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  • 14.06.2012 · IWW-Abrufnummer 121782

    Oberlandesgericht Mecklenburg-Vorpommern: Beschluss vom 11.10.2011 – 10 M 154/11

    1.) Zur vorläufigen Dienstenthebung eines Finanzamtsvorstehers, der wegen Steuerhinterziehung rechtskräftig verurteilt worden ist.

    2.) Zum Umfang der gerichtlichen Prüfung der Betätigung des Ermessens bei der Einbehaltung von Dienstbezügen eines suspendierten Beamten.


    Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern
    10. Senat
    Beschluss vom 11.10.2011

    10 M 154/11

    Tenor

    Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin – 10. Kammer – vom 29. Juli 2011 geändert.

    Die teilweise Einbehaltung der Dienstbezüge des Antragstellers wird ausgesetzt.

    Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

    Die Kosten des gerichtsgebührenfreien Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

    Gründe

    1Der Antragsteller wendet sich gegen seine vorläufige Dienstenthebung und die Anordnung der Einbehaltung von 35 Prozent seiner monatlichen Dienstbezüge. Seine Anträge auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung der Dienstbezüge hat das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 29. Juli 2011 abgelehnt.

    Die dagegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers hat teilweise Erfolg.

    Für das Beschwerdeverfahren gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts über eine Aussetzung nach § 63 LDG M-V gilt § 146 Abs. 4 VwGO entsprechend (vgl. § 67 Abs. 3 LDG M-V). Der Gegenstand der obergerichtlichen Prüfung ist im Beschwerdeverfahren gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO darauf beschränkt, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts anhand derjenigen Gründe zu überprüfen, die der Beschwerdeführer darlegt. Vor diesem Hintergrund verlangt das Darlegungserfordernis von dem Beschwerdeführer, dass die Beschwerdebegründung auf die rechtlichen oder tatsächlichen Erwägungen eingeht, auf die das Verwaltungsgericht seine Entscheidung gestützt hat. Die Beschwerdebegründung muss an die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts anknüpfen und aufzeigen, weshalb sich diese aus der Sicht des Beschwerdeführers nicht als tragfähig erweisen bzw. aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen der Ausgangsbeschluss unrichtig sein soll und geändert werden muss. Dies erfordert eine Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs und damit eine sachliche Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses (vgl. Beschl. des Senats vom 12.08.2009 - 10 L 114/09 -, m.w.N.).

    Nach diesen Maßstäben führt das Beschwerdevorbringen in Bezug auf die vorläufige Dienstenthebung nicht zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung.

    Die vorläufige Dienstenthebung ist gemäß § 63 Abs. 2 LDG M-V auszusetzen, wenn an ihrer Rechtmäßigkeit ernstliche Zweifel bestehen. Das Verwaltungsgericht hat solche Zweifel verneint; die Beschwerdebegründung führt nicht zu einer für den Antragsteller günstigeren Entscheidung.

    Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 LDG M-V – soweit hier von Bedeutung – kann die zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig oder nach Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Ernstliche Zweifel im Sinne von § 63 Abs. 2 LDG M-V sind nach der Rechtsprechung des Senats, mit der die angefochtene Entscheidung in Einklang steht und von der abzuweichen das Beschwerdevorbringen keinen Anlass bietet, dann anzunehmen, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass die Voraussetzungen einer vorläufigen Dienstenthebung nicht gegeben sind, mindestens so groß ist wie die Wahrscheinlichkeit, dass die Voraussetzungen einer vorläufigen Dienstenthebung erfüllt sind. Dies bedeutet, dass die ernstlichen Zweifel zu bejahen sind, wenn es nach dem Kenntnisstand zur Zeit der Entscheidung im gerichtlichen Verfahren zumindest ebenso wahrscheinlich ist, dass eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nicht erfolgen wird (vgl. Beschl. des Senats vom 1.11.2007 - 10 L 213/07 -, m.w.N.). Ist es dagegen überwiegend wahrscheinlich, dass das Disziplinarverfahren mit der Höchstmaßnahme endet, ist die vorläufige Dienstenthebung nicht nach § 63 Abs. 2 LDG M-V auszusetzen. So liegt der Fall hier.

    Für die Beurteilung der Frage, ob der Antragsteller mit seiner Entfernung aus dem Beamtenverhältnis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechnen muss, ist von § 15 Abs. 2 Satz 1 LDG M-V auszugehen. Danach ist ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Die Straftat der Steuerhinterziehung stellt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die der Senat teilt, ein Dienstvergehen von erheblichem disziplinarem Gewicht dar, das je nach den Umständen des Einzelfalles auch mit der Höchstmaßnahme geahndet werden kann. Eine Zurückstufung des Beamten kommt regelmäßig dann in Betracht, wenn die Straftat keinen Bezug zu dienstlichen Tätigkeiten des Beamten aufweist (vgl. BVerwG, Urt. vom 9.11.1994 - 1 D 57/93 -, zit. nach juris; BVerwG, Urt. vom 28.07.2011 - 2 C 16/10 -, Rn. 25, zit. nach juris). Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Straftat, obwohl außerdienstlich begangen, einen Bezug zu den dienstlichen Tätigkeiten aufweist und geeignet ist, die für die Amtsführung unabdingbare Autorität des Beamten zu beeinträchtigen.

