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  • 22.12.2011 · IWW-Abrufnummer 114150

    Verwaltungsgericht Stuttgart: Urteil vom 13.10.2011 – 4 K 2413/11

    Die unzutreffende Angabe des Bediensteten der Gewerbebehörde bei einer gewerberecht-lichen Nachschau, er habe das Recht, Unterlagen zur Einsicht mitzunehmen, beseitigt die Freiwilligkeit bei der Herausgabe solcher Unterlagen.


    4 K 2413/11

    In der Verwaltungsrechtssache ... hat das Verwaltungsgericht Stuttgart - 4. Kammer - durch den Richter am Verwaltungsgericht XXX als Berichterstatter auf die mündliche Verhandlung vom 13. Oktober 2011 für Recht erkannt:

    Tenor:
    Es wird festgestellt, dass die Beklagte nicht berechtigt war, die acht Aktenordner "Tagesablauf", "EC-Cash", "11867 Löhne S.", "Buchhaltung 2011", "Buchhaltung 2010", "Buchhaltung 2010", "Personalanmeldungen" und "2 (Steueranmeldungen 2010/2011)" am 21.06.2011 aus den Geschäftsräumen der Klägerin mitzunehmen.

    Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

    Tatbestand
    Die Klägerin betreibt mehrere Spielhallen im Gebäude L.-Straße in Stuttgart. Am Abend des 21.06.2011 führte die Beklagte eine gewerberechtliche Nachschau in den Geschäftsräumen der Klägerin durch. Dabei nahm die Beklagte nach einigem Hin und Her acht Ordner (Tagesablauf, EC-Cash, 11867 Löhne S., Buchhaltung 2011, Buchhaltung 2010, Buchhaltung 2010, Personalanmeldungen und 2 [Steueranmeldungen 2010/2011]) mit. Mit Schreiben vom Freitag, 24.06.2011, forderte die Klägerin die Herausgabe der Ordner noch am selben Tage. Am 27.06.2011 gab die Beklagte die Ordner an die Klägerin heraus.

    Bereits am 24.06.2011 beantragte die Klägerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Herausgabe der Ordner (Az.: 4 K 2310/11). Dieses Verfahren endete durch Erledigung und wurde mit Beschluss vom 13.07.2011 eingestellt.

    Am 01.07.2011 hat die Klägerin Feststellungsklage erhoben. Sie trägt vor, die Ordner seien ohne Zustimmung der Klägerin und gegen ihren Willen mitgenommen worden. Es bestehe ein Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten aufgrund der Vorfälle bei der Nachschau. Die Klägerin habe ein Interesse an der Feststellung, da eine Wiederholung des Vorgehens drohe. Das Verwaltungshandeln habe auch diskriminierend gewirkt, da - für die Kunden wahrnehmbar - mehrere Beamte und mehrere Polizeibeamte vor Ort erschienen seien. Es liege außerdem ein Eingriff in die Grundrechte der Klägerin vor, zudem handle es sich um eine Maßnahme, die sich typischerweise innerhalb kurzer Zeit erledige. Die Mitnahme der Aktenordner sei rechtswidrig gewesen, weil § 29 Abs. 2 Satz 1 GewO nur die Einsicht in Unterlagen in den Geschäftsräumen, nicht aber die Mitnahme von Unterlagen erlaube.

    Die Klägerin beantragt,

    festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt war, die acht Aktenordner "Tagesablauf", "EC-Cash", "11867 Löhne S.", "Buchhaltung 2011", "Buchhaltung 2010", "Buchhaltung 2010", "Personalanmeldungen" und "2 (Steueranmeldungen 2010/2011)" am 21.06.2011 aus den Geschäftsräumen der Klägerin mitzunehmen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Es bestehe kein Feststellungsinteresse, denn es drohe keine Wiederholung, da nicht ersichtlich sei, warum die Ordner erneut benötigt werden sollten. Ein Rehabilitationsinteresse bestehe nicht mehr, da der eventuelle Eingriff nach Herausgabe der Ordner nicht mehr fortbestehe. Die Ordner seien im Übrigen nicht beschlagnahmt, sondern herausgegeben worden.

    Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung Beweis erhoben durch Vernehmung des Angestellten Z. der Klägerin zu den Vorgängen bei der Nachschau.

    Dem Gericht liegen die Akten der Beklagten vor. Darauf und auf die gewechselten Schriftsätze wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe
    I.

    Die Klage ist als Feststellungsklage zulässig. Zwischen den Beteiligten besteht ein Rechtsverhältnis, d.h. rechtliche Beziehungen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von natürlichen oder juristischen Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben. Dieses Rechtsverhältnis besteht darin, dass die Beklagte auf der Grundlage des § 29 Abs. 2 GewO am 21.06.2011 bei der Klägerin eine gewerberechtliche Nachschau durchgeführt hat. Die Grenzen der Berechtigung, die diese Norm verleiht, sind zwischen den Beteiligten streitig.

    Die Klägerin hat auch ein Feststellungsinteresse, d.h. ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO. Dieses besteht darin, dass sich die Maßnahme der Mitnahme der Unterlagen, wie sich gezeigt hat, typischerweise schnell erledigt, so dass angesichts der Grundrechtsbetroffenheit die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG die Eröffnung der Klagemöglichkeit gebietet (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.08.2010 - 1 S 2266/09 -, VBlBW 2011, 23; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 25.04.2007 - 1 S 2828/06 - VBlBW 2008, 60 m.w.N.). Betroffen ist das Grundrecht der Berufsfreiheit der Klägerin aus Art. 12 Abs. 1 GG, aber auch das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG in der Gestalt des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, denn die mitgenommenen Unterlagen dienten der Ausübung des Gewerbes der Klägerin.

