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  • 02.11.2010 · IWW-Abrufnummer 113681

    Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 18.02.2010 – 8 K 4290/06 H

    Für die inhaltliche Bestimmtheit eines Haftungsbescheids ist nicht erforderlich, dass aus ihm der oder die Steuerschuldner hervorgehen, und dass erkennbar ist, in welcher Höhe die Steuerschuld auf den jeweiligen Steuerschuldner entfällt.


    § 70 AO kommt als Haftungsnorm auch bei der Einkommensteuer in Betracht.


    Das Vorliegen einer Steuerhinterziehung im Einzelfall lässt sich nicht mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsaussagen begründen.


    Bei der Feststellung einer Haupttat im Rahmen der Haftung wegen strafrechtlicher Teilnahme (hier: Hinterziehung von Kapitaleinkünften durch nicht identifizierte Bankkunden bei anonymem Kapitaltransfer ins Ausland) ist daher stets ein individueller und nicht ein statistischer Maßstab anzulegen.


    Gründe
    Auszugsweise Wiedergabe aus den Entscheidungsgründen:
    ...
    Die Klage ist begründet.
    1. Der Klageerfolg ergibt sich jedoch nicht schon daraus, dass der angefochtene Haftungsbescheid unwirksam wäre. Der Senat vermag sich der Ansicht der Klägerin, dem Haftungsbescheid mangele es ohne Angabe der Steuerschuldner und der Höhe der einzelnen Steuerschulden an der hinreichenden Bestimmtheit, sodass ein schwerer Fehler i.S. des § 125 Abs. 1 AO vorliege, der zu Nichtigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes führe, nicht anzuschließen. Nach § 119 Abs. 1 AO muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Die hinreichende Bestimmung setzt die festgesetzte Steuer nach Art und Betrag und die Person des Steuerschuldners voraus (§ 157 Abs. 1 Satz 2 AO). Die Besteuerungsgrundlagen müssen hingegen, soweit sie nicht gesondert festzustellen sind, nicht im anfechtbaren Teil des Steuerbescheids angegeben werden. Übertragen auf den Haftungsbescheid bedeutet dies nach der Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, dass ein besonders schwerer Fehler nur dann anzunehmen ist, wenn der Haftungsbescheid nicht die ihn erlassende Behörde, den Haftungsschuldner, die Haftungsschuld und/oder die Art der Steuer angibt, für die der Haftungsschuldner haften soll (BFH-Beschluss vom 03. Dezember 1996 I B 44/96, BStBl II 1997, 306, unter I.1. der Gründe). Es ist für die inhaltliche Bestimmtheit eines Haftungsbescheids nicht erforderlich, dass aus ihm der oder die Steuerschuldner hervorgehen, und dass erkennbar ist, in welcher Höhe die Steuerschuld auf den jeweiligen Steuerschuldner entfällt (BFH-Urteile vom 09. März 1982 VII R 47/79, Juris, unter 1. der Gründe; und vom 17. März 1994 VI R 120/92, BStBl II 1994, 536, unter 1.a der Gründe; BFH in BStBl II 1997, 306, unter I.1. der Gründe). Da der angefochtene Haftungsbescheid das FA als erlassende Behörde, die Klägerin als Haftungsschuldner, die Haftungsschuld der Höhe und der Art (Einkommensteuer 1993) nach sowie den Haftungsgrund in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ausreichend erkennen lässt, ist er hinreichend bestimmt und wirksam.
