25.08.2011 · IWW-Abrufnummer 113677
Finanzgericht München: Urteil vom 25.05.2011 – 13 K 1631/08
1. Die Gewinnermittlung auf der Basis eines Betriebsvermögensvergleichs nach § 4 Abs. 1, § 5 EStG ist die vorrangige Gewinnermittlungsart bei Einkünften aus Gewerbebetrieb. In Schätzungsfällen muss deshalb eine Schätzung auf dieser Basis erfolgen.
2. Dies gilt nur dann nicht, wenn keine Buchführungspflicht besteht und der Steuerpflichtige durch die Art der Einrichtung seiner Buchführung oder auf andere Weise eine Gewinnermittlung durch Einnahme-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG gewählt und diese Wahl nach außen kenntlich gemacht hat.
3. In einer geschätzten Bilanz ist dem Grunde nach eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten im Hinblick auf den angeordneten Verfall (§ 73 StGB) der Gewinne aus dem Bordellbetrieb zu bilden, da der Verfall durch den Betrieb des Klägers verursacht wurde.
4. Die Bildung einer Rückstellung oder einer Verbindlichkeit für den angeordneten Verfall wird nicht durch ein steuerliches Abzugsverbot (weder durch § 12 Nr. 4 EStG noch durch § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG) ausgeschlossen.
5. Die spätere Verfallsanordnung ist bereits in Form einer Rückstellung zu berücksichtigen, wenn die Straftat aufgedeckt ist. Dies kann regelmäßig im Zeitpunkt eines Durchsuchungsbeschlusses angenommen werden.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In der Streitsache
hat das Finanzgericht München, 13. Senat […] als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung am 25. Mai 2011
für Recht erkannt:
1. Unter Änderung der Bescheide über die Einkommensteuer für 2002, 2003 und 2004 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 3. April 2008 wird die Einkommensteuer für 2002 auf 1.719 EUR, für 2003 auf 0 EUR und für 2004 auf 188 EUR herabgesetzt.
2. Unter Änderung der Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag für 2003 und 2004 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 3. April 2008 wird der Gewerbesteuermessbetrag für 2003 auf 0 EUR und für 2004 auf 0 EUR herabgesetzt.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kosten des Verfahrens wegen der Einkommensteuer trägt der Beklagte. Die Kosten des Verfahrens wegen der Gewerbesteuermessbeträge trägt der Kläger zu 13/100 und der Beklagte zu 87/100.
5. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Kläger die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.
Gründe
Streitig ist die Schätzung von Gewinnen aus Gewerbebetrieb.
I.
Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Der Kläger betrieb in den Streitjahren die Nachtbar [… „Bar”] in [… D-Dorf]. Ab Juli 2002 zeigte der Kläger dem Gewerbeamt eine Erweiterung des bestehenden Gewerbes um einen „Club zur Freizeitgestaltung” an. Außerdem betrieb er in den Streitjahren eine Pension mit Dauermietern, die zum Teil vom Landratsamt vermittelt worden waren. Der Kläger war in den Streitjahren der Eigentümer des Hausgrundstücks, in dem die Bar und die Pension betrieben wurden. Letztmals reichten die Kläger für das Jahr 2002 eine Einkommensteuererklärung (am 28. Juli 2004) ein.
Ab November 2003 ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen verschiedene Personen, u.a. auch den Kläger, wegen des gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern und der Beihilfe zur verbotenen Prostitution. Im Januar 2004 wurde das Ermittlungsverfahren an die Staatsanwaltschaft [… M-Stadt] abgegeben. Am 5. März 2004 erließ der zuständige Ermittlungsrichter einen Durchsuchungsbeschluss im Ermittlungsverfahren gegen den Kläger und am 11. März 2004 wurden Wohnung und Bar des Klägers durchsucht (Staatsanwaltschaft [… M-Stadt], Strafakte […], Bl 173 ff.). Im Zuge der weiteren Ermittlungen gelangte die Staatsanwaltschaft zu der Auffassung, dass in der Nachtbar und den angrenzenden Räumlichkeiten seit Juli 2002 vorwiegend tschechische, rumänische und ungarische Staatsangehörige der Prostitution nachgingen und dass in [… D-Dorf] die Prostitution wegen der zu geringen Einwohnerzahl gemäß § 1 Satz 1 der Rechtsverordnung nach § 297 Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB) untersagt ist. Der Kläger habe in dem Zeitraum von Juli 2002 bis März 2004 von den dort t ätigen Prostituierten jeweils die Hälfte der Einnahmen aus ihrer Prostitutionstätigkeit erhalten. In der Zeit zwischen 1. Juli 2002 und 31. März 2004 stellte die Staatsanwaltschaft Bareinzahlungen in großem Umfang auf dem Girokonto des Klägers fest (Staatsanwaltschaft [… M-Stadt], Strafakte […], Bl 278, 273, 274). Mit (seit 25. Juni 2005 rechtskräftigem) Urteil des Amtsgerichts [… D-Dorf] vom 28. Dezember 2004 wurde der Kläger wegen der Einschleusung von Ausländern und der Beihilfe zur Aus übung der verbotenen Prostitution zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Im Urteil war gemäß § 73 Strafgesetzbuch (StGB) der Verfall des vom Kläger aufgrund der Beihilfe zur Ausübung der verbotenen Prostitution (§ 27 Abs. 1 StGB, § 184d StGB i.d.F. Jahres 2004) erlangten Vermögensvorteils in Höhe von 174.000 EUR angeordnet. Das Strafgericht ging bei seiner Ermittlung des aufgrund der Straftat 4 erlangten Vermögensvorteils davon aus, dass der Kläger in dem Zeitraum von Juli 2002 bis März 2004 die Bar an 580 Tage geöffnet gehabt habe und dass im Durchschnitt drei Prostituierte zweimal pro Nacht mit Freiern den Geschlechtsverkehr vollzogen hätten und dafür täglich Einnahmen von 600 EUR erlöst worden seien. Dem Kläger sei jeweils die Hälfte davon verblieben, also täglich 300 EUR. Daraus ermittelte das Gericht, dass der Kläger aus der Beihilfe zur Prostitution einen Betrag in Höhe von 174.000 EUR in dem Zeitraum von 21 Monaten i.S. von § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erlangt habe.
