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  • 07.06.2011 · IWW-Abrufnummer 111641

    Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 29.03.2011 – 3 K 2635/08

    1. Überhöhte Entfernungsangaben für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte können den Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllen.



    2. Der Steuerpflichtige kann dem Finanzamt nicht ohne Weiteres entgegen halten, es hätte die fehlerhaften Angaben bemerken müssen.


    Finanzgericht Rheinland-Pfalz v. 29.03.2011

    3 K 2635/08

    Tatbestand
    Streitig ist, ob die Einkommensteuerbescheide 1996 bis 2005 geändert werden konnten.

    Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Beide erzielen als kaufmännische Angestellte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Sie wohnen in der V-Straße in E. Arbeitsort der Klägerin war im Jahre 1996 G, seit 1997 A. In der Anlage N zu ihrer Einkommensteuererklärung für 1996 gab die Klägerin bei den Werbungskosten hinsichtlich der Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Zeile 35 des Vordrucks (Arbeitsstätte) „G über A” und die einfache Entfernung mit „28 km” an, die sie mit dem privaten Pkw zurückgelegt habe (Bl. 6 R Einkommensteuerakten – EStA – 1996). In den Anlagen N zu den Einkommensteuererklärungen für 1997 bis 2005 gab die Klägerin jeweils als Arbeitsort „A” und als einfache Entfernung ebenfalls jeweils „28 km” an (Bl. 6 R EStA 1997, Bl. 5 R EStA 1998, Bl. 6 R EStA 1999 und 2000, Bl. 5 R EStA 2001 und 2002, Bl. 6 R EStA 2003 und 2004, Bl. 5 R EStA 2005). Der Beklagte führte die Veranlagungen für die Streitjahre zunächst den Erklärungen gemäß durch (Bescheide für 1996 vom 04.04.1997, Bl. 7 EStA 1996; für 1997 vom 03.04.1998, Bl. 7 EStA 1997; für 1998 vom 27.04.1999, Bl. 6 EStA 1998; für 1999 vom 05.04.2000, Bl. 7 EStA 1999; für 2000 vom 10.04.2001, Bl. 12 EStA 2000; für 2001 vom 18.04.2002, Bl. 6 EStA 2001; für 2002 vom 08.04.2003, Bl. 6 EStA 2002; für 2003 vom 13.05.2004, Bl. 7 EStA 2003; für 2004 vom 25.05.2005, Bl. 8 EStA 2004 und für 2005 vom 22.05.2006, Bl. 10 EStA 2005). Bei der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2006 fiel dem Sachbearbeiter des Beklagten auf, dass die von der Klägerin angegebene Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit 28 km zu hoch angegeben war. Eine Überprüfung anhand eines Routenplaners ergab eine einfache Entfernung von E nach A von rund 10 km. Daraufhin erließ der Beklagte am 17.8.2007 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre (Bl. 19 EStA 1996, Bl. 19 EStA 1997, Bl. 25 EStA 1998, Bl. 19 EStA 1999, Bl. 22 EStA 2000, Bl. 16 EStA 2001, Bl. 16 EStA 2002, Bl. 17 EStA 2003, Bl. 18 EStA 2004 und Bl. 17 EStA 2005).

    Den gegen diese Änderungsbescheide am 03.09.2007 eingelegten Einspruch (Bl. 1 Hefter „Einsprüche 1996 – 2005” – E -) begründeten die Kläger dahin, es lägen keine neuen Tatsachen vor, die eine Änderung rechtfertigen könnten. In den Erklärungen seien sowohl die Wohnanschrift als auch die Arbeitsstätte angegeben. Dem Veranlagungsbeamten habe ohne weiteres auffallen müssen, dass die angegebene Entfernung mit den Ortsangaben nicht in Einklang zu bringen gewesen sei. Zudem sei für die Jahre 1996 bis 2001 zum Zeitpunkt der Änderung bereits die Festsetzungsfrist abgelaufen. Eine Verlängerung der Festsetzungsfrist auf 10 Jahre nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO komme nicht in Betracht, da weder eine Steuerhinterziehung noch eine leichtfertige Steuerverkürzung vorlägen (Bl. 2 E).

