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  • 27.03.2009 | Betriebsprüfung

    Checkliste: Zum Verdacht einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit i.S. des § 10 BpO

    von RA Dr. Carsten Wegner, FA StrR, Berlin

    Die Außenprüfung (§ 193 ff. AO) ist eine wichtige Informationsquelle für die Finanzbehörde. Sie ist deshalb auch Ursprung zahlreicher Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung. Aus den unterschiedlichen Zielen bzw. Schutzrichtungen von Besteuerungsverfahren - Erwartung des FA, unter der aktiven Mitwirkung des Steuerpflichtigen ein Mehrergebnis zu erzielen und dessen Passivität ggf. steuerlich zu „sanktionieren“ - und Strafverfahren - „nemo tenetur se ipsum accusare“ - ergeben sich schwierige Abgrenzungsfragen. Im Zentrum steht hier § 10 BpO: Verdacht einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit.  

     

    Checkliste

    Frage

    Antwort  

    1.Was regelt § 10 BpO?

    Ergeben sich während einer Außenprüfung zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat (§ 152 Abs. 2 StPO), deren Ermittlung der Finanzbehörde obliegt (§ 386 AO), so ist die für die Bearbeitung dieser Straftat zuständige Stelle unverzüglich zu unterrichten. Dies gilt auch, wenn lediglich die Möglichkeit besteht, dass ein Strafverfahren durchgeführt werden muss (§ 10 Abs. 1 S. 1 und S. 2 BpO).  

    2.Wann liegt ein solcher Verdacht i.S. des § 10 Abs. 1S. 1 BpO vor?

    An den Anfangsverdacht i.S. des § 152 Abs. 2 StPO sind keine gesteigerten Anforderungen zu stellen (Meyer-Goßner, StPO, § 152 Rn. 4 m.w.N.). Denn § 10 BpO bezweckt gerade dadurch, dass der Steuerpflichtige vor der Mitteilung, dass ein Verfahren eingeleitet worden ist, auch nicht mit Ermittlungen durch den Außenprüfer auf dem „verdächtigen Gebiet“ rechnen muss, Klarheit und Eindeutigkeit in das Verfahren zu bringen.  

    3.Worin liegt die Bedeutung des § 201 Abs. 2 AO?

    Der Hinweis nach § 201 AO ist noch keine Mitteilung der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens. Er dokumentiert jedoch, dass der Prüfer die Möglichkeit eines strafrechtlich relevanten Fehlverhaltens gesehen hat, ohne ein Strafverfahren einzuleiten. Hier ist stets zu prüfen, ob ggf. ein Verwertungsverbot infrage kommt. Denn Prüfer neigen - um das Klima der Prüfung nicht zu verschlechtern - dazu, die Einleitung eines Strafverfahrens zu vermeiden und sich auf den Hinweis nach § 201 Abs. 2 AO bei der Schlussbesprechung oder im Prüfungs­bericht zu beschränken.  

    4.Greift § 10 Abs. 1 S. 1 BpO auch, wenn sich der Verdacht gegen einen Dritten richtet?

    Ja. Der Außenprüfer muss die für die Bearbeitung dieser Straftat zuständige Stelle stets unverzüglich unterrichten, wenn eine verfolgbare Tat i.S. von § 386 AO vorliegt (Blumers/Frick/Müller, Betriebsprüfungshandbuch, B/52). Unterschiede ergeben sich freilich bei der Frage, ob und wann die Ermittlungen im Rahmen der Außenprüfung uneingeschränkt fortgesetzt werden dürfen.  

    5.Was ergibt sich aus einem Straftatverdacht für die Fortsetzung der Außenprüfung?

    Richtet sich der Verdacht gegen den Steuerpflichtigen, dürfen hinsichtlich des Sachverhalts, auf den sich der Verdacht bezieht, die Ermittlungen (§ 194 AO) bei ihm erst fortgesetzt werden, wenn ihm die Einleitung des Strafverfahrens mitgeteilt worden ist (§ 10 Abs. 1 S. 3 BpO).  

