· Fachbeitrag · Wohnungsgenossenschaft
Insolvenzrechtliches Kündigungsverbot: Keine analoge Anwendung in Altfällen
Die gesetzliche Neuregelung in § 67c GenG rechtfertigt es nicht, auf eine vor ihrem Inkrafttreten vom Insolvenzverwalter ausgesprochene Kündigung der Mitgliedschaft des Schuldners in einer Wohnungsgenossenschaft entgegen der bisherigen Rechtsprechung das insolvenzrechtliche Kündigungsverbot für gemieteten Wohnraum entsprechend anzuwenden (BGH 18.9.14, IX ZR 276/13, Abruf-Nr. 143133). |
Sachverhalt
Die Klägerin T ist Treuhänderin in dem am 10.5.11 eröffneten Verbraucherinsolvenzverfahren des Schuldners S. Dieser ist Mitglied der beklagten Wohnungsgenossenschaft W und nutzt aufgrund eines gesonderten Nutzungsvertrags eine ihrer Wohnungen. Er hält Anteile der W von 940 EUR. Diese mussten nach der Satzung der W übernommen werden, um den Nutzungsvertrag abschließen zu können. Eine von T mit S nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinbarte Auslösung der Geschäftsanteile scheiterte. Hierauf kündigte T am 14.6.12 die Mitgliedschaft des S bei der W und forderte diese zur Auszahlung der Genossenschaftsanteile auf. Die W widersprach der Kündigung. Die auf Zahlung von 940 EUR nebst Zinsen gerichtete Klage hat erst in der Revision Erfolg.
Entscheidungsgründe
Der IX. Senat des BGH hat in BGHZ 180, 185 eine analoge Anwendung des § 109 Abs. 1 S. 2 InsO auf die Kündigung der Mitgliedschaft des Schuldners in einer Wohnungsgenossenschaft (WG) abgelehnt und damit die bis dahin bestehende Streitfrage entschieden. In den Entscheidungen NZM 10, 359 und WuM 11, 134 hat er daran festgehalten. Der am 15.7.13 neu eingefügte § 67c GenG, wonach die Kündigung der Mitgliedschaft in einer WG durch den Gläubiger oder den Insolvenzverwalter unter bestimmten Voraussetzungen ausgeschlossen ist, rechtfertigt es nicht, die bisherige Rechtsprechung zur analogen Anwendung des § 109 Abs. 1 S. 2 InsO aufzugeben. Der BGH entnimmt der Begründung des Regierungsentwurfs zum neuen § 67c GenG (BT-Drucksache 17/11268, S. 18), dass aus der Neuregelung nicht geschlossen werden kann, der Gesetzgeber habe schon bei Einfügung des § 109 Abs. 1 S. 2 in die InsO zum 1.12.01 den Fall der Kündigung der Mitgliedschaft des Schuldners in einer WG in diese Regelung einbezogen.
Praxishinweis
Bis zur Einführung des § 67c GenG bestand zwischen der Situation, in der sich ein Mitglied einer WG in einer Zahlungskrise befand, und der entsprechenden Lage eines normalen Wohnungsmieters ein entscheidender Unterschied. Gegenüber beiden konnten Gläubiger vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Pfändung und Überweisung des künftigen Anspruchs auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens bzw. der Mietkaution nach §§ 829, 835 ZPO erwirken. Während dem Gläubiger - gleiches galt über § 80 InsO auch für den Insolvenzverwalter - aber die Befugnis offen stand, nach § 66 GenG unter den dort genannten Voraussetzungen das Kündigungsrecht des Mitglieds an dessen Stelle auszuüben und so die Voraussetzung für eine Auszahlung des gepfändeten Anspruchs herbeizuführen, besteht für den Gläubiger eines Mieters keine vergleichbare Möglichkeit. Zugriff auf die Mietkaution hat er erst, wenn das Mietverhältnis ohne sein Zutun endet. § 109 Abs. 1 S. 2 InsO gewährleistet diesen Mieterschutz auch im Insolvenzverfahren, indem er eine Kündigung durch den Insolvenzverwalter ausschließt. Gewährte man dem Mitglied einer WG einen entsprechenden Schutz, führte dies zu einer Gleichstellung mit dem Mieter, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht bestand. Hinzu kam, dass WGen ihren Mitgliedern das Recht einräumen können, mehr Geschäftsanteile zu erwerben als nötig ist, um eine genossenschaftliche Wohnung nutzen zu dürfen (§ 7a GenG). Wäre eine Kündigung der Mitgliedschaft durch den Insolvenzverwalter in einem solchen Fall in analoger Anwendung des § 109 Abs. 1 S. 2 InsO ausgeschlossen, wären den Gläubigern auch Vermögenswerte des Schuldners entzogen, die für den Erhalt seiner Wohnung nicht erforderlich sind. Dies wäre vom Schutzzweck dieser Norm nicht mehr gedeckt. Mit dieser Begründung hat der BGH (BGHZ 180, 185) entschieden, dass das insolvenzrechtliche Kündigungsverbot für gemieteten Wohnraum auf diesen Fall nicht analog anwendbar ist.
Da die Mitgliedschaft Voraussetzung für die Überlassung einer Genossenschaftswohnung ist, drohte dem Schuldner beim Vorgehen des Insolvenzverwalters nach § 66 GenG die Kündigung des - allgemein als mietvertraglich eingestuften - Nutzungsverhältnisses durch die WG und damit der Wohnungsverlust. Der Austritt aus der Genossenschaft gibt den Weg zur ordentlichen Kündigung nach mietrechtlichen Bestimmungen grundsätzlich frei.
Der Gesetzgeber hat dies erkannt und auf diese für den Wohnungsgenossen unbefriedigende Rechtslage mit der Einführung des § 67c GenG reagiert. Danach ist die Kündigung der Mitgliedschaft in einer WG durch den Gläubiger (§ 66 GenG) oder den Insolvenzverwalter (§ 66a GenG) ausgeschlossen, wenn der Wert des Geschäftsguthabens eine Obergrenze von vier Nettokaltentgelten oder den absoluten Betrag von 2.000 EUR nicht übersteigt. Der BGH stellt klar, dass die Schaffung des § 67c GenG es nicht rechtfertigt, auf eine vor Inkrafttreten der Norm vom Insolvenzverwalter nach § 66 GenG ausgesprochene Kündigung der Mitgliedschaft des Schuldners entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung das insolvenzrechtliche Kündigungsverbot für gemieteten Wohnraum analog anzuwenden.
Das bedeutet für die Lösung des Streitfalls: Die T hat die Mitgliedschaft des S bei der W wirksam zum Ende des laufenden Geschäftsjahrs gekündigt (§ 80 Abs. 1 InsO, § 65 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1, § 66 analog GenG). Ist nichts Abweichendes bestimmt, entspricht das Geschäftsjahr dem Kalenderjahr (vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 3 GenG). Das heißt: Die Mitgliedschaft des S endete am 31.12.12. Folge: Die W trifft gemäß § 73 Abs. 2 GenG die Pflicht, an die T als Treuhänderin über das Vermögen des S dessen unstreitiges Auseinandersetzungsguthaben (940 EUR) auszuzahlen. Für die Fälligkeit gilt § 73 Abs. 2 S. 2 GenG.
Weiterführender Hinweis
- Zur Enthaftungserklärung des Treuhänders nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO vgl. BGH MK 14, 137, Abruf-Nr. 141435 und BGH MK 14, 168, Abruf-Nr. 142712.