· Fachbeitrag · Tod des Mieters
Wann haftet der Erbe mit seinem eigenen Vermögen?
von RiOLG a.D. Günther Geldmacher, Düsseldorf
| Stirbt der alleinlebende Mieter, endet das Mietverhältnis nicht automatisch, sondern wird mit dem Erben fortgesetzt. Er haftet für die aus dem Mietverhältnis herrührenden Verbindlichkeiten. Gilt das auch für sog. Erblasser- oder Nachlasserbenschulden? Kann der Erbe seine Haftung beschränken? Was ist, wenn der Erbe versäumt, das Mietverhältnis innerhalb der Monatsfrist des § 564 S. 2 BGB zu kündigen? All diese Fragen klärt der BGH nun in einer Entscheidung, die Pflichtlektüre für jeden Praktiker ist. |
Sachverhalt
Der kinderlose Bruder des Beklagten war Mieter einer Wohnung des Klägers. Er verstarb im August 2014. Die weiteren Geschwister des Verstorbenen sowie die Geschwisterkinder schlugen die Erbschaft aus. Hierüber informierte das Nachlassgericht den Beklagten als „erstberufenen Erben“. Auf seinen Antrag wurde am 12.11.15 die Nachlassverwaltung angeordnet. Der Kläger klagte in einem Vorprozess auf Zahlung der Mieten für 9‒12/2014 sowie auf Räumung und Herausgabe der Wohnung. Er kündigte das Mietverhältnis während des laufenden Verfahrens am 30.4.15. Das AG gab seiner Klage mit Urteil vom 4.8.15 statt. Die Zwangsräumung der Wohnung erfolgte Ende 1/2016. Die Berufung des Beklagten war teilweise erfolgreich und führte zur Abweisung der Zahlungsklage.
Nun machte der Kläger eine Betriebskostennachforderung (1.913,66 EUR) für die Zeit vom 21.3.15 bis 31.12.15 geltend. Die entsprechende Abrechnung ist dem Beklagten in 11/2016 zugegangen.
Die Klage hatte in den Instanzen Erfolg. Das LG hat dem Beklagten vorbehalten, die Beschränkung seiner Haftung auf den Nachlass geltend zu machen. Auf die Revision des Beklagten hebt der BGH das Berufungsurteil auf und verweist die Sache an das Berufungsgericht zurück.
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(Abruf-Nr. 211701) |
Entscheidungsgründe/Relevanz für die Praxis
Der BGH musste zunächst prüfen, ob der Beklagte für die geltend gemachte Forderung als Alleinerbe passivlegitimiert war.
Vermieter muss Erbenstellung darlegen und beweisen
Darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass der in Anspruch genommene Bruder seines verstorbenen Mieters dessen (Allein-)Erbe ist, ist der klagende Vermieter. Dieser hat substanziiert vorgetragen, dass der Beklagte mangels Erben erster Ordnung (§ 1924 Abs. 1 BGB) sowie infolge der Ausschlagung durch andere Erben zweiter Ordnung (§ 1925 Abs. 3 BGB) gesetzlicher Alleinerbe geworden ist. Dieser Vortrag ist gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig anzusehen, da ihm der Beklagte nicht substanziiert entgegengetreten ist, sondern nur pauschal auf eine ungeklärte Erbfolge abgestellt hat.
Beachten Sie | In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichtigen Klägers gemäß § 138 Abs. 2 ZPO das einfache Bestreiten des Beklagten. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag darüber hinaus substanziieren muss, richtet sich dabei nach dem Vortrag der darlegungsbelasteten Partei. Das heißt: Je detaillierter dieser ist, desto höher ist die Erklärungslast gemäß § 138 Abs. 2 ZPO.
Haftung des Erben für die Nachlassverbindlichkeiten
Sofern ‒ wie hier ‒ nicht eine der in § 563 BGB genannten Personen in das Mietverhältnis eintritt oder der Mietvertrag nach § 563a BGB mit weiteren überlebenden Mietern fortgesetzt wird, setzt sich das Mietverhältnis gemäß §§ 1922 Abs. 1, 564 BGB mit dem Erben fort. Als Erbe haftet der Beklagte gemäß § 1967 Abs. 1 BGB für die Nachlassverbindlichkeiten.
