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  • 11.12.2009 · IWW-Abrufnummer 094034

    Bundesfinanzhof: Beschluss vom 30.07.2009 – VIII B 214/07

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    VIII B 214/07

    Gründe:

    I.

    Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Diplom-Kaufmann. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1994 bis 2002 (Streitjahre), denen der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) Einnahmen aus betriebswirtschaftlicher Beratungstätigkeit bei der T-GmbH in beachtlicher --mangels Abgabe von Steuererklärungen geschätzter-- Höhe zu Grunde legte.

    Einsprüche und Klage blieben erfolglos. Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger Verfahrensmängel des angefochtenen Urteils.

    II.

    Die Beschwerde ist begründet. Sie führt gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht (FG).

    Soweit der Kläger rügt, das FG habe die festgestellten oder als wahr unterstellten Tatsachen fehlerhaft oder unzureichend gewürdigt und die falschen Schlussfolgerungen gezogen, wird damit allerdings kein Verfahrensfehler geltend gemacht, sondern falsche materielle Rechtsanwendung, die grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision führt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. April 2003 VIII B 260/02, BFH/NV 2003, 1336; vom 23. Juni 2003 IX B 119/02, BFH/NV 2003, 1289).

    Zu Recht rügt der Kläger hingegen, dass die Begründung des finanzgerichtlichen Urteils sich in einem Punkt auf "strafgerichtliche Feststellungen" stützt, die sich weder aus dem Strafurteil des Amtsgerichts (AG) noch aus dem zu Grunde liegenden Strafbefehl ergeben.

    Diese fehlerhafte Bezugnahme ist ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, auf dem das angefochtene Urteil beruhen kann.

    Nach ständiger Rechtsprechung des BFH können tatsächliche Feststellungen in Strafurteilen im Finanzgerichtsprozess verwertet werden; das FG kann sich solche Feststellungen zu eigen machen, wenn sie nach seiner Überzeugung zutreffend sind, es sei denn, dass die Beteiligten gegen die strafgerichtlichen Feststellungen substantiierte Einwendungen erheben und entsprechende Beweisanträge stellen, die das FG nach den allgemeinen für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen nicht unbeachtet lassen kann (BFH-Beschluss vom 17. Dezember 1991 VII B 163/91, BFH/NV 1992, 612; s. auch BFH-Urteil vom 13. Juli 1994 I R 112/93, BFHE 175, 489, BStBl II 1995, 198; BFH-Beschlüsse vom 29. Januar 1999 V B 112/97, BFH/NV 1999, 1103; vom 13. Januar 2005 VII B 261/04, BFH/NV 2005, 936; vom 24. April 2006 VII B 78/05, BFH/NV 2006, 1668, 1671, jeweils m.w.N.; vgl. ferner Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28. November 1991 3 C 37/89, Zeitschrift für den Lastenausgleich 1993, 25; Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 21. Januar 2003 34 U 50/99, [...]).

    Im Streitfall verneint das FG hinsichtlich der beim Kläger für die Streitjahre festgestellten oder geschätzten Zahlungszuflüsse eine verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) der T-GmbH an den Vater des Klägers und beruft sich dabei darauf, dass nach den strafgerichtlichen Feststellungen nicht die Vereinbarung vom 10. August 1994 Grundlage für die Zahlungen gewesen sei, sondern der Beratervertrag vom 1. August 1994. An diese Grundaussage knüpft es die Folgerung an, dass damit kein Raum für eine vGA bleibe. Tatsächlich hat das AG die behauptete Feststellung jedoch nicht getroffen. Es hat in den Entscheidungsgründen des nach § 267 Abs. 4 der Strafprozessordnung abgekürzten Urteils lediglich ausgeführt, dass infolge der Nichtabgabe von Steuererklärungen keine Einkommensteuer für die Streitjahre festgesetzt worden sei und der Kläger Steuern hinterzogen habe in der jeweiligen Höhe, die sich aus den Feststellungen der Steuerfahndung ergebe. Eine Auseinandersetzung des AG mit der Frage, ob es im konkreten Fall an einer Zurechnungsvoraussetzung von Zahlungen auf den Kläger infolge vGA an dessen Vater fehlen könnte, ist nicht erfolgt; auch finden sich im strafgerichtlichen Urteil keine diesbezüglichen tatsächlichen Feststellungen, ebenso wenig im Strafbefehl, der lediglich auf den Steuerfahndungsbericht vom 24. November 2004 als urkundliches Beweismittel Bezug nimmt.

    Dieser allenfalls mittelbare Verweis in dem abgekürzten Urteil auf Feststellungen der Steuerfahndung mag zwar noch den gesetzlichen Begründungserfordernissen und den Anforderungen der strafprozessualen Praxis genügen. Im vorliegenden Fall hat die abgekürzte Form aber auch zur Folge, dass im Urteil keine Tatsachen festgestellt sind, die eine Subsumtionsprüfung des Sachverhaltes unter die Rechtsfigur der vGA ermöglichen oder auch nur fördern könnten. Auch wenn das Strafgericht bei Annahme einer vGA in der vom Kläger vorgetragenen Gestalt seiner Entscheidung andere Einkommens- und Hinterziehungsbeträge hätte zugrunde legen müssen, ist diese steuerrechtliche Schlussfolgerung nicht gleichzusetzen mit einer Feststellung des Nichtvorliegens einer vGA oder deren tatsächlicher Voraussetzungen im Strafurteil.