    Mit Einspruchsentscheidung vom 05.11.2008 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück (Bl. 40 E).

    Zur Begründung ihrer Klage tragen die Kläger vor: Die Einkommensteuerbescheide 1996 - 2005 hätten nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden dürfen. Die Klägerin wohne in E und arbeite in A. Ihre tägliche Fahrstrecke zur Arbeitsstätte führe sie über C. Seit vielen Jahren habe sie in der Einkommenserklärung die Entfernungskilometer (einfache Fahrtstrecke) zwischen Wohnung und Arbeitsstätte fehlerhaft mit 28 km anstatt mit den tatsächlichen 15 km angegeben. Sie sei irrtümlich davon ausgegangen, dass die Entfernungskilometer den tatsächlich gefahrenen Kilometer entsprächen. In dieser Meinung sei sie durch die seit 1996 jährlich erklärungsgemäß erfolgten Veranlagungen bestärkt worden. Dem Beklagten seien keine neuen Tatsachen nachträglich bekannt geworden. Ihm seien sowohl der Wohnsitz als auch die Adresse der Arbeitsstätte der Klägerin durch die jeweiligen Einkommensteuererklärungen bekannt gewesen. Beide Adressen hätten sich in dieser Zeit nicht geändert. Eine Änderung der Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO scheide aus, wenn sie auf Tatsachen gründe, die dem Finanzamt infolge Verletzung der amtlichen Ermittlungspflicht zunächst unbekannt geblieben seien. Eine solche Verletzung der Ermittlungspflicht liege vor, wenn die Finanzbehörde Zweifeln, die sich nach Sachlage aufdrängen müssten, nicht nachgehe, z.B. bei offensichtlich unzutreffenden Angaben eines Steuerpflichtigen. Die Klägerin habe die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte durch Nennung ihrer privaten Adresse und der Adresse ihrer Arbeitsstätte verbal zutreffend angegeben. Lediglich irrtümlich habe sie dann nicht die Entfernungskilometer, sondern die gefahrenen Kilometer eingetragen. Diese Kilometerdiskrepanz habe der Beklagte in den geänderten Einkommensteuerbescheiden als „offensichtlich unzutreffende Entfernung” bezeichnet. So sei in den Erläuterungen der geänderten Bescheide jeweils zur Begründung ausgeführt: „Die bisherigen Werbungskosten der Ehefrau basieren auf einer offensichtlich unzutreffenden Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte.”

    Da dem Beklagten ein offensichtlicher Widerspruch zwischen den tatsächlichen Angaben der Klägerin zu Wohnort und Arbeitsstätte einerseits und der Entfernung andererseits bei gehöriger Erfüllung seiner Sachaufklärungspflicht nicht habe verborgen bleiben und der ursprünglichen Entscheidung zugrunde gelegt werden können, lägen neue Tatsachen nicht vor. Der Einkommensteuererklärung 2006 seien unverändert dieselben Angaben zu Wohnort, Arbeitsstätte und Entfernungskilometer zu entnehmen wie den Einkommensteuererklärungen 1996 bis 2005. Dem Veranlagungsbeamten hätte ohne weiteres schon vor 2006 auffallen müssen, dass die angegebene Entfernung mit den Ortsangaben in der Erklärung nicht in Einklang zu bringen sei. Die Ortskenntnis sei nicht zuletzt der Grund dafür, dass für die Besteuerung natürlicher Personen (Einkommensteuer) das Finanzamt örtlich zuständig sei, in dessen Bezirk der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe.

