· Fachbeitrag · Streitwert
Verurteilung zur Gewährung von Zutritt und Duldung von Handwerkerarbeiten: Beschwer des Mieters
von VRinLG Astrid Siegmund, Berlin
| Oft muss der Vermieter die Gewährung des Zutritts zur Wohnung des Mieters gerichtlich durchsetzen. Auf den ersten Blick von eher untergeordneter Bedeutung ist der Zuständigkeits-, Rechtsmittel- und Gebührenstreitwert. Allerdings entscheidet die Höhe des Rechtsmittelstreitwerts über den Instanzenzug; dann wird die Frage prioritär. Der BGH hatte nun die (eher seltene) Gelegenheit, Licht in die Bemessung der Beschwer des Mieters und damit des Rechtsmittelstreitwerts bei dessen Verurteilung zur Gewährung von Zutritt und Duldung von Handwerkerarbeiten zu bringen. |
Sachverhalt
Die Klägerin bewohnt eine von den Beklagten gemietete Wohnung. Nach einem Wasserschaden in den unter der Wohnung liegenden Räumlichkeiten verlangten die Beklagten Zutritt zur Wohnung der Klägerin. Sie wollten prüfen, ob der Wasserschaden auf einen Rohrbruch der im dortigen WC-Raum verlaufenden Leitungen zurückzuführen ist. Die Klägerin verweigerte den Zutritt.
In einem Vorprozess wurde die Klägerin rechtskräftig verurteilt, den Beklagten in Begleitung von mindestens zwei Handwerkern nach einer Vorankündigung von fünf Werktagen Zugang zu ihrer Wohnung in der Zeit von 8 Uhr bis 17 Uhr zu verschaffen und zu dulden, dass die von den Beklagten zu bestellenden Handwerker prüfen, ob ein Rohrbruch in der Regenfallleitung oder der Abwasserleitung in der Ecke des WC-Raums der Wohnung der Klägerin vorhanden ist, und diesen gegebenenfalls reparieren. Die Klägerin verweigerte den Beklagten weiterhin den Zutritt zur Wohnung. Sie verlangte im Wege der Vollstreckungsabwehrklage, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil für unzulässig zu erklären. Zur Begründung berief sie sich vor allem auf mögliche Gesundheitsgefährdungen infolge der Covid-19-Pandemie und machte geltend, der Schutz ihrer Gesundheit sei vorrangig vor der Gewährung des Zutritts. Der WC-Raum habe keine Fenster und könne nur schlecht belüftet werden; während der Pandemie könnten dort Arbeiten nicht durchgeführt werden. Darüber hinaus gebe es Verfahren zur Feststellung einer Rohrundichtigkeit, die weder ein Betreten der Wohnung noch ein Aufstemmen der Wände erforderten.
Das AG hat die Klage im Verfahren gemäß § 495a ZPO abgewiesen und den Streitwert ‒ ohne Begründung ‒ auf 600 EUR festgesetzt. Die Berufung hat es nicht zugelassen. Das LG hat die Berufung der Klägerin nach § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO als unzulässig verworfen. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde war erfolgreich (BGH 23.5.23, VIII ZB 16/22, Abruf-Nr. 236510).
Entscheidungsgründe
Anders als die Vorinstanzen sieht der BGH die in § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO vorgesehene Wertgrenze von 600 EUR überschritten. Er folgt dem LG, dass die Berufungsbeschwer nach §§ 2, 3 ZPO zu bestimmen ist. Bei der Ausübung des ihm danach eingeräumten Ermessens habe das LG jedoch die zu berücksichtigenden Umstände nicht umfassend einbezogen.
MERKE | Der Wert einer Vollstreckungsabwehrklage und damit der Wert der Beschwer bemisst sich nach dem Umfang der erstrebten Ausschließung der Zwangsvollstreckung. Das gilt auch, wenn der Rechtsmittelkläger zur Duldung von Handlungen verurteilt worden ist. Die Beschwer des Vollstreckungsabwehrklägers richtet sich nach seinem Interesse, die Handlung nicht dulden zu müssen. |
Das LG hat im Rahmen der Bemessung der Beschwer der Klägerin (allein) auf deren Interesse abgestellt, den Beklagten und den Handwerkern den Zutritt zur Wohnung zwecks Prüfung zu verwehren, ob ein Rohrbruch im WC-Raum vorliegt, und die Durchführung der ggf. erforderlichen Reparaturarbeiten zu verhindern. Die Duldungsverpflichtung der Klägerin beschränkte sich nach dem rechtskräftigen Urteil jedoch nicht auf eine bloße Zutrittsgewährung, sondern erstreckte sich vor allem auf die Duldung der Vornahme von in ihrem Ausmaß noch nicht absehbaren Prüf- und Reparaturarbeiten. Diese weitergehende Beeinträchtigung des Besitzrechts der Klägerin an der Wohnung musste in die Bemessung ihrer Beschwer einbezogen werden.
Beachten Sie | Das LG hatte sich zur Begründung seiner Wertfestsetzung u. a. auf einen älteren Beschluss des BGH bezogen (31.3.10, XII ZB 130/09), bei dem es darum ging, den Grundstückszutritt durch einen anderen Miteigentümer zu dulden. Um eine Pflicht, Reparaturarbeiten zu dulden, ging es in diesem Fall nicht. Eine weitere in Bezug genommene Entscheidung betraf die Zutrittsgewährung zur Schaffung von Baufreiheit (LG Berlin WuM 17, 723).