    Unter welchen Voraussetzungen eine unmittelbare Bezugnahme auf Feststellungen in Steuerfahndungsakten eine weiter gehende Sachverhaltsaufklärung des FG im Hinblick auf den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 76 Abs. 1 FGO) entbehrlich machen kann, ist hier schon deshalb nicht zu entscheiden, weil im konkreten Zusammenhang (Maßgeblichkeit des Beratervertrages vom 1. August 1994 für die Zahlungen an den Kläger?) eine derartige Bezugnahme nicht erfolgt ist.

    Der im Streitfall begangene Verfahrensfehler einer den rechtlichen Anforderungen nicht genügenden Bezugnahme auf (vermeintliche) Feststellungen im Strafurteil ist auch erheblich, weil die vermeintlichen Feststellungen tatsächliche Grundlage für die daran anknüpfenden rechtlichen Folgerungen und die Überzeugungsbildung des FG waren. Anders wäre dies, wenn schon die eigenen Feststellungen des FG im Urteil seine Tatbestands- und Beweiswürdigung vollständig tragen würden, wonach eine den Kläger entlastende vGA der T-GmbH an den Vater nicht in Betracht komme. So liegt es im Streitfall aber nicht. Revisionsrechtlich ist unbeachtlich, ob die vorliegenden Akten oder die im Urteil festgestellten Tatsachen auch ohne Rückgriff auf das Strafgerichtsurteil im Ergebnis zur gleichen Würdigung hätten führen können. Der BFH darf als Revisionsgericht fehlende Feststellungen grundsätzlich nicht selbst treffen (s. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 118 Rz 36 und 41); ein Ausnahmefall (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 118 Rz 43 ff.) liegt hier nicht vor.

    Die weitere Sachverhaltsfeststellung durch das FG kann auch nicht wegen eines Geständnisses des Klägers im Strafverfahren unterbleiben. Zwar geht von einem vor dem Strafgericht abgelegten Geständnis nach der Rechtsprechung des BFH eine Indizwirkung hinsichtlich einer begangenen Steuerhinterziehung aus (s. BFH-Beschluss vom 21. Mai 1999 VII B 37/99, BFH/NV 1999, 1496). Diese Indizwirkung kann indessen dadurch ausgeräumt werden, dass der Kläger substantiiert darlegt und unter Beweis stellt, weshalb sein Geständnis zu Unrecht abgelegt worden ist. Die Indizwirkung wird nicht erschüttert mit der pauschalen Behauptung eines strafgerichtlichen Fehlurteils oder dem schlichten Bestreiten von Tat oder Tatumfang (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1999, 1496, und vom 22. März 1988 VII B 193/87, BFH/NV 1988, 722). Anders verhält es sich aber im Streitfall, in dem der Kläger substantiiert vorgetragen hat, dass und aus welchen Gründen er sich im Rahmen einer Absprache auf das dann gefällte Strafurteil eingelassen hat, ohne dabei persönlich in der Hauptverhandlung zugegen gewesen zu sein. Für die geschilderten Umstände hat er Beweis angeboten durch Vernehmung der Teilnehmer der Hauptverhandlung als Zeugen. Indem das FG weiterhin von der Indizwirkung des Geständnisses ausgeht, weil ihm die diesbezügliche Einwendung des Klägers "nicht nachvollziehbar" erscheint, liegt in der impliziten Ablehnung der Beweisaufnahme eine verfahrensfehlerhafte Vorwegnahme der Beweiswürdigung (s. dazu Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 80, m.w.N.; Gräber/Stapperfend, § 76 Rz 26 und 29, m.w.N.).

    Im zweiten Rechtsgang wird das FG selbst zu beurteilen haben, welches gegebenenfalls die rechtliche und/oder tatsächliche Grundlage für die Zurechnung der geschätzten Einkünfte an den Kläger war. In diesem Zusammenhang kommt nach Auffassung des Senats der Vereinbarung vom 15. Juli 1996 besondere Bedeutung zu, die keinen Bezug zur Vereinbarung vom 10. August 1994 herstellt. Hinsichtlich der Vereinbarung vom 10. August 1994 wird zudem zu berücksichtigen sein, dass der Kläger nicht Vertragspartei war.

    Zur Frage, ob gegebenenfalls auch ungeachtet vertraglicher Entgeltsansprüche dem Kläger zugeflossene Zahlungen ihren Grund in der gesellschaftlichen Beteiligung des Vaters des Klägers an der T-GmbH hatten (und demzufolge als vGA an den Vater zu beurteilen wären), kommt eine Vernehmung des Vaters wie auch des ehemaligen Geschäftsführers der T-GmbH, in Betracht, sofern diese als Zeugen noch erreichbar sind.

    Bei der erneuten Tatsachenfeststellung und -würdigung wird zu beachten sein, dass der Kläger das Risiko der Unaufklärbarkeit des Sachverhalts trägt, soweit diese auf der Verletzung seiner Mitwirkungspflichten beruht.

    RechtsgebietFGOVorschriftenFGO § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO § 116 Abs. 6