24.05.2012 · IWW-Abrufnummer 121591
Bundesfinanzhof: Urteil vom 20.03.2012 – VII R 12/11
Hinterziehungszinsen sind keine Verbindlichkeiten aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung i.S. des § 302 Nr. 1 InsO. Sie sind deshalb nicht von der Restschuldbefreiung ausgeschlossen.
Gründe
I.
1
Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts (AG) F vom 4. Juni 2009 wurde der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wegen Steuerhinterziehung betreffend die Jahre 1999 bis 2003 zu einer Geldstrafe verurteilt. Durch Beschluss des AG A vom 5. Dezember 2007 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet.
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Mit Schreiben vom 29. Dezember 2009 meldete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) Hinterziehungszinsen gemäß § 235 der Abgabenordnung (AO) gemäß § 174 Abs. 2 der Insolvenzordnung (InsO) zur Insolvenztabelle an.
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Mit Bescheid vom 16. März 2010 stellte das FA die vom Kläger bestrittenen Forderungen gemäß § 251 Abs. 3 AO als Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung gemäß § 302 Nr. 1 InsO fest.
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Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren durchgeführte Klage war erfolgreich. Das Finanzgericht (FG) hob aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 945 veröffentlichten Gründen den Feststellungsbescheid vom 16. März 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. April 2010 auf.
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Mit seiner Revision wendet sich das FA gegen die Rechtsauffassung des FG, wonach Hinterziehungszinsen nicht als Forderungen aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung i.S. des § 302 Nr. 1 InsO zur Insolvenztabelle angemeldet werden können. Die Entscheidung des FG stehe in Widerspruch zu den einschlägigen Verwaltungsanweisungen. Die Festsetzung von Hinterziehungszinsen sei unmittelbare Folge der Steuerhinterziehung. Deshalb nähmen Hinterziehungszinsen --anders als die hinterzogenen Steuern-- an der Restschuldbefreiung nach § 286 InsO nicht teil. Dies sei jedenfalls die Konsequenz der Senatsrechtsprechung zur Zulässigkeit von Aufrechnungen mit Vorsteuerüberhängen, die in "kritischer Zeit" vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ihren Entstehungsgrund haben (Senatsurteil vom 2. November 2010 VII R 6/10, BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374). Danach komme es entscheidend auf die der Steuerforderung zugrunde liegende Rechtshandlung an und nicht auf die steuerrechtliche Entstehung des Anspruchs. Da die Hinterziehungszinsen auf einer Rechtshandlung des Steuerpflichtigen, der Steuerhinterziehung, beruhten, müssten sie von der Restschuldbefreiung ausgeschlossen sein.
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Der Kläger trägt vor:
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Aus der Senatsrechtsprechung, wonach Steuerhinterziehung keine die Restschuldbefreiung ausschließende vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung i.S. des § 302 Nr. 1 InsO darstelle, und mangels eindeutiger gesetzlicher Bestimmungen ergebe sich, dass dies auch für Hinterziehungszinsen gelte.
II.
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Die zulässige Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil entspricht Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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1. Das FG hat den Feststellungsbescheid zu Recht aufgehoben. Der auf § 251 Abs. 3 AO gestützte Bescheid ist rechtswidrig. Das FA war nicht berechtigt, auf den gemäß § 184 Abs. 1 InsO erhobenen Widerspruch des Klägers gegen die Anmeldung der Hinterziehungszinsen zur Insolvenztabelle festzustellen, dass es sich bei den Hinterziehungszinsen um Forderungen i.S. von § 174 Abs. 2, § 175 Abs. 2 InsO handelt.
10
Nach dem Senatsurteil vom 19. August 2008 VII R 6/07 (BFHE 222, 199, BStBl II 2008, 947) sind hinterzogene Steuern keine Verbindlichkeiten aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung. Steueransprüche, selbst wenn sie in Zusammenhang mit einer Steuerhinterziehung entstanden sind, sind weder Schadenersatzansprüche aus §§ 823 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch diesen oder Geldstrafen vergleichbare Verbindlichkeiten. Eine erweiternde Auslegung dahingehend, dass von § 302 Nr. 1 InsO von Gesetzes wegen unerlaubte Handlungen allgemein und damit auch Steuerstraftaten nach § 370 AO erfasst werden, hat der Senat nicht als geboten angesehen. Dem lag die Erwägung zugrunde, dass Steuer- und Haftungsansprüche eigenständige, dem öffentlichen Recht zugehörige Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO) sind, die sowohl nach ihrer Entstehung als auch nach ihrem Inhalt und ihrer Durchsetzung eigenen, von den zivilrechtlichen Deliktsansprüchen unterschiedlichen Regeln unterliegen (Senatsurteil vom 24. Oktober 1996 VII R 113/94, BFHE 181, 552, BStBl II 1997, 308). Sie beruhen auf der Verwirklichung eines steuerrechtlichen Tatbestandes, an den das Gesetz eine Leistungspflicht knüpft (§ 38 AO).
