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  • 24.06.2010 · IWW-Abrufnummer 101955

    Bundesfinanzhof: Urteil vom 21.04.2010 – X R 1/08

    Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO beginnt, wenn die angezeigte Steuerverkürzung dem Grunde nach individualisiert werden kann, der Steuerpflichtige also Steuerart und Veranlagungszeitraum benennt und den Sachverhalt so schildert, dass der Gegenstand der Selbstanzeige erkennbar wird.


    Gründe:

    I.

    Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielte als Metzgermeister Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Im Streitjahr 1987 wurde er zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. Die Einkommensteuererklärung der Ehegatten ging --ebenso wie die Umsatz- und die Gewerbesteuererklärung des Klägers-- am 10. November 1988 beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) ein. Das FA setzte die Steuern erklärungsgemäß fest. Dabei berücksichtigte es u.a. Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 92.674 DM, Einkünfte aus Kapitalvermögen von je 0 DM (erklärte Einnahmen des Klägers: 7 DM; der Ehefrau: 33 DM) sowie steuerpflichtige Umsätze von 477.314 DM.

    Am 6. November 1998 erhielt das FA ein vom Steuerberater des Klägers gefertigtes Schreiben, das im Betreff als "strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO" der Eheleute überschrieben war. Das Schreiben lautete wie folgt:

    "... namens und im Auftrag meiner Mandanten erkläre ich, dass sie hinsichtlich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb und aus Kapitalvermögen unrichtige bzw. unvollständige Angaben in ihren Einkommensteuer-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuererklärungen über die Höhe der tatsächlichen Einnahmen gemacht haben und auch der Verpflichtung zur Abgabe der Vermögensteuererklärungen nicht nachgekommen sind. Die Steuererklärungen für das Jahr 1986 wurden Ihnen am 5.10.1987 (Veranlagung ebenfalls 1987) eingereicht. Festsetzungsverjährung ist deshalb für die Veranlagungen ab 1987 noch nicht eingetreten.

    Leider kann ich Ihnen wegen fehlender Unterlagen keine genauen Angaben über die nicht erklärten Einnahmen machen, sondern diese bis zur Vorlage der in Luxemburg angeforderten Kontoauszüge und Bestätigungen über laufende Einzahlungen, jährliche Kontenstände und Zinsgutschriften nach Angaben meiner Mandanten nur schätzen. Danach dürften die Guthaben in Luxemburg derzeit insgesamt 1,5 Mio. DM ausmachen, wurden neben ordnungsgemäß versteuerten Beträgen jährlich ca. DM 80.000,- nicht versteuerte Einnahmen aus Gewerbebetrieb dort eingezahlt, und wurden die gutgeschriebenen Zinsen zur Aufstockung der Guthaben verwendet. In den strafrechtlich relevanten Jahren (die Veranlagungen für das Jahr 1990 wurden im März bzw. Juni 1992 durchgeführt; die Veranlagungen für 1991 im Mai 1994) dürften die jährlichen Zinsen bis DM 130.000,- betragen haben.

    Ich bitte Sie, mir eine angemessene Frist für die Angabe von konkreten Zahlen bzw. für eine ggf. erforderliche abschließende Schätzung der Zahlen zu gewähren und mir dabei den Eingang dieses Schreiben zu bestätigen."

    Das FA bestätigte mit Schreiben vom 13. November 1998 den Eingang der Selbstanzeige. Es bat (ohne Angabe bestimmter Jahre) mit Frist 31. Dezember 1998, die "konkreten Beträge und die entsprechenden Nachweise beizubringen". Sollte dies nicht möglich sein, werde um eine "vorläufige Schätzung der Besteuerungsgrundlagen" gebeten.

    Der Steuerberater des Klägers teilte dem FA hierzu mit Schreiben vom 6. Januar 1999 mit, es sei ihm leider bisher nicht möglich gewesen, "konkrete Beträge zu nennen bzw. vorläufige Zahlen zu schätzen", da seine Mandanten darüber keinerlei Unterlagen aufbewahrt hätten und Angaben und Nachweise von den Banken angefordert werden müssten. Insbesondere die Banken in Luxemburg seien derzeit mit Anfragen überlastet. Der Berater bat, die Bearbeitungsfrist bis zum 31. Januar 1999 zu verlängern.

