13.07.2006 · IWW-Abrufnummer 156463
Landesarbeitsgericht Hamm: Beschluss vom 06.10.2005 – 2 Ta 899/04
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 d ArbGG eröffnet, wenn der Arbeitnehmer einer juristischen Person deren Geschäftsführer aus unerlaubter Handlung wegen unterbliebener Abführung der Arbeitgeberbeiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Anspruch nimmt.
Tenor: Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hagen vom 11.11.2004 - 2 (3) Ca 1990/04 - abgeändert. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen wird für zulässig erklärt. Der Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 322,93 EUR festgesetzt. Gründe: I. Die Parteien streiten im Beschwerderechtszug über de Zulässigkeit des Rechtsweges. Der Kläger nimmt den Beklagten auf Haftung wegen nicht abgeführter Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge in Anspruch. Der Kläger war bei der Firma W2xxxxxxx B4xxxxxxxxx GmbH, über deren Vermögen im Februar 2004 das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, als Arbeitnehmer tätig. Der Beklagte war Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin. Der Arbeitsverdienst des Klägers überstieg die Pflichtversicherungsgrenze. Er war bei der BKK Hoesch freiwillig pflege- und krankenversichert. Die Beiträge für die Kranken- und die Pflegeversicherung wurden monatlich vom Gehalt des Klägers abgezogen und direkt an die Krankenkasse überwiesen. Die Abführung unterblieb im Zeitraum 01.09.2003 bis 29.02.2004. Der Insolvenzverwalter zahlte darauf an den Kläger einen Teilbetrag i.H.v. 943,36 EUR netto. Wegen der offenen Forderung der BKK H3xxxx gegen ihn i.H.v. 1.076,44 EUR nimmt der Kläger den Beklagten als vertretungsberechtigtes O2xxx der Insolvenzschuldnerin aus unerlaubter Handlung gem. § 266 a StGB in Anspruch. Der Beklagte hat die Unzuständigkeit des Arbeitsgerichts gerügt, weil er den Standpunkt vertritt, es handele sich nicht um einen arbeitsrechtlichen Anspruch. Das Arbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichtsgerichten durch Beschluss vom 11.11.2004 für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Hattingen verwiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, zwischen den Parteien bestünden keine arbeitsrechtlichen Beziehungen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten sei auch nicht aufgrund einer analogen Anwendung des § 2 Abs. 1 Nr. 3 d ArbGG eröffnet. Die persönliche Haftung des Geschäftsführers einer GmbH für nicht abgeführte Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung sei zivilrechtlicher Natur. Deswegen sei gem. § 13 GVG der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des Beschlusses Bezug genommen. Gegen den ihm am 30.11.2004 zugestellten Beschluss hat der Kl äger sofortige Beschwerde eingelegt, die am 08.12.2004 beim Arbeitsgericht eingegangen ist und der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat. Zur Begründung seines Rechtsmittels trägt der Kläger vor, die Arbeitsgerichte seien zuständig, weil es um eine mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehende unerlaubte Handlung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 d ArbGG gehe. Im Falle der Durchgriffshaftung sei der Organvertreter wie ein Arbeitgeber zu behandeln, der ihm gegenüber eine unerlaubte Handlung begangen habe. Der Kläger beantragt, den Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts Hagen vom 24.11.2004 aufzuheben. Der Beklagte beantragt, die sofortige Beschwerde des Klägers zurückzuweisen. Der Beklagte verteidigt den angefochtenen Beschluss und tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen. Er betont, dass sich der Kläger eines zivilrechtlichen gegen ihn als Privatperson gerichteten Schadensersatzanspruches berühme. Es könne nicht sein, dass für eine Schadensersatzklage gegen ihn als Geschäftsführer der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet sei, obgleich eine Klage gegen den abführungspflichtigen Arbeitgeber selbst nicht vor den Arbeitsgerichten erhoben werden könnte. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze ergänzend Bezug genommen. II. Die gem. den §§ 48 Abs. 1, 78 Satz 1 ArbGG, 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG an sich statthafte und im Übrigen gem. den §§ 569, 571, 572 ZPO zulässige Beschwerde des Klägers hat Erfolg. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts sind die Gerichte für Arbeitssachen gem. §§ 2 Abs. 1 Nr. 3 d, 3 ArbGG berufen, den vorliegenden Rechtsstreit zu entscheiden. 1. Es handelt sich um einen Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 d ArbGG, die mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang steht. Der Beklagte führt den Rechtsstreit zumindest als Rechtsnachfolger der ursprünglichen Arbeitgeberin im Sinne von § 3 ArbGG. Es kann offen bleiben, ob Arbeitgeber im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG auch die als Organ der juristischen Person handelnde natürliche Person ist (so Erfurter Kommentar - Koch 5. Aufl. § 2 ArbGG Rdnr. 16 a sowie § 3 Rdnr. 2) oder ob sich die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte daraus ergibt, dass der Organvertreter dem Arbeitgeber gem. § 3 ArbGG prozessual gleich zustellen ist (BAG vom 13.06.1997 - 9 AZB 38/96 NZA 1997, 1128 sowie BAG vom 11.11.1986 - 3 AZR 186/85 AP Nr. 2 zu § 3 ArbGG 1979). Es ist jedenfalls anerkannt, dass der Geschäftsführer einer GmbH vom Arbeitnehmer wegen deliktischer Ansprüche vor dem Arbeitsgericht verklagt werden kann (BAG vom 24.06.1996 - 5 AZB 35/95 NZA 1997, 115; LAG Hamm vom 19.06.1997 - BB 1997, 2656; GK/ArbGG - Wenzel § 2 Rdnr. 74, 75). 2. Der Zuständigkeit der Arbeitsgerichte steht nicht entgegen, dass für Klagen auf Zahlung des Arbeitgeberzuschusses zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung nicht die Gerichte für Arbeitssachen, sondern die Sozialgerichte zuständig sind (vgl. dazu BAG vom 01.06.1999 - 5 AZB 34/98 - NZA 1999, 1174 sowie Beschluss des gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 04.06.1974 - NJW 1974, 2087). Allerdings wurzelt der Anspruch auf Beitragszuschuss im Sozialversicherungsrecht. Bei freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Beschäftigten ist der Arbeitgeber gem. § 257 SGB V verpflichtet die Hälfte des Beitrages zu zahlen, der für einen versicherungspflichtigen Beschäftigten bei gesetzlicher Mitgliedschaft bestünde. Für die Pflegeversicherung folgte dies aus § 61 SGB XI. Die Rechtswegzuständigkeit der Sozialgerichte gilt aber nur für Ansprüche, die sich auf § 257 SGB V bzw. § 61 SGB XI stützen (Peters, Handbuch der Krankenversicherung SGB V 19. Auflage, § 257 Rdnr. 50). Vorliegend geht es aber um einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers wegen unterbliebener Abführung der einbehaltenen Beitragszuschüsse. Ob und in welcher Höhe die Insolvenzschuldnerin Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung zu leisten hat, ist nicht zu klären. Der Anspruch des Klägers wird vielmehr gestützt auf eine Verletzung des sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Rechts- und Pflichtenkreises. Der Kläger macht den Beklagten dafür verantwortlich, dass die bei der Gehaltsabrechnung einbehaltenen Beträge für die Kranken- und Pflegeversicherung nicht wie ausgewiesen abgeführt worden sind. Damit macht der Kläger einen eigenen aus dem Arbeitsverhältnis resultierenden Schadensersatzanspruch geltend, der sich im Wege der Durchgriffshaftung gegen den Beklagten als Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin richtet (vgl. dazu BAG vom 20.03.2002 - 5 AZB 25/01 NZA 2002, 695). Der Rechtsstreit beschränkt sich nicht auf gesellschaftsrechtliche Fragen des Durchgriffs, sondern hat die durch das Arbeitsverhältnis begründeten Rechtsbeziehungen zum Gegenstand. 3. Handelt es sich um einen arbeitsrechtlichen Anspruch im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 d ArbGG, ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht gegeben. Die vom Arbeitsgericht herangezogenen Entscheidungen betrafen Schadensersatzklagen der Sozialversicherungsträger gegen den Arbeitgeber bzw. dessen Bevollmächtigten (BGH vom 07.11.1961 - VI ZR 5/61 VersR 1962, 24; LAG Nürnberg-Fürth vom 25.06.1987 - 6 O 1233/87 NJW 1988, 1856). Zwischen den Sozialversicherungsträgern und dem Arbeitgeber bestehen unmittelbar keine arbeitsrechtlichen Beziehungen. III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Der Wert des Beschwerdegegenstandes richtet sich nach dem Wert der Hauptsache. Wegen der eingeschränkten Rechtskraft der Entscheidung im Rechtswegbestimmungsverfahren sind davon drei Zehntel in Ansatz gebracht worden. IV. Da der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt, hat das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde gem. §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG zugelassen.