    6.Was heißt das konkret?

    Die Prüfung ist - unverzüglich - zu unterbrechen. Der Außenprüfer darf keine weiteren Prüfungshandlungen mehr vornehmen, um den Verdacht zu erhärten.  

    7.Was ist zu beachten,wenn sich der Verdacht gegen einen Dritten richtet?

    Der Außenprüfer darf die Ermittlungen im Rahmen der Außen­prüfung uneingeschränkt fortsetzen (Blumers/Frick/Müller, Betriebs­prüfungshandbuch, B/54). Denkbar wäre etwa, dass sich der Verdacht gegen einen Geschäftspartner, einen angestellten Mitarbeiter oder einen Angehörigen des Steuerpflichtigen richtet. Demgegenüber bestehen - die Fortsetzung der Prüfung zunächst einmal blockierende - Hinweispflichten, wenn sich der Verdacht gegen eine der in §§ 34, 35 AO genannte Person richtet (z.B. den GmbH-Geschäftsführer im Rahmen einer Außenprüfung bei der GmbH), da diese im Rahmen der Außenprüfung zur aktiven Mitwirkung verpflichtet sind.  

    8.Inwieweit muss die Prüfung unterbrochen werden?

    Nach zutreffender Ansicht ist von einem weiten Tatbegriff auszugehen, d.h., die Tat umfasst die Abgaben einer unrichtigen oder unvollständigen Steuererklärung sowie ihre pflichtwidrige Nichtabgabe (Meyer, DStR 01, 461, 462). Nur diese Betrachtung führt zu einer notwendigen Klarheit und Eindeutigkeit, zumal Außenprüfer regelmäßig auch nicht umfassend strafrechtlich vorgebildet sein dürften, sodass eine vollständige Unterbrechung auch im Interesse der Finanzbehörde sein dürfte.  

    9.Bestehen Belehrungspflichten?

    Der Steuerpflichtige ist dabei, soweit die Feststellungen auch für Zwecke des Strafverfahrens verwendet werden können, darüber zu belehren, dass seine Mitwirkung im Besteuerungsverfahren nicht mehr erzwungen werden kann (§ 393 Abs. 1 AO; § 10 Abs. 1 S. 4 BpO). Die Belehrung ist unter Angabe von Datum und Uhrzeit aktenkundig zu machen und auf Verlangen schriftlich zu bestätigen (§ 397 Abs. 2 AO; § 10 Abs. 1 S. 5 BpO). Der Belehrungspflicht ist nicht Genüge getan, wenn zu Beginn der Außenprüfung nur ein entsprechendes Merkblatt überreicht wird.  

    10.Darf die Außenprüfung nach der Belehrung fortgesetzt werden?

    Ja. Teilweise wird zwar gefordert, dass die Außenprüfung insgesamt unterbrochen und auch nicht fortgesetzt werden sollte. So berechtigt entsprechende Überlegungen bzw. Forderungen auch sein mögen; aus der BpO oder der AO lässt sich dies nicht herleiten.  

    11.Wie ist zu verfahren, wenn die StA/BuStradas Ermittlungsverfahren mangels Verdacht einstellt?

    Die Prüfungen dürfen fortgesetzt werden, weil die Voraus­setzungen für eine Unterbrechung der Ermittlungen nicht mehr vorliegen. Der Steuerpflichtige ist allerdings zuvor darüber zu unterrichten, dass es eine Anfrage des Prüfers zur Einleitung oder eine Einstellung des Strafverfahrens gegeben hat. Andernfalls würde die Schutzfunktion des § 10 BpO umgangen werden, die auch darauf abzielt, dass der Steuerpflichtige eine eigene Bewertung der vom Außenprüfer für gegeben erachteten Verdachtslage vornimmt.  