    Die Straf- und Bußgeldsachenstelle des FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung leitete am 9. Februar 1999 sowohl gegen den Kläger als auch gegen dessen Ehefrau das Steuerstrafverfahren ein. Mit Schreiben vom 23. März 1999 (betreffend Einkommensteuer 1991 bis 1996) und Frist 6. April 1999 forderte das FA den Steuerberater der Kläger auf, bestimmte Angaben zu machen bzw. Unterlagen zu übersenden. Es wies abschließend darauf hin, dass die Beträge ggf. zu schätzen seien. Am 9. April 1999 bat der Berater um weitere Fristverlängerung bis zum 31. Mai 1999. Die Geldanlagen der Eheleute befänden sich bei drei Instituten in Luxemburg und diese hätten --trotz mehrfacher Erinnerung-- die erforderlichen Unterlagen nicht bzw. nicht vollständig übersandt.

    Am 16. Juni 1999 fand im FA eine Besprechung statt, an der der Kläger, sein Steuerberater und die zuständige Sachgebietsleiterin S teilnahmen. Ausweislich des von S hierüber gefertigten Aktenvermerks legte der Kläger in diesem Termin erstmals "Unterlagen und Berechnungen zu den in den Jahren 1987 bis 1996 erzielten und bisher nicht erklärten Kapitaleinkünften und den dem Betrieb unversteuert entnommenen Einnahmen" vor. In der zwei Seiten umfassenden "Ermittlung der nachzuversteuernden Einkünfte und der Kapitalstände" waren auch das Streitjahr betreffende Angaben enthalten.

    Zu den gewerblichen "Schwarzeinnahmen" (jährlich 18.000 DM) machten der Kläger und sein Berater ausweislich des Vermerks folgende Angaben: Der Kläger habe den Betrieb im Jahre 1969 übernommen und seitdem regelmäßig geringe Beträge der Kasse unversteuert entnommen und angelegt. Er gab diese Beträge schätzungsweise mit monatlich 1.500 DM an (gleichbleibend von 1969 bis 1996). Kosten sind nach Angabe des Klägers nicht verschwiegen worden; bei den "entnommenen" Beträgen handele es sich um Einkünfte. Weitere Angaben zur Glaubhaftmachung erfolgten nicht.

    Bereits zuvor hatte das FA den nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid 1987 vom 31. Mai 1999 erlassen, in dem es Einkünfte aus Gewerbebetrieb von (92.674 DM + 80.000 DM =) 172.674 DM und Einkünfte aus Kapitalvermögen der Eheleute von 129.240 DM ansetzte. Am 29. Oktober 1999 erließ das FA einen ebenfalls nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderten Umsatzsteuerbescheid 1987 und erhöhte die ursprünglich erklärten Umsätze um 80.000 DM. Am 19. November 1999 schließlich änderte es den Gewerbesteuermessbescheid 1987 und setzte den Gewinn aus Gewerbebetrieb mit 172.674 DM an.

    Mit den fristgerecht eingelegten Einsprüchen machten die Ehegatten/der Kläger geltend, für sämtliche Steuerarten sei für das Jahr 1987 bereits zum 31. Dezember 1998 Festsetzungsverjährung eingetreten. Die Selbstanzeige betreffe nur die dort genannten strafrechtlich relevanten Jahre. Zudem seien die Zuschätzungen überhöht; dies ergebe sich bereits aus den Unterlagen, die anlässlich der Besprechung im FA am 16. Juni 1999 vorgelegt worden seien.

    Das FA setzte mit der an die Eheleute gerichteten Einspruchsentscheidung vom 6. Januar 2005 die Einkommensteuer 1987 auf 21.115,33 EUR herab und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Die Umsatzsteuer 1987 beträgt laut Einspruchsentscheidung 4.338,82 EUR und der Gewerbesteuermessbetrag 1987 1.914,79 EUR. Die Teilabhilfen beruhten auf einer Minderung der zwischen den Beteiligten nicht mehr streitigen Zuschätzungen.

