Betriebsprüfung
Hinzuschätzung auf Grund fehlerhafter Buchführung
von Dipl.-Finw. Michael Braun, Korb
Ist die Buchführung nicht ordnungsgemäß, kann das FA unter bestimmten Voraussetzungen Hinzuschätzungen vornehmen. In Einzelfällen können Hinzuschätzungen sogar bei einer formell ordnungsgemäßen Buchführung möglich sein. Der Beitrag geht auf die Problematik der Schätzung bei Unterschreiten der Richtsätze ein. Darüber hinaus zeigt er auf, was beachtet werden muss, wenn parallel ein Strafverfahren eingeleitet wurde.
1. Zulässigkeit einer Schätzung nach Richtsätzen
Betriebsprüfern stehen für den äußeren Betriebsvergleich (Vergleich bestimmter Kennzahlen des zu prüfenden Betriebs mit den jeweiligen Kennzahlen gleichartiger anderer Betriebe) die amtlichen Richtsätze für Gewerbetreibende zur Verfügung. Die vom BMF herausgegebene Sammlung (BStBl I 02, 566) enthält Richtsätze, die auf der Grundlage von Betriebsergebnissen zahlreicher geprüfter Unternehmen ermittelt worden sind. Nach der Rechtsprechung gelten Richtsätze als anerkanntes Hilfsmittel für Verprobung und Schätzung der Umsätze und Gewinne (BFH BStBl II 84, 88). Die Richtsätze sind allerdings nicht rechtsverbindlich, weshalb allein das Abweichen des Rohergebnisses vom amtlichen Richtsatz nur in Ausnahmefällen eine Schätzung rechtfertigt.
Besondere Bedeutung erlangen die Richtsätze aber, wenn das Buchführungsergebnis wegen Buchführungsmängeln Anlass für Zweifel bietet.
2. Fehlerhafte Buchführung
Bei nicht ordnungsgemäßer Buchführung lässt die Rechtsprechung keinen Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Zuschätzungen auf Grund von Richtsatzverprobungen. Eine Schätzung ist daher grundsätzlich gerechtfertigt, wenn das FA zusätzlich konkrete Hinweise auf die sachliche Unrichtigkeit des Buchführungsergebnisses geben kann oder der Steuerpflichtige selbst Unregelmäßigkeiten einräumt (BFH HFR 65, 472; BStBl II 78, 278; BStBl II 84, 88). Im Besteuerungsverfahren gelten dabei die für § 162 AO entwickelten Schätzregeln.
Praxishinweis: Fehlen Einnahmeaufzeichnungen und die vollständige Erfassung der Wareneingänge, ist die Führung des Kassenbuchs mangelhaft oder liegen andere wesentliche Mängel vor, auf Grund derer die Buchführung nach § 158 AO nicht der Besteuerung zu Grunde zu legen ist, so rechtfertigt dies sogar eine grobe Schätzung nach den Richtsätzen (FG Hamburg EFG 91, 507; BFH BFH/NV 91, 573).
Werden über einzelne Besteuerungsgrundlagen nur unvollständige Aufzeichnungen geführt, kommt der Buchführung ebenfalls keine Beweiskraft zu (vgl. § 158 AO). Daher kann eine Teil- oder Vollschätzung z.B. zulässig sein, wenn bei einer vom Prüfer festgestellten Unterschreitung der Richtsatzwerte die Buchführung fehlerhaft ist oder wichtige Unterlagen – etwa die Speise- und Getränkekarten in einer Gaststätte oder die Fremdenbücher bei Hotels – nicht aufbewahrt worden sind oder sich bei einer Geldverkehrsrechnung ungeklärte Zahlungseingänge auf einem privaten Konto ergeben.
Praxishinweis: Dem Steuerpflichtigen ist aber Gelegenheit zu geben, die festgestellte Abweichung zu begründen.
2.1. Unrichtigkeit des Buchführungsergebnisses
Bei der Beurteilung des Buchführungsfehlers ist nicht auf die formale Bedeutung des Buchführungsmangels, sondern auf dessen sachliches Gewicht abzustellen (vgl. BFH BFH/NV 00, 1462 m.w.N.). Im entschiedenen Fall konnten Buchungsbelege nicht vorgelegt werden. Da aber keine Kassenfehlbeträge festgestellt wurden und es sich auch nicht um erhebliche bare Umsätze handelte (nur etwa zehn Prozent der gesamten im jeweiligen Streitjahr erfolgten Einnahmen), konnte den fehlenden Belegen ein erhebliches sachliches Gewicht für die Nichtordnungsmäßigkeit der Buchführung nicht beigemessen werden.
