05.04.2011 · IWW-Abrufnummer 110144
Landesarbeitsgericht Niedersachsen: Urteil vom 14.09.2010 – 13 Sa 462/10
Eine Vertragsklausel, die nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses und Freistellung von der Arbeitsleistung den sofortigen entschädigungslosen Entzug der Privatnutzung des Dienstwagens vorsieht, ist unwirksam. Zu verlangen ist die Vereinbarung einer Ankündigungsfrist, die mindestens vier Wochen betragen sollte.
13 SA 462/10
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 16.02.2010, 1 Ca 474/09, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 206,80 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2009 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens waren Ansprüche der Klägerin auf Urlaubsabgeltung für 1 Urlaubstag (106,13 €), auf Berichtigung eines erteilten Zeugnisses und auf Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 206,80 € für den Entzug der Privatnutzung des überlassenen Dienstwagens während der Kündigungsfrist. Nachdem das Arbeitsgericht den Anspruch auf Urlaubsabgeltung rechtskräftig abgewiesen hat und der Antrag auf Zeugnisberichtigung durch Teil-Vergleich im Berufungsverfahren erledigt ist, ist Gegenstand des vorliegenden Urteils allein der Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung für die entzogene Privatnutzung.
Die Beklagte betreibt Arbeitnehmerüberlassung, die Klägerin war aufgrund des Anstellungsvertrages vom 19.12.2007 (Bl. 17 ff. d.A.) vom 07.01.2008 bis zum 30.06.2009 als Personal- und Vertriebsdisponentin beschäftigt, Bruttomonatsentgelt 2.300,-- €. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund ordentlicher Kündigung der Klägerin zum 30.06.2009. Nach Ausspruch der Kündigung stellte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 02.06.2009 von der Arbeit frei und forderte Herausgabe des Firmen-PKW. Rückgabe des Dienstwagens erfolgte am 09.06.2009.
Im Arbeitsvertrag ist in § 2 Nr. 3. geregelt, dass die Beklagte im Falle einer Kündigung zur Freistellung berechtigt ist. Der von den Parteien abgeschlossene Dienstwagenvertrag vom 01.02.2008 (Bl. 31 ff. d.A.) enthält in § 7 folgenden Widerrufsvorbehalt:
Der Arbeitgeber behält sich vor, die Überlassung des Dienstwagens zu widerrufen, wenn und solange der PKW für dienstliche Zwecke seitens des Arbeitnehmers nicht benötigt wird. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses von der Arbeitsleistung freigestellt wird. Im Falle der Ausübung des Widerrufs durch den Arbeitgeber ist der Arbeitnehmer nicht berechtigt, eine Nutzungsentschädigung oder Schadensersatz zu verlangen.
In der Juni-Abrechnung 2009 (Bl. 29 d.A.) hat die Beklagte die Kfz-Nutzung mit 1 % des Listenpreises gleich 277,-- € berücksichtigt.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der vorzeitige Entzug der Privatnutzung des Dienstwagens begründe einen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung, nämlich in Höhe von 206,80 €. Der Widerrufsvorbehalt in § 7 des Dienstwagenvertrages stehe dem Anspruch nicht entgegen. Diese Regelung benachteilige die Klägerin unangemessen und sei deshalb nach §§ 307, 308 BGB unwirksam.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 106,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2009 zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, ihr das am 30.06.2009 erteilte Zeugnis im Rahmen der Tätigkeitsbeschreibung wie folgt zu ergänzen:
"- Steuerung und Entwicklung der Niederlassung
- Steuerung der Aktivitäten und Umsetzung der Unternehmensziele nach erfolgs- und ergebnisorientierten Gesichtspunkten
- Personelle und administrative Leitung der Geschäftsstelle als Profitcenter
- Umsetzung der Unternehmenspolitik in erfolgsversprechende regionale Maßnahmen
- Weiterentwicklung der Geschäftstätigkeit
- Planung und Realisierung der Ziele der Geschäftsstelle
- Akquisitorische Bearbeitung des regionalen Marktes
- Auswahl, Einstellung und Disposition der Zeitarbeitnehmer
- Disziplinarische Verantwortung der externen Mitarbeiter
- Führung/Einarbeitung der internen Mitarbeiter."
