17.08.2011 · IWW-Abrufnummer 112743
Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 10.05.2011 – 4 V 19/11
Ein Steuerpflichtiger schuldet Hinterziehungszinsen gemäß § 235 AO auch dann, wenn ein Dritter die Steuerhinterziehung begangen und die hinterzogenen Beträge auf betrügerische Weise zu Lasten des Steuerpflichtigen für sich vereinnahmt hat. § 235 Abs. 1 Satz 2 AO meint nur den steuerlichen, nicht den wirtschaftlichen Vorteil.
Finanzgericht Hamburg v. 10.05.2011
4 V 19/11
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Erhebung von Hinterziehungszinsen.
Die Antragstellerin führte Ende 2006 Druckerkartuschen aus China ein. Bei der Einfuhr wurde sie vertreten von der A Spedition GmbH (im Folgenden: Spedition). Die zu zahlenden Einfuhrabgaben berechnete die Spedition zutreffend in der gesetzlich geschuldeten Höhe und stellte sie der Antragstellerin in Rechnung. Die Antragstellerin zahlte die Einfuhrabgaben an die Spedition in der Annahme, diese würde die Abgaben an das zuständige Zollamt abführen. Die Spedition machte jedoch in der Zollanmeldung falsche Angaben zum Zollwert, woraufhin das Zollamt Abgaben in zu geringer Höhe berechnete. Die Differenz zwischen den von der Antragstellerin an die Spedition gezahlten Abgaben und den von der Spedition an das Zollamt abgeführten Abgaben behielt die Spedition ein. Feststellungen des Zollfahndungsamtes führten insoweit zur Annahme einer Steuerhinterziehung.
Mit Einfuhrabgabenbescheiden vom 28.08.2009 und 17.11.2009 erhob der Antragsgegner deswegen gegenüber der Antragstellerin als Zollanmelderin, gesamtschuldnerisch mit dem Geschäftsführer der Spedition (B), Einfuhrabgaben in Höhe von insgesamt 65.997,40 € nach. Die Antragstellerin legte gegen die Einfuhrabgabenbescheide Einspruch ein, über den noch nicht entschieden worden ist, und beglich die Abgabenforderung.
Mit Bescheiden vom 14.12.2010 und 15.12.2010 setzte der Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin gesamtschuldnerisch mit B (als Haftenden nach § 71 i. V. m. § 191 AO) gemäß § 235 AO Hinterziehungszinsen in Höhe von 5.759 € und 2.278 € fest.
Gegen beide Zinsbescheide legte die Antragstellerin am 27.12.2010 Einspruch ein und beantragte kurz danach die Aussetzung der Vollziehung.
Mit Bescheid vom 19.01.2009 lehnte der Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung ab. Der Geschäftsführer der Spedition habe bewirkt, dass die Einfuhrabgaben in zu geringer Höhe festgesetzt worden seien. Die hinterzogenen Steuern seien zu verzinsen, ein Ermessensspielraum bestehe nicht. Schuldner sei derjenige, zu dessen Vorteil die Steuern hinterzogen worden seien. Dies sei die Antragstellerin, da die Abgaben ursprünglich zu ihren Gunsten in zu geringer Höhe festgesetzt worden seien. Dass sie die Abgaben tatsächlich in zutreffender Höhe an die Spedition gezahlt habe, sei unerheblich.
Am 01.02.2011 hat die Antragstellerin den vorliegenden Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt. Die Rechtmäßigkeit der Zinsbescheide sei ernstlich zweifelhaft. Sie habe weder selbst Steuern hinterzogen noch aus der Steuerhinterziehung irgendeinen Vorteil erlangt. Tatsächlich habe sie Steuern doppelt entrichtet - an die Spedition und an den Antragsgegner. Einen Vorteil habe lediglich die Spedition bzw. deren Geschäftsführer gehabt. Zumindest hätte sich das Auswahlermessen auf die Inanspruchnahme der Spedition bzw. des Geschäftsführers reduziert. Die Überlegung, dass der Geschäftsführer mutmaßlich nicht zur Zahlung der Zinsen in der Lage sein würde, sei sachfremd.
Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung der Bescheide vom 15.12.2010 über 5.759 € und vom 14.12.2010 über 2.278 € auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er meint, die Zinsen seien zwingend gegenüber der Antragstellerin als Zinsschuldnerin gem. § 235 Abs. 1 S. 1AO festzusetzen. Die Steuern seien immer zu Gunsten desjenigen hinterzogen worden, der die Steuern geschuldet habe. Auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise komme es nicht an. Davon abgesehen habe die Antragstellerin aller Voraussicht nach die Einfuhrumsatzsteuerbeträge in unzutreffender Höhe als Vorsteuer geltend gemacht und so ebenfalls einen wirtschaftlichen Vorteil gehabt. Das Auswahlermessen habe er fehlerfrei ausgeübt. Gemeinsam mit dem Haftungsschuldner der Einfuhrabgaben sei sie für die strittigen Zinsen Gesamtschuldnerin. Da gegen den Geschäftsführer noch erhebliche Forderungen aus dem Komplex offen seien, sei fraglich, ob er weitere Zahlungen leisten könne. Daher komme seine vorrangige Inanspruchnahme, auch wenn er die Tathandlungen ohne Wissen der Antragstellerin durchgeführt habe, nicht in Betracht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Sachakte des Antragsgegners Bezug genommen.
Gründe
II.
Der gem. § 69 Abs. 3 FGO zulässige Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hat keinen Erfolg.