Zu den Nachlassverbindlichkeiten gehören gemäß § 1967 Abs. 2 BGB
- die „vom Erblasser herrührenden Schulden“, also im Zeitpunkt des Erbfalls in der Person des Erblassers bereits begründete Verpflichtungen. Hierzu zählen die streitgegenständlichen Betriebskosten als erst nach dem Tod des Mieters fällig werdende Mietforderungen des Vermieters.
- „die den Erben als solchen treffenden Verbindlichkeiten“, also Schulden, die erst nach und aus Anlass des Erbfalls entstehen.
Beachten Sie | Nach § 1967 Abs. 1 BGB haftet der Erbe für die Nachlassverbindlichkeiten grundsätzlich unbeschränkt. Das heißt: Der Zugriffsmöglichkeit der Gläubiger unterliegt dabei (zunächst) sowohl der Nachlass als auch das Eigenvermögen des Erben.
Haftungsbeschränkung durch Anordnung der Nachlassverwaltung
Eine Möglichkeit, die mit dem Erbfall beziehungsweise mit der Annahme der Erbschaft ‒ vorliegend durch Ablauf der Ausschlagungsfrist (§ 1943 HS 2 BGB) ‒ eingetretene Vermögensverschmelzung zwischen dem ererbten Vermögen sowie dem Eigenvermögen wieder rückgängig zu machen, mithin beide Vermögensmassen voneinander abzusondern, ist die ‒ vorliegend in 11/2015 angeordnete ‒ Nachlassverwaltung. Diese führt gemäß § 1975 BGB dazu, dass der Erbe für Erblasserschulden nicht mehr mit seinem eigenen Vermögen haftet, sondern sich die Haftung auf den Nachlass beschränkt.
Beachten Sie | Mit der Anordnung der Nachlassverwaltung verliert der Erbe seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 1984 Abs. 1 S. 1 BGB). An seine Stelle tritt der Nachlassverwalter. Nur dieser ist für Ansprüche passivlegitimiert, die sich gegen den Nachlass richten (§ 1984 Abs. 1 S. 3 BGB).
Keine Haftungsbeschränkung für Nachlasserbenschulden
Der BGH bestätigt, dass sich die Haftungsbeschränkung nicht auf Forderungen erstreckt, für welche der Erbe nicht nur als solcher, sondern ‒ wie bei Nachlasserbenschulden ‒ (auch) persönlich haftet. Der Erbe kann also trotz angeordneter Nachlassverwaltung in Anspruch genommen werden.
Als Nachlasserbenschulden werden im Allgemeinen Verbindlichkeiten bezeichnet, die durch Rechtsgeschäfte des Erben bei der Verwaltung des Nachlasses entstehen und die deshalb sowohl Eigenverbindlichkeiten des Erben als auch ‒ soweit sie auf ordnungsgemäßer Verwaltung des Nachlasses beruhen ‒ Nachlassverbindlichkeiten sind (BGHZ 110, 176; BGH NJW 13, 933). Eine die Erbenhaftung begründende Verwaltungsmaßnahme kann rechtsgeschäftlicher oder tatsächlicher Natur sein. Maßgebend ist stets, ob ein eigenes Verhalten des Erben Haftungsgrundlage ist.
Beachten Sie | Liegt eine nicht ordnungsgemäße Verwaltung des Nachlasses vor oder steht das Verhalten des Erben damit in keinem Zusammenhang, haftet er ausschließlich mit dem eigenen Vermögen ‒ sogenannte (reine) Eigenschulden.