     

    Diese Schutzfunktion kann nicht dadurch umgangen werden, dass das FA die Außenprüfung nach außen hin „auf Eis legt“ und intern die strafrechtliche Verdachtslage noch einmal nachprüfen lässt, um sodann im Rahmen der später fortgesetzten Prüfung den vom Außenprüfer nie aus dem Blick verlorenen Anfangsverdacht unter Zuhilfenahme des Steuerpflichtigen weiter zu plausibilisieren.  

     

    Dies gilt umso mehr, als die StA oder die BuStra ein von der Finanz­behörde einmal bereits eingeleitetes Strafverfahren nur nach § 170 Abs. 2 StPO einstellen kann, d.h., weil nicht genügendAnlass zur Erhebung der öffentlichen Klage besteht bzw. kein hinreichender Tatverdacht gegeben ist. Diese Bewertung der Verdachtsstufe unterscheidet sich jedoch von § 152 Abs. 2 StPO, sodass eine Einstellung des Verfahrens nichts darüber aussagt, ob nicht nach Ansicht des Außenprüfers auch weiterhin ein Anfangsverdacht für eine Straftat vorliegt, über die dann nach § 10 BpO aber zwingend zu berichten ist.  

    12.Wann hat die Mitteilung der Einleitung eines Strafverfahrens zu erfolgen?

    Nach § 397 Abs. 3 AO ist die Einleitung spätestens mitzuteilen, wenn der Steuerpflichtige aufgefordert wird, Tatsachen darzulegen oder Unterlagen vorzulegen, die im Zusammenhang mit der Straftat stehen, derer er verdächtig wird. Hieraus wird deutlich, dass die Mitteilung nicht zwingend zeitlich mit der Einleitung selbst erfolgen muss. Gerade wenn bestimmte Ermittlungs­maßnahmen nicht gefährdet werden sollen (z.B. Durchsuchung), wird eine Mitteilung zunächst unterbleiben. Unzulässig sind aber Verzögerungen, um den Beschuldigten weiter auszuforschen.  

    13.Wofür ist diese Mitteilung auch bedeutsam?

    Die Selbstanzeige ist ausgeschlossen (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 b) AO).  

    14.Wer hat die Mitteilung auszusprechen?

    Derjenige, der vom Steuerpflichtigen Informationen abfordert, obwohl die Mitwirkung nicht mehr mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann.  

    15.Hat sie in einer bestimmten Form zu erfolgen?

    Nein. Regelmäßig erfolgt sie aber über ein Formblatt, also schriftlich (§ 10 Abs. 1 S. 5 BpO).  

    16.Wozu führt ein Verstoß gegen Belehrungspflichten über die Aussage­freiheit im Strafprozess?

    Grundsätzlich zu einem Verwertungsverbot der unmittelbar hierdurch erlangten Informationen (BGH 27.2.92, 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214; Meyer, DStR 01, 461), zu dessen Geltendmachung im Revisionsverfahren es indes einer Verfahrensrüge bedarf (BGH NJW 05, 2723).  

     

    Der Grundsatz, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht („nemo tenetur se ipsum accusare“), gehört zu den verfassungsrechtlich verankerten Prinzipien des Straf­prozesses. Die Anerkennung des Schweigerechts schützt das Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten und ist notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens. Dies gilt insbesondere, wenn der Beschuldigte durch andere, außerhalb des Straf- und Strafprozessrechts liegende Vorschriften verpflichtet wird, Angaben zu machen (z.B. § 90 Abs. 1 AO, § 150 Abs. 2 AO).  

    17.Ist ein solches Verwertungsverboterst im „richtigen“ Strafverfahren (Hauptverhandlung) zu beachten?