    Zur Anwendung des § 171 Abs. 9 AO betreffend Einkommensteuer und Umsatzsteuer 1987 führte das FA unter Hinweis auf das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts (FG) vom 10. November 2003 1 K 10277/00 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2004, 468) aus, bei der am 6. November 1998 eingereichten Anzeige handele es sich um eine Anzeige i.S. des § 371 AO bzw. § 171 Abs. 9 AO. In der Einspruchsentscheidung betreffend den Gewerbesteuermessbetrag 1987 räumte das FA ein, dass der Änderungsbescheid erst nach Ablauf der Jahresfrist (§ 171 Abs. 9 AO) zur Post gegeben worden sei; die Berichtigungsmöglichkeit hierfür ergebe sich jedoch aus § 35b des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) i.V.m. § 171 Abs. 10 AO.

    Das FG hat der Klage stattgegeben. Durch das Schreiben vom 6. November 1998 sei keine die Einkommensteuer und Umsatzsteuer 1987 betreffende Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO eingetreten. Das sog. "Berichtigungserfordernis" (§ 371 Abs. 1 AO) sei nicht im Jahre 1998, sondern erst durch eine substantiiert begründete Schätzung der Besteuerungsgrundlagen aufgeschlüsselt nach Veranlagungszeiträumen am 16. Juni 1999 erfüllt worden. Eine sog. "gestufte" Selbstanzeige könne die Ablaufhemmung nicht auslösen. Deshalb sei auch in Bezug auf den Gewerbesteuermessbetrag 1987 § 171 Abs. 10 AO nicht "entsprechend" anzuwenden, weil sämtliche Festsetzungsfristen (Einkommensteuer und Gewerbesteuermessbetrag) bereits abgelaufen gewesen seien.

    Mit seiner Revision macht das FA geltend, der Kläger habe --anders als vom FG angenommen-- im Schreiben vom 6. November 1998 seine nicht versteuerten Einnahmen beziffert. Es sei anerkannt, dass eine Selbstanzeige durch Schätzung möglich sei. Der sich selbst Anzeigende müsse auch die Grundlagen seiner Schätzung nicht darlegen, um dem FA eine Überprüfung zu ermöglichen. Selbst wenn man davon ausgehe, dass eine wirksame Selbstanzeige vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist nicht vorgelegen habe, sei gleichwohl Ablaufhemmung eingetreten. Es sei nicht erforderlich, dass alle Tatbestandsmerkmale der §§ 153, 371, 378 Abs. 3 AO erfüllt seien. Vielmehr reiche es aus, wenn der Steuerpflichtige oder sein Berater der zuständigen Behörde anzeige, die abgegebenen Erklärungen seien unrichtig oder unvollständig, und diese Mitteilung so viele Tatsachenangaben enthalte, dass die angezeigte Steuerverkürzung dem Grunde nach individualisiert werden könne.

    Das FA beantragt,

    das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

    Der Kläger beantragt,

    die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

    II.

    Die Revision ist begründet. Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, dass im Zeitpunkt des Erlasses des Einkommensteuer- und des Umsatzsteueränderungsbescheids 1987 sowie des geänderten Gewerbesteuermessbescheids 1987 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war.

    1.

    Gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist, wenn eine Steuererklärung einzureichen ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird; die Festsetzungsfrist beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO im Fall der Steuerhinterziehung zehn Jahre. Danach begann im Streitfall die Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31. Dezember 1988; ohne Ablaufhemmung hätte sie am 31. Dezember 1998 geendet. Dass eine Steuerhinterziehung vorlag und deshalb die verlängerte Festsetzungsfrist von zehn Jahren zur Anwendung kommt, ist angesichts der über Jahre hinweg grob unrichtigen Angaben zur Höhe der gewerblichen Einkünfte und der Kapitaleinkünfte in den Steuererklärungen nicht zweifelhaft und wird von der Klägerseite auch nicht in Abrede gestellt.

    2.