    Im Übrigen sei für die Jahre 1996 bis 2005 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten. Der Beklagte habe zu Unrecht eine Festsetzungsfrist von 10 Jahren angenommen. Die Kläger hätten keine Steuerhinterziehung begangen. Es handele sich lediglich um eine Verkennung der Fragestellung in der Einkommensteuererklärung des Jahres 1996. Diese Annahme habe sich bei den Klägern als zutreffend verstärkt, nachdem die Beklagte die Angaben in die Veranlagung für 1996 und die Folgejahre unbeanstandet übernommen habe. Auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung sei nicht gegeben. Auch eine leichtfertige Steuerverkürzung liege nicht vor, weshalb auch die Festsetzungsfrist von 5 Jahren nicht einschlägig sei. Leichtfertig sei ein Verhalten, das gravierend gegen Sorgfaltspflichten verstoße und dem Täter auch besonders vorzuwerfen sei, weil er den Erfolg leicht hätte vorhersehen können. Die fehlerhaften Angaben über die Jahre seien auf eine einzelne fehlerhafte Eintragung in der Einkommensteuererklärung 1996 zurückzuführen und in den Folgejahren aus einer nicht beanstandeten Einkommensteuererklärung übertragen worden.

    Hilfsweise sei darauf hinzuweisen, dass die geänderten Bescheide selbst bei unterstellter Änderungsmöglichkeit nicht korrekt seien. Zu Unrecht sei bei der Veranlagung der Klägerin nur der jeweilige Arbeitnehmerpauschbetrag von 920,00 € / 1.044,00 € bzw. 2.000,00 DM angesetzt worden. Die auf 15 km bezogene Pendlerpauschale übersteige zusammen mit den übrigen unbeanstandeten Werbungskosten in jedem Jahr den angesetzten Pauschbetrag. Insofern werde auf eine Tabelle verwiesen.

    Die Kläger beantragen,

    die geänderten Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1996 bis 2005 vom 17.08.2007 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 05.11.2008 aufzuheben,

    hilfsweise,

    die geänderten Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1996 bis 2005 vom 17.08.2007 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 05.11.2008 dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit weitere Werbungskosten in Höhe von jeweils 150,00 DM für 1998 und 1999, in Höhe von 191.00 DM für 2000, in Höhe von jeweils 105,00 € für 2001 und 2002 und in Höhe von 75,50 € für 2004 und 2005 berücksichtigt werden.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Er führt aus: Die streitigen Einkommensteuerbescheide hätten wegen neuer Tatsachen gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden können. Die von der Klägerin angegebene Entfernungsstrecke sei eine Tatsache, die der Finanzbehörde nachträglich bekannt geworden sei, denn erst durch eine Abfrage im Routenplaner im Rahmen der Veranlagung 2006 habe sich ergeben, dass die Angaben der Klägerin nicht den Tatsachen entsprochen hätten. Der Beklagte habe auch nicht die Ermittlungspflicht verletzt. Die Veranlagung der Arbeitnehmerfälle sei ein Massegeschäft, das von wechselnden Bearbeitern, bei denen im Regelfall nicht die entsprechenden Ortskenntnisse vorhanden seien, erfolge. Dass diese Kenntnisse nicht vorhanden gewesen seien, ergebe sich schon daraus, dass die erhebliche Abweichung zwischen der Angabe der Klägerin und der tatsächlichen einfachen Entfernung nicht erkannt worden sei. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin die Angabe offensichtlich in unzutreffender Weise gemacht habe und sie damit ihre Mitwirkungspflicht in erheblicher Weise verletzt habe. Es sei auch nicht zweifelhaft, dass die Klägerin bewusst unzutreffende Angaben gemacht habe und damit die erweiterte Festsetzungsfrist wegen Steuerhinterziehung gegeben sei. Die Frage in der Anlage N nach der einfachen Entfernung sei eindeutig. Eine Verkennung der Fragestellung sei ausgeschlossen. Hinzu komme, dass die Frage nach der einfachen Entfernung in der Anlage N des Klägers zutreffend beantwortet und hier somit die Fragestellung nicht verkannt worden sei. Es bestünden keine Zweifel, dass die Klägerin unzutreffende Angaben gemacht habe, um einen steuerlichen Vorteil zu erlangen. Nachdem dies in 1996 funktioniert habe, habe sie dies auch in den Folgejahren beibehalten und sich bei Entdeckung der unzutreffenden Angaben auf diesen erworbenen Vorteil berufen. Im Ergebnis komme bei der Klägerin lediglich der Werbungskostenpauschbetrag zum Ansatz. Insoweit gingen die Ausführungen bezüglich des unzutreffenden Ansatzes der Werbungskostenpauschale ins Leere.



