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  • · Fachbeitrag · Lohnsteuer

    Finanzgericht kippt die 110 EUR-Grenze der Finanzverwaltung!

    von Dr. Stephan Peters, Haltern am See

    | Die LStR zur Behandlung von Aufwendungen für Empfänge anlässlich der Verabschiedung von Arbeitnehmern (R 19.3 Abs. 2 Nr. 3 LStR) sind nicht frei von Widersprüchen und daher nicht anzuwenden. Vielmehr ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob ein Fest des Arbeitgebers (betriebliche Veranstaltung) oder ein privates Fest vorliegt (FG Niedersachsen 14.5.24, 8 K 66/22, Rev. BFH VI R 18/24 ). |

    1. Hintergrund

    Die lohnsteuerliche Behandlung von Empfängen hat die Rechtsprechung in der Vergangenheit bereits mehrfach beschäftigt. Maßgeblich ist dabei, ob es sich um ein Fest des Arbeitgebers (ArbG) handelt oder um ein Fest des Arbeitnehmers (ArbN), was von den Umständen des Einzelfalls abhängig ist (BFH 28.1.03, VI R 48/99, BStBl II 03, 724). Handelt es sich um eine betriebliche Veranstaltung, scheidet die Annahme von Arbeitslohn und eine Haftung für Lohnsteuer folgerichtig aus. Dem Anlass kommt dabei eine erste gewichtige Bedeutung zu. Handelt es sich um einen privaten Anlass, spricht dies zunächst für ein Fest des ArbN. Darüber hinaus sind aber aus Sicht der Rechtsprechung folgende Kriterien bzw. Indizien im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen (BFH 28.1.03, VI R 48/99, BStBl II 03, 724):

     

    • Indizien für den Charakter der Veranstaltung
    Fest des ArbG
    Fest des ArbN

    ArbG tritt als Gastgeber auf

    Fest weist einen privaten Charakter auf

    ArbG hat Gästeliste erstellt und vorgegeben

    Private Freunde und Bekannte des ArbN

    Gäste = Geschäftspartner, Angehörige des öffentlichen Lebens, Presse, Verbandsfunktionäre und Mitarbeiter des ArbG

    Feier findet in den Räumen des ArbG statt

    = kein Arbeitslohn Ausnahme ArbN selbst und Familie/Freunde?

    = Arbeitslohn

     

     

    1.1 Vereinfachungsregel der Finanzverwaltung

    Zur Vereinfachung behandelt die Finanzverwaltung entsprechende Aufwendungen nicht als Arbeitslohn, wenn es sich um übliche Sachleistungen des ArbG aus Anlass der Diensteinführung, eines Amts- oder Funktionswechsels, eines runden ArbN-Jubiläums oder der Verabschiedung eines ArbN handelt, wenn die Aufwendungen des ArbG je teilnehmender Person inkl. USt den Betrag von 110 EUR übersteigen (vgl. R 19.3 Abs. 2 Nr. 3 LStR).

     

    • Beispiel

    Der langjährige Klinikdirektor wird im Rahmen eines Empfangs vom Klinikpersonal verabschiedet. Neben Mitarbeitenden der Klinik sind auch einige wenige enge Freunde und Familienangehörige des Direktors anwesend. Die Aufwendungen betragen insgesamt 10.900 EUR (inkl. USt), anwesend waren 100 Personen.

     

    Hier liegt ‒ unabhängig von der rechtlichen Einordnung als Veranstaltung des ArbG oder ArbN ‒ kein lohnsteuerpflichtiger Arbeitslohn vor, da die Aufwendungen je teilnehmender Person bei 109 EUR liegen und damit unter der Grenze von 110 EUR.

     

    Davon abzugrenzen ist die Frage, ob die Aufwendungen als betrieblicher Aufwand erfasst werden können (§ 12 Nr. 1 S. 2 EStG).

