Frage | Antwort | 1.Was versteht man unter einer Schätzung? | Grundsätzlich ist die Buchführung des Steuerpflichtigen, sofern sie ordnungsgemäß ist, die Grundlage der Besteuerung. Wenn der Prüfer alle Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat (§§ 85, 88 AO) und dennoch einzelne Besteuerungsgrundlagen dem Grunde oder der Höhe nach nicht ermitteln konnte, muss er zu einer Schätzung greifen (§ 162 Abs. 1 AO). Wurden einzelne Sachverhalte nicht oder nicht vollständig erfasst, so kann eine Teil- oder Ergänzungsschätzung vorgenommen werden. Eine sogenannte Vollschätzung wird nur durchgeführt, wenn die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung infolge einer Vielzahl gravierender Fehler verneint werden muss. | 2. Was ist das Ziel einer Schätzung? | Wenn dem Prüfer eine weitere Sachaufklärung nicht mehr möglich oder zumutbar ist, so muss er durch die Schätzung diejenigen Besteuerungsgrundlagen ansetzen, für die die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit spricht. Das Schätzungsergebnis muss plausibel, in sich schlüssig, wirtschaftlich vernünftig und möglich sein. Gibt der Steuerpflichtige durch sein Verhalten Anlass zu einer Schätzung, so dürfen die Unsicherheiten, die einer Schätzung naturgemäß anhaften, nicht zu Lasten des FA gehen. Hat der Steuerpflichtige grob gegen die steuerlichen Pflichten (z.B. Aufzeichnungs- und Mitwirkungspflichten) verstoßen, so kann das FA an die obere Grenze des Schätzungsrahmens gehen. Nicht zulässig sind aber sog. Strafschätzungen, die willkürlich über den Schätzungsrahmen hinausgehen, um den Steuerpflichtigen zu disziplinieren. | 3. Wann darf das FA schätzen? | § 158 AO bestimmt, dass die nach den Vorschriften der §§ 140bis 148 AO erstellte Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen der Besteuerung zu Grunde zu legen sind. Eine Ausnahme soll es nur dann geben, wenn der Prüfer durch seine Ermittlungen nachweisen kann, dass die formell richtige Buchführung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ganz oder teilweise sachlich unrichtig ist. Dies geschieht häufig durch Verprobungen (z.B. Geldverkehrsrechnung) oder Nachkalkulation. Er kann dann das Ergebnis verwerfen und durch eine Schätzung ergänzen oder ersetzen. Ist die Buchführung sachlich richtig, leidet aber unter formellen Mängeln, so ist eine Schätzungsbefugnis nicht gegeben. Schätzungen kommen also insbesondere in folgenden Fällen in Betracht: - Der Steuerpflichtige kann die vorgeschriebenen Bücher und Aufzeichnungen nicht vorlegen oder sie können nicht nach § 158 AO der Besteuerung zu Grunde gelegt werden – etwa weil Belege fehlen oder Einnahmeaufzeichnungen unvollständig sind.
- Seine Auskünfte können die Fragen des Prüfers nicht klären.
- Er verweigert seine Mitwirkung, insbesondere bei Auslandssachverhalten § 90 Abs. 2 AO und § 90 Abs. 3 AO. Im Schätzungsverfahren kann das FA dies zu Lasten des Steuerpflichtigen auslegen. Auch mindert dieses Verhalten die Beweislast der Verwaltung.
| 4. Kann der Prüfer das Ergebnis der ordnungsgemäßen Buchführung erschüttern? | Verschiedene Verprobungsmethoden, die teilweise auch zur späteren Schätzung herangezogen werden können, ermöglichen es dem Prüfer, Lücken und Fehler in der Buchführung aufzuspüren. Durch den Zugriff auf digitale Daten (§ 147 Abs. 6 AO) muss dies nicht mehr aufwendig von Hand gemacht werden, sondern wird durch spezielle Prüfsoftware erledigt. Auch durch eine Vermögenszuwachsrechnung oder Richtsatzverprobung kann die Beweiskraft der Buchführung widerlegt werden, mit der Folge, dass geschätzt werden darf. | 5. Welche Schätzungsmethoden finden Anwendung? | - Schätzung nach Richtsätzen: Allein auf Grund einer Abweichung von den Richtsätzen ist eine Schätzung nicht zulässig. Die Rohgewinnaufschlagsätze werden häufig zu Vergleichszwecken herangezogen.
- Nachkalkulationen, Zeitreihenvergleich, Chi-Quadrat-Test, Benford´scher Reihentest.
- Vermögenszuwachs-/Geldverkehrs-/Bargeldverwendungsrechnung.