    Gründe
    Die Klage ist nur zu einem geringen Teil begründet. Der Einkommensteueränderungsbescheid für 1996 vom 17.08.2007 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 05.11.2008 – soweit sie den Änderungsbescheid für 1996 betrifft - sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, weshalb sie aufzuheben sind. Im Übrigen hingegen, also für die Streitjahre 1997 bis 2005, ist die Klage unbegründet. Insofern sind die angefochtenen Änderungsbescheide und die Einspruchsentscheidung rechtmäßig.

    1. Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit über die Frage, dass die in den ursprünglichen Einkommensteuerbescheiden für die Streitjahre angesetzten Werbungskosten für die Fahrten der Klägerin zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Bezug auf die anzusetzende Entfernung nicht korrekt waren.

    2. Streitig ist aber, ob die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine Änderung der Einkommensteuerbescheide für 1996 bis 2005 vorliegen.

    Zu Recht hat der Beklagte angenommen, dass die Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden konnten.

    a) Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide zu ändern, soweit nachträglich Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Unter einer Tatsache im Sinne des § 173 AO ist das zu verstehen, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Als Beweismittel sind diejenigen Erkenntnismittel anzusehen, die der Aufklärung des steuerrechtlich erheblichen Sachverhalts dienen, d.h. die geeignet sind, das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Tatsachen zu beweisen (st. Rspr., z. B. BFH-Urteile vom 20. Dezember 1988 – VI­II R 121/83, BStBl II 1989, 585 und vom 27. Oktober 1992 – VI­II R 41/89, BStBl II 1993, 569). Demgegenüber sind rechtliche Schlussfolgerungen, insbesondere juristische Wertungen und Subsumtionen keine Tatsachen im Sinne des § 173 Abs. 1 AO. Auch eine geänderte Rechtsauffassung der Finanzverwaltung, d.h. eine andere rechtliche Wertung bereits bekannter Tatsachen, ist keine Tatsache im Sinne der genannten Vorschrift (st. Rspr., z. B. BFH-Urteil vom 14. Mai 2003 – X R 60/01, BFH/NV 2003, 1144).

    b) Die Änderung eines Bescheides ist nach Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn dem Finanzamt die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Allerdings muss der Steuerpflichtige seinerseits seine Mitwirkungspflicht erfüllt haben. Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das Finanzamt es versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung, mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 24.01.2002 XI R 2/01, BStBl II 2004, 444).

    c) Die an die Ermittlungen der Finanzbehörde nach § 88 AO zu stellenden Anforderungen sind nicht allgemein festzulegen. Die Finanzbehörde verletzt ihre Amtsermittlungspflicht nur dann, wenn sie offenkundigen Zweifelsfragen oder Unklarheiten nicht nachgeht und Ermittlungsmöglichkeiten nicht nutzt, deren Ergiebigkeit sich ihr hätten aufdrängen müssen (vgl. BFH-Urteile vom 12.07.2001 VII R 68/00, BStBl II 2002, 44 und vom 28.06.2006 XI R 58/05, BStBl II 2006, 835; Beschluss vom 22.08.2007 VIII B 220/06 – juris -). Grundsätzlich darf die Finanzbehörde davon ausgehen, dass der steuerliche erhebliche Sachverhalt richtig, vollständig und deutlich angegeben worden ist. Sie muss den Angaben des Steuerpflichtigen nicht mit Misstrauen begegnen. Werden Steuererklärungen abgegeben, so muss sie eventuellen Unklarheiten und Zweifelsfragen nachgehen, die sich aus der Erklärung oder den dazu eingereichten Unterlagen aufdrängen.