     

    1.2 Sonderfall runder Geburtstag

    Einen Sonderfall nimmt die Finanzverwaltung bei einem Empfang anlässlich eines runden Geburtstags eines ArbN an, wenn es sich um ein Fest des ArbG handelt. Hier führen die Aufwendungen grundsätzlich nicht zu Arbeitslohn und nur insoweit zu Arbeitslohn, als die Aufwendungen auf den ArbN selbst, seine Familienangehörigen sowie private Gäste des ArbN entfallen, wenn die Aufwendungen mehr als 110 EUR je teilnehmender Person betragen.

     

    • Beispiel

    Anlässlich des 50. Geburtstags der langjährigen Chefärztin veranstaltet der ArbG einen Empfang. Die Gästeliste wird von dem ArbG erstellt. Der Empfang findet in den Räumen des ArbG statt. Die örtliche Presse ist zu einem Pressetermin eingeladen, der Bürgermeister kommt ebenfalls. Es nehmen 100 Personen an dem Empfang teil, wobei neben der Chefärztin auch noch zehn Familienmitglieder und Freunde teilnehmen. Die Kosten betragen insgesamt 12.000 EUR (inkl. USt).

     

    Nach den maßgeblichen Kriterien ist von einer Veranstaltung des ArbG auszugehen. Die Aufwendungen führen demnach nur unter Anwendung von R 19.3 Abs. 2 Nr. 4 LStR zu Arbeitslohn. Vorliegend liegen die Kosten je teilnehmender Person bei 120 EUR und damit über der Grenze von 110 EUR. Nach R 19.3 Abs. 2 Nr. 4 LStR liegt daher lohnsteuerpflichtiger Arbeitslohn vor, soweit die Aufwendungen auf die Chefärztin und die privaten Gäste (insgesamt also elf Personen) entfallen (1.320 EUR). Hätten die Aufwendungen nicht mehr als 110 EUR pro teilnehmender Person betragen, wären keine lohnsteuerrechtlichen Konsequenzen zu ziehen gewesen und der Aufwand hätte nicht zu Arbeitslohn geführt.

     

    2. Sachverhalt

    Anlässlich der Verabschiedung eines Vorstandsvorsitzenden und der Einführung des neuen Vorsitzenden war streitig, ob der ArbG den Empfang lohnsteuerrechtlich zutreffend erfasst hat oder im Wege der Haftung nach § 42d EStG in Anspruch genommen werden kann. Der Empfang wies die folgenden Merkmale auf:

     

    • Empfang in den Geschäftsräumen des ArbG
    • Organisation durch Mitarbeiter aus Personalbereich des ArbG
    • Erstellung der Einladungskarten und Aussprache der Einladung durch ArbG
    • Einladungsliste wurde unabhängig von konkreter Veranstaltung nach geschäftsbezogenen Gesichtspunkten festgelegt
    • 300 geladene Gäste (u. a. frühere und aktuelle Vorstandsmitglieder, ausgewählte Mitarbeiter, der Verwaltungsrat, Angehörige des öffentlichen Lebens aus Politik und Verwaltung, bedeutende Unternehmen und Institutionen, Vertreter von Banken und Sparkassen, Vertreter von Verbänden und Kammern und kulturellen Einrichtungen sowie Pressevertreter)
    • Im Rahmen des Empfangs wurde der neue Vorstandsvorsitzender vorgestellt.

     

    Die Gesamtaufwendungen der Veranstaltung, die über der 110 EUR-Grenze lagen, übernahm der ArbG. Die Lohnsteueraußenprüfung kam zu dem Ergebnis, dass es sich nicht um eine Betriebsveranstaltung gehandelt habe, da nicht alle ArbN der Klägerin eingeladen gewesen seien. Gegen die Inanspruchnahme legte die Klägerin Einspruch ein und verfolgte ihr Begehren sodann im Wege der Klage.

    3. Entscheidungsgründe

    Mit Erfolg! Die Aufwendungen führen nach Überzeugung des Gerichts weit überwiegend nicht zu steuerpflichtigem Arbeitslohn. Nur soweit Aufwendungen auf den Vorstandsvorsitzenden und seine eingeladenen Familienangehörigen entfallen, sei von steuerpflichtigem Arbeitslohn auszugehen. Zur Begründung verwies das FG auf die oben dargestellte BFH-Rechtsprechung und gelangte bei Gesamtwürdigung zu dem Ergebnis, dass es sich um eine Veranstaltung des ArbG handelt.