    2. Der Haftungsbescheid ist jedoch rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
    a) Die Rechtswidrigkeit folgt allerdings nicht – wie die Klägerin meint – daraus, dass das FA die Haftungsinanspruchnahme der Klägerin zu Unrecht auf § 70 AO gestützt haben könnte. § 70 AO kommt als Haftungsnorm auch bei der Einkommensteuer in Betracht (a.A. wohl Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 70 AO Tz. 2). Nach § 70 Abs. 1 AO haftet der Vertretene u.a., soweit er nicht Steuerschuldner ist, für verkürzte Steuern, wenn die ihn vertretenden und in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen bei Ausübung ihrer Obliegenheiten an einer Steuerhinterziehung teilnehmen und hierdurch (selbst) Haftende werden. Eine Begrenzung der Haftung des Vertretenen auf bestimmte Steuern, z.B. auf Zölle und Verbrauchssteuern, sieht § 70 AO nicht vor. Auch die im AEAO zu § 70 AO in der Fassung des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 15. Juli 1998 (BStBl I 1998, 630, 685) enthaltene Anweisung an die Finanzämter, § 70 AO im Bereich der Besitz- und Verkehrssteuern „nur bei Abzugssteuern” anzuwenden, vermag die Anwendung des § 70 AO im angefochtenen Haftungsbescheid nicht auszuschließen. Selbst wenn dem AEAO zu § 70 AO – entsprechend der Ansicht der Klägerin – ermessenslenkende Wirkung zukommen sollte, wäre nicht auf die Fassung des AEAO im Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheids am 22. Dezember 2004 abzustellen, sondern auf die Fassung des AEAO zu § 70 AO im Zeitpunkt der für die Ausübung eines Ermessens maßgeblichen letzten Verwaltungsentscheidung, hier in der Einspruchsentscheidung vom 29. September 2006. Durch das BMF-Schreiben vom 04. August 2005 IV A 4 – S 0062 – 4/05 (BStBl I 2005, 838) ist der AEAO zu § 70 AO jedoch dahingehend geändert worden, dass § 70 AO im Bereich der Besitz- und Verkehrssteuern „insbesondere” bei Abzugssteuern anzuwenden sei.
    b) Der Haftungsbescheid ist jedoch rechtswidrig, weil sich der Senat aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht die Überzeugung verschaffen konnte, dass die 1.149 nicht enttarnten Kunden Einkommensteuer 1993 hinterzogen haben.
    aa) Hängt die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids – wie hier bei § 70 AO – davon ab, dass in den §§ 34, 35 AO bezeichnete Personen an einer von einem anderen begangenen Steuerhinterziehung als Helfer teilgenommen haben, müssen zur Rechtmäßigkeit des Bescheids die objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Steuerstraftat (Haupttat) vorliegen, zu welcher der Gehilfe Beihilfe geleistet haben muss (BFH in BStBl II 2010, 8, unter II.3.a bb der Gründe).
    bb) Zwar hat das AG im rechtskräftigen Strafbefehl gegen Z ebenso wie das STRAFA-FA festgestellt, dass etliche Kunden der Klägerin im Hinblick auf die bevorstehende Einführung der sogenannten Zinsabschlagsteuer bereits zu Beginn des Jahres 1992 (und im Bargeldbereich noch früher) durch die Verlagerung von Vermögenswerten ins Ausland die späteren Erträge der deutschen Besteuerung endgültig entziehen wollten. Um vor Nachforschungen der deutschen Steuerbehörden geschützt zu sein, hatten diese Kunden ein Interesse, bei den Transfers keine Spuren zu hinterlassen, die eine kundenbezogene Zuordnung der über die Klägerin getätigten Auslandstransfers zuließen. Ihnen war an einem anonymen Transfer gelegen. Zahlreiche Kunden der Klägerin machten von der geschaffenen Möglichkeit, Bargeld und Wertpapiere ohne Legitimationsprüfung anonym zu den Auslandstöchtern der A-Bank zu transferieren, Gebrauch.
    Ferner weist das FA zutreffend darauf hin, dass das STRAFA-FA während der 1996 begonnenen Steuerfahndungsprüfung einen Teil der Kunden, die anonym Bargeld und/oder Wertpapiere zu den beiden Auslandstöchtern der Klägerin transferiert hatten, hat enttarnen können. Das FA beziffert die Zahl der enttarnten Kunden auf „etwa 4.000”. Von diesen hatte nach den Feststellungen des STRAFA-FA so gut wie keiner die Kapitalerträge aus dem anonym transferierten Vermögen in seiner Einkommensteuererklärung angegeben. Das Motiv für die Anonymisierung der Transfers habe bei den enttarnten Kunden in der Absicht bestanden, die Kapitaleinkünfte aus diesem Vermögen nicht zu versteuern. Lediglich bei rund 6 % der enttarnten Wertpapierkunden habe keine Steuerverkürzung festgestellt werden können. Bei etwa 94 % der identifizierten Wertpapierkunden und bei über 90 % der insgesamt enttarnten Kunden ist es nach diesen – unstreitigen – Feststellungen tatsächlich zu einer Steuerhinterziehung der Kapitaleinkünfte gekommen.
    cc) Gleichwohl hat das Gericht nicht die Überzeugung erlangt, dass die 1.149 unbekannt gebliebenen Kunden Einkommensteuer 1993 hinterzogen haben.