    2. Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen im Streitfall die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vor.

    Die im vorliegenden Zusammenhang entscheidungserhebliche Tatsache, dass nämlich die einfache Entfernung zwischen Eisenberg und Grünstadt bzw. zwischen E und A ca. 10 km beträgt, war dem Beklagten im Zeitpunkt des Erlasses der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre nicht bekannt, sondern wurde erst im Rahmen der Bearbeitung der Steuererklärung für das Jahr 2006 seitens eines ortskundigen Mitarbeiters des Beklagten und auf Grund einer Überprüfung der Angaben anhand eines Routenplaners bekannt.

    a) Bei der Frage, welche Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort des Steuerpflichtigen liegt, handelt es sich um eine Tatsache, die der Steuerpflichtige im Rahmen seiner Steuererklärung anzugeben hat, während die Subsumtion, also die Prüfung der Frage, ob die rechtlichen Voraussetzungen für die steuerliche Berücksichtigung der geltend gemachten Werbungskosten (hier: Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte) vorliegen, von der Behörde bei der Veranlagung vorzunehmen ist.

    b) In ihren Steuererklärungen für die Jahre 1996 bis 2005 hat die Klägerin die jeweils in der Zeile 35 (für 1996 bis 2000) bzw. Zeile 36 (für 2001 bis 2004) bzw. Zeile 45 (für 2005) der Anlage N gestellte Frage nach der einfachen Entfernung mit 28 km angegeben.

    Diese Angaben der Klägerin waren weder widersprüchlich noch zweifelhaft, sondern eindeutig und sie boten dem Veranlagungsbeamten keinen Anlass, ihnen nachzugehen, weitere Überprüfungen oder Ermittlungen anzustellen. Dabei ist zum Einen zu berücksichtigen, dass die Klägerin selbst verpflichtet und auch in der Lage war, die zutreffende Antwort auf die gestellte Frage zu beantworten, da es sich um in ihrer persönlichen Sphäre liegende Umstände handelt. Zum anderen ist zu sehen, dass es sich bei der Veranlagung der Arbeitnehmerfälle um ein Massengeschäft handelt, das von immer wieder wechselnden Bearbeitern erledigt wird, die nicht in jedem Fall über hinreichende Ortskenntnisse verfügen, um etwaige Unstimmigkeiten einzelner Angaben in einer Steuererklärung auf Anhieb erkennen zu können. Auch bestand kein Anlass, den Angaben der Klägerin mit Misstrauen zu begegnen.

    c) Aber selbst wenn man davon ausginge, die Veranlagungsbeamten hätten seinerzeit bereits die fehlerhaften Entfernungsangaben erkennen können, stünde dies einer Änderung auf der Grundlage des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht entgegen. Denn es liegt eine erhebliche Verletzung der Mitwirkungspflichten auf Seiten der Klägerin vor. Die Klägerin war verpflichtet, in ihrer Steuererklärung nach bestem Wissen und Gewissen wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Auf diese Verpflichtung war sie jeweils im Mantelbogen der Einkommensteuererklärungen besonders hingewiesen worden und sie musste die Korrektheit ihrer Angaben mit ihrer Unterschrift versichern. Gleichwohl hat sie hinsichtlich der Entfernung Wohnung/Arbeitsstätte fehlerhafte Kilometerangaben gemacht. Soweit sie in diesem Zusammenhang angibt, sie habe seinerzeit irrtümlich angenommen, die Entfernungskilometer entsprächen den tatsächlich gefahrenen Kilometern, vermag diese Einlassung die falschen Angaben nicht zu erklären. Denn ausgehend von der tatsächlichen Entfernung zwischen E und A (bzw. G) von lediglich 10 km - nicht 15 km, wie in der Klageschrift angegeben - ergäben sich tatsächlich gefahrene Kilometer (also Hin- und Rückfahrt) von nur 20 km, keinesfalls aber von 28 km, wie von der Klägerin in den Steuererklärungen eingetragen.