Am 27. Januar 2006 wurde gegen den Kläger das Steuerstrafverfahren eingeleitet. Der Steuerfahnder beschränkte sich bei seiner Prüfung auf die Ermittlung der Einnahmen und Gewinne aus der in seinem Gewerbebetrieb durchgeführten Prostitution im Zeitraum von Juli 2002 bis März 2004. Von der Steuerfahndung wurden keine weiteren strafprozessualen Maßnahmen durchgeführt und die Ermittlungen beschränkten sich auf die Auswertung der staatsanwaltschaftlichen und strafgerichtlichen Akten. Der Prüfer vertrat die Auffassung, dass der vom Strafgericht für die Verfallsanordnung ermittelte Vermögensvorteil zeitanteilig der Besteuerung zu Grunde zu legen sei. Der gesamte Ermittlungszeitraum betrage 21 Monate, der ermittelte Vermögensvorteil entspräche dem steuerlichen Gewinn und bei einem gesamten Gewinn von 174.000 EUR sei ein durchschnittlicher monatlicher Gewinn von 8.300 EUR anzusetzen. Weitere Betriebsausgaben seien nicht zu berücksichtigen. Aus der Beihilfe zur Prostitution seien dem Kläger Gewinne aus Gewerbebetrieb für 2002 in Höhe von 49.800 EUR (sechs Monate), für 2003 in Höhe von 99.600 EUR (zwölf Monate) und für 2004 in Höhe von 24.900 EUR (drei Monate) zuzurechnen (Bericht über die Ermittlungen und Feststellungen der Steuerfahndung in der Steuerstrafsache – Steufa-Bericht – gegen den Kläger vom 6. Februar 2006; […]).
Der Beklagte – das Finanzamt (FA) – folgte der Auffassung des Fahndungsprüfers und änderte mit Bescheid vom 3. Mai 2006 die Einkommensteuerfestsetzung für 2002, mit Bescheid vom 2. August 2006 die Einkommensteuerfestsetzung für 2003 und setzte mit Bescheid vom 2. August 2006 erstmals die Einkommensteuer für 2004 fest. Außerdem setzte das FA erstmals mit Bescheiden vom 3. Mai 2006 die Gewerbesteuermessbeträge für 2002, 2003 und 2004 fest.
Die dagegen gerichteten Einsprüche begründete der Kläger damit, dass das Strafurteil von falschen Voraussetzungen ausgehe. Mit Einspruchsentscheidungen vom 3. April 2008 wurden die Einsprüche gegen die Einkommensteuerbescheide und die Gewerbesteuermessbetragsbescheide als unbegründet zurückgewiesen.
Mit Bescheiden vom 21. August 2006 erteilte das FA den Klägern Aufteilungsbescheide für die Einkommensteuer in den Streitjahren und stellte fest, dass auf die Klägerin keine rückständige Steuer entfalle.
Mit ihrer Klage gegen die Einkommensteuerbescheide und Gewerbesteuermessbetragsbescheide wenden sich die Kläger gegen die Schätzung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Zur Begründung ihrer Klage tragen die Kläger vor, dass die Schätzung des Strafgerichts und die darauf aufbauende Schätzung des FA zu hoch gegriffen seien. Es seien nicht täglich zwei bis drei Personen als Prostituierte beschäftigt gewesen. Es sei nur gelegentlich ein bis zweimal die Woche mehr als eine Person in der Nachtbar anwesend gewesen. Bei ein bis zwei täglich anwesenden Mädchen ergebe sich nur ein durchschnittlicher monatlicher Gewinn von ca. 1.725 EUR. Aus dem Arrestbeschluss der Staatsanwaltschaft vom 19. August 2004 ergebe sich auch, dass die Staatsanwaltschaft ursprünglich mit einem viel geringeren Gewinn gerechnet habe. Dieser erste Arrestbeschluss laute nämlich nur auf einen Betrag von 67.465 EUR. Aus einer eidesstattlichen Versicherung des Zeugen im Strafverfahren […] (XX) ergebe sich, dass dieser in der Hauptverhandlung vor dem Strafgericht bezüglich der Zahlungen und Einnahmen, die der Kläger erhalten habe, stark übertrieben habe. Außerdem habe der Zeuge XX erklärt, dass er verschiedene Gelder vom Kläger erhalten habe, um als V-Mann für die Polizei verschiedene Kapitaldelikte aufklären zu können. Im Übrigen sei der vom Strafgericht angeordnete Verfall in Höhe von 174.000 EUR bei der Sch ätzung gewinnmindernd zu berücksichtigen; dies sei bisher nicht geschehen.