Persönliche Haftung des Erben durch Nichtkündigung des Mietvertrags
Nach § 564 S. 2 BGB sind sowohl der Vermieter als auch der Erbe, mit dem das Mietverhältnis fortgesetzt wird, berechtigt, dieses innerhalb eines Monats außerordentlich mit der gesetzlichen Frist (§ 573d BGB) zu kündigen, nachdem sie vom Tod des Mieters und davon Kenntnis erlangt haben, dass weder ein Fall des § 563 Abs. 1, 2 BGB noch ein solcher nach § 563a Abs. 1 BGB vorliegt.
Der BGH hat bereits entschieden, dass im Fall der Ausübung dieses Kündigungsrechts auch die nach dem Erbfall und bis zur Beendigung des Mietverhältnisses fällig gewordenen Forderungen reine Nachlassverbindlichkeiten bleiben (NJW 13, 933; NJW 14, 389).
Höchstrichterlich noch nicht entschieden war der umgekehrte Fall, dass der Erbe von seinem Sonderkündigungsrecht keinen Gebrauch macht. Insoweit hat das Berufungsgericht ‒ literaturgestützt ‒ angenommen, das Unterlassen der Kündigung nach § 564 S. 2 BGB stelle eine Verwaltungsmaßnahme dar, die zu einer Eigenhaftung des Beklagten führe. Der BGH teilt diese Auslegung nicht und entscheidet die Streitfrage in Anwendung der klassischen Auslegungstopoi (Urteil Tz. 34 bis 38) wie aus Leitsatz 2 ersichtlich.
MERKE | Allein die Nichtausübung seines Sonderkündigungsrechts nach § 564 S. 2 BGB begründet nicht die persönliche Haftung des Erben. |
PRAXISTIPP | Unterlässt der Erbe die Kündigung, obwohl er die Wohnung weder nutzt noch nutzen will, entstehen laufend unnötige weitere Mietkosten, die den Nachlass des Erben verringern. Wird die Haftungsmasse dadurch geschmälert und reicht sie zur Befriedigung der Nachlassverbindlichkeiten nicht mehr aus, kommt gegebenenfalls eine Haftung des Erben mit seinem Eigenvermögen gegenüber den übrigen Nachlassgläubigern in Betracht (§ 1978 Abs. 1 BGB). |
Folgen der Nachlassverwaltung für den Vermieter
Zwar führt dies dazu, dass sich der Vermieter bezüglich der nach Ablauf der Kündigungsfrist fällig werdenden Verbindlichkeiten ‒ sofern eine sonstige Verwaltungsmaßnahme des Erben nicht vorliegt ‒ nur aus dem Nachlass befriedigen kann. Dies ist jedoch nach zutreffender Ansicht des BGH Folge der gesetzlich vorgesehenen Haftungsbeschränkungsmöglichkeit. Den Interessen des Vermieters als Nachlassgläubiger wird dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass der Erbe nicht mehr über den Nachlass verfügen (§ 1984 Abs. 1 S. 1 BGB) und diesen damit nicht mehr schmälern kann. Somit steht dem Vermieter zur Befriedigung seiner Forderung mit dem Nachlass die Vermögensmasse des von ihm gewählten Vertragspartners ‒ des Erblassers ‒ zur Verfügung.
Kann sich der Vermieter vor weiteren Verlusten schützen?
Der BGH gibt praktische Hinweise, wie der Vermieter verhindern kann, dass weitere Forderungen auflaufen:
- Der Vermieter kann das Mietverhältnis nach § 564 S. 2 BGB und fristlos nach § 543 Abs. 1 BGB kündigen, etwa wenn der Erbe auf die erste ausgebliebene Mietzahlung erklärt, der Nachlass sei wertlos, und die Dürftigkeitseinrede erhebt.
- Beachten Sie | Der Vermieter muss ‒ ebenso wie bei einer angekündigten Zahlungsverweigerung durch den Insolvenzverwalter ‒ nicht die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB, mithin weitere Nichtzahlungen, abwarten (NJW 05, 2552).
