02.11.2010 · IWW-Abrufnummer 113684
Finanzgericht München: Urteil vom 22.06.2010 – 14 K 4247/07
Wer eine Lagerhalle zur Verfügung stellt und beim Umladen von Zigaretten hilft, leistet Beihilfe zur Steuerhinterziehung, die durch unzulässiges Verbringen der Zigaretten nach Deutschland begangen worden ist.
Das FG kann sich die rechtskräftigen Feststellungen eines Strafurteils zu Eigen machen.
Die Inanspruchnahme des Beteiligten an der Steuerhinterziehung durch Haftungsbescheid muss nicht besonders begründet werden.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In der Streitsache
hat der 14. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht …, des Richters am Finanzgericht … und der Richterin am Finanzgericht … sowie der ehrenamtlichen Richter … und aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. Juni 2010
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Streitig ist, ob der Kläger zu Recht als Haftender für Tabaksteuer in Anspruch genommen wurde.
Der Kläger wurde am 5. Juli 2006 festgenommen als er bei der Abladung von 1.007.400 Stück unverzollter und unversteuerter Zigaretten von einem türkischen Lkw in einer Lagerhalle in X angetroffen wurde.
Bei seiner Beschuldigtenvernehmung am 10. Juli 2006 erklärte der Kläger, nach dem Abladen des ersten Lkw vor ein paar Wochen gewusst zu haben, dass sich auf diesem Zigaretten befanden. Er habe hierfür 150,– EUR und 13 Stangen Zigaretten erhalten.
Der Beklagte (das Hauptzollamt) nahm den Kläger deshalb mit Haftungsbescheid vom 10. August 2006 gem. § 71 Abgabenordnung (AO) als Gesamtschuldner für 137.163,38 EUR Tabaksteuer in Anspruch, weil er Beteiligter an der Hinterziehung von Tabaksteuer sei, die durch das Verbringen der Zigaretten aus dem verbrauchsteuerrechtlich freien Verkehr Österreichs nach Deutschland entstanden sei.
Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Das Einspruchsverfahren wurde bis zur endgültigen Entscheidung über das gegen den Kläger anhängige Strafverfahren ausgesetzt. Mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts X vom 14. Mai 2007 wurde der Kläger u.a. wegen des hier streitgegenständlichen Sachverhalts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung schuldig gesprochen. Unter Pkt. II. Nr. 4 der Urteilgründe ist u. a. ausgeführt, dass der anderweitig Beschuldigte S die 1.007.400 Stück Zigaretten am 5. Juli 2006 vorschriftswidrig aus Rumänien über Ungarn in das Zollgebiet der Gemeinschaft eingeführt und sodann über P, in das Verbrauchsteuergebiet der Bundesrepublik Deutschland verbracht habe. Dieser habe die Zigaretten zu der Lagerhalle in X gefahren, wo der Kläger den Lkw in Empfang genommen und gemeinsam mit den Zeugen O entladen habe. Des Weiteren wurde festgestellt, dass dem Kläger bewusst gewesen sei, dass es unversteuerte und unverzollte Zigaretten waren, die umgeladenen wurden. Da der Kläger die ihm zur Last gelegte Tat voll eingeräumt hat und seine Angaben mit den Ermittlungen der Zollfahndung übereinstimmen, hatte das Landgericht keine Zweifel an der Richtigkeit seines Geständnisses. Das umfassende Geständnis wurde auch strafmildernd berücksichtigt.
Daraufhin wies das Hauptzollamt den Einspruch gegen den Haftungsbescheid mit Einspruchsentscheidung vom 20. November 2007 als unbegründet zurück.
Mit seiner hiergegen erhobenen Klage bringt der Kläger im Wesentlichen Folgendes vor:
Das Hauptzollamt sei nicht an die tatsächlichen Feststellungen des vorangegangenen strafrechtlichen Verfahrens gebunden. Das Strafurteil beruhe auf einer Absprache mit dem Gericht und der Staatsanwaltschaft. Er habe weder beim Be- noch beim Entladen der Zigaretten geholfen. Ebenso wenig habe er bis Juni 2006 Kenntnis davon gehabt, dass sich in den umgeladenen Kartons Zigaretten befunden haben. Erst als er zu diesem Zeitpunkt als Entlohnung 20 Stangen Zigaretten, aber kein Geld, erhalten habe und auf Nachfrage, wo denn die Zigaretten herkämen, erfahren habe, dass sich diese in den Kartons befunden hätten, habe er zu dem anderweitig Beschuldigten B gesagt, dass er damit nichts mehr zu tun haben wolle. Ende Juli habe er auf Bitten des B aber wieder beim Abladen von Kartons von einem Lkw geholfen. Er habe zwar nicht gewusst, aber geahnt, dass es sich dabei um Zigaretten handeln könnte.