Die Kläger beantragen
die Einkommensteuerbescheide für 2002, 2003 und 2004 in Gestalt der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 3. April 2008 aufzuheben.
Der Kläger beantragt
die Gewerbesteuermessbetragsbescheide für 2002, 2003 und 2004 in Gestalt der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 3. April 2008 aufzuheben
Das Finanzamt beantragt
die Klageabweisung.
Das FA verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung. Ergänzend trägt es vor, dass der Kläger durch die Abgabe einer einfachen Einnahme-Überschussrechnung für 2002 kundgetan habe, dass er seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) ermittle. Demgemäß könne die vom Strafgericht ausgesprochene Verfallsanordnung in Höhe von 174.000 EUR nicht als Rückstellung bei der Schätzung berücksichtigt werden. Im Übrigen sei die Verbindlichkeit nicht werthaltig, da sich der Kläger zwischenzeitlich vermögenslos 6 gemacht habe. Nach der Gewerbeuntersagung vom 7. November 2005 würde die Klägerin die Nachtbar „Bar” […] weiterführen. Das Grundstück habe der Kläger auf die Kinder übertragen. Für den angeordneten Verfall bestehe derzeit keine Vollstreckungsaussicht.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die ausgetauschten Schriftsätze und die Niederschrift über den Erörterungstermin am 20. Mai 2011 Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 24. Mai 2011 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 6 Finanzgerichtsordnung – FGO –). Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).
II.
Die Klage ist teilweise begründet.
Das FA hat zu Recht die Einkünfte aus Gewerbebetrieb des Klägers geschätzt, aber bei seiner Schätzung die Gewinnminderung durch die Verfallsanordnung nicht berücksichtigt.
1. Der Kläger führte über seinen Bordellbetrieb nicht Buch. Deshalb schätzte das FA diese Einkünfte zu Recht nach Maßgabe des § 162 Abgabenordnung (AO).
a) Die Schätzung des FA musste auf der Basis eines Betriebsvermögensvergleichs nach § 4 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 EStG erfolgen.
Dabei ist unerheblich, ob das Handelsrecht eine Buchführungspflicht auch bei strafbedrohtem Gewerbe normiert (zustimmend Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 1 Rz. 21 und Baumbach/Hopt/Merkt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 238 Rz. 7), die über § 140 AO zugleich für steuerliche Zwecke zu erfüllen ist. Jedenfalls ist die Gewinnermittlung auf der Basis eines Betriebsvermögensvergleichs nach § 4 Abs. 1, § 5 EStG die vorrangige Gewinnermittlungsart bei Einkünften aus Gewerbebetrieb. In Schätzungsfällen muss deshalb eine Schätzung auf dieser Basis erfolgen. Dies gilt nur dann nicht, wenn keine Buchführungspflicht besteht und der Steuerpflichtige durch die Art der Einrichtung seiner Buchführung oder auf andere Weise eine Gewinnermittlung durch Einnahme-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG gewählt und diese Wahl nach außen kenntlich gemacht hat (BFH-Urteile vom 6. April 2000 IV R 31/99, BStBl II 2001, 536; vom 19. März 2009 IV R 57/07, BStBl II 2009, 659).
b) Da der Kläger im Streitfall sein Wahlrecht – unstreitig – nicht zugunsten des Betriebsvermögensvergleichs nach § 4 Abs. 1 EStG ausgeübt hat und für steuerliche Zwecke keinerlei Aufzeichnungen über seinen Bordellbetrieb führte, war im Rahmen der Schätzung eine Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1, § 5 EStG geboten.
