Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 11.05.2012 · IWW-Abrufnummer 121447

    Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 17.01.2012 – 2 V 43/12

    1. Wird im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung die Durchsuchung der Wohnung des Steuerpflichtigen sowie die Beschlagnahme nach den §§ 98, 102, 105 Strafprozessordnung ( StPO ) angeordnet, so obliegt die Prüfung, ob diese Maßnahme mangels Tatverdachts oder aus sonstigen Gründen rechtswidrig ist, nicht den Finanzbehörden, sondern dem Amtsgericht und dem im Beschwerdeverfahren nach § 304 StPO zuständigen Landgericht. Wird der Beschluss des Amtsgerichts nicht angefochten oder die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen, entfaltet die Durchsuchungsanordnung Tatbestandswirkung mit der Folge, dass den Steuergerichten eine nochmalige Überprüfung des Durchsuchungsbeschlusses verwehrt ist und sie für das Steuerfestsetzungsverfahren von der Rechtmäßigkeit der Durchsuchung auszugehen haben (BFH vom 29.01.2002 VIII B 91/01, BFH/NV 2002, 749).


    2. Nach der Rechtsprechung des BFH besteht im Besteuerungsverfahren kein allgemeines gesetzliches Verwertungsverbot für Tatsachen, die unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ermittelt worden sind. Ein solches sog. qualifiziertes materiell-rechtliches Verwertungsverbot kann nur dann anzunehmen sein, wenn die Ermittlung der Tatsachen einen verfassungsrechtlich geschützten Bereich des Steuerpflichtigen verletzt hat. Die auf diese Weise ermittelten Tatsachen sind schlechthin und ohne Ausnahme unverwertbar (vgl. BFH vom 19.08.2009 I R 106/08, BFH/NV 2010, 333).


    Finanzgericht Hamburg v. 17.01.2012

    2 V 43/12

    Gründe
    I.

    Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Umsatzsteuerbescheid 2008 vom 17.08.2011 deshalb rechtswidrig ist, weil er auf Unterlagen basiert, die auf Grund einer möglicherweise rechtswidrigen Durchsuchung der Steuerfahndung bei der Antragstellerin sichergestellt worden sind.

    Am 08.06.2009 stellte der Sachgebietsleiter für Bußgeld- und Strafsachen und Steuerfahndung A wegen des Verdachts einer Umsatzsteuerhinterziehung zugunsten der Antragstellerin für die Voranmeldezeiträume Januar 2008 bis März 2008 einen Antrag auf Erlass von Durchsuchungsbeschlüssen. Am 02.07.2009 ergingen drei Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgerichts H. Ein Durchsuchungsbeschluss betraf die Antragstellerin direkt, der Zweite den Geschäftsführer der Antragstellerin und der Dritte die Steuerberaterin der Antragstellerin. Es wurden keine Rechtsmittel gegen die Durchsuchungsbeschlüsse eingelegt. Im Rahmen der daraufhin durchgeführten Durchsuchungen wurden Unterlagen zunächst zur Durchsicht sichergestellt und später durch den Geschäftsführer der Antragstellerin freiwillig herausgegeben. Im Zuge der weiteren Ermittlungen wurden Tatsachen, die auf die Zahlung von Schwarzlöhnen hindeuteten, der zuständigen Ermittlungsbehörde durch Schreiben vom 17.11.2009 mitgeteilt.

    Durch Umsatzsteuerbescheid 2008 vom 17.08.2011 änderte der Antragsgegner die auf Grund der am 26.02.2010 eingegangenen Umsatzsteuer-Jahreserklärung erfolgte Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) und setzte den Feststellungen der Steuerfahndung entsprechend Umsatzsteuer in Höhe von ... € fest. Hiergegen legte die Antragstellerin am 07.09.2011 Einspruch ein, über den noch nicht entschieden worden ist, und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Der Aussetzungsantrag wurde am 19.09.2011 vom Antragsgegner zurückgewiesen. Hiergegen legte die Antragstellerin Einspruch ein, der durch Einspruchsentscheidung vom 21.11.2011 als unbegründet zurückgewiesen wurde.

