01.02.2012 · IWW-Abrufnummer 120230
Finanzgericht Köln: Urteil vom 22.09.2011 – 3 K 955/10
Übernimmt der Arbeitgeber die Bußgelder der bei ihm angestellten Lkw-Fahrer für die Überschreitung von Lenkzeiten und die Unterschreitung von Ruhezeiten liegt Arbeitslohn vor.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der 3. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … ehrenamtlicher Richter … ehrenamtlicher Richter … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 22.09.2011 für Recht erkannt:
Tatbestand
Es ist strittig, ob es sich bei der Übernahme von Zahlungen von Bußgeldern, die gegen bei der Klägerin beschäftigte Lkw-Fahrer verhängt wurden, um Arbeitslohn handelt.
Die Klägerin betreibt eine internationale Spedition. Bei der Klägerin fand eine Lohnsteueraußenprüfung aufgrund Prüfungsanordnung vom 13.10.2008, für den Prüfungszeitraum der Jahre 01.01.2006 bis 31.10.2008, statt. Dabei wurde festgestellt, dass die Klägerin Bußgelder, die gegen ihre Fahrer wegen Überschreitung von Lenkzeiten und der Nichteinhaltung von Ruhezeiten festgesetzt wurden, für ihre Fahrer zahlte. Hinsichtlich der Höhe dieser Beträge wird auf Tz. 4 des Bp-Berichts über die Lohnsteueraußenprüfung vom 16.01.2009 verwiesen.
Auf Antrag der Klägerin wurden die strittigen Beträge nach § 40 Abs. 1 EStG zu ihren Lasten nach Durchschnittssteuersätzen versteuert.
Der Beklagte erließ am 27. Januar 2009 u.a. wegen der hier strittigen Beträge einen Haftungs- und Nachforderungsbescheid, gegen den die Klägerin am 26.02.2009 Einspruch einlegte. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 25.02.2010 als unbegründet zurück.
Mit ihrer Klage vom 23.03.2010 trägt die Klägerin vor, die Übernahme der Bußgelder sei aus überwiegend eigenbetrieblichen Interessen erfolgt.
Die Klägerin trägt vor, wesentliche Kunden seien Lebensmittelhersteller und Vertreiber, für die sie Lebensmittel zu Supermärkten transportiert und Zulieferer für die Automobilindustrie. Für die Kunden sei es unabdingbar, dass die Waren zu dem vorgegebenen Zeitpunkt bei den Empfängern einträfen. Würden Lebensmittel nicht mehr eine bestimmte Anzahl von Tagen bis zum Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatum aufweisen, lehnten die Lebensmitteldiscounter deren Abnahme ab. Würden Teile für die Automobilindustrie von dem Zulieferer zu spät angeliefert, könnte dies zum Stillstand der gesamten Produktion führen. Aus diesem Grund sei zwischen dem Zulieferer und dem Automobilproduzenten häufig eine Konventionalstrafe vereinbart. Sie, die Klägerin, erhalte deshalb von den beauftragenden Unternehmen eine klare Vorgabe, wann die Ware beim Empfänger eintreffen muss. Auch wenn mit ihren Kunden eine Konventionalstrafe nicht üblich sei, wisse jeder Spediteur und Transporteur, dass Schäden durch die Überschreitung des Liefertermins zu seinen Lasten gingen. Durch diesen Sachverhalt komme es in Ausnahmefällen dazu, dass die Fahrer der Klägerin ihre Lenkzeiten überschreiten. Die Alternative hierzu wäre, den Lkw abzustellen und die Ware erst nach einer längeren Ruhepause weiter zu transportieren. Damit würden die vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Empfänger nicht eingehalten und die vorgenannten Schäden eintreten. Entscheidend für die übernommenen Zahlungen sei, dass die Protokolle nicht erst durch das individuelle Fehlverhalten der betroffenen Fahrer veranlasst worden sind. Vielmehr sei eine betriebliche Entscheidung dahingehend getroffen worden, terminliche Verpflichtungen gegenüber den Kunden im Zweifel auch auf Kosten von Bestimmungen über Lenk- und Ruhezeiten im Straßenverkehr einzuhalten. Die pünktliche Lieferung der von der Klägerin transportieren Waren könne nicht mehr gewährleistet werden, wenn der Fahrer im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen längere Ruhepausen einlegte und den Warentransport erst anschließend fortsetzte. Die individuelle Entscheidung des einzelnen Fahrers, Verstöße gegen derartige Bestimmungen zu begehen, so wie die Sanktion dieses Verhaltens durch Verhängung von Verwarnungsgeldern stelle sich damit lediglich als Folge der betrieblichen Entscheidung dar und die Übernahme dieser Verwarnungsgelder führe lediglich zum Ausgleich eines finanziellen Nachteils, den die Fahrer alleine im Interesse der Steuerpflichtigen hingenommen hätten. Das individuelle Interesse des einzelnen Arbeitnehmers an Übernahme der Zahlung trete damit in den Hintergrund. Aus diesem Grund sei eine Lohnzuwendung zu verneinen, da bei Gesamtwürdigung aller Begleitumstände der betriebliche Zweck und nicht der Entlohnungscharakter für die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft im Vordergrund stehe. Die Zahlungen würden bei der Klägerin auch nicht als Werbungskosten berücksichtigt.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 25. Februar 2010 die Haftungs- und Nachforderungsbescheide über Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 27. Januar 2009 insoweit aufzuheben, als diese einen Betrag von 5.274,41 EUR übersteigen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung, auf die ergänzend neben dem Bericht über die Lohnsteueraußenprüfung Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Gemäß § 42 d Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) haftet der Arbeitgeber für Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat. Das ist die Lohnsteuer, die sich aus dem zugeflossenen Arbeitslohn des betreffenden Lohnzahlungszeitraums ergibt (§ 38 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 EStG).