     

    Im Weiteren folgt der Senat aber der in R 19.3 Abs. 2 Nr. 3 LStR geäußerten Ansicht der Finanzverwaltung nicht, da die Richtlinie in sich nicht frei von Widersprüchen sei und mit den Grundsätzen des BFH (28.1.03, VI R 48/99) nicht in Einklang stehe. Nicht nachvollziehbar sei insbesondere die Differenzierung zwischen Empfängen i. S. v. R 19.3 Abs. 2 Nr. 3 LStR, wonach die Aufwendungen bei Überschreiten der 110 EUR-Grenze insgesamt als Arbeitslohn zu behandeln sind, während dies bei Empfängen anlässlich eines runden Geburtstags nur bzgl. der auf den ArbN und seine Familienangehörigen gelten soll (R 19.3 Abs. 2 Nr. 4 LStR).

     

    Insgesamt seien die Aufwendungen aus Sicht des Gerichts auch bei Überschreiten der 110 EUR-Grenze in einen betrieblichen Teil und einen privaten Teil des ArbN aufzuteilen. Soweit Aufwendungen den ArbN selbst und dessen private Gäste betreffen, unterliegen diese als Arbeitslohn dem Lohnsteuerabzug. Insoweit ließ das Gericht eine pauschale Behandlung nach § 37b Abs. 2 EStG zu.

    4. Relevanz für die Praxis

    Das FG geht in seiner Entscheidung davon aus, dass es entgegen der Ansicht der Finanzverwaltung nicht darauf ankomme, ob die 110-EUR Grenze überschritten wird oder nicht. Ausgehend von der Frage, wer das Fest ausrichtet, wird in der Folge unter Rückgriff auf die der o. g. BFH Rspr. zugrunde liegende Ausgangsentscheidung des FG Niedersachsen zurückgegriffen und der Aufwand aufgrund der Ersparnis eigener Kosten aufgeteilt und teilweise der Lohnsteuer unterworfen (FG Niedersachsen 28.1.99, XI 264/95). Diese Frage hatte der BFH (28.1.03, VI R 48/99, BStBl II 03, 724) ausdrücklich offengelassen.

     

     

    Ob bei Veranstaltungen des ArbG Arbeitslohn vorliegt, dürfte maßgeblich davon abhängen, ob auch bzgl. des auf den ArbN selbst und dessen Familienangehörigen/Freunde entfallenden Aufwands ein eigenbetriebliches Interesse des ArbG den Aspekt der Kostenersparnis des ArbN überwiegt. Aufgrund der Darstellung von ArbG in der Öffentlichkeit als „familienfreundliche ArbG“ und unter Berücksichtigung der Bedeutung von Work-Life-Balance ‒ auch zum Zwecke der Pflege von Privatleben ‒ scheint ein überwiegendes eigenbetriebliches Interesse nicht ausgeschlossen, insbesondere dann, wenn es in Zusammenhang mit der Veranstaltung zu einer Darstellung in der Öffentlichkeit (Presse, Firmenhomepage) kommt, ein Bezug zu den o. g. Kriterien hergestellt und damit ein werbender, darstellender Charakter des ArbG erzeugt wird.

     

    FAZIT | Es bleibt abzuwarten, wie sich der BFH zu dieser Frage positionieren wird. Vor allem die Abgrenzung, wann und unter welchen Voraussetzungen von einem eigenbetrieblichen Interesse bei entsprechenden Veranstaltungen auszugehen ist, dürfte dabei von Interesse sein. Wenn der Gesetzgeber die bisher im Rahmen der LStR formulierte Position aufrechterhalten möchte, erscheint eine gesetzliche Umsetzung unumgänglich, wobei die durch das FG Niedersachsen aufgezeigten Wertungswidersprüche einzubeziehen sind.

     

     

    Zum Autor | Dieser Beitrag wurde vom Autor nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst, sondern gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Autors wieder.

    Quelle: Ausgabe 09 / 2024 | Seite 243 | ID 50087877