    Am 28.11.2011 beantragte die Antragstellerin bei Gericht die Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung trägt sie vor, der angefochtene Umsatzsteuerbescheid 2008 sei rechtswidrig, weil er auf Unterlagen basiere, welche einem Verwertungsverbot unterlägen. Die Durchsuchungsbeschlüsse seien von der Steuerfahndung beantragt worden, berechtigt zur Antragstellung sei aber nur ein Beamter der Bußgeld- und Strafsachenstelle (Bustra), denn nur die Judikative könne entsprechende Anträge stellen. Zwar habe der unterzeichnende Beamte die Dienstbezeichnung „Sachgebietsleiter Bußgeld- und Strafsachen und Steuerfahndung”. Man könne jedoch dem Antrag nicht entnehmen, in welcher Funktion der Beamte ihn gestellt habe. Insbesondere sei bei einer solchen Organisation nicht sichergestellt, dass die Handlungen der Steuerfahndung ordnungsgemäß von der Bustra kontrolliert worden seien. Die Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsanträge schlage auf die Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsbeschlüsse durch und ziehe ein Verwertungsverbot für alle auf Grund der Durchsuchung sichergestellten Unterlagen nach sich. Unterlagen, die im Strafverfahren nicht verwertet werden dürften, seien auch im Steuerverfahren nicht verwertbar.

    Zudem sei die Organisation des Finanzamts für Prüfungsdienste und Strafsachen verfassungswidrig, weil Steuerfahndung und Bustra nicht als einheitliche Behörde fungieren dürften. Auch aus § 386 Abs. 2 AO ergebe sich die Rechtswidrigkeit der Ermittlungen der Steuerfahndung, denn es habe sich bereits frühzeitig der Verdacht ergeben, dass neben Steuerstraftaten auch noch andere Delikte vorliegen könnten, insbesondere hätten sich konkrete Verdachtsmomente für die Zahlung von Schwarzlöhnen ergeben, so dass nicht mehr die Finanzbehörde, sondern die Staatsanwaltschaft zuständig gewesen sei.

    Die Antragstellerin beantragt, die Aussetzung der Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides vom 17.08.2011.

    Der Antragsgegner beantragt, den Aussetzungsantrag zurückzuweisen.

    Zur Begründung beruft sich der Antragsgegner auf seine Einspruchsentscheidung vom 21.11.2011. Es ergebe sich kein Verwertungsverbot. Die Durchsuchungsbeschlüsse seien nicht mit Rechtsmitteln angegriffen worden. Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit seien die ordentlichen Gerichte und nicht das Finanzgericht zuständig.

    Dem Gericht hat ein Band Rechtsbehelfsakten zu der Steuernummer .../.../... vorgelegen.

    II.

    Der zulässige Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist unbegründet.

    Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Finanzgericht auf Antrag die Vollziehung eines Steuerbescheides u. a. aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide bestehen oder seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zu Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn und soweit bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel, des unstreitigen Sachverhalts und der gerichtsbekannten Tatsachen erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen oder Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen kann (Bundesfinanzhof (BFH) vom 26.09.2007 I B 53, 54/07 BStBl II 2008, 415).

    Nach Maßgabe der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung auf der Grundlage präsenter Beweismittel sind die Voraussetzungen für die erstrebte Aussetzung der Vollziehung nicht erfüllt. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides vom 17.08.2011.

    Insbesondere ergeben sich keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides 2008 daraus, dass der Antragsgegner Unterlagen verwertet hat, die aus einer vermeintlich rechtswidrigen Durchsuchung bei der Antragstellerin resultierten.

    Die streitigen Unterlagen wurden zunächst auf Grund einer Durchsuchung sichergestellt, für die das zuständige Amtsgericht vorher Durchsuchungsbeschlüsse erlassen hatte. Die Antragstellerin hat gegen diese Durchsuchungsbeschlüsse keine Rechtsmittel eingelegt. Es obliegt nicht der Zuständigkeit des Finanzgerichts zu überprüfen, ob die Durchsuchungsbeschlüsse rechtmäßig gewesen sind.