    Die Festsetzungsfrist verlängerte sich im Streitfall nach § 171 Abs. 9 AO über den 31. Dezember 1998 hinaus. Im Zeitpunkt des Erlasses des Einkommensteueränderungsbescheids 1987 am 31. Mai 1999 bzw. des Umsatzsteueränderungsbescheids 1987 am 29. Oktober 1999 war noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten.

    a)

    Erstattet der Steuerpflichtige vor Ablauf der Festsetzungsfrist eine Anzeige nach den §§ 153, 371 und 378 Abs. 3 AO, so endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach Eingang der Anzeige (§ 171 Abs. 9 AO). Wer in den Fällen des § 370 AO (d.h. der hier vorliegenden Steuerhinterziehung) unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Finanzbehörde berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt, wird insoweit (unter bestimmten weiteren Voraussetzungen) straffrei (§ 371 Abs. 1 AO).

    b)

    Eine wirksame Selbstanzeige i.S. des § 371 Abs. 1 AO setzt voraus, dass die bisher unrichtigen, unvollständigen oder ganz unterbliebenen Angaben wahrheitsgemäß nachgeholt werden. Straffreiheit tritt nicht ein, wenn zum Zeitpunkt der Berichtigung einer der Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 AO vorliegt oder wenn die Steuern nicht innerhalb angemessener Frist nachgezahlt werden (§ 371 Abs. 3 AO). § 371 AO will dem Täter selbst nach einer vollendeten Steuerhinterziehung noch die Möglichkeit geben, seinen steuerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und eventuelle Verfehlungen nachträglich zu berichtigen. Dem Staat soll dadurch der Zugriff auf bisher unbekannte Steuerquellen ermöglicht werden. Eine wirksame Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO setzt daher voraus, dass der Steuerpflichtige eine gewisse Tätigkeit entfaltet, die zu einer Berichtigung und Ergänzung der bisherigen Angaben führt. Er muss hierdurch einen wesentlichen Beitrag zur Ermöglichung einer zutreffenden nachträglichen Steuerfestsetzung leisten (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 16. Juni 2005 5 StR 118/05, BFH/NV 2005, Beilage 4, 380). Durch die Berichtigung und Ergänzung der bisherigen oder die Nachholung von bisher unterbliebenen Angaben durch den Steuerpflichtigen muss das FA in der Lage sein, ohne langwierige Nachforschungen den Sachverhalt vollends aufzuklären (vgl. BGH-Beschluss in BFH/NV 2005, Beilage 4, 380).

    c)

    In der Literatur wird eine "Selbstanzeige in Stufen" diskutiert (vgl. hierzu Schauf in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rz 54 und 293; Simon/Vogelberg, Steuerstrafrecht, 2. Aufl., Teil II: Selbstanzeige unter 6.3.3; Joecks in Franzen/Gast/ Joecks, Steuerstrafrecht mit Zoll- und Verbrauchsteuerstrafrecht, 7. Aufl., § 371 Rz 52, 77a f.; Klein/Jäger, AO, 10. Aufl., § 371 Rz 20). Jedenfalls in Fällen, in denen der Steuerpflichtige eine Selbstanzeige dem Grunde nach erstattet, die hinterzogenen Steuern zu seinen Ungunsten schätzt und die Finanzbehörde um die Gewährung einer Nachfrist bittet, soll Straffreiheit eintreten und eine nachträgliche Korrektur "nach unten" unproblematisch sein (Schauf in Kohlmann, a.a.O., § 371 AO Rz 54 und 293).

    d)

    Im Streitfall kann offenbleiben, ob sich der Senat der Auffassung anschließen könnte, eine "Selbstanzeige in Stufen" sei generell möglich, sie führe zur Straffreiheit und verhindere den Eintritt eines Sperrgrundes i.S. von § 371 Abs. 2 AO. Nicht zu entscheiden braucht der Senat ebenfalls die Frage, ob das Schreiben des Klägers vom 6. November 1998 auch hinsichtlich des Jahres 1987 die Voraussetzungen der ersten Stufe einer gestuften Selbstanzeige erfüllen würde, obwohl der Kläger in diesem Schreiben die nicht erklärten Zinsen nur für die strafrechtlich relevanten Jahre geschätzt hat.

    e)

    Die Ablaufhemmung i.S. von § 171 Abs. 9 AO kann jedenfalls auch aufgrund einer "Selbstanzeige" eintreten, welche die Voraussetzungen des § 371 Abs. 1 AO für die strafbefreiende Wirkung einer Selbstanzeige (noch) nicht erfüllt.