    (1) Entgegen der Ansicht des FA hat der BGH im Urteil vom 02. Dezember 2008 (NJW 2009, 528) keinen „Weg aufgezeigt”, wie eine tatrichterliche Überzeugungsbildung hinsichtlich der Beihilfe zu einer Straftat ohne Kenntnis, dass eine Haupttat begangen wurde, erreicht werden kann. In dem diesem sogenannten Schwarzarbeiterurteil zu Grunde liegenden Fall ist der dort angeklagte Arbeitgeber nicht – wie das FA meint – wegen Beihilfe zur Einkommensteuerhinterziehung der von ihm illegal beschäftigten Arbeitnehmer verurteilt worden. Die dortige Verurteilung wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung bezog sich auf eine Beihilfe zur Hinterziehung von Umsatzsteuer eines Auftraggebers des Angeklagten, weil er für diesen Scheinrechnungen erstellt hatte, um ihm den Vorsteuerabzug zu ermöglichen. Im Übrigen ist der Angeklagte wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer und Lohnsteuer verurteilt worden. Die Verurteilung wegen Lohnsteuerhinterziehung erfolgte, weil er entgegen seiner eigenen Verpflichtung für die von ihm beschäftigten „Schwarzarbeiter” keine Lohnsteuer angemeldet und dadurch (als Täter) Steuern verkürzt hatte. Mit einer Einkommensteuerhinterziehung durch die illegal beschäftigten Arbeitnehmer (als Haupttat) hat sich der BGH – anders als das FA meint – an keiner Stelle befasst.
    (2) Das vom FA angeführte Senatsurteil vom 26. Juni 2008 (Az. 8 K 358/04 E, V) enthält ebenfalls keine Hinweise für eine Erleichterung der Überzeugungsbildung von einer Steuerhinterziehung, wenn nicht bekannt ist, ob tatsächlich Steuern hinterzogen wurden. In dieser Entscheidung hat der Senat zwar Ausführungen zur Frage des – dort verneinten – unmittelbaren Rücktransfers der Ende 1992 anonym transferierten Barmittel sowie zur Frage der verzinslichen Anlage des Geldes gemacht. Anders als im vorliegenden Fall handelte es sich jedoch um eine „enttarnte” Kundin eines Bankhauses, bei der Steuererklärung und Steuerbescheid vorlagen, aus denen sich ergab, dass keine Erträge aus dem nach Luxemburg transferierten Vermögen erklärt und dadurch Steuern verkürzt worden waren.
    (3) Die Feststellungen zu den 1.149 Kunden, die das STRAFA-FA nicht identifizieren konnte, reichen für eine Überzeugungsbildung, dass sie eine Steuerhinterziehung begangen haben, nicht aus. Das FA hat zu diesen Kunden lediglich festgestellt, dass sie Bargeld und/oder Wertpapiere über die Klägerin ohne Legitimationsprüfung anonym zu den Auslandstöchtern A-Bank transferiert haben. Ob sie aber – wie der ganz überwiegende Teil der enttarnten Kunden – die Erträge aus dem anonym ins Ausland transferierten Kapital in ihren Einkommensteuererklärungen 1993 nicht angegeben und dadurch Steuern verkürzt haben, hat das STRAFA-FA für keinen einzigen der in Rede stehenden 1.149 Kunden feststellen können.
    Es ist dem Senat auch nicht aufgrund der vom FA genannten Motivation der 1.149 unbekannt gebliebenen Kunden möglich gewesen, die Überzeugung zu gewinnen, dass diese Kunden tatsächlich die aus den Kapitalanlagen im Ausland im Jahr 1993 erzielten Erträge nicht erklärt und dadurch Steuern verkürzt haben. Zu der von ihm angesprochenen Motivation dieser 1.149 Kunden hat das FA in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, bei dem anonymen Kapitaltransfer hätten die Kunden dem Risiko unterlegen, dass ihre Anlagen aufgrund falscher Kennwörter oder Kontonummern bei den Auslandstöchtern der Klägerin fehlerhaft verbucht werden. Ferner seien die Depotgebühren bei den Auslandstöchtern A-Bank sowie die Courtage für Festgeldanlagen bei der Auslandstochter A-Bank höher gewesen als bei vergleichbaren Anlagen in Deutschland. Aus den in Kauf genommenen höheren Kosten einer Auslandsanlage sowie dem bewusst eingegangenen Risiko von Fehlern bei anonymen Transfers hat das FA sodann den Schluss gezogen, dass dieses Verhalten von der Absicht getragen gewesen sei, die Erträge nicht der deutschen Besteuerung zu unterwerfen.