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Entgegen der Auffassung des FA gilt für Hinterziehungszinsen nichts anderes. § 302 Nr. 1 InsO beruht auf dem vollstreckungsrechtlichen Gedanken, dass der Schuldner, gegen den Forderungen aus unerlaubten Handlungen bestehen, wegen dieser Forderungen weniger schutzwürdig ist. Deshalb ist dem Insolvenzschuldner für Forderungen aus unerlaubten Handlungen die Restschuldbefreiung zu versagen. Ebenso wie der auf einer Steuerhinterziehung beruhende Steueranspruch resultieren jedoch auch die Hinterziehungszinsen nicht auf einer unerlaubten Handlung. Sie entstehen nur, wenn die auf einem Steuertatbestand --und nicht auf einer unerlaubten Handlung-- beruhende Hauptforderung entstanden ist. Ähnlich wie der in § 71 AO geregelte Haftungsanspruch (vgl. Senatsurteil in BFHE 181, 552, BStBl II 1997, 308) hängt der Zinsanspruch nach § 235 AO somit vom Entstehen des auf einer Steuerhinterziehung beruhenden Steueranspruchs ab. Der Zinsanspruch knüpft damit an die auf einer Steuerhinterziehung beruhenden Steuerschulden an, die --wegen der Akzessorietät des Zinsanspruchs-- entstanden sein müssen. Dieses zusätzliche Erfordernis muss ein bloßer Deliktsanspruch nicht erfüllen. Deshalb teilt die Zinsforderung das Schicksal der Hauptforderung und kann nicht als aus einer unerlaubten Handlung resultierender Anspruch angesehen werden (so auch Schlie, Die Steuerhinterziehung als Fallstrick der Restschuldbefreiung?, Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht 2006, 1126; a.A. App, Erleichterte Pfändung von Arbeitseinkommen nach Steuerhinterziehung, Deutsche Steuer-Zeitung 1984, 280).
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Nicht nachvollziehbar ist für den Senat die Ansicht des FA, etwas anderes ergebe sich aus dem Senatsurteil in BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374. In dieser Streitsache ging es um das Aufrechnungsverbot nach § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 129 InsO. Zu entscheiden war, ob die Aufrechnung des FA mit einem steuer(verfahrens)rechtlich erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Umsatzsteuererstattungsanspruch anfechtbar ist. Wenn der Senat die die Anfechtbarkeit begründende Rechtshandlung bereits in der Verwirklichung des Lebenssachverhalts sieht, der zur Aufrechnungslage geführt hat, so betrifft das ein rein anfechtungsrechtliches Problem. Das Anknüpfen an den verwirklichten Lebenssachverhalt als entscheidendes Kriterium für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "anfechtbare Rechtshandlung" in § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 129 InsO ist nicht auf das Merkmal "Verbindlichkeiten aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung" in § 302 Nr. 1 InsO übertragbar. Das Abstellen auf die die Aufrechnungsmöglichkeit auslösende Rechtshandlung ohne Rücksicht auf die Entstehung des zur Aufrechnung gestellten Erstattungsanspruchs hat der Senat zur Vermeidung von Gläubigerbenachteiligungen --dem mit dem Aufrechnungsverbot nach § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 129 InsO verfolgten insolvenzrechtlichen Ziel-- für geboten erachtet. Eine vergleichbare Zielrichtung ist der Regelung des § 302 Nr. 1 InsO nicht zu entnehmen. Als Ausnahme von der schuldnerbegünstigenden Restschuldbefreiung kann sie vielmehr nur dann greifen, wenn die von der Befreiung ausgenommene Schuld unmittelbare Rechtsfolge einer unerlaubten Handlung ist. Demgegenüber zieht allein die Steuerhinterziehung weder die Haftung bezüglich der hinterzogenen Steuern noch den Anspruch auf Hinterziehungszinsen nach sich. Ein bestehender Steueranspruch ist vielmehr --s.o.-- unabdingbare Voraussetzung für den jeweiligen Anspruch.
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2. Da sich die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids bereits aus der Einstufung der festgestellten Forderungen als Verbindlichkeiten aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung ergibt, ist im Streitfall keine abschließende Entscheidung darüber veranlasst, ob ein Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO ausschließlich auf eine solche Qualifikation gestützt werden kann (vgl. auch Senatsurteil in BFHE 222, 199, BStBl II 2008, 947).
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Im Übrigen liegt es auf der Hand, dass Hinterziehungszinsen keine Geldstrafen sind (Klein/Rüsken, A0, 10. Aufl., § 235 Rz 1, m.w.N.) und auch nicht in eine der in § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO genannten Kategorien passen. Insbesondere sind sie keine der neben Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungsgelder und Zwangsgelder genannten Nebenfolgen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die zu einer Geldzahlung verpflichten.