Ein gewisser Personenkreis – zu dem auch der Kläger zählt – kann unter den in § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG genannten Voraussetzungen anstelle des durch Bestandsvergleich ermittelten Gewinns allerdings auch den Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ansetzen (Einnahme-Überschussrechnung). Hat ein Steuerpflichtiger nur die Betriebseinnahmen und die Betriebsausgaben aufgezeichnet, so hat er aufgrund dieser tatsächlichen Handhabung sein Wahlrecht im Sinne einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG ausgeübt (BFH-Urteil vom 19. Oktober 2005 XI R 4/04, BStBl II 2006, 509). An die Dokumentation der Wahl zugunsten der Einnahme-Überschussrechnung sind dabei keine hohen Anforderungen zu stellen. Schon das Erstellen und Sammeln der Einnahmen- und Ausgabenbelege reicht aus; denn diese Belege können bei Erfüllung nur geringer zusätzlicher Voraussetzungen (insbesondere bei vollständiger und zeitlich fortlaufender Ablage, verbunden mit einer regelmäßigen Summenziehung) die Funktion von Grundaufzeichnungen übernehmen. Fehlt es allerdings auch daran, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Steuerpflichtige eine Wahl zugunsten der Überschussrechnung getroffen hat. Zwar macht § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG die Ausübung des Wahlrechts nicht von irgendwelchen Dokumentationen abhängig. Die Frage nach der Wahl der Gewinnermittlungsart darf auch nicht mit der nach der Ordnungsmäßigkeit der Gewinnermittlung verwechselt werden. Die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG erfordert aber, dass die zur Wahl berechtigten Steuerpflichtigen als Gewinn den Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben „ansetzen”. Soll dieses „Ansetzen” nicht nur ein „Schätzen” sein, müssen die Steuerpflichtigen für die Wahl der Einnahme-Überschussrechnung folglich jedenfalls gewisse Mindestanforderungen wie das Sammeln bzw. Erstellen von Einnahmen- und Ausgabenbelegen erfüllen. Vor allem aber sind gewerblich tätige Steuerpflichtige – wie auch der Kläger im Streitfall – nach § 22 Umsatzsteuergesetz (UStG) regelmäßig verpflichtet, bestimmte Aufzeichnungen über (vereinbarte bzw. vereinnahmte) Entgelte für ausgeführte (bzw. noch nicht ausgeführte) Leistungen und über Entgelte für (steuerpflichtige) Leistungen, die an sie für ihr Unternehmen ausgeführt worden sind, zu führen. § 22 UStG wirkt auch für die Einkommensteuer (BFH-Urteil in BStBl II 2009, 659).
c) Nach Auffassung des Gerichts hat der Kläger sein Wahlrecht für die Durchführung der Gewinnermittlung nicht zu Gunsten einer Einnahme-Überschussrechnung ausgeübt; die Schätzung des Gewinns aus Gewerbebetrieb hat deshalb auf der Basis des Betriebsvermögensvergleichs zu erfolgen.
Im Streitfall hat das FA in dem Steufa-Bericht vom 6. Februar 2006 die Auffassung vertreten, dass der Kläger gemäß § 140 AO i.V.m. § 238 Handelsgesetzbuch (HGB) zur Buchführung verpflichtet ist (vgl. Tz. 1.8.1 Allgemeine Buchführungspflicht im Steufa-Bericht). Sofern das FA von einer Buchführungspflicht des Klägers ausgeht, ist die Rechtsauffassung des FA, dass dem Kläger auch ein Wahlrecht zur Einnahme-Überschussrechnung zusteht, rechtsfehlerhaft (vgl. Schmidt/Heinicke, EStG, 30. Aufl. 2011, § 4 Rz. 3 und 4). Denn wenn bei bestehender Buchführungspflicht keine Bücher geführt werden, erfolgt eine Schätzung nach § 4 Abs. 1, § 5 EStG (vgl. Schmidt/Heinicke, EStG, 30. Aufl. 2011, § 4 Rz. 4 und 6).
Aber selbst wenn man – wie das entscheidende Gericht – im Streitfall die Auffassung vertritt, dass der Kläger – als Kleingewerbetreibender (Baumbach/Hopt/Merkt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 238 Rz. 7) – gesetzlich (§ 140 AO) nicht verpflichtet war, Bücher zu führen und ihm deshalb ein Wahlrecht zusteht, den Gewinn durch Vermögensvergleich oder durch EinnahmeÜberschussrechnung zu ermitteln, hat er dieses Wahlrecht gar nicht ausgeübt. Die Auffassung des FA, dass aus der Einkommensteuererklärung 2002 auf die Ausübung des Wahlrechts geschlossen werden kann, ist falsch. Der Kläger hat seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 2002 weder eine Anlage GSE noch eine Anlage V beigefügt. Auf einem der Einkommensteuererklärung beigefügten Blatt hat er handschriftlich Einnahmen aus der Vermietung von Zimmern erklärt, die den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zuzurechnen sind, wie es vom FA auch in dem Einkommensteuerbescheid vom 27. Oktober 2004 vorgenommen wurde. Zusätzlich hat der Kläger auf diesem Blatt auch noch angegeben, dass er Einnahmen aus dem Privat-Club „Bar” […] von 14.145 EUR eingenommen hat und dass es sich dabei um keine öffentliche Gaststätte handelt, sowie dass es sich überwiegend um die Einnahme von Eintrittsgeldern handelt. Weitere Angaben dazu, was der Kläger sonst noch für Ausgaben mit dem Privat-Club getragen hat, finden sich auf diesem Zettel nicht. Der Kläger hat dementsprechend mit der Einkommensteuererklärung auch keine Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG, sondern eine Einnahme-Überschussrechnung zur Ermittlung der Einkünfte gemäß § 21 EStG vorgelegt. Für seine Bar und den angeschlossenen Bordellbetrieb hat der Kläger gar keine Gewinnermittlung erstellt. Dass der Kläger nur die eingenommenen Eintrittsgelder aus seiner Bar im Jahr 2002 in dieser Rechnung mit auff ührt, macht dieses einzelne Blatt noch nicht – wie das FA glaubt – zu einer EinnahmeÜberschussrechnung. Wie der Kläger in dem Erörterungstermin auch ausgeführt hat, waren in diesen erklärten Einnahmen neben den Eintrittsgeldern auch Einnahmen aus dem Getränkeverkauf enthalten. Der Kläger hat aber bei der Erklärung dieser Einnahmen nicht daran gedacht, seinen Gewinn für die Bar und den Bordellbetrieb zu ermitteln oder aufzuzeichnen. Derjenige, der keinen Gewinn ermitteln will, hat nach ständiger Rechtsprechung des BFH aber auch (durch schlüssiges Verhalten) keine Wahl zwischen den Gewinnermittlungsarten getroffen (BFH-Urteile vom 11. Dezember 1987 III R 204/84, BFH/NV 1988, 296; vom 20. Mai 1988 III R 217/84, BFH/NV 1990, 17; vom 1. Oktober 1996 VIII R 40/94, BFH/NV 1997, 403 und in BStBl II 2009, 659).
