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  • 01.10.2006 | Überlange Verfahrensdauer

    Revisionsgericht beanstandet Strafabschläge

    von RiLG Dr. Claas Leplow, Leipzig
    Die vom Tatgericht im Rahmen der Strafzumessung zur Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen gewährten Strafabschläge unterliegen der revisionsgerichtlichen Überprüfung (BGH 8.8.06, 5 StR 189/06, Abruf-Nr. 062512).

     

    Sachverhalt

    Die von den Angeklagten betriebenen „Serviceunternehmen“ nahmen zum Schein die Rechte und Pflichten sog. Kolonnenschieber aus Bautätigkeiten wahr und stellten Werklohnrechnungen aus. So ermöglichten die Angeklagten den Kolonnenschiebern, ihre Bauleistungen unter Einsatz nicht ordnungsgemäß gemeldeter Arbeitnehmer „schwarz“ zu erbringen. Die von den Auftraggebern auf die Rechnungen bezahlten Beträge übergaben die Angeklagten – nach Abzug ihres Anteils – bar an die Kolonnenschieber. Um die vereinnahmte USt nicht abführen zu müssen, haben die Angeklagten keine USt-Erklärungen abgegeben. Auch die eigenen Einnahmen für das Zurverfügungstellen der Firmenmäntel und das Erstellen der Rechnungen – jeweils mindestens 15 v.H. der Nettorechnungssummen – erklärten die Angeklagten nicht. Insgesamt verursachten die Angeklagten über einen Zeitraum von sechs Jahren einen Umsatzsteuerschaden von über 18 Mio. DM. 

     

    Das LG sah im Ausgangspunkt für die über 70 Einzelfälle Einzelfreiheitsstrafen von zwei Monaten bis zu achtzehn Monaten bzw. eine Gesamtfreiheitsstrafe von jeweils drei Jahren und sechs Monaten als schuldangemessen an. Jedoch verringerte es die Einzelstrafen zur Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von zwei Jahren jeweils um mindestens ein Drittel bis zur Hälfte auf Freiheitsstrafen von einem Monat bis zu einem Jahr. Die aus den so verminderten Einzelstrafen gebildeten Gesamtfreiheitsstrafen (BGH 17.6.03, wistra 03, 420, 421 f.) von jeweils zwei Jahren setzte das LG zur Bewährung aus. Die hiergegen gerichteten Strafmaßrevisionen der StA waren erfolgreich. 

     

    Entscheidungsgründe

    Der BGH hat die Höhe der gewährten Strafabschläge beanstandet und sämtliche Einzel- sowie die Gesamtstrafen aufgehoben. Er hat die Sache zur Durchführung einer neuen Strafzumessung an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des LG zurückverwiesen. Die Strafkammer habe als durch die Länge des Verfahrens verursachte Belastungen für die Angeklagten neben der Unsicherheit des schwebenden Strafverfahrens nur die Schwierigkeiten der Integration auf dem Arbeitsmarkt festgestellt. Ohne darüber hinausgehende schwerwiegende individuelle Auswirkungen seien aber die hohen Reduzierungen angesichts der Schwere der über mehrere Jahre begangenen Steuerstraftaten nicht mehr vom tatgerichtlichen Beurteilungsspielraum gedeckt. Die festgestellten Belastungen allein könnten insbesondere das Ergebnis der Kompensation, zur Bewährung aussetzungsfähige Gesamtfreiheitsstrafen nicht rechtfertigen. Derart überzogene Abschläge seien vom Revisionsgericht erst recht nicht hinzunehmen, wenn das Tatgericht durch eigenes Verschulden das Verfahren verzögert habe.