Der BGH sieht im Streitfall den Schwerpunkt der titulierten Verpflichtung der Klägerin nicht darin, Zutritt zu gewähren, sondern in der Duldung von Arbeiten, mit denen das Vorliegen eines Rohrbruchs an den im WC-Raum der Wohnung verlaufenden Regenfall- oder Abwasserleitungen geprüft und eine ggf. erforderliche Reparatur vorgenommen werden sollen. Die Pflicht, Zutritt zu gewähren, bestehe nur zu diesem Zweck. Dementsprechend seien bei der Wertbestimmung (vor allem) die Beeinträchtigungen zu berücksichtigen, die mit der Vornahme dieser Arbeiten für die Klägerin verbunden sein können.
Nach dem Tenor des rechtskräftigen Urteils sollte das Vorliegen eines Rohrbruchs an den Regenfall- und Abwasserleitungen durch Handwerker geprüft werden. Ob und in welchem Umfang hierfür ‒ die von der Mieterin befürchteten ‒ Eingriffe in die Bausubstanz mit den daraus folgenden Beeinträchtigungen durch Baulärm und Schmutz erforderlich sein würden, stand im Zeitpunkt des Urteils im Vorprozess zwar nicht abschließend fest. Der Sachverständige hatte jedoch eine Rohrleckage im Bereich der Wohnung der Klägerin als (einzige) Ursache für die Durchfeuchtung in der unteren Wohnung angesehen. Damit spreche ‒ so der BGH ‒ zumindest eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass über die ‒ im Vollstreckungstitel nicht näher bestimmten ‒ Prüfarbeiten hinaus auch Reparaturmaßnahmen durchgeführt werden müssen. Deshalb könne dieser Sachverhalt nicht mit Fällen verglichen werden, in denen ein Mieter nur eine (einmalige) Besichtigung etwa zur Wertermittlung zu dulden hatte.
Anders als die Mieterin sieht der BGH aber auch keine Vergleichbarkeit der Konstellation mit den in der Rechtsprechung entschiedenen Fällen eines ständigen und jederzeitigen Zutrittsrechts (BGH 12.7.07, V ZB 36/07, NZM 07, 660), denn im Streitfall erledige sich die ausgeurteilte Verpflichtung, wenn der mit ihr verfolgte ‒ auf Überprüfung und ggf. Reparatur der Leitungen ausgerichtete ‒ Zweck erreicht ist. Zu beachten sei aber, dass in dem für die Bewertung maßgeblichen Zeitpunkt ungewiss war, wann und auf welche Art und Weise dieser Zweck erreicht sein würde. Es sei weder die Gesamtdauer der in der Wohnung durchzuführenden Arbeiten noch die Anzahl der Personen absehbar gewesen, die während dieser Zeit Zutritt erhalten würden.
Die Klägerin hatte nach dem Tenor des Urteils den Zutritt von jedenfalls vier Personen ‒ den beiden Beklagten und „mindestens zwei“ Handwerkern ‒ und die Vornahme von Bauarbeiten an jedem Werktag in der Zeit von 8 bis 17 Uhr zu dulden. Die Höchstzahl an Personen und die Geltungsdauer der titulierten Verpflichtung seien im Titel hingegen nicht festgelegt. Da bereits die mit der Vollstreckung der titulierten Verpflichtung verbundenen Auswirkungen für die Klägerin nicht als nur geringfügig beurteilt und mit einem Wert unterhalb der Schwelle des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bemessen werden könnten, käme es ‒ so der BGH ‒ auf die von der Klägerin zudem geltend gemachten möglichen Gesundheitsgefährdungen durch den mit den Arbeiten einhergehenden Aufenthalt anderer Personen in ihrer Wohnung wegen der COVID-19-Pandemie nicht an.
Relevanz für die Praxis
Der BGH legt sich bei der Wertbemessung leider nicht fest. Er musste es auch nicht. Er hatte „nur“ über die Rechtsbeschwerde gegen die Verwerfung der Berufung als unzulässig zu entscheiden. Es kam daher nur auf die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO an. Da sich der Gebührenstreitwert hier über § 48 Abs. 1 GKG nach den für den Rechtsmittelstreitwert geltenden Regeln bemisst, wäre ein konkreter Wert für die Praxis interessant, weil die Entscheidungen der Vorinstanzen auch hier einen Dissens vermuten lassen.
Für den Rechtsmittelstreitwert beantwortet der BGH die Frage der Bemessung der Beschwer des Mieters jedoch abschließend für Fälle, in denen dieser nicht nur zur Gewährung des Zutritts, sondern in der Folge auch zur ‒ absehbar erforderlichen ‒ Duldung von Reparaturarbeiten in seiner Wohnung verurteilt wird. Für die Verurteilung zur reinen Gewährung von Zutritt für einen bestimmten tenorierten Zeitraum wird man davon ausgehen können, dass die Beschwer des Mieters die 600 EUR-Grenze eher nicht überschreitet. Für den Vermieter gelten nach §§ 2, 3 ZPO andere Maßstäbe, weil sein Interesse ein anderes ist.