Das FA vertritt demgemäß in seiner Einspruchsentscheidung zu Unrecht die Auffassung, dass es sich bei der, der Einkommensteuererklärung für 2002 beigefügten Aufzeichnung von Einnahmen und Ausgaben um eine Einnahme-Überschussrechnung für den Gewerbebetrieb des Klägers handelt. Vielmehr hat das FA in dem Einkommensteuerbescheid 2002 vom 27. Oktober 2004 selbst erst die Einkünfte aus Gewerbebetrieb und aus Vermietung und Verpachtung ermittelt. Für seine Schätzung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb hat es dabei aber auch nur den Anteil der erklärten Einnahmen aus dem Privat-Club an allen Einnahmen mit 24,70% errechnet und einen entsprechenden Anteil in Höhe von 24,70% aller erkl ärten Ausgaben den Einkünften aus Gewerbebetrieb zugeschätzt. Nach Auffassung des Gerichts hätte das FA bereits aus seinem eigenen Vorgehen erkennen müssen, dass es sich bei dieser Aufstellung um keine Einnahme-Überschussrechnung handeln kann.
2. Das FA hat zu Unrecht bei seiner Schätzung der Gewinne aus Gewerbebetrieb in den Streitjahren den angeordneten Verfall in Höhe von 174.000 EUR nicht berücksichtigt.
a) Soweit sich Zweifel an der Richtigkeit der Gewinnermittlungen auch durch weitere Sachaufklärung des Finanzgerichts (FG) nicht beseitigen lassen, hat das Gericht eine eigene Schätzungsbefugnis (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 162 AO; BFH-Urteil vom 19. März 2009 IV R 40/06, BFH/NV 2009, 1115; BFH-Beschluss vom 23. Dezember 2004 III B 14/04, BFH/NV 2005, 667; Gräber/Stapperfend, FGO, 7. Aufl. 2010, § 96 Rz. 18 m.w.N.). Ausgehend von dieser eigenen Schätzungsbefugnis schätzt das FG geringere Einkünfte aus Gewerbebetrieb.
Das FA hat sich bei seiner Schätzung gemäß § 162 AO zulässig an der Schätzung des Strafrichters für die Verfallsanordnung (§ 73b StGB; vgl. BGH-Urteile vom 26. November 2008 5 StR 425/08, NStZ-RR 2009, 94; vom 21. Oktober 2008 4 StR 437/08, NStZ 2010, 85), orientiert. Zwar erfolgt durch das Strafgericht die Schätzung nach dem sog. Bruttoprinzip; der strafrechtliche Zugriff erfolgt nicht auf Gewinne, sondern auf das durch die Straftat erlangte „Etwas” i.S. des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB. D.h. wenn feststeht, worin der erlangte Tatvorteil besteht, besagt das Bruttoprinzip, dass bei der Bemessung der Höhe des Erlangten gewinnmindernde Abzüge unberücksichtigt bleiben müssen (BGH-Urteil vom 2. Dezember 2005 5 StR 119/05, NJW 2006, 925). Im Streitfall hat jedoch das FA überzeugend ausgeführt, dass der vom Strafrichter geschätzte Vorteil aus der Straftat dem steuerrechtlichen Gewinn entspricht, da neben dem regulären Barbetrieb keine weiteren Betriebsausgaben angefallen sind, die zusätzlich abzusetzen sind (vgl. Tz. 2.1. a.E. im Steufa-Bericht).
