichte müssen aber ein darüber hinausgehendes besonderes Informationsinteresse in die gebotene einzelfallbezogene Abwägung einbeziehen und dabei berücksichtigen, wie schwer das Informationsinteresse des Mieters konkret wiegt (BVerfGE 90, 27). Hieran fehlt es.

     

    Praxishinweis

    Muss der Vermieter der Anbringung einer Parabolantenne zustimmen oder diese dulden oder muss der Mieter eine bereits angebrachte Parabolantenne entfernen? Diese Frage bleibt auch im Zeitalter der digitalen Medien aktuell. Der Vermieter hat ein durch Art. 14 GG geschütztes Interesse an der auch optisch ungeschmälerten Erhaltung des Wohnhauses. Auf Seiten des Mieters ist sein Informationsinteresse an der Nutzung zugänglicher Informationsquellen zu beachten, Art. 5 Abs. 2 GG. Kein Grundrecht geht dem anderen generell vor. Das heißt: Die Entscheidung hängt bei der gebotenen Einzelfallabwägung davon ab, welche Beeinträchtigung im Rahmen des vom Gesetzgeber abstrakt vorgenommenen Interessenausgleichs im konkreten Fall schwerer wiegt (BVerfGE 90, 27).

     

    Das BVerfG hält für den Durchschnittsfall daran fest, dass dem grundrechtlich geschützten Informationsbedürfnis des Mieters in der Regel hinreichend Rechnung getragen wird, wenn der Vermieter einen Breitbandkabelanschluss bereitstellt, der den Empfang von Programmen in genügender Zahl und Qualität gewährleistet. Entsprechendes wird angenommen, wenn der Mieter mittels einer gebührenpflichtigen Set-Top-Box über die zentrale Satellitenempfangsanlage des Hauses zahlreiche Sender seines Heimatlandes empfangen kann und die hierfür aufzubringenden Zusatzkosten nicht so hoch sind, dass sie Nutzungswillige typischerweise von dieser Möglichkeit abhalten (BVerfG NJW-RR 05, 661; BayVBl 05, 691).

     

    Macht der Mieter aber - wie hier - ein darüber hinausgehendes besonderes Informationsinteresse geltend, hat sich das Gericht hiermit auseinanderzusetzen. Die Abwägung muss erkennen lassen, ob und wie das Gericht das spezifische Interesse des Mieters gewürdigt und gewichtet hat. Fehlt es hieran, bestehen hohe Erfolgsaussichten für eine Verfassungsbeschwerde.

     

    Ob die erneute Prüfung hier zugunsten der Mieter ausfällt, hängt wesentlich davon ab, ob es ihnen gelingt, glaubhaft zu machen, dass ihr Lebensalltag tatsächlich vom Gebrauch der turkmenischen Sprache und turkmenischen Traditionen geprägt ist, obwohl sie nie in den turkmenischsprachigen Herkunftsgebieten ihrer Vorfahren gewohnt haben, und ob das von ihnen geltend gemachte besondere Informationsinteresse auch mittels der über die vorhandene zentrale Satellitenempfangsanlage zu empfangenden türkischen Programme gedeckt werden kann. Hier ist der Anwalt gefragt.

    Quelle: Ausgabe 07 / 2013 | Seite 117 | ID 39830080