Nach § 69 Abs. 3 FGO kann das Gericht der Hauptsache einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 bis 6 FGO entsprechen. Danach soll die Vollziehung ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Durch die Verknüpfung mit einer Sicherheitsleistung sollen Steuer- und Abgabenausfälle bei einem für den Steuer- bzw. Abgabenpflichtigen ungünstigen Verfahrensausgang vermieden werden.
Die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Zinsbescheide unterliegt keinem ernstlichen Zweifel.
Gemäß § 235 Abs. 1AO sind hinterzogene Steuern zu verzinsen. Im Streitfall wurden Einfuhrabgaben zunächst in zu geringer Höhe festgesetzt, weil die die Antragstellerin vertretende Spedition bei der Einfuhranmeldung vorsätzlich und ohne Kenntnis der Antragstellerin einen zu niedrigen Zollwert angegeben hatte. Insofern wurden gegenüber dem Zollamt im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO über steuerlich erhebliche Tatsachen - nämlich den Zollwert - unrichtige Angaben gemacht, so dass die Steuern verkürzt wurden und der Tatbestand einer vollendeten Steuerhinterziehung erfüllt ist. Davon gehen auch die Beteiligten übereinstimmend aus, weiterer Ausführungen des Senats bedarf es insoweit nicht. Dass diese Angaben nicht von der Antragstellerin selbst, sondern von der sie gem. Art. 5 Zollkodex vertretenden Spedition gemacht wurden, ist unerheblich. Für § 235 Abs. 1 S. 1 AO kommt es weder darauf an, von wem die Steuern hinterzogen worden sind, noch ob eine strafrechtliche Verurteilung des Steuerschuldners erfolgt ist (Loose in Tipke/Kruse § 35 Rn. 3 und 6).
Zinsschuldner ist gemäß § 235 Abs. 1 S. 2 AO derjenige, zu dessen Vorteil die Steuern hinterzogen worden sind. Das war vorliegend die Antragstellerin. Es kommt dabei nicht darauf an, inwieweit die Steuerhinterziehung wirtschaftlich vorteilhaft war - was sie für die Antragstellerin ersichtlich nicht wahr -, sondern inwieweit sie steuerlich vorteilhaft war. Ein solcher steuerlicher Vorteil kann auch bestehen, wenn dem Steuerschuldner durch die Steuerhinterziehung des Dritten ein wirtschaftlicher Nachteil entstanden ist (BFH, Urteil vom 27.6.1991, V R 9/86). Dabei kann nicht auf das Vertragsverhältnis zwischen der Antragstellerin und der Spedition, sondern nur auf das Verhältnis zwischen der Antragstellerin und dem Hauptzollamt abgestellt werden, da nur insoweit ein steuerliches Verhältnis besteht (vgl. BFH, Urteil vom 27.06.1991, V R 9/86). Der steuerliche Vorteil der Antragstellerin besteht darin, dass die hinterzogenen Steuern zu einem Zeitpunkt gezahlt wurden, der nach dem Fälligkeitstermin lag. Zunächst wurden von der Antragstellerin - vertreten durch die Spedition - nur die aufgrund eines zu niedrig angegebenen Zollwertes berechneten Einfuhrabgaben bezahlt. Die Differenz zu den tatsächlich geschuldeten Einfuhrabgaben zahlte sie erst später, nämlich aufgrund der Nacherhebungsbescheide. Insoweit ergibt sich bei ihr als Abgabenschuldnerin ein steuerlicher Vorteil. Dass die Antragstellerin tatsächlich an die Spedition eine Zahlung geleistet hat, die den rechtlich geschuldeten Einfuhrabgaben entspricht, ist unerheblich. Zahlungen an die Spedition haben im Hinblick auf die Abgabenschuld keine befreiende Wirkung. Dass die Antragstellerin gutgläubig und - auch nach Darstellung des Antragsgegners - an der Steuerhinterziehung nicht beteiligt war, ist unerheblich, da es nach § 235 Abs. 1 AO nicht auf ein Verschulden des Zinsschuldners ankommt. Davon abgesehen hat sich die Antragstellerin bei der Erfüllung ihrer steuerlichen Pflichten der Spedition als ihrer Erfüllungsgehilfin (§ 278 BGB) bedient und muss sich deren schuldhaftes Verhalten zurechnen lassen (BFH, Urteil vom 27.06.1991, V R 9/86).
Ein Fall des § 235 Abs. 1 S. 3 AO, der Fälle enthält, in denen jemand zur Entrichtung von Steuern für Rechnung eines Dritten verpflichtet ist, ist nicht gegeben. Gemeint sind Fälle, in denen jemand aufgrund der Regelungen bestimmter Steuerarten Steuern einzubehalten und abzuführen oder zu entrichten hat (Loose in Tipke/Kruse § 35 Rn. 15).
Schließlich spricht gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides nicht, dass die gegenüber der Antragstellerin und dem Geschäftsführer der Spedition ergangenen Nacherhebungsbescheide noch nicht bestandskräftig geworden sind, weil der Antragsgegner über die Einsprüche der Antragstellerin noch nicht entschieden hat. Davon, dass es sich um hinterzogener Steuern handelt, ist auszugehen. Daran ändert sich auch nichts, wenn sie - aus welchen Gründen auch immer - nicht gegenüber der Antragstellerin erhoben werden sollten.
Dass die Antragstellerin als Abgaben- und Zinsschuldnerin gleichrangig neben dem Geschäftsführer der Spedition als Haftendem in Anspruch genommen worden ist, hält der Senat nicht für ermessensfehlerhaft.
Dass die Vollziehung der angefochtenen Zinsbescheide für die Antragstellerin eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, trägt sie selbst nicht vor.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 135 Abs. 1, 128 Abs. 3 i. V. m. 115 Abs. 2 FGO.