Das FG ist der Auffassung, dass die eidesstattliche Versicherung des Zeugen XX vom 2. November 2006 keine Zweifel an der Höhe der Schätzung des FA begründet, obwohl sich das FA an der Schätzung des Strafgerichts orientiert hat. Zwar hat XX in dieser Versicherung erklärt, dass seine Aussage zu den Umsätzen des Klägers aus dem Bordell im Strafverfahren überhöht war (Anlage 2 Seite 3 der Anlage 5 zum Schriftsatz vom 5. Mai 2008, FG-Akte Bl 51). Das Strafgericht hat aber seine Schätzung zum Verfall nicht nur auf die Zeugenaussage des XX gestützt, sondern auch mit den Aussagen der anderen Zeugen begründet. Im Übrigen ist das FG der Auffassung, dass die Anlage 1 der eidesstattlichen Versicherung vom 2. November 2006 auch deshalb keine Änderung der Schätzung rechtfertigt, denn hinsichtlich dieser Erklärung ist XX auch nicht glaubwürdig. Denn diese Erklärung vom 2. November 2006 ist identisch mit der Aussage des XX vor der Rechtsanwältin […] im Mai 2005 (Strafakte […], Bl 481 bis 491). Das Landgericht [… M-Stadt] hat dann am 13. Juni 2005 im laufenden Berufungsverfahren gegen das Strafurteil Haftbefehl gegen den Kläger wegen Verdunkelungsgefahr erlassen (Strafakte […], Bl 448 bis 452) und dies damit begründet, dass XX in einer späteren Aussage vor der Polizei erklärt hat, dass der Kläger ihn zu dieser falschen Aussage vor der Rechtsanwältin bewegt hat.
Zu einer weiteren Überprüfung der Höhe der Gewinnschätzung des FA hat das FG keine Veranlassung, denn es hält die Schätzung des Umfangs des Erlangten gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 73b StGB durch das Strafgericht und die darauf aufbauende Schätzung des FA für zutreffend. Da die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Erörterungstermin verzichtet haben (§ 90 Abs. 2 FGO), haben sie zugleich den Verzicht auf die zuvor beantragte Zeugeneinvernahme erklärt (BFH-Beschlüsse vom 26. Oktober 2006 VII B 272/05, BFH/NV 2007, 725; vom 29. Juni 2010 III B 168/09, BFH/NV 2010, 1847).
b) Das FA hat aber zu Unrecht bei seiner Schätzung die Gewinnauswirkungen der Verfallsanordnung über 174.000 EUR in dem Strafurteil des Amtsgerichts [… D-Dorf] vom 28. Dezember 2004 in den Gewinnen aus Gewerbebetrieb für 2003 und 2004 nicht berücksichtigt.
Nach Auffassung des FG war in der geschätzten Bilanz für das Streitjahr 2003 dem Grunde nach eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten im Hinblick auf den angeordneten Verfall der Gewinne aus dem Bordellbetrieb zu bilden, da diese durch den Betrieb des Klägers verursacht wurde (§ 4 Abs. 4 EStG). In der Schätzung für das Streitjahr 2004 war dem Grunde nach eine Verbindlichkeit wegen der Verfallsanordnung zu berücksichtigen; mit dem Urteil vom 28. Dezember 2004 stand die Verbindlichkeit auch der Höhe nach fest.
Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung zu bilden. Eine solche Rückstellung setzt voraus, dass eine ungewisse Verbindlichkeit besteht, die im abgelaufenen Wirtschaftsjahr wirtschaftlich verursacht wurde und deren Geltendmachung gegenüber dem Steuerpflichtigen nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag wahrscheinlich ist. Darüber hinaus darf kein steuerliches Abzugsverbot bestehen, das einem Abzug der betreffenden Aufwendungen als Betriebsausgaben entgegensteht (BFH-Urteil vom 9. Juni 1999 I R 64/97, BStBl II 1999, 656). Wird keine Bilanz erstellt, sondern nach den Grundsätzen des Betriebsvermögensvergleichs geschätzt, so ist maßgeblich, welche Tatsachen am Bilanzstichtag vorlagen oder die bis zum Zeitpunkt der Schätzung oder – wenn die Schätzung später erfolgt – bis zu dem Zeitpunkt erkennbar waren, bis zu dem die Bilanz spätestens aufzustellen war (BFH-Urteil in BStBl II 2001, 536).
c) Da das Strafgericht nach § 73 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 73a StGB grundsätzlich verpflichtet ist, den aus einer rechtswidrigen Tat erlangten Vermögenszuwachs durch Anordnung des Verfalls abzuschöpfen, sprachen nach Aufdeckung der strafbaren Beihilfe zur Prostitution mehr Gründe für als gegen eine Inanspruchnahme des Klägers durch den Justizfiskus. Bereits ab November 2003 wurde gegen den Kläger auch wegen Beihilfe zur Prostitution von der Staatsanwaltschaft ermittelt und bereits am 11. März 2004 durchsuchte die zuständige Staatsanwaltschaft die Wohnung und die Bar des Klägers im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Das FG ist der Auffassung, dass die Straftat des Klägers bereits mit dem Durchsuchungsbeschluss vom 5. März 2004 (Strafakte […], Bl 37) soweit aufgedeckt war, dass die spätere Verfallsanordnung in Form einer Rückstellung zu berücksichtigen ist. Denn Voraussetzung für die Anordnung eines Durchsuchungsbeschlusses ist, dass der Täter einer Straftat verdächtig ist (§ 102 Strafprozessordnung – StPO –). Der Ermittlungsrichter hat auch den Durchsuchungsbeschluss damit begründet, dass der Kläger hinreichend verdächtig ist, der gewerbsmäßigen Einschleusung von Ausländern und der Beihilfe zur Ausübung der verbotenen Prostitution. Mit der Durchsuchung beim Kläger am 11. März 2004 – und damit vor dem Ablauf der normalen Aufstellungsfrist für den Jahresabschluss 2003 am 30. Juni 2004 (vgl. Baumbach/Hopt/Merkt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 243 Rz. 10 m.w.N.) – wurde dem Kläger auch bekannt, dass Staatsanwaltschaft und Ermittlungsrichter einen konkreten Verdacht wegen dieser Delikte gegen ihn hatten.