    Die Selbstanzeige nach § 371 AO will --aus fiskalischen Gründen-- Steuerhinterziehern eine "goldene Brücke" bauen. Liegt eine wirksame Selbstanzeige i.S. von § 371 AO vor, tritt --auch bei vollendeter Steuerhinterziehung-- Straffreiheit ein. Liegt die Tat mehrere Jahre zurück und sind gar Auslandssachverhalte berührt, ist es für den selbstanzeigewilligen Steuerpflichtigen --wie auch der Streitfall zeigt-- schwierig, wenn nicht gar unmöglich, Zahlenangaben sofort vorzulegen, die eine Berichtigungserklärung i.S. des § 371 Abs. 1 AO erfordert (vgl. Schauf in Kohlmann, a.a.O., § 371 AO Rz 53.3). Diesem Problem hat die Finanzverwaltung bis 2004 (also auch in dem Jahr, in dem der Kläger Selbstanzeige erstattet hatte) Rechnung getragen und in ihren Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) --AStBV (St)-- dem Erstatter der Selbstanzeige Gelegenheit gegeben, eine unvollständige und damit unwirksame Selbstanzeige zu vervollständigen und Straffreiheit zu erlangen (vgl. Nr. 120 Abs. 1 Satz 1 AStBV (St) a.F.). Seither sehen die Anweisungen allerdings vor, dass die Bußgeld- und Strafsachenstelle die Ermittlungen selbst durchzuführen oder zu veranlassen hat, falls die Angaben für eine wirksame Selbstanzeige nicht ausreichen und der Sachverhalt weiter aufklärungsbedürftig ist.

    Die Ablaufhemmung soll nach dem Willen des Gesetzgebers der Finanzbehörde in bestimmten Fällen auch dann noch eine Steuerfestsetzung ermöglichen, wenn dies aus bestimmten Gründen während der regelmäßigen Festsetzungsfrist nicht möglich ist (vgl. BTDrucks VI/1982, S. 151). § 171 Abs. 9 AO räumt der Finanzbehörde die Möglichkeit ein, innerhalb eines Jahres die zutreffenden Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, wenn der Steuerpflichtige selbst erklärt, unzutreffende Angaben gemacht und so Steuern hinterzogen zu haben. Maßgeblich für den Beginn der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO kann daher nur sein, dass der Steuerpflichtige den entsprechenden Lebenssachverhalt so aufdeckt, dass die Finanzbehörde in die Lage versetzt wird, insoweit ihrer Ermittlungspflicht nachzukommen. Erfüllt der Steuerpflichtige dann seine weiterhin bestehenden Mitwirkungspflichten nicht, kann die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen, auf die sich die "Selbstanzeige" des Steuerpflichtigen bezieht, notfalls auch schätzen. Aus diesem Grund und angesichts der Tatsache, dass Steuerpflichtige, deren Tat mehrere Jahre zurückliegt, häufig nicht in der Lage sind, sämtliche Angaben für eine vollständige Selbstanzeige i.S. des § 371 AO zu machen, sowie der gesetzgeberischen Intention, durch die Ablaufhemmung zu erreichen, dass Sachverhalte, auf die sich die Selbstanzeige bezieht, auch tatsächlich bei der Besteuerung berücksichtigt werden können, ist es gerechtfertigt, an eine zur Ablaufhemmung führende Selbstanzeige geringere Anforderungen zu stellen als an eine die Straffreiheit bewirkende Selbstanzeige. Nicht nur eine zur Straffreiheit nach § 371 AO führende Selbstanzeige, mit der der Steuerpflichtige seine unrichtigen oder unvollständigen Angaben in vollem Umfang berichtigt oder ergänzt, kann die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO auslösen. Ausreichend für den Beginn der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO ist, dass die angezeigte Steuerverkürzung dem Grunde nach individualisiert werden kann. Dies setzt voraus, dass der Steuerpflichtige Steuerart und Veranlagungszeitraum benennt und den Sachverhalt so schildert, dass der Gegenstand der Selbstanzeige erkennbar wird (vgl. auch Urteil des Niedersächsischen FG in EFG 2004, 468; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 171 AO Rz 84; Frotscher in Schwarz, AO, § 171 Rz 73a und 73b). Dadurch wird der nachzuversteuernde Sachverhalt gegenständlich bestimmt (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 10. Juni 2005 VIII B 324/03, Steuer-Eildienst 2005, 2149). Zwar ist die Finanzbehörde aufgrund einer unvollständigen Selbstanzeige noch nicht in der Lage, die zutreffende Steuerschuld festzusetzen. Der Fristlauf wird daher in solchen Fällen in Gang gesetzt, obwohl die Finanzbehörde noch nicht alle für eine Berichtigung des unrichtigen Steuerbescheids erforderlichen Angaben besitzt. Dies führt jedoch nicht dazu, dass der Steuerpflichtige durch die Abgabe einer Selbstanzeige "dem Grunde nach" die der Finanzbehörde maximal zur Verfügung stehende Zeit für den Erlass eines Änderungsbescheids von einem Jahr einseitig verkürzen könnte. Vielmehr hat diese es in der Hand, wie lange sie auf die noch fehlenden Angaben des Steuerpflichtigen nach einer nicht vollständigen Selbstanzeige wartet oder aber eigene Ermittlungen --beispielsweise durch eine Außenprüfung-- durchführt bzw., falls diese keinen Erfolg versprechen, die Besteuerungsgrundlagen aufgrund der Angaben des Steuerpflichtigen schätzt.