- Schätzung nach Kassenfehlbeträgen.
| 6. Wie kann sich der Steuerpflichtige gegen eine Schätzung wehren? | Er muss den Schätzungsbescheid mit dem Einspruch anfechten. In der Begründung müssen - durch entsprechende Auskünfte oder die Vorlage von Unterlagen Zweifel ausgeräumt werden, die zur Schätzung geführt haben oder
- Argumente vorgebracht werden, die belegen, dass
- die rechtlichen Voraussetzungen für eine Schätzung nicht gegeben sind oder
- die betragsmäßig niedrigere Schätzung die wahrscheinlich realistischere ist.
| 7. Wie kann die Befugnis zur Schätzung in Zweifel gezogen werden? | Einzelne fehlerhafte Buchungen: Kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass weitere Fehlbuchungen vorliegen, so darf das FA nur die entdeckten Fehlbuchungen berichtigen. Unsicherheitszuschläge sind in diesen Fällen nicht zulässig. Wiederholungsfehler: Werden fehlerhafte Buchungen – wie auch schon bei der vorangegangenen Betriebsprüfung – erneut und wiederholt vorgenommen, so ist es wahrscheinlich, dass noch weitere Fehler vorliegen. Der Prüfer kann Unsicherheitszuschläge vornehmen. Richtsatzschätzung: Allein das Unterschreiten des unteren Rahmensatzes berechtigt nicht zu einer Schätzung. Das FA muss weitere Indizien vorbringen, die eine Einnahmeverkürzung wahrscheinlich erscheinen lassen: Kontrollmitteilungen, schwerwiegende Buchführungsmängel etc. Nachkalkulation: Bei Betrieben mit umfangreichem Warensortiment oder einer Vielzahl von angebotenen Dienstleistungen muss die Nachkalkulation daraufhin überprüft werden, ob die unterschiedlichen Aufschlagsätze und betriebliche Besonderheiten (z.B. Rabatt- und Werbeaktionen) vom FA berücksichtigt wurden. Es empfiehlt sich, Unterlagen, die als Nachweis für derartige Besonderheiten gelten können, aufzubewahren. Chi²-Test: Tritt eine Zahl in der Buchführung überproportional häufig auf, reicht das allein nicht aus, das Ergebnis einer formell ordnungsgemäßen Buchführung zu widerlegen. Es müssen weitere Gesichtspunkte (Kontrollmitteilungen, Anzeigen, Geldverkehrsrechnung) hinzutreten. | 8. Kann die Höhe der Schätzung begrenzt werden? | Das FA kann unterschiedliche Schätzungsmethoden anwenden. Es ist aber immer zu kontrollieren, ob die Grundlagen der Methoden korrekt angewendet wurden. Der ungeklärte Vermögenszuwachs aus einer Vermögenszuwachsrechnung oder der ungeklärte Ausgabenüberschuss aus einer Geldverkehrsrechnung rechtfertigen die Annahme, dass diese aus bisher nicht versteuertem Vermögen stammen (BFH 25.7.91, BFH/NV 91, 796). Der Steuerpflichtige muss versuchen, die vom FA ermittelte Differenz aufzuklären. Insbesondere die geschätzten Ausgaben für die private Lebensführung bieten hier Anlass für eine Überprüfung. Aber auch die Vielfalt von Möglichkeiten, aus denen die Überhänge stammen können, bieten einen Ansatz für die betragsmäßige Begrenzung einer Schätzung (z.B. der Verkauf des Familienschmucks oder von Kunstgegenständen, private Darlehen etc.). Ungeklärte Einzahlungen auf privaten Geldkonten allein reichen jedoch als Schätzungsgrund nicht aus (BFH 8.4.87, BFH/NV 88, 2). Bei Kassenfehlbeträgen muss der Steuerpflichtige sich rechtfertigen: Wenn beispielsweise nachweislich nicht chronologisch oder versehentlich eine Einlage nicht gebucht wurde, so kann der Steuerpflichtige den Vorwurf entkräften, er habe Einnahmen verkürzt. Ist der Barverkehr im Betrieb nur von untergeordneter Bedeutung, so kann das FA – anders als z.B. im Gastgewerbe – allenfalls Sicherheitszuschläge machen. Die Richtsätze orientieren sich an den Verhältnissen in einem sog.Normalbetrieb. Bei einer Richtsatzschätzung ist darauf zu achten, dass die betriebsspezifischen Besonderheiten berücksichtigt werden. | 9. Wie ist eine Schätzung strafrechtlich zu beurteilen? | Bei einer Schätzung im Besteuerungsverfahren sind diejenigen Besteuerungsgrundlagen ansetzen, für die die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit spricht. Grundsätzlich ist die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen auch im Steuerstrafverfahren zulässig (BGH wistra 92, 147). Der Richter muss die Schätzung überprüfen und kann sie übernehmen, wenn er nach Ausschöpfung aller geeigneter Erkenntnisquellen davon überzeugt ist, dass der Steuerpflichtige mindestens einen bestimmten Betrag hinterzogen hat. Bestehen Zweifel, werden diese in der Praxis häufig mit einem Abschlag von der Schätzung berücksichtigt (in dubio pro reo). | |