Buchführungsmängel rechtfertigen eine Hinzuschätzung also nur, wenn Anlass besteht, auch an der sachlichen Richtigkeit des ausgewiesenen Buchführungsergebnisses zu zweifeln (BFH BStBl II 82, 430). Allerdings kann bei entsprechender Struktur des Betriebes (vornehmlich Bargeschäfte) eine nichtordnungsmäßige Kassenführung allein für sich schon die gesamte Buchführung infizieren (wegen weiterer Einzelheiten vgl. BFH BStBl II 90, 109).
2.2 Ordnungsgemäße Buchführung
Eine formell richtige Buchführung begründet nach § 158 AO die Vermutung, dass auch das sachliche Ergebnis zutreffend ist. Der Betriebsprüfer kann jedoch die Vermutung der Richtigkeit widerlegen und einen von ihm durch Schätzung oder ergänzende Schätzung ermittelten Umsatz und Gewinn der Besteuerung zu Grunde legen (BFH BSt- Bl II 92, 55).
Daher kann auch bei einer ordnungsgemäßen Buchführung das Unterschreiten des unteren Rahmensatzes des Rohaufschlags Anlass sein, das ermittelte Ergebnis anzuzweifeln. Der Steuerpflichtige muss dann im Rahmen des Zumutbaren an der Aufklärung mitwirken. Gelingt ihm das nicht, so ist das FA zu einer Schätzung nach § 162 AO berechtigt (FG Saarland BB 90, 598).
2.3 Rückgriff auf den Gewerbebetrieb
Ein Sonderproblem stellt die Zuordnung ungeklärter Vermögenszuwächse beim Steuerpflichtigen zu einer gewerblichen Einkunftsquelle desselben dar. Bei Branchen, die in der Richtsatzsammlung vertreten sind, kann ein ungeklärter Vermögenszuwachs dem betrieblichen Bereich auch ohne Geldverkehrs- oder Vermögenszuwachsrechnung zugerechnet werden, wenn der untere Rahmensatz des Rohaufschlags der Richtsatzsammlung unterschritten wird. Dies gilt selbst bei formell ordnungsgemäßer Buchführung. Der BFH (BStBl II 83, 618) fordert allerdings, dass die Abweichung beim Umsatz wenigstens zehn Prozent ausmacht.
Für den Fall, dass die Vermögenszuwächse in der Privatsphäre im Zusammenhang mit einer Richtsatzbranche stehen und der Steuerpflichtige keine schlüssige Erklärung vorlegen kann, vertritt das FG Baden-Württemberg (12.4.99, 5 V 28/98; n.v.) darüber hinaus folgende Auffassung: Das FA darf als Herkunftsquelle den Gewerbebetrieb annehmen. Der Steuerpflichtige muss es dabei im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung hinnehmen, dass die im Wesen jeder Schätzung liegende Unsicherheit der Fehlertoleranz gegen ihn ausschlägt und dass das FA im Rahmen seines Schätzungsspielraums je nach Einzelfall bei steuererhöhenden Besteuerungsgrundlagen an der oberen, bei steuermindernden Besteuerungsgrundlagen an der unteren Grenze bleibt (BFH BStBl III 67, 349). Nach den Vorstellungen des BFH soll ein Steuerpflichtiger mit Mängeln in der Buchführung und in den Aufzeichnungen dafür nicht auch noch belohnt werden.
2.4 Ansätze für die Beratung
Für den Berater ist von vornherein wichtig, dass Berechnungen auf Grund statistischer Vergleichswerte nur eine Schätzung sind, bei der gewisse Unschärfen nicht zu vermeiden sind. Deshalb darf der Betriebsprüfer auch Umsatz- /Gewinn- Änderungen nicht vornehmen wenn seine Verprobungsberechnungen nur unwesentlich (weniger als zehn Prozent) vom Buchführungsergebnis abweichen (BFH BStBl II 83, 618). Andererseits bieten sich hier dem steuerlichen Berater schon erste erfolgversprechende Möglichkeiten, eine Zuschätzung zu widerlegen, weil die Anforderungen an den Richtsatzvergleich sehr streng sind (vgl. Bornheim, PStR 99 203).
3. Beurteilung im Steuerstrafrecht
Ergibt eine Richtsatzverprobung, dass die Roh- und Reingewinne weit unterhalb der Richtsätze für vergleichbare Betriebe liegen, kann dies schon einen Anfangsverdacht der Steuerhinterziehung begründen, wenn weitere Indizien vorliegen, wie z.B. eine Anzeige wegen angeblicher Schwarzgeschäfte bei einem Handwerker. Dies gilt erst recht, wenn darüber hinaus Buchführungsmängel vorliegen.