    f)

    Die vom FG vorgenommene Auslegung des § 171 Abs. 9 AO würde zu Wertungswidersprüchen führen. Gegenüber einem in vollem Umfang ehrlich gewordenen Steuerpflichtigen könnte die Finanzbehörde die hinterzogene Steuer im Rahmen des § 171 Abs. 9 AO festsetzen. Berichtigt der Steuerpflichtige die unvollständigen oder unrichtigen Angaben hingegen nur teilweise, würde die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO nicht greifen. Zudem ist zu beachten, dass auch eine Anzeige nach § 153 AO die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 9 AO auslöst. Führt aber die pflichtgemäße Korrektur von Angaben, die zunächst nur fahrlässig falsch gemacht wurden, zu einer Ablaufhemmung, muss gleiches auch für die beschränkte Korrektur vorsätzlich falscher Angaben gelten.

    3.

    Im Streitfall hat der Kläger im Schreiben vom 6. November 1998 und somit noch vor Ablauf der gesetzlichen Festsetzungsfrist den nachzuversteuernden, das Streitjahr betreffenden Sachverhalt gegenständlich bestimmt. Er hat erklärt, dass er (auch) im Jahr 1987 hinsichtlich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb und aus Kapitalvermögen unrichtige bzw. unvollständige Angaben in seiner Einkommensteuer-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuererklärung gemacht hat. Damit hat er der Finanzbehörde seine Tat in Grundzügen mitgeteilt. Der Einkommensteueränderungsbescheid 1987 vom 31. Mai 1999 und der geänderte Umsatzsteuerbescheid 1987 vom 29. Oktober 1999 sind vor dem Ende der Ablaufhemmung am 6. November 1999 und damit in nicht verjährter Zeit erlassen worden. Zwar wurde der geänderte Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 1987 erst am 19. November 1999 und damit nach Ablauf der Jahresfrist nach § 171 Abs. 9 AO zur Post gegeben. Wegen der wirksamen Änderung des Einkommensteuerbescheids 1987 konnte das FA jedoch den Gewerbesteuermessbescheid 1987 nach § 35b GewStG i.V.m. § 171 Abs. 10 AO ändern.

    4.

    Da der Kläger den nachzuversteuernden, das Streitjahr betreffenden Sachverhalt gegenständlich bestimmt und somit auch für 1987 eine zur Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO führende "Selbstanzeige" noch vor Ablauf der Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO beim FA eingereicht hat, brauchte der Senat die Frage nicht zu entscheiden, ob eine sich auf einen einheitlichen Lebenssachverhalt beziehende Selbstanzeige überhaupt auf bestimmte Jahre eingeschränkt werden kann.

    RechtsgebieteAO, GewStGVorschriftenAO § 153, § 169 Abs. 2 Satz 2, § 170 Abs. 2 Nr. 1, § 171 Abs. 9, § 370, § 371, § 378 Abs. 3 GewStG § 35b