    Zum einen ist dieser Schluss des FA auf die Motivation der 1.149 unbekannt gebliebenen Kunden für den anonymisierten Kapitaltransfer nicht zwingend, weil auch andere Gründe, wie z.B. das Verbergen von Vermögen vor einem Gläubigerzugriff bei gleichzeitigem Fehlen positiver Einkünfte, denkbar sind. Zum anderen konnte der Senat aus der Motivation für den anonymen Transfer, später Steuern hinterziehen zu wollen, nicht die Überzeugung gewinnen, dass die entsprechend motivierten 1.149 unbekannten Kunden auch tatsächlich Einkommensteuern hinterzogen haben. Die vom FA für die in Rede stehenden 1.149 Kunden genannte Motivation für den anonymen Kapitaltransfer ist nach den Überlegungen des FA gleichermaßen bei den enttarnten Kunden vorhanden gewesen. Bei diesen etwa 4.000 Kunden steht aber fest, dass sie nicht alle eine Steuerhinterziehung begangen haben. Das FA räumt ein, dass sich bei etwa 6 % der enttarnten Wertpapierkunden und bei etwa 10 % der insgesamt enttarnten Kunden herausgestellt habe, dass trotz eines anonymen Kapitaltransfers keine Einkommensteuer 1993 hinterzogen worden ist. Dies bedeutet, dass etwa 400 enttarnte Kunden trotz der vom FA genannten Motivation keine Steuern hinterzogen haben.
    Die Berücksichtigung des vom FA in der mündlichen Verhandlung erhobenen Einwands, der Senat müsse sich, um die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids zu bejahen, nicht die Überzeugung verschaffen, dass alle 1.149 unbekannten Kunden eine Steuerhinterziehung begangen hätten, sondern lediglich, dass 75 % dieser Kunden, also 862 unbekannte Kunden (75 % von 1.149), Einkommensteuern 1993 hinterzogen hätten, führt nicht – wie das FA meint – zu einer Überzeugungsbildung anhand eines individuellen, sondern allenfalls eines statistischen Maßstabs (s. dazu unter dd). Das FA hat nicht dargelegt, aus welchem Erfahrungswissen sich ergibt, dass ¾ der unbekannt gebliebenen 1.149 Kunden Einkommensteuern hinterzogen haben, obwohl alle gleichermaßen – nach Ansicht des FA – das Anonymisierungssystem der Klägerin nutzten, um die Erträge nicht zu versteuern. Der Senat kann nur vermuten, dass dieses „Wissen” des FA aus der Kenntnis des tatsächlichen Verhaltens der etwa 4.000 enttarnten Kunden sowie der Berücksichtigung eines sogenannten Sicherheitsabschlags stammt. Die Übertragung der Erkenntnisse hinsichtlich der Steuerhinterziehung bei den etwa 4.000 enttarnten Kunden im Wege einer Wahrscheinlichkeitsaussage für die Überzeugungsbildung, dass auch die 1.149 nicht enttarnten Kunden die Einkommensteuer 1993 auf diese Erträge hinterzogen haben, erachtet der Senat jedoch für nicht zulässig (s. dazu unter dd).
    Dass die vom STRAFA-FA getroffenen Feststellungen und die vom FA geschlussfolgerte Motivation der unbekannt gebliebenen 1.149 Kunden nicht ausreichen, um dem Senat die Überzeugung zu verschaffen, dass diese Kunden Einkommensteuer 1993 hinterzogen haben, geht zu Lasten des FA. Die Finanzbehörde trägt im finanzgerichtlichen Verfahren die Feststellungslast für steueranspruchsbegründende Tatsachen und damit auch für das Vorliegen einer Steuerhinterziehung als Tatbestandsvoraussetzung des § 70 AO (vgl. BFH-Urteil vom 07. November 2006 VIII R 81/04, BStBl II 2007, 364, unter II.1.a der Gründe).