    Damit liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Änderung der Einkommensteuerbescheide für 1996 bis 2005 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vor.

    3. Der Änderung der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide steht allerdings hinsichtlich des Streitjahres 1996 der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen, da für diesen Veranlagungszeitraum nicht vom Vorliegen eine Steuerhinterziehung im Sinne des § 370 AO auszugehen ist. Anders verhält es sich dagegen in Bezug auf die Streitjahre 1997 bis 2001. Insoweit ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass eine Steuerhinterziehung vorliegt mit der Folge, dass sich gem. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO für diese Jahre die Festsetzungsfrist auf zehn Jahre verlängert.

    a) Nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO beträgt die Festsetzungsfrist für die im Streitfall in Rede stehende Steuerart grundsätzlich vier Jahre. Sie begann nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO für 1996 mit Ablauf des Kalenderjahres 1997, in welchem die Kläger die Einkommensteuererklärung für 1996 abgegeben haben und endete bei regulärem Ablauf mit Ende des Kalenderjahres 2001. Damit wäre an sich für 1996 Festsetzungsverjährung eingetreten. Soweit eine Steuer hinterzogen worden ist, verlängert sich allerdings die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf zehn Jahre und auf fünf Jahre, wenn sie leichtfertig verkürzt worden ist. Festsetzungsverjährung für 1996 wäre damit bei Vorliegen einer Steuerhinterziehung erst mit Ablauf des Jahres 2007 eingetreten, der Änderungsbescheid vom 17.08.2007 vor Eintritt der Festsetzungsverjährung ergangen. Entsprechendes gilt für die Veranlagungszeiträume 1997 bis 2001.

    Eine Steuer ist u.a. dann hinterzogen, wenn der Steuerpflichtige den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht und dadurch Steuern verkürzt (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO sind Steuern namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden. Voraussetzung ist, dass die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung bzw. einer leichtfertigen Steuerverkürzung vorliegen, wobei die objektiven Tatbestandsmerkmale in beiden Begehungsformen identisch sind.

    Vorsätzlich handelt, wer weiß, dass er über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dies auch will oder zumindest für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, und auch weiß oder für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass dadurch nicht die tatsächlich geschuldete Steuer, sondern eine niedrigere festgesetzt wird. Leichtfertig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Falles und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm hätte aufdrängen müssen, dass dadurch eine Steuerverkürzung eintritt.

    Ob die Tat strafrechtlich verfolgt und bestraft worden ist oder ob sie – etwa wegen einer Selbstanzeige - nicht bestraft werden konnte, ist für die Frage des Eintritts der Festsetzungsverjährung ohne Belang (vgl. Rüsken in Klein, AO, Kommentar, § 169 Rz. 26). Der Sinn der längeren Festsetzungsverjährung liegt darin, dass bei einer Steuerhinterziehung bzw. -verkürzung in aller Regel die Sachaufklärung erschwert ist und den Finanzbehörden deshalb ein längerer Zeitraum eingeräumt werden soll.

    aa) Im Streitfall liegen die objektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung im Sinne des § 370 AO hinsichtlich sämtlicher Streitjahre vor.

    Die Klägerin hat den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht, § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Dies ergibt sich aus dem Inhalt der Behördenakten sowie den eigenen Angaben des Klägers im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren. Danach ist davon auszugehen, dass die Klägerin gegenüber dem Finanzamt objektiv falsche Angaben hinsichtlich der Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsort gemacht hat. Denn sie hat nicht die einfache Entfernung zwischen E und G bzw. E und A, sondern mehr als das doppelte der Wegstrecke erklärt.

    bb) Die subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung liegen in Bezug auf das Streitjahr 1996 allerdings nicht vor. Insoweit hält es der erkennende Senat für durchaus denkbar, dass die Klägerin die Eintragung der Wegstrecke zum Arbeitsort „G über A” und die Angabe der Kilometer mit „28” in der Annahme, die Entfernungskilometer entsprächen den tatsächlich gefahrenen Kilometern, lediglich versehentlich, nicht aber bewusst fehlerhaft vorgenommen hat.

    cc) Anders verhält es sich aber hinsichtlich der Streitjahre 1997 bis 2001. Insofern ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin zumindest bedingt vorsätzlich handelte, als sie die unzutreffenden Angaben hinsichtlich der Wegstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte machte. Insoweit liegen objektive Merkmale vor, die das Vorliegen einer Steuerhinterziehung auch in subjektiver Hinsicht begründen.