Praxishinweis: Eine Verletzung der Buchführungspflicht erfüllt jedoch nicht automatisch den Tatbestand der Steuerhinterziehung (FG Baden-Württemberg EFG 00, 105 zur pflichtwidrigen Nichtaufbewahrung von Buchführungsunterlagen). Vielmehr muss ein weiteres Unterlassen, wie z.B. das Verschweigen buchführungspflichtiger Tatsachen in der Steuererklärung, hinzukommen.
3.1 Schätzung im Strafverfahren
Kommt es zu einem Strafverfahren, so sind für die Schätzung grundsätzlich nicht die Regeln der Abgabenordnung, sondern der Strafprozessordnung maßgebend. Der Strafrichter darf also die Schätzung des FA nicht ungeprüft übernehmen, um die Höhe der verkürzten Steuern festzustellen.
Vielmehr ist er verpflichtet eine eigene Schätzung vorzunehmen, wenn andere Mittel, die Wahrheit zu erforschen, nicht zur Verfügung stehen (BGH wistra 92, 147). In jedem Fall ist daher eine selbstständige Prüfung unter strafrechtlichen Gesichtspunkten erforderlich. Die Schätzung des FA ist dabei allenfalls ein Ausgangspunkt. Vielmehr muss der Strafrichter auf Grund freier Würdigung des gesamten Prozesses entscheiden, ob die vorliegenden Beweise für eine Verurteilung ausreichen oder nicht (§ 261 StPO). Freie Beweiswürdigung bedeutet, dass es für die Beantwortung der Schuldfrage allein darauf ankommt, ob der Strafrichter von einem bestimmten Sachverhalt überzeugt ist oder nicht. Bei Nachweisproblemen muss nach dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ zu Gunsten des Steuerpflichtigen entschieden werden (ausführlich Kürzinger in Wannemacher, Steuerstrafrecht, Rz. 225 ff.).
Auch auf Grund einer Schätzung rechtskräftig festgesetzte Steuern entfalten im Steuerstrafverfahren keine Bindung. Aus der Rechtskraft der Steuerfestsetzung darf nicht geschlossen werden, dass der Steuerpflichtige damit auch zugibt, er habe Steuern in der festgesetzten Höhe verkürzt.
3.2 Beratungsansatz für die Verteidigung
Beschränkt sich die Auseinandersetzung mit dem FA auf das Besteuerungsverfahren, ist es Aufgabe des Beraters, möglichst schon im Verlauf der Betriebsprüfung den Schätzungsspielraum der Finanzbehörde durch kritisches Hinterfragen der angewandten Methoden und Parameter wie oben gezeigt zu begrenzen. Berater und Mandant obliegt der Vortrag solcher belastungsmindernder tatsächlicher Anhaltspunkte, die keine oder keine ausreichende Berücksichtigung in der Schätzung gefunden haben. Denn das Ergebnis soll dem wahren Sachverhalt möglichst nahe kommen und es soll schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein (Klein, AO, § 162 Rz. 29). Läuft allerdings parallel ein Strafverfahren, ist die Mitwirkung von Berater und Mandant an einer „zutreffenden Schätzung“ im Besteuerungsverfahren gefährlich, wenn im Ergebnis immer noch ein hinterzogenes Volumen verbleibt.
Der in § 393 Abs. 1 S. 1 AO verankerte nemo-tenetur-Grundsatz verhindert nicht, dass im Besteuerungsverfahren zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt wird. Der Steuerpflichtige wird daher regelmäßig vor die Wahl gestellt werden, entweder mitzuwirken oder eine nachteilige Schätzung hinzunehmen. Im Steuerstrafverfahren ist aber die Strafverfolgungsbehörde und nicht der Steuerpflichtige beweispflichtig. Hieraus folgt, dass zwar alle Zweifel an der Schätzung des FA vorgebracht werden müssen; keinesfalls sollte aber eine eigene Schätzung vorgelegt werden, mit der sich der Mandant selbst belastet (vgl. Ott, PStR 01, 204).
Es empfiehlt sich daher, die auf der Grundlage einer Schätzung ergangenen Bescheide im Besteuerungsverfahren nicht bestandskräftig werden zu lassen. Unter Umständen stimmt die FinVerw auch dem Vorschlag zu, das Besteuerungsverfahren bis zur Entscheidung des Strafgerichts insoweit auszusetzen. Zwar ist § 363 Abs. 1 AO nicht einschlägig, es kann aber für die FinVerw „ökonomischer“ sein, die Sachverhaltsermittlung vom Strafrichter vornehmen zu lassen (TK, AO, § 363 Rz. 6). Die FinVerw und das FG sind aber nicht an das Ergebnis des streuerstrafrechtlichen Verfahrens gebunden (zum so genannten widersprüchlichen Verhalten vgl. Pump/Leibner, PStR 02, 267).
Quelle: Praxis Steuerstrafrecht - Ausgabe 04/2003, Seite 80