Ausgehend von den Regelungen des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG und des § 2 Abs. 1 der Lohnsteuerdurchführungsverordnung (LStDV) definiert der Bundesfinanzhof den Begriff des Arbeitslohns in ständiger Rechtsprechung als jedweden geldwerten Vorteil, der durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst ist. Eine solche Veranlassung liegt vor, wenn der Vorteil nur deshalb gewährt wird, weil der Zurechnungsempfänger Arbeitnehmer des Arbeitgebers ist, der Vorteil also mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis eingeräumt wird und wenn sich die Leistung des Arbeitgebers im weitesten Sinne als Gegenleistung für das zur Verfügung stellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist (vgl. BFH-Urteil vom 07.07.2004 VI R 29/2000, BStBl II 2005, 367 m.w.N.). Dagegen sind solche Vorteile nicht als Arbeitslohn anzusehen, die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzungen erweisen. Vorteile besitzen danach keinen Arbeitslohncharakter, wenn sie im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers gewährt werden. Das ist der Fall, wenn sich aus den Begleitumständen wie Anlass, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der Begünstigten, freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zur Annahme des Vorteils und seiner besonderen Geeignetheit für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck ergibt, dass diese Zielsetzung ganz im Vordergrund steht und ein damit einhergehendes eigenes Interesse des Arbeitnehmers, den betrieblichen Vorteil zu erlangen, vernachlässigt werden kann. In Grenzfällen ist eine wertende Gesamtbeurteilung unter Berücksichtigung aller, den jeweiligen Einzelfall prägenden Umständen vorzunehmen (vgl. BFH a.a.O., m.w.N.).
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist der Senat der Überzeugung, dass die Übernahme der Bußgelder für die Überschreitung von Lenkzeiten und die Unterschreitung von Ruhezeiten durch die Klägerin Lohnzahlungen darstellen.
Die Zahlungen erfolgten als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der Arbeitskraft der Arbeitnehmer, nicht im überwiegend eigenbetrieblichen Interesse der Klägerin.
Die Bußgelder werden gegen den einzelnen Lkw-Fahrer wegen dessen Verstoß gegen Einhaltung von Lenk- und Ruhezeiten verhängt. Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass ihre Fahrer in ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse die Klägerin insbesondere auf deren Weisung gehandelt hätte.
Denn das wohlverstandene eigenbetriebliche Interesse der Klägerin muss darauf gerichtet sein, ihre betrieblichen Abläufe so auszurichten, dass sie ihre vertraglichen Verpflichtungen im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen erfüllen kann. Eine generelle Anweisung an ihre Fahrer, Lenk- und Ruhezeiten nicht einzuhalten, ist deshalb unbeachtlich. Dies gilt insbesondere deshalb, weil es sich hierbei nicht lediglich um einen relativ geringfügigen Verstoß gegen die Rechtsordnung handelt (für diesen Fall BFH a.a.O., Rz. 19), sondern um einen erheblichen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung, der in seinen Auswirkungen, anders als ein Verstoß gegen ein Parkverbot, erheblichen Einfluss auf die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer hat.
Es handelt es sich – auch im Einzelfall – nicht um gelegentliche und geringfügige Verstöße, wie die Bußgeldbescheide f ür dien Fahrer A vom 09.11.2007 über 3.642,01 EUR und für B vom 10.4.2007 über 2.953,00 EUR zeigen. Die dort aufgelisteten Feststellungen betrafen jeweils 17 Verstöße in einem Zeitraum vom 19.03.2007 bis zum 10.04.2007, bzw vom 20.6.2006 bis 30.7. 2006.
Der Senat weicht mit dieser Entscheidung auch nicht vom Urteil des Bundesfinanzhofs vom 07.07.2004 in der Sache VI R 29/00 (a.a.O.) ab, da der 6. Senat des BFH dort ausdrücklich offen gelassen hat, ob bei schwerwiegenden Verstößen anders zu entscheiden gewesen wäre.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.