Als Tatsachen, die am Bilanzstichtag vorlagen und die bis zu dem Zeitpunkt erkennbar waren, bis zu dem die Bilanz für das Jahr 2003 hätte spätestens aufgestellt werden müssen, war demgemäß zu berücksichtigen, dass die Vermögensvorteile des Jahres 2002 und 2003 aus der Beihilfe zur verbotenen Prostitution vom Strafgericht dem Kläger über einen Verfall wieder entzogen werden. Aus der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns hätte der Kläger auch damit rechnen müssen, dass das Strafgericht den erlangten Vermögenszuwachs dieses Zeitraums durch die Anordnung des Verfalls abschöpfen wird.
Außerdem war mit dem Strafurteil vom 28. Dezember 2004 dem Kläger auch bekannt, dass auch der Vermögensvorteil, den er im Jahr 2004 aus der Beihilfe zur verbotenen Prostitution erzielt hatte, ebenfalls abgeschöpft war. Zum Bilanzstichtag am 31. Dezember 2004 stand 12 die Höhe der Verfallsanordnung fest und mit der Rechtskraft des Urteils am 25. Juni 2005 stand sogar noch vor dem Ablauf der Aufstellungsfrist für den Jahresabschluss 2004 für den Kläger fest, dass sich der Justizfiskus in exakt dieser Höhe auch mit Vollstreckungsmaßnahmen an ihn halten wird. Aus der zum 31. Dezember 2003 zu berücksichtigenden Rückstellung wurde demgemäß zum 31. Dezember 2004 eine Verbindlichkeit.
d) Die Bildung einer Rückstellung oder einer Verbindlichkeit für den angeordneten Verfall wird nicht durch ein steuerliches Abzugsverbot ausgeschlossen. Zwar ist eine handelsrechtlich zu bildende Rückstellung oder Verbindlichkeit durch außerbilanzielle Hinzurechnung zu neutralisieren, wenn ein steuerliches Abzugsverbot dem Abzug der entsprechenden Aufwendungen als Betriebsausgaben entgegensteht (BFH-Urteil in BStBl II 1999, 656; Schmidt/ Weber-Grellet, EStG, 30. Aufl. 2011, § 5 Rz. 311). Im Streitfall wird ein Abzug des für verfallen erklärten Betrags jedoch weder durch § 12 Nr. 4 EStG noch durch § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG ausgeschlossen (BFH-Urteil in BStBl II 2001, 536). Seit 1998 vertritt die Finanzverwaltung in den Einkommensteuerhinweisen (EStH) – zu Recht – die Auffassung, der Verfall von Gegenständen und Tatentgelten sei, wie von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) vertreten, eine Rechtsfolge vermögensrechtlicher Art, bei der der Strafcharakter nicht überwiege (H 120 EStH ab 1998 „Rechtsfolgen vermögensrechtlicher Art” – auch 2003 und 2004; nun H 12.3 EStH 2010 m.w.N. auf BGH-Urteil vom 1. März 1995 2 StR 691/94, NJW 1995, 2235). Der BGH hält weiter an dieser in der Literatur umstrittenen Rechtsprechung (Fischer, StGB, 57. Aufl. 2010, § 73 Rz. 3 und 4) fest (BGH-Urteil vom 16. Mai 2006 1 StR 46/06, NJW 2006, 2500).
Für Bildung und Höhe der Rückstellung bzw. der Verbindlichkeit ist unerheblich, ob der Kläger aufgrund der Verfallsanordnung Zahlungen leistete oder ob etwaige Vollstreckungsbemühungen des Justizfiskus zum Erfolg führten. Die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme ist nur im Hinblick auf die Entschlossenheit des Gläubigers zu beurteilen, seinen Anspruch soweit wie möglich durchzusetzen. Die Fähigkeit des Schuldners, den Anspruch aus seinem derzeitigen oder zukünftigen Vermögen zu befriedigen, ist dagegen ohne Bedeutung, da andernfalls das Vermögen unter Verletzung des Vollständigkeitsgrundsatzes (§ 246 Abs. 1 HGB) zu hoch ausgewiesen würde. Dies gilt auch bei einer Gewinnschätzung nach den Grundsätzen des Betriebsvermögensvergleichs (vgl. BFH-Urteil in BStBl II 2001, 536).
e) Im Streitfall führt der im Strafurteil angeordnete Verfall in Höhe von 174.000 EUR dazu, dass der Gewinn für 2003 um 149.400 EUR und der Gewinn für 2004 um 24.900 EUR zu mindern ist.