    Während sich nämlich im Veranlagungszeitraum 1996 der Arbeitsort der Klägerin noch in Grünstadt befand und sie in diesem Jahr ihren eigenen Angaben zufolge von E über A nach G gefahren ist, befand sich ihr Arbeitsplatz ab 1997 im Ort A. Sie musste sich also bei der Anfertigung ihrer Steuererklärung Gedanken über die von ihr benutzte Fahrtstrecke machen und es musste ihr dabei bewusst sein, dass die Entfernung zu ihrem neuen Arbeitsplatz deutlich geringer war als diejenige von E über A nach G und dass – unabhängig von der tatsächlichen Entfernung - dieselbe Angabe „28 km” nicht zutreffend sein kann. Wenn sie gleichwohl in der Erklärung für 1997 und für die Folgejahre gleichwohl dieselben Entfernungskilometer angab, kann sie diese Eintragung nur vorsätzlich fehlerhaft vorgenommen haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin um die genaue Entfernung nach A wusste, da sie die Strecke an sämtlichen Arbeitstagen selbst gefahren ist. Die Erklärung der Klägerin für die fehlerhaften Angaben ist demgegenüber bereits in sich nicht schlüssig, nachdem die tatsächliche Entfernung zwischen E und A lediglich 10 km beträgt und bei der Annahme, es sei nach den tatsächlich gefahrenen Kilometer gefragt, allenfalls 20 km, nicht aber 28 km anzugeben gewesen wären.

    Die Klägerin muss es ferner auch unter Zugrundelegung einer laienhaften Bewertung zumindest für möglich gehalten haben, dass sie mit den falschen Angaben einen höheren als den ihr zustehenden Werbungskostenabzug erreicht.

    c) Mithin ist für Jahre 1997 bis 2001 auf Grund der Verlängerung der Festsetzungsfrist auf zehn Jahre keine Festsetzungsverjährung eingetreten. Die Einkommensteueränderungsbescheide für die Veranlagungszeiträume 2002 bis 2005 ergingen innerhalb der regulären Festsetzungsfrist.

    4. Soweit die Kläger schließlich hilfsweise eine Korrektur der angefochtenen Änderungsbescheide für die Jahre 1998 bis 2005 dahingehend begehren, dass bei der Veranlagung der Klägerin anstelle des Arbeitnehmerpauschbetrages von 2.000,- DM (für 1998 bis 2001), 1044,- € (für 2002 und 2003) bzw. 920,00 € (für 2004 und 2005) im Einzelnen bezifferte Werbungskosten angesetzt werden, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Denn die Klägerin geht in ihrer mit der Klagebegründung vorgelegten Aufstellung insofern von einem unrichtigen Sachverhalt aus, als sie bei sog. Pendlerpauschale eine Entfernung Wohnung/Arbeitsstätte von 15 km annimmt, während die einfache Entfernung tatsächlich bei 10 km liegt. Legt man aber diesen Wert und die übrigen unbeanstandet gebliebenen Werbungskosten zu Grunde, ergeben sich für alle Veranlagungszeiträume von 1998 bis 2005 Werbungskosten, die unter dem jeweiligen Arbeitnehmerpauschbetrag liegen.

    5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO.

    6. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

    RechtsgebietAOVorschriftenAO § 88 , 169 Abs. 2 Satz 2, 173 Abs. 1 Nr. 1, 370 Abs. 1