    Ein Verwaltungsakt zur Regelung der Pflichten der Klägerin wurde nicht erlassen, so dass die Klägerin ihre Rechte auch nicht durch Gestaltungsklage hätte verfolgen können (§ 43 Abs. 2 VwGO).

    II.

    Die Klage ist auch begründet. Die Mitnahme der fraglichen Unterlagen durch die Beklagte war rechtswidrig.

    1.

    Nach § 29 Abs. 2 Satz 1 GewO sind die Beauftragten (der zuständigen öffentlichen Stelle) befugt, zum Zwecke der Überwachung Grundstücke und Geschäftsräume der Betroffenen während der üblichen Geschäftszeit zu betreten, dort Prüfungen und Besichtigungen vorzunehmen, sich die geschäftlichen Unterlagen vorlegen zu lassen und in diese Einsicht zu nehmen. Betroffen ist die Klägerin, denn sie betreibt Spielhallen (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 33i GewO). Bereits der Wortlaut des § 29 Abs. 2 Satz 1 GewO ergibt, dass hiervon nicht das Recht umfasst ist, die fraglichen geschäftlichen Unterlagen aus den Geschäftsräumen mitzunehmen. Die Einsichtnahme in diese kann daher nur "dort", nämlich in den Geschäftsräumen des Betroffenen erfolgen. Eine Mitnahme von Geschäftsunterlagen zum Zwecke der Einsichtnahme in die Diensträume der Behörde ist damit regelmäßig ausgeschlossen. Eine Einsichtnahme ist nur an Ort und Stelle möglich. Nicht erfasst ist das Recht, Unterlagen zu beschlagnahmen, körperliche Durchsuchungen vorzunehmen etc. (vgl. Tettinger/ Wank/Ennuschat, GewO, 8. Aufl., Rdnr. 30 zu § 29).

    2.

    Die Mitnahme der Ordner war auch nicht - wie die Beklagte meint - dadurch gerechtfertigt, dass diese freiwillig herausgegeben worden wären. Dies ergibt sich zunächst aus den Angaben des Bediensteten B. der Beklagten in der mündlichen Verhandlung. Dieser berichtete, er habe den anwesenden Angestellten Z. davon informiert, dass die Ordner zwangsweise mitgenommen würden, wenn sie nicht freiwillig herausgegeben würden. Auch auf ausdrückliche Nachfrage gab Herr B. an, es sei davon gesprochen worden, dass die Akten zwangsweise mitgenommen werden. Gleiches ergibt die eidesstattliche Versicherung von Herrn Z. vom 23.06.2011, nach der er nach all diesen Geschehnissen eingeschüchtert war, die Bürotür aufgemacht und die Unterlagen sowie die Ordner an Herrn B. ausgehändigt habe. Dies sei "ohne unsere Zustimmung, gegen unseren Willen" - d.h. auch ohne Zustimmung des später eingetroffenen Geschäftsführers - erfolgt. Schließlich hat die Vernehmung Herrn Z.s als Zeuge in der mündlichen Verhandlung ergeben, er habe eingeschüchtert den Raum geöffnet, Herrn B. die Ordner im Schrank gezeigt und zur Verfügung gestellt; dieser habe geäußert, er habe das Recht, die Ordner mitzunehmen, wenn es sein müsse, auch mit Polizeigewalt. Auch auf Nachfrage gab Herr Z. bei seiner Vernehmung an, Herr B. habe ihn weiterhin unter Druck gesetzt und ihm gedroht, falls er es nicht täte, würde er zur Not mit Polizeigewalt die Ordner holen und ihn wegen Verstoß gegen die Staatsgewalt anzeigen. Auf weitere Nachfrage bestätigte er, ohne Druck hätte er die Ordner nicht herausgegeben.

    All dies zeigt, dass der Bedienstete der Beklagten im gesamten Verlauf der Nachschau den Eindruck erweckte, er sei berechtigt, geschäftliche Unterlagen auch gegen den Willen des Gewerbetreibenden mitzunehmen und dies mit Hilfe der Polizei zu erzwingen. Die daraufhin erfolgte Herausgabe der Ordner war damit nicht freiwillig, denn sie erfolgte unter Androhung von Zwang (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation bei einer Sicherstellung von Beweisgegenständen im Strafprozess: Karlsruher Kommentar zur StPO - Nack, 6. Aufl., Rdnr. 15 zu § 94). Ob die unzutreffende Meinung des Bediensteten Z., er sei zur Herausgabe der Unterlagen verpflichtet, durch bewusste Täuschung des Bediensteten der Beklagten über die ihm zustehenden Kompetenzen oder durch fahrlässige Verkennung der ihm zustehenden Rechte herbeigeführt wurde, macht keinen Unterschied. Hier gilt der strafprozessuale Grundsatz, dass falsche Rechtserklärungen Täuschungen stets gleichstehen (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., Rd.Nr. 13 zu § 136a). Unzulässige Ermittlungsmethoden überschreiten die verwaltungsverfahrensrechtlichen Grenzen der Ermittlungstätigkeit (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl., RdNr. 29 zu § 24). Maßgeblich bleibt, dass beim Bediensteten der Klägerin, auch beim später hinzugekommenen Geschäftsführer Ba., durch falsche Darstellung der örtlichen Befugnisse bei einer gewerberechtlichen Nachschau ein Irrtum erzeugt wurde.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

    Streitwertbeschluss:
    Der Streitwert wird gem. § 52 Abs. 2 GKG auf

    5.000,00 EUR

    festgesetzt.

    RechtsgebieteGewO, GGVorschriften§ 29 Abs. 2 S. 1 GewO Art. 12 Abs. 1 GG Art. 14 Abs. 1 GG