3. die Beklagte zu verurteilen, an sie eine Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von kalendertäglich 9,40 € brutto für den Zeitraum vom 09.06. - 30.06.2009, insgesamt somit 206,80 € brutto nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von täglich 9,40 € ab dem 09.06. - 30.06.2009 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, sie habe zu Recht den Widerrufsvorbehalt in § 7 des Dienstwagenvertrages ausgeübt, nachdem die Klägerin entsprechend der arbeitsvertraglichen Vereinbarung nach Ausspruch der Kündigung von der Arbeit freigestellt worden sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zum Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung ausgeführt, der Widerrufsvorbehalt im Dienstwagenvertrag entspreche den Anforderungen nach § § 308 Nr. 4, 307 BGB. Ergänzend wird Bezug genommen auf das arbeitsgerichtliche Urteil.
Mit Berufung wiederholt die Klägerin ihre Rechtsauffassung zur Unwirksamkeit des Widerrufsvorbehalts. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung.
Die Klägerin beantragt,
das arbeitsgerichtliche Urteil vom 16.02.2010 teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,
die Beklagte zu verurteilen, an sie eine Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von kalendertäglich 9,40 € brutto für den Zeitraum vom 09.06. - 30.06.2009, insgesamt somit 206,80 € brutto nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von täglich 9,40 € ab dem 09.06. - 30.06.2009 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt nach Maßgabe der Berufungserwiderung das erstinstanzliche Urteil.
Entscheidungsgründe
1.
Die Berufung der Klägerin ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 64, 66 ArbGG. Nach Teil-Vergleich ist nur noch zu entscheiden über den Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung. Insoweit ist die Berufung begründet. Die Beklagte war entsprechend dem Antrag der Klägerin zur Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung von 206,80 € zu verurteilen, und zwar als Ausgleich für die entgangene Privatnutzung des Firmen-PKW für die Zeit vom 09.06. bis 30.06.2009. Der Anspruch ist der Höhe nach unstreitig.
2.
Nach § 7 des Dienstwagenvertrages war die Beklagte bei Freistellung nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt, das Fahrzeug zurückzuverlangen und entschädigungslos die Privatnutzung zu entziehen. Diese vertragliche Bestimmung ist Teil vorformulierter Vertragsbedingungen, die die Beklagte den Arbeitsverhältnissen zugrunde legt. Es handelt sich um allgemeine Geschäftsbedingungen, die der Kontrolle nach §§ 307, 308 BGB unterliegen. Der Widerrufsvorbehalt ist gemäß § 308 Nr. 4 BGB unwirksam.
Mit Urteil vom 13.04.2010, 9 AZR 113/09, DB 2010, 1943 (auch: BAG vom 19.12.2006, 9 AZR 294/06, AP Nr. 21 zu § 611 BGB Sachbezüge) hat das BAG zu Widerrufsklauseln der vorliegenden Art ausgeführt: Widerrufsklauseln zur Privatnutzung von Dienstwagen seien nach § 308 Nr. 4 BGB zu überprüfen, für die Auslegung sei ergänzend auf die allgemeinen Wertungen des § 307 BGB abzustellen. Nach einer typisierenden, nicht einzelfallbezogenen Betrachtungsweise seien die Interessen beider Vertragsteile zu berücksichtigen. Die Vereinbarung eines Widerrufsrechts nach § 308 Nr. 4 BGB sei nur zumutbar, wenn es für den Widerruf einen sachlichen Grund gebe und dieser sachliche Grund bereits in der Änderungsklausel beschrieben sei. Das Widerrufsrecht müsse wegen der unsicheren Entwicklung der Verhältnisse als Instrument der Anpassung notwendig sein. Bestehe kein sachlicher Grund für den Widerruf der Überlassung des Dienstwagens auch zur privaten Nutzung, überwiege das Interesse des Arbeitnehmers an der Unveränderlichkeit der vereinbarten Leistung gegenüber dem Interesse des Arbeitgebers an der Änderung der versprochenen Hauptleistungspflicht. Schließlich müsse die Widerrufsklausel die sachlichen Gründe für die Ausübung des Widerrufs enthalten und dem Transparenzgebots des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB entsprechen.
3.
Der Widerrufsvorbehalt in § 7 des Dienstwagenvertrages verknüpft sachgerecht dienstliche Verwendung mit Privatnutzung. Im Grundsatz soll Privatnutzung des PKW's widerrufen werden können, wenn das Fahrzeug für dienstliche Zwecke nicht mehr benötigt wird. Die Vertragsregelung ergibt, dass die Privatnutzung nicht als eigenständiger Entgeltbestandteil gewährt werden soll, sondern quasi als Annex zum dienstlichen Gebrauch des PKW. Der Arbeitgeber hat ein schützenswertes Interesse daran, einen Dienstwagen für Privatnutzung nur so lange zur Verfügung zu stellen, wie das Fahrzeug auch für dienstliche Zwecke benötigt wird. Auch für den Arbeitnehmer ist es zumutbar, in einem solchen Fall den Wegfall der Privatnutzung entschädigungslos hinzunehmen. Schließlich handelt es sich um eine vertraglich gewährte Sonderleistung, die nur ca. 11 % der Gesamtvergütung ausmacht.