- Zudem kann der Vermieter den Erben auffordern, ein Inventarverzeichnis über den Nachlass anzufertigen. Versäumt der Erbe die ihm hierzu gesetzte Frist (§ 1994 Abs. 1 S. 2 BGB) oder ist ihm Inventaruntreue (§ 2005 Abs. 1 S. 1 BGB) vorzuwerfen, haftet er ohne Verschulden allen Nachlassgläubigern gegenüber unbeschränkt persönlich. Verweigert der Erbe nach erstelltem Verzeichnis die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, haftet er dem Gläubiger gegenüber unbeschränkt, der den Antrag auf eidesstattliche Versicherung gestellt hat (§ 2006 Abs. 3 S. 1 BGB).
Eigenhaftung des Erben durch Nichterfüllung des fälligen Herausgabeanspruchs
Leitsatz 2 der Entscheidung stellt klar, dass eine Eigenhaftung des Beklagten insoweit in Betracht kommt, als er im Zeitraum vor der Anordnung der Nachlassverwaltung einen fälligen Anspruch des Klägers auf Herausgabe der Mietsache nach der Beendigung des Mietvertrages nicht erfüllt hat. Grund: Das Unterlassen hat Handlungsqualität, wenn für den Erben eine Rechtspflicht zum Handeln bestand und er hiergegen verstößt. Eine solche Pflicht bestand vorliegend in Form der Pflicht zur Rückgabe der Mietsache gemäß §§ 546 Abs. 1, 985, 857 BGB nach wirksamer Beendigung des Mietverhältnisses durch die Kündigung des Klägers vom 30.4.15.
Damit ist der genaue Zeitpunkt der Rückgabepflicht entscheidungserheblich. Zwar wird der Betriebskostennachzahlungsanspruch erst mit Zugang einer formell ordnungsgemäßen Abrechnung ‒ hier in 11/2016 ‒ fällig, sodass die Fälligkeit des Betriebskostensaldos, unabhängig von dem genauen Zeitpunkt, nach der Fälligkeit der Herausgabepflicht liegt. Jedoch kommt es zur Beurteilung der Frage, ob der Beklagte persönlich haftet, auf die Fälligkeit der einzelnen, in die Abrechnung eingeflossenen Betriebskostenvorauszahlungen an. Grund: Diese bleiben ‒ auch wenn sie als Saldo einer Betriebskostenjahresabrechnung verlangt werden ‒ in der Sache wiederkehrende Leistungen (BGH MK 16, 207, Abruf-Nr. 188503). Das heißt: Der Charakter dieser vorliegend monatlich zu zahlenden Schuld als Erblasserschuld einerseits beziehungsweise Nachlasserbenschuld oder Eigenverbindlichkeit andererseits kann durch den späteren Fälligkeitszeitpunkt eines Anspruchs aus der Betriebskostenabrechnung nicht mehr geändert werden. Folge: Die vor der noch aufzuklärenden Fälligkeit der Rückgabepflicht aus §§ 546 Abs. 1, 985 BGB zu zahlenden Betriebskosten stellen Erblasserschulden dar, für welche der Beklagte infolge der Nachlassverwaltung nicht (mehr) in Anspruch genommen werden kann.
Prozessuales: Wann darf der Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung in den Urteilstenor aufgenommen werden?
Nach § 1967 Abs. 1 BGB haftet der Erbe für die Nachlassverbindlichkeiten grundsätzlich unbeschränkt, d. h. nicht nur mit dem Nachlass, sondern auch mit seinem eigenen Vermögen. Er kann seine Haftung aber auf den Nachlass beschränken (§§ 1975 ff. BGB). Nach § 780 Abs. 1 ZPO kann er die Beschränkung seiner Haftung nur dann im Vollstreckungsverfahren geltend machen, wenn sie ihm im Urteil vorbehalten ist. Voraussetzung für einen Vorbehalt ist, dass der Erbe als Prozesspartei wegen einer (reinen) Nachlassverbindlichkeit (§ 1967 BGB) in Anspruch genommen wird. Haftet der Erbe auch persönlich, ist für einen Vorbehalt kein Raum. Das wird das Berufungsgericht bei seiner neuen Entscheidung zu beachten haben.