Für die Jahre 2002 und 2003 hat der Strafrichter in der Summe Gewinne von 149.400 EUR (49.800 + 99.600 = 149.400) gemäß § 73b StGB geschätzt. In der Höhe dieses Anteils am angeordneten Verfall ist bei der Gewinnschätzung für 2003 gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO und § 162 AO eine gewinnmindernde Rückstellung zu berücksichtigen. Das FG ist der Auffassung, dass für die Bewertung der Rückstellung für 2003 die Höhe des tatsächlich angeordneten Verfalls und nicht die Höhe des ersten Arrestbeschlusses vom 19. August 2004 über 67.465 EUR (Strafakte […], Bl 206) maßgeblich ist. Denn die Höhe einer Rückstellung orientiert sich nicht am Kenntnisstand eines Gläubigers; vielmehr kommt bei der Bewertung der Rückstellung und der Schätzung des Risikos der Inanspruchnahme der Auffassung des Schuldners (Kaufmanns) eine besondere Bedeutung zu (Schmidt/Kulosa, EStG, 30. Aufl. 2011, § 6 Rz. 472). Und im Streitfall wusste der Kläger, dass der erzielte Vermögensvorteil aus seinem Bordellbetrieb deutlich höher war, als die von der Staatsanwaltschaft festgestellten Bareinzahlungen auf seinem Girokonto in Höhe von 70.410 EUR. In dem rechtskräftigen Urteil vom 28. Dezember 2004 war der Verfall in Höhe von 174.000 EUR angeordnet. Deshalb wäre in einer Bilanz auf den 31. Dezember 2004 für den Gewerbebetrieb des Klägers eine Verbindlichkeit wegen des Verfalls in Höhe von 174.000 EUR zu passivieren gewesen. Bei der Schätzung des Gewinns aus Gewerbebetrieb für 2004 wirkt sich diese Verbindlichkeit noch gewinnmindernd in Höhe von 24.600 EUR (174.000 – 149.400 = 24.600) aus.
f) Eine weitere Gewinnminderung durch Zahlungen des Klägers an XX kommt schon allein deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger selbst die Zahlungen im Jahr 2004 als „Darlehen für Ermittlungstätigkeit” bezeichnet hat (Anlage 3 der Anlage K 5 zum Schriftsatz vom 5. Mai 2008; FG-Akte Bl 53). Die Gewährung von Darlehen ist erfolgsneutral (vgl. nur Schmidt/Heinicke, EStG, 30. Aufl. 2011, § 4 Rz. 383).
3. Die Rechtsauffassung des FG führt zu einer Minderung der Gewinne aus Gewerbebetrieb.
a) Nach Auffassung des FG ergeben sich Gewinne aus Gewerbebetrieb für 2002 in Höhe von 49.800 EUR (wie vom FA geschätzt), für 2004 in Höhe von 300 EUR und ein Verlust aus Gewerbebetrieb für 2003 in Höhe von 49.800 EUR.
2002 | 2003 | 2004 | |
EUR | EUR | EUR | |
Gewinn lt. FA | 49.800 | 99.600 | 24.900 |
Gewinn lt. FG | 49.800 | -49.800 | 300 |
Unterschied | 0 | -149.400 | -24.600 |
2002 | 2003 | 2004 | |
EUR | EUR | EUR | |
Rückstellung/Verbindlichkeit lt. FA | 0 | 0 | 0 |
Rückstellung/Verbindlichkeit lt. FG | 0 | 149.400 | 174.000 |
Vorjahresunterschied | 0 | 0 | -149.400 |
Gewinnauswirkung lt. FG | 0 | -149.400 | -24.600 |
c) Aufgrund der Gewinnminderung im Jahr 2003 ergibt sich ein Verlustrücktrag gemäß § 10d EStG aus dem Jahr 2003 in das Jahr 2002 in Höhe von 30.300 EUR. Dieser Verlustrücktrag führt zu einem zu versteuernden Einkommen für 2002 in Höhe von 25.003 EUR; die Berechnung ergibt sich aus der anschließenden Tabelle. […]
Ausgehend von diesem zu versteuernden Einkommen und diesen Gewerbesteuermessbeträgen (jeweils nach diesem Urteil) ergibt sich eine festgesetzte Einkommensteuer für 2002 in Höhe von 1.719 EUR, für 2003 in Höhe von 0 EUR und für 2004 in Höhe von 188 EUR; die Berechnung der Einkommensteuer ergibt sich aus der folgenden Tabelle. […]
4. Dem Anspruch des FA steht – anders als die Kläger meinen – Verwirkung nicht entgegen. Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben und Anwendungsfall des Verbots widersprüchlichen Tuns. Es greift ein, wenn ein Anspruchsberechtigter durch sein Verhalten beim Verpflichteten einen Vertrauenstatbestand dergestalt geschaffen hat, dass nach Ablauf einer gewissen Zeit die Geltendmachung des Anspruchs als illoyale Rechtsausübung empfunden werden muss (Rechtsmissbrauch; BFH-Urteile vom 24. April 2002 I R 25/01, BStBl II 2002, 586; vom 15. März 2007 II R 5/04, BStBl II 2007, 472). Dies ist nicht gegeben, wenn das FA im Einspruchsverfahren eine Rechtsauffassung äußert, von der es später wieder abrückt.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. § 709 Zivilprozessordnung (ZPO).