    dd) Die fehlende Überzeugung vom Vorliegen jeder einzelnen Steuerhinterziehung der 1.149 Kunden kann nicht, wie das FA – nun hilfsweise – meint, durch Wahrscheinlichkeitsaussagen ersetzt werden. Das FA ist der Ansicht, da sich bei der Gruppe der enttarnten Kunden gezeigt habe, dass mehr als 90 % der Kunden Einkommensteuer 1993 hinterzogen hätten, sei auch eine Steuerhinterziehung von zumindest 75 % der nicht enttarnten Kunden so wahrscheinlich, dass kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch Zweifel daran haben könnte. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
    (1) Zwar dient § 70 AO – wie auch § 71 AO – dem Ausgleich des Vermögensschadens, den der Vertreter durch eine Steuerhinterziehung oder eine Teilnahme an ihr zu Lasten des Fiskus verursacht hat, wenn dadurch beim Vertretenen ein Vorteil entstanden ist. Jedoch setzt die Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut eine Steuerhinterziehung voraus, die der Vertreter begangen oder an der er teilgenommen hat. Zur Haftung des Vertretenen kommt es nach § 70 AO nur dann, wenn neben einer nicht erloschenen Steuerschuld eine Haupttat in Form der Steuerhinterziehung begangen wurde.
    (2) Das Vorliegen einer Steuerhinterziehung im Einzelfall lässt sich nach Ansicht des Senats nicht mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsaussagen begründen. Die nach mathematischen Grundsätzen zu beurteilende Wahrscheinlichkeit kann zur Überzeugungsbildung nur herangezogen werden, wenn es um zufällige Ereignisse geht (BFH in BStBl II 2010, 8, unter II.3.b der Gründe). Das ist nach der Rechtsprechung des BFH bei dem im Streitfall zu beurteilenden willensgesteuerten Verhalten zurechnungsfähiger Personen generell nicht der Fall. Wie sich eine Person in einer konkreten Situation entscheide, hänge – so der BFH – nicht vom Zufall ab, sondern von einer autonomen Willensentscheidung, die im Grundsatz einer Wahrscheinlichkeitsbetrachtung nicht zugänglich sei (BStBl II 2010, 8, unter II.3.b der Gründe). Dies spricht nach Ansicht des BFH – der sich der Senat anschließt – dafür, bei der Feststellung einer Haupttat im Rahmen der Haftung wegen strafrechtlicher Teilnahme stets einen individuellen und nicht einen statistischen Maßstab anzulegen (vgl. auch: Moritz, Neue Wirtschaftsbriefe – Beraterbrief Erben und Vermögen 2009, 413, 416; Frank, Praxis Steuerstrafrecht 2009, 236, 238; Beyer, AO-Steuerberater 2009, 262).
    (3) Würde die Überzeugungsbildung hinsichtlich des Vorliegens von Steuerhinterziehungen von zumindest 75 % der 1.149 unbekannt gebliebenen Kunden auf der Grundlage von Wahrscheinlichkeitsaussagen zugelassen, führte dies zu einer weitreichenden Feststellungserleichterung zu Gunsten der Finanzbehörde (BFH in BStBl II 2010, 8, unter II.3.b der Gründe; ebenso: Geuenich, BB 2009, 2020). Die Nichtfeststellbarkeit einer Steuerhinterziehung in den vom FA angeführten 1.149 Fällen ginge dann nicht – wie in anderen Fällen einer behaupteten Steuerhinterziehung – zu Lasten des FA, sondern des in Haftung Genommenen. Dies liefe auf eine Beweismaßreduzierung hinaus, die nach der BFH-Rechtsprechung (BFH in BStBl II 2007, 364, unter II.1.b der Gründe) in Fällen der Steuerhinterziehung sogar bei der Verletzung von Mitwirkungspflichten (hier, als nach Ansicht des FA vergleichbares Handeln: Verursachung der Unmöglichkeit einer Überprüfung durch Schaffung eines Systems zum anonymen Kapitaltransfer) unzulässig ist.
    3. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) der Frage zugelassen, ob die fehlende Überzeugung vom Vorliegen jeder einzelnen Steuerhinterziehung durch Wahrscheinlichkeitsaussagen ersetzt werden kann.
    4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
    5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

    VorschriftenAO § 34, AO § 35, AO § 70, AO § 119 Abs. 1, AO § 125 Abs. 1, AO § 157 Abs. 1 Satz 2