    Nein, in jedem Stadium eines Strafverfahrens (z.B. auch bei der Frage nach dem Erlass eines Haftbefehls, OLG Frankfurt 26.10.06,1 Ws 87/06; 1 Ws 88/06), wenngleich die Finanzbehörden - innerhalb deren Sphäre der Fehler liegen würde - einem entsprechenden Vortrag der Verteidigung regelmäßig nicht sonderlich aufgeschlossen gegenüber stehen, sodass letztlich ein Gericht hierüber befinden wird (Esskandari, DStZ 06, 717, 725).  

    18.Wozu führt ein Verstoß gegen Belehrungspflichten über die Aussage­freiheit im Besteuerungs­verfahren?

    Für den Bereich des Steuerverfahrensrechtes hat der Gesetzgeber die Festlegung der Voraussetzungen für ein Verwertungsverbot der Rechtsprechung überlassen (BT-Drucks 7/4292, S. 25). Dement­sprechend wird in § 393 Abs. 1 AO ausdrücklich geregelt, dass sich die Rechte und Pflichten des Steuerpflichtigen im Straf- und Besteuerungsverfahren jeweils nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften richten.  

     

    Aus der Verletzung strafrechtlicher Belehrungspflichten folgt demnach nicht automatisch ein steuerrechtliches Verwertungsverbot im Wege einer „Fernwirkung“ (BFH 23.1.02, XI R 10/01, BStBl II 02, 328). Ein Verwertungsverbot wird im Steuerverfahren aber angenommen,wenn verbotene Vernehmungsmethoden i.S. des § 136a StPO angewandt worden sind (FG Mecklenburg-Vorpommern 21.8.02, 3 K 284/00, wistra 03, 473; offengelassen vom BFH, a.a.O.). Ob aus der Nichtbelehrung über das Zwangsmittelverbot ein Verwertungsverbot folgt, ist streitig (verneinend BFH 30.5.08, V B 76/07, BFH/NV 08, 1441 m.w.N.; ebenso Blumers/Frick/Müller, Betriebsprüfungshandbuch, B/56 f.; bejahend Wisser in Klein, AO, § 393 Rn. 17; Hellmann in HHSp, AO, § 393 Rn. 121).  

    19.Kann eine Außenprüfung angeordnet werden, nachdemein Ermittlungs­verfahren eingeleitet worden ist?

    Ja. Die Einleitung eines steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Steuerpflichtigen bzw. gegen den Geschäftsführer des Steuerpflichtigen ist zulässig (FG Niedersachsen 4.6.02, 6 K 840/01; Greuenich, DStZ 06, 295, 296). Es ist unbeachtlich, dass der Steuerpflichtige im Steuerstrafverfahren keine Mitwirkungspflicht zu erfüllen hat, denn die Außenprüfung wird im Rahmen des Besteuerungsverfahrens durchgeführt. Die Mitwirkung des Steuer­pflichtigen kann aber nicht erzwungen werden. Die Rechtsfolgen einer Mitwirkungsverweigerung liegen allerdings regelmäßig auf der Hand: Schätzung gemäß § 162 AO!  

    20.Sind Strafschätzungenzulässig?

    Nein (BFH 25.3.08, I B 103/07).  

    21.Führen Verstöße nach § 201 Abs. 2 AO oder § 10 BpO zur Unwirksamkeit ­einer tatsächlichen Verständigung?

    Nach Ansicht des FG Münster (30.5.06, 11 K 2674/03 E, DStRE 07, 645) nein. Denn bei einer tatsächlichen Verständigung handele es sich gerade nicht um eine hoheitliche Maßnahme, deren Recht­mäßigkeit von der Einhaltung von Verfahrensvorschriften abhängt. Vielmehr stehen sich die Beteiligten gleichberechtigt gegenüber und treffen die Regelung einvernehmlich.  

    22.Was gilt für Steuerordnungs­widrigkeiten?

    § 10 Abs. 1 BpO gilt beim Verdacht einer Ordnungswidrigkeit sinngemäß (§ 10 Abs. 2 BpO).  

     

     

     

    Quelle: Ausgabe 04 / 2009 | Seite 86 | ID 125659