    Wird im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung die Durchsuchung der Wohnung des Steuerpflichtigen sowie die Beschlagnahme nach den §§ 98, 102, 105 Strafprozessordnung ( StPO ) angeordnet, so obliegt die Prüfung, ob diese Maßnahme mangels Tatverdachts oder aus sonstigen Gründen rechtswidrig ist, nicht den Finanzbehörden, sondern dem Amtsgericht und dem im Beschwerdeverfahren nach § 304 StPO zuständigen Landgericht. Wird der Beschluss des Amtsgerichts nicht angefochten oder die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen, entfaltet die Durchsuchungsanordnung Tatbestandswirkung mit der Folge, dass den Steuergerichten eine nochmalige Überprüfung des Durchsuchungsbeschlusses verwehrt ist und sie für das Steuerfestsetzungsverfahren von der Rechtmäßigkeit der Durchsuchung auszugehen haben (BFH vom 29.01.2002 VIII B 91/01, BFH/NV 2002, 749).

    Die Antragstellerin kann deshalb nicht mit ihren Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Durchsuchungsbeschlüsse in diesem Verfahren durchdringen. Es ergibt sich auch keine andere Beurteilung daraus, dass die Durchsuchungsbeschlüsse nicht nur rechtswidrig, sondern sogar nichtig gewesen sein sollen. Denn von einer Nichtigkeit kann nicht ausgegangen werden, wenn ein Einheitssachgebietsleiter, der sowohl für die Steuerfahndung als auch für die Bustra zuständig ist, die Durchsuchungsbeschlüsse beantragt. Auch die Überprüfung der Zuständigkeit für die Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses obliegt den ordentlichen Gerichten und könnte allenfalls zur Rechtswidrigkeit, nicht aber zur Nichtigkeit der Durchsuchungsbeschlüsse führen.

    Selbst wenn Verfahrensvorschriften oder Zuständigkeiten verletzt worden wären, wovon das Gericht hier aber nicht ausgeht, würde sich hieraus nicht zwangsläufig ein Verwertungsverbot ergeben. Insbesondere ergibt sich kein Verwertungsverbot aus dem bisher lediglich behaupteten, nicht aber substantiierten Verstoß gegen § 386 Abs. 2 AO. Denn nach der Rechtsprechung des BFH besteht im Besteuerungsverfahren kein allgemeines gesetzliches Verwertungsverbot für Tatsachen, die unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ermittelt worden sind. Ein solches sog. qualifiziertes materiell-rechtliches Verwertungsverbot kann nur dann anzunehmen sein, wenn die Ermittlung der Tatsachen einen verfassungsrechtlich geschützten Bereich des Steuerpflichtigen verletzt hat. Die auf diese Weise ermittelten Tatsachen sind schlechthin und ohne Ausnahme unverwertbar (vgl. BFH vom 19.08.2009 I R 106/08, BFH/NV 2010, 333).

    Zwar beruft sich die Antragstellerin auf einen Verstoß gegen die Verfassung, weil das Finanzamt für Bußgeld und Strafsachen und Steuerfahndung in unzulässiger Weise die Bereiche Judikative und Exekutive vermische und bei den Entscheidungen der Sachgebietsleiter nicht erkennbar sei, in welcher Funktion diese handelten. Dies alleine begründet indes keinen Verstoß gegen den verfassungsrechtlich geschützten Bereich der Steuerpflichtigen. Die Antragstellerin hat auch nicht vorgetragen, welcher ihrer verfassungsrechtlich geschützten Positionen tangiert sein könnten, zumal sie die zunächst sichergestellten Unterlagen später auch freiwillig herausgegeben hat und diese erst danach Grundlage für die Besteuerung geworden sind.

    Die Antragstellerin hat auch nicht vorgetragen, dass die Vollziehung des angefochtenen Bescheides eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, noch ergeben sich diesbezüglich Anhaltspunkte aus der Akte.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Beschwerde wurde nicht zugelassen, weil die dafür erforderlichen Voraussetzungen des § 128 Abs. 3, 115 FGO nicht erfüllt sind.

    RechtsgebietFGOVorschriftenFGO § 69