Außerdem sei seine Inanspruchnahme ermessensfehlerhaft, weil die Tatsache, dass er lediglich der Beihilfe zur Steuerhinterziehung schuldig und sein Tatbeitrag – im Vergleich zu den anderen Tatbeteiligten – sehr gering gewesen sei, nicht berücksichtigt worden sei.
Der Kläger beantragt, den Haftungsbescheid vom 10. August 2006 und die Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das Hauptzollamt beantragt, die Klage abzuweisen.
Es bezieht sich im Wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung und bringt ergänzend vor, dass das Ermittlungsergebnis und die Feststellungen im Urteil des Landgerichts X den Einlassungen des Klägers widersprächen. Die Inanspruchnahme des Klägers sei auch nicht ermessensfehlerhaft, weil im Falle der Beteiligung an einer Steuerhinterziehung das Ermessen in der Weise vorgeprägt sei, den Teilnehmer an der Steuerhinterziehung als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Hauptzollamts sowie die eingereichten Schriftsätze und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 22. Juni 2010 Bezug genommen.
II.
Die Klage ist unbegründet.
Das Hauptzollamt hat den Kläger zu Recht gemäß § 191 Abs. 1 i.V.m. § 71 AO als Haftungsschuldner für 137.163,38 EUR hinterzogene Tabaksteuer in Anspruch genommen.
1. Gemäß § 71 AO haftet für verkürzte Steuern, wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, da sich der Kläger bzgl. der deutschen Tabaksteuer der Beteiligung an einer Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO strafbar gemacht hat.
a) Hinsichtlich der streitgegenständlichen Zigaretten ist die deutsche Tabaksteuer nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AO hinterzogen worden, indem die Zigaretten ohne Steueranmeldung bzw. ohne Verwendung von Steuerzeichen von Ungarn über Österreich nach Deutschland verbracht worden sind. Dadurch sind die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen, pflichtwidrig keine Steuerzeichen verwendet und Steuern verkürzt worden.
Die deutsche Tabaksteuerschuld ist nach § 19 Satz 1 Tabaksteuergesetz in der im maßgeblichen Zeitraum geltenden Fassung (TabStG) entstanden. Danach entsteht die Tabaksteuer, wenn Tabakwaren unzulässigerweise entgegen § 12 Abs. 1 TabStG, d.h. ohne Verwendung von Steuerzeichen, aus dem freien Verkehr anderer Mitgliedstaaten zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht oder versandt werden.
Vorliegend sind die Zigaretten aus dem freien Verkehr Ungarns bzw. Österreichs ohne deutsche Steuerzeichen zu gewerblichen Zwecken in das deutsche Steuergebiet verbracht worden. Der Begriff „freier Verkehr anderer Mitgliedstaaten” ist tabaksteuerrechtlicher Art; er bezeichnet den verbrauchsteuerrechtlichen Status, den die Waren durch ihre Einfuhr nach Ungarn erlangt hatten. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. c der Richtlinie (EWG) Nr. 92/12 des Rates über das allgemeine System, den Besitz die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren vom 25. Februar 1992 (ABl. EG Nr. L 76/1) bewirkt auch die unrechtmäßige Einfuhr verbrauchsteuerpflichtiger Waren – hier nach Ungarn – die Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr. Wenn daran anschließend die Zigaretten ohne Steueraussetzungsverfahren (§ 16 Abs. 1 Satz 1 TabStG) nach Deutschland verbracht wurden, ist darin ein gewerbliches „unversteuertes” Verbringen aus einem anderen Mitgliedstaat zu sehen, das unter § 19 TabStG fällt (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs – BFH – VII B 14/96 vom 9. Juli 1996, BFH/NV 96, 934 und vom 6. September 2004 VII B 62/04, n.v.).
b) Der Kläger ist an der Steuerhinterziehung beteiligt gewesen. Indem er die Lagerhalle zur Verfügung gestellt und beim Umladen der Zigaretten geholfen hat, hat er Beihilfe zum unzulässigen Verbringen der Zigaretten von Ungarn bzw. Österreich nach Deutschland geleistet.
Der erkennende Senat macht sich die tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Beurteilungen des Strafgerichts zu eigen, weil er zu der Überzeugung gelangt ist, dass diese zutreffend sind (vgl. BFH-Urteil vom 13. Juli 1994 I R 112/93, BStBl. II 1995, 198; BFH-Beschluss vom 13. Januar 2005 VII B 261/04, BFH/NV 2005, 936), zumal das Strafurteil auch auf den eigenen Angaben und dem Geständnis des Klägers beruht. Zur Übernahme der Feststellungen des Strafgerichts besteht insbesondere auch deswegen Anlass, weil die strafgerichtliche Entscheidung bereits rechtskräftig geworden ist (vgl. BFH-Urteil vom 2. Dezember 2003 VII R 17/03 BFHE 204, 380, ZfZ 2004, 162, sowie BFH-Beschlüsse vom 14. November 2003 VIII B 70/02, BFH/NV 2004, 513 und vom 2. Juli 2008 VII B 242/07, n.v.).