4.
Eine andere Bewertung ergibt sich aber für den vertraglich geregelten Fall der Freistellung von der Arbeitsleistung nach der Kündigung. Hier wird der Widerruf nicht eingesetzt, um bei Vertragsschluss ungewisse Entwicklungen der Verhältnisse auffangen zu können. Vielmehr ist hier der Widerruf der Privatnutzung auf einen begrenzten Zeitraum beschränkt, nämlich auf die Dauer der Kündigungsfrist. Bei typischer Fallgestaltung erfolgen Kündigung und Freistellung in engem zeitlichen Zusammenhang, die Widerrufsmöglichkeit wird damit eingeräumt in einem Zeitpunkt, wo eine Neueinstellung für den ausscheidenden Mitarbeiter noch nicht erfolgt ist. Die Gefahr, dass bei Belassung der Privatnutzung für eine Neueinstellung ein weiterer Dienstwagen angeschafft werden muss, weil zwingend für dienstliche Nutzung, dürfte sich damit erst zu einem späteren Zeitpunkt etwa bei längeren Kündigungsfristen ergeben. Kündigung und Freistellung lösen typischerweise damit nicht kurzfristig einen Zwang zum Widerruf der privaten Nutzungsmöglichkeit aus.
5.
Für den Arbeitnehmer stellt die Privatnutzung eines Dienstwagens einen Entgeltbestandteil dar, sie ist Teil der vertraglich geschuldeten Leistung des Arbeitgebers. Im Freizeitverhalten, für Fahrten im Rahmen der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle, für Einkaufsfahrten und Fahrten zu Behörden ist PKW-Nutzung allgemein üblich bzw. teilweise sogar notwendig. Der Arbeitnehmer, der einen Dienstwagen privat nutzt und dann typischerweise auf die Anschaffung eines eigenen PKW verzichtet hat, ist in besonderer Weise schutzwürdig. Er ist insbesondere davor zu schützen, dass ihm die Nutzung des Dienstwagens kurzfristig ohne Vorankündigung entzogen wird.
6.
Eine Gesamtbewertung ergibt hier, dass einerseits ein schützenswertes Interesse des Arbeitgebers besteht, Privatnutzung des Dienstwagens nur so lange gewähren zu müssen, wie eine dienstliche Nutzung erfolgt. Er hat ein Interesse daran, die vereinbarte Gestaltung Privatnutzung als Annex zur dienstlichen Verwendung auch umzusetzen. Andererseits hat der Arbeitnehmer ein besonderes Interesse daran, nicht kurzfristig im Zusammenhang mit Freistellung mit dem Entzug der Privatnutzung konfrontiert zu werden. Er hat ein besonderes Interesse daran, sich auf den Wegfall der Privatnutzung einzustellen und gegebenenfalls ein Ersatzfahrzeug anzuschaffen. Nach Auffassung der Kammer ist deshalb nur eine Widerrufsklausel interessengerecht und nach § 308 Nr. 4 BGB wirksam, wenn neben dem Wegfall der dienstlichen Verwendung des PKW als Sachgrund eine Ankündigungsfrist für den Widerruf vorgesehen ist. Diese Ankündigungsfrist sollte mindestens vier Wochen betragen entsprechend § 622 Abs. 1 BGB, erwägenswert wäre auch entsprechend § 622 Abs. 2 Nr. 1 BGB eine Ankündigungsfrist von einem Monat zum Ende des Kalendermonats zu verlangen. Für eine Ankündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende spricht im Übrigen, dass die Privatnutzung pauschal mit 1 % des Listenpreises auf monatlicher Basis besteuert wird, § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG. Auch wenn Privatnutzung nur für Teile eines Monats noch gewährt wird, kann nach Steuerrecht nicht tageweise, sondern nur monatsweise berechnet werden. Unabhängig davon, welche Anforderungen an eine Ankündigungsfrist zu stellen sind, ergibt sich hier: interessengerecht ist ein sofortiger Entzug nicht, zu verlangen ist, dass der Widerruf der Privatnutzung mit Einhaltung einer Ankündigungsfrist erfolgt. Eine solche Ankündigungsfrist enthält die vorliegende Widerrufsklausel nicht, die Klausel ist damit insgesamt unwirksam.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO und berücksichtigt auch die im Teil-Vergleich vereinbarte Kostenabsprache. Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.
Die Revisionszulassung erfolgte gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.