· Fachbeitrag · Schadenersatz
Kein Feststellungsinteresse bei „sehr sehr geringem“ Schadensrisiko
Zur Zulässigkeit einer auf Ersatz künftigen Schadens gerichteten Feststellungsklage, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts zwar minimal über dem allgemeinen Lebensrisiko liegt, jedoch aufgrund der Umstände des Einzelfalls als „sehr sehr gering“ anzusehen ist (BGH 2.4.14, VIII ZR 19/13, Abruf-Nr. 141573). |
Sachverhalt
Der Fußboden der von den Eltern der Kläger gemieteten Wohnung bestand aus asbesthaltigen Vinylplatten. Nachdem sich der von den Eltern der Kläger über diesen verlegte Teppich Mitte 05 im vorderen Teil des Flurs gelockert hatte, entfernte ihr Vater in diesem Bereich den Teppich. Er bemerkte, dass die unter dem Teppich befindlichen Platten teilweise gebrochen waren und offene Bruchkanten aufwiesen und informierte hierüber Ende 7/05 die Beklagte. Diese erteilte der Streithelferin den Reparaturauftrag. Bei Austausch der beschädigten Platten am 15.8.05 beachtete diese vorgeschriebene Sicherheitsvorschriften (Staubbindung) nicht und verließ die Wohnung ungereinigt. Mitte 9/05 verlegte der Vater der Kläger über den ausgetauschten Platten einen neuen Teppich. Alle Mieter wurden erst in 6/06 durch einen Serienbrief darüber informiert, dass die Platten asbesthaltiges Material enthielten.
Die Kläger behaupten, es müsse damit gerechnet werden, dass sie von 7 bis 9/05 Asbestfasern aufgenommen hätten, die in der Folge schwere Gesundheitsschäden (Tumore) verursachen könnten. Sie begehren die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihnen alle materiellen und immateriellen Schäden, die ihnen aus der Gesundheitsgefährdung, die durch den Asbestkontakt in den Mieträumen in der Wohnung bereits entstanden sind und/oder als Spätfolgen noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind. Das LG Berlin (ZMR 13, 715) gibt der Feststellungsklage in 2. Instanz statt. Der BGH weist die Berufung der Kläger gegen das amtsgerichtliche Urteil als unzulässig zurück.
Entscheidungsgründe/Praxishinweis
Vinyl-Asbest-Platten (auch Floor-Flex- oder Flex-Platten) sind ein in den 50er bis 70er Jahren sehr häufig ausgeführter Bodenbelag. Werden die Platten beschädigt (z.B. durch mechanische Beanspruchung) oder lösen sie sich altersbedingt auf, können hierdurch freigesetzte Asbestfasern die Luft kontaminieren und je nach Konzentration und Dauer schwerste Erkrankungen verursachen, z.B. ein Mesotheliom (Bindegewebstumor im Bauch- und Rippenfell oder Herzbeutel) oder die sogenannte Asbestose und als deren Folge Lungenkrebs. Stäube können sich relativ lange Zeit in Räumen befinden, sich bei fehlendem Luftzug auf Untergründen absetzen und bei erneuten Luftbewegungen wieder aufgewirbelt werden. Das gleiche Risiko besteht bei unsachgemäßer Entfernung der Asbestplatten. Deshalb sind bei der Entfernung von Asbestplatten regelmäßig standardisierte Sicherungsmaßnahmen (vgl. die Regelungen zum Verfahren mit geringer Exposition gegenüber Asbest bei Abbruch-, Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten nach DIN 16 950 Ausgabe 4/77/Berufsgenossenschaftliche Informationen, BGI 664) einzuhalten (z.B. Staubbindung durch Feuchtigkeit; staubdichte Verpackung der entfernten Platten; vollständige Befreiung des Bodens von Resten und Staub mit anschließender Grundierung zur Bindung etwaiger Asbestpartikel).
Verantwortlichkeit des Vermieters
Werden diese Sicherungsmaßnahmen - wie hier - von dem mit dem Austausch der Platten beauftragten Handwerker nicht beachtet, ist dem Vermieter als Auftraggeber diese Pflichtverletzung gemäß § 278 BGB zuzurechnen. So lag der Fall auch hier. Die Beklagte hat zudem eine vertragliche Nebenpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) dadurch verletzt, dass sie die Eltern der Kläger nach der in 7/05 erfolgten Anzeige, es lägen Platten mit offenen Bruchkanten frei, nicht umgehend über die von diesen möglicherweise ausgehenden Gefahren informierte und dadurch über einen längeren Zeitraum einer möglicherweise gesundheitsgefährdenden Raumluftkontamination ausgesetzt hat. Folge: Die Beklagte haftet den Klägern gemäß § 535 Abs. 1, § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 278 BGB für ihnen hieraus entstehende Gesundheitsschäden auf Schadenersatz. Da den Klägern ein Gesundheitsschaden noch nicht entstanden war, konnten sie die (künftige) Ersatzpflicht der Beklagten - auch aus Verjährungsgründen - nur durch Feststellungsklage klären lassen.
Zulässigkeit der Feststellungsklage
Eine Klage auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz bereits eingetretener und künftiger Schäden ist zulässig, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts besteht. Ein Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO) ist nur zu verneinen, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund gegeben ist, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (BGH NJW 01, 1431; NJW-RR 07, 601). Ein zulässiger Feststellungsantrag ist begründet, wenn die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruchs vorliegen, also ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu möglichen künftigen Schäden führen kann.
Das Berufungsgericht hat das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse mit der Begründung bejaht, es könne mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass ein künftiger Schaden entstehen werde. Der VIII. Senat lässt offen, ob die Begründetheit der Feststellungsklage eine derartige Wahrscheinlichkeitsprognose erfordert. Er verneint bereits ein schützenswertes rechtliches Interesse der Kläger i.S. des § 256 Abs. 1 ZPO an der begehrten Feststellung. Grund: Bei verständiger Würdigung bestand aus der Sicht der Kläger kein Grund, mit einem Schaden „wenigstens zu rechnen“.
Der gerichtliche Sachverständige hat ausgeführt, dass das Risiko der Kläger, in Zukunft an einem Tumor zu erkranken, der auf die der Beklagten zurechenbaren Pflichtverletzungen zurückzuführen ist, zwar minimal über dem allgemeinen Lebensrisiko liege, jedoch aufgrund der anzunehmenden Exposition der Kläger mit Asbestfasern, die im Niedrigdosisbereich liege, als „sehr sehr gering“ anzusehen sei; mit einer Tumorerkrankung sei „nicht zu rechnen“. Das heißt: Die Kläger müssen bei verständiger Würdigung nicht mit der Möglichkeit des zukünftigen Eintritts eines durch die Pflichtverletzung der Beklagten verursachten Schadens rechnen.
Beachten Sie | Besteht im Zusammenhang mit der Entfernung von Asbestplatten in Wohnräumen der Verdacht, dass Asbestfasern in die Raumluft freigesetzt worden sind, hängt das weitere Vorgehen davon ab, wie wahrscheinlich die Verwirklichung eines Tumorrisikos ist. Das lässt sich ohne genaue Kenntnis der Umstände und ohne Einschaltung eines Sachverständigen nicht beantworten. Nicht jede geringfügige Asbestfreisetzung rechtfertigt bereits die Feststellungsklage. Ein rechtliches Interesse an alsbaldiger Feststellung i. S. des § 256 Abs. 1 ZPO wegen eines erst künftig aus einem Rechtsverhältnis erwachsenden Schadens besteht auch in diesem Fall nur, wenn mit diesem „wenigstens zu rechnen“ ist.