Die in diesem Verfahren erhobenen Einwendungen gegen die Feststellungen im genannten Strafurteil, die mit den Ermittlungen der Zollfahndung übereinstimmen, sind als bloße Schutzbehauptungen zu werten. Sie stehen im Widerspruch zu den Einlassungen des Klägers bei seiner zweiten Vernehmung am 10. Juli 2006. Es ist nicht ersichtlich, warum seine Aussage bei der zweiten Beschuldigtenvernehmung und sein Geständnis vor dem Landgericht, wonach er gewusst hat, dass es unversteuerte und unverzollte Zigaretten waren, die umgeladenen wurden, nicht der Wahrheit entsprechen sollten. Im Übrigen werden seine früheren Aussagen durch seine jetzige Einlassung, geahnt zu haben, dass es sich beim letzten Umladen von Kartons um Zigaretten handeln könnte, bestätigt. Er gibt damit zu, billigend in Kauf genommen zu haben, bei der Hinterziehung von Tabaksteuer mitzuhelfen.
Die Einlassung des Klägers, dass er im Streitfall nur einen geringen Tatbeitrag geleistet habe, kann ihn nicht entlasten, denn durch das Zurverfügungstellen der Halle und die Mithilfe beim Umladen der Zigaretten hat er einen wesentlichen Teil der Logistik für die Ausführung der Tat sichergestellt und die Ausführung der Tat in der beabsichtigten Art und Weise ermöglicht. Seine Unterstützungshandlung ist somit wesentlich für die Ausführung der Tat gewesen.
2. Die Inanspruchnahme des Klägers ist nicht ermessenswidrig. Der Kläger ist gem. § 44 Abs. 1 Satz 1 AO als Haftender gesamtschuldnerisch neben den anderen Tatbeteiligten zur Erfüllung der streitgegenständlichen Tabaksteuerschuld verpflichtet.
Das Hauptzollamt hatte deshalb gem. § 191 Abs. 1 AO nach seinem Ermessen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der wirtschaftlichen Bedeutung der jeweiligen Tatbestandsverwirklichung darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der Haftende neben den Steuerschuldnern auf Zahlung der Steuer in Anspruch genommen werden soll. Diese Ermessensentscheidung kann nach § 102 Finanzgerichtsordnung (FGO) nur daraufhin überprüft werden, ob der Haftungsbescheid deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Für die Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid und die dabei zu treffende behördliche Ermessensentscheidung ist vom BFH entschieden (vgl. Urteil vom 2. Dezember 2003 VII R 17/03, ZfZ 2004, 162), dass im Fall vorsätzlicher Steuerstraftaten diese Ermessensentscheidung in der Weise vorgeprägt ist, dass es einer besonderen Begründung der Ermessensbetätigung nicht bedarf. Hat jemand als Täter oder Teilnehmer eine vorsätzliche Steuerstraftat begangen, so ist es im Regelfall billig und gerecht, wenn ihn die Finanzbehörde für den Steuerschaden in Anspruch nimmt. Sie würde vielmehr ermessensfehlerhaft handeln, wenn sie den Betreffenden von der Inanspruchnahme freistellte. Für den Fall einer vorsätzlich begangenen Steuerstraftat bedarf es, so der BFH im genannten Urteil vom 2. Dezember 2003 VII R 17/03, keiner besonderen Begründung des Auswahlermessens. Bei mehreren Abgabenschuldnern ist das Auswahlermessen des Hauptzollamts in der Weise vorgeprägt, dass die Abgaben gegen den Steuerstraftäter festzusetzen sind (vgl. BFH-Beschluss vom 13. Januar 2005 VII B 261/04, BFH/NV 2005, 936).
Da der Kläger durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts X wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung verurteilt worden ist und hiergegen bis zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung keine substantiierten Einwendungen erhoben worden sind (s.o.), genügte im Streitfall deshalb unter Bezugnahme auf die Verurteilung des Klägers der Hinweis im Haftungsbescheid und in der Einspruchsentscheidung, es seien auch die anderen Tatbeteiligten für den Gesamtbetrag der streitgegenständlichen Tabaksteuer als Gesamtschuldner in Anspruch genommen worden. Eine Differenzierung nach der Rolle der jeweiligen Beteiligten im Tatgeschehen und dem aus der Tat gezogenen Nutzen ist bei Steuerhinterziehern regelmäßig nicht geboten (vgl. BFH-Beschluss vom 4. März 2005 VII B 154/04, BFH/NV 05, 1240).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.