    Nach diesen Maßstäben ist es überwiegend wahrscheinlich, dass das gegen den Antragsteller eingeleitete Disziplinarverfahren mit seiner Entfernung aus dem Beamtenverhältnis enden wird.

    Der Antragsteller ist wegen Steuerhinterziehung in vier Fällen und wegen versuchter Steuerhinterziehung in einem Fall durch seit dem 30.03.2010 rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Neubrandenburg – 9 Ns 36/09 – zu einer Gesamtgeldstrafe von 160 Tagessätzen zu je 100,00 Euro verurteilt worden. Dem lag zugrunde, dass der Antragsteller für die Veranlagungszeiträume 2002 bis 2006 in den jeweiligen Einkommenssteuererklärungen fälschlich „Zusammenveranlagung“ angegeben und den Umstand des „Dauernd Getrenntlebens“ bewusst nicht mitgeteilt hatte.

    Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass es an die Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils nach § 57 LDG M-V gebunden sei. Diese Verurteilung rechtfertige die Entfernung aus dem Dienst. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Antragsteller als Finanzamtsvorsteher eine besondere Stellung innegehabt habe, die insbesondere die Führung der Mitarbeiter beinhalte und damit ein großes Maß an Vorbild verlange.

    Mit dieser Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung setzt sich die Beschwerdebegründung nicht substantiiert auseinander. Der Antragsteller ist allerdings der Auffassung, dass die Zurückstufung wahrscheinlicher sei als die Entfernung aus dem Dienst (siehe Seite 6 des Schriftsatzes vom 18.08.2011). Die strafgerichtliche Verurteilung kritisiert der Antragsteller insbesondere im Hinblick auf die Höhe des vom Landgericht angenommenen Steuerschadens und macht geltend, es hätten „die in den Zusammenveranlagungsbescheiden festgesetzten Einkommenssteuerbeträge mit der Summe der aus den späteren Veranlagungsbescheiden festgesetzten Einkommenssteuerbeträge verglichen werden müssen.“ Der Antragsteller macht insoweit aber keine nachvollziehbaren Angaben, sondern beschränkt sich im Wesentlichen auf die Behauptung, dass nur eine „geringfügige Steuerschuld von ca. 300,00 Euro eingetreten“ sei (siehe Seite 2 f. des Schriftsatzes vom 18.08.2011). Außerdem berücksichtigt der Antragsteller nicht genügend, dass die Höhe des Steuerschadens für das Verwaltungsgericht gerade nicht ausschlaggebend war, sondern der Umstand, dass der Antragsteller Finanzamtsvorsteher war, als er die Steuerhinterziehungen beging. Die Berücksichtigung des (engen) Bezugs der Straftat zu der dienstlichen Tätigkeit steht aber – wie ausgeführt – im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

    Soweit der Antragsteller meint, „die durch das Verwaltungsgericht vorgenommene Gesamtwürdigung der be- und entlastenden Umstände“ sei unzulänglich, insbesondere habe es sich mit dem „Persönlichkeitsbild“ des Antragstellers nicht in der gebotenen Weise auseinander gesetzt, beschränkt sich die Beschwerdebegründung im Wesentlichen auf abstrakte Rechtsausführungen, was alles einbezogen gehört, bzw. auf schlagwortartige Andeutungen wie zum Beispiel „psychische Überforderung“ und „familiäre Probleme“ (siehe Seite 5 f. des Schriftsatzes vom 18.08.2011). Damit vermag der Antragsteller aber seine Rechtsposition nicht zu verbessern, zumal das Verwaltungsgericht in den Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung ausdrücklich von einer erheblichen psychischen „Belastungssituation durch die Trennung von der Ehefrau“ und von „weiteren emotionalen und gesundheitlichen Belastungen“ ausgegangen ist (siehe Seite 3 Beschlussabdruck) und diese somit ersichtlich in seine Entscheidung einbezogen hat.

    Ohne Erfolg macht der Antragsteller in der Beschwerdebegründung geltend, das Verwaltungsgericht habe nicht erkannt, dass die vorläufige Dienstenthebung mangels begründeter Ermessensentscheidung keinen Bestand haben könne.

    Einer gesonderten Begründung für die Ausübung des vom Gesetzgeber in § 40 Abs. 1 LDG M-V für die vorläufige Dienstenthebung vorgesehenen Ermessens bedarf es dann aber nicht, wenn die Begründung für die vorläufige Dienstenthebung offensichtlich identisch ist mit der Begründung für die Annahme, es werde im Disziplinarverfahren zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis kommen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind an die Ermessensentscheidung und ihre Darlegung in dem Bescheid, durch den die vorläufige Dienstenthebung verfügt wird, keine übermäßigen Anforderungen zu stellen, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Höchstmaßnahme in Betracht kommt (Beschluss vom 21.09.2000 - 1 DB 7/00 -). So liegt der Fall hier. In diesem Punkt kann auf die obigen Ausführungen zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen werden.

    Soweit der Antragsteller kritisiert, dass ihm in der Begründung der vorläufigen Dienstenthebung zu Unrecht ein in einem Gespräch am 19.02.2008 angeblich begangener Verstoß gegen die Wahrheitspflicht vorgeworfen worden ist, ist darauf hinzuweisen, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis und damit auch die vorläufige Dienstenthebung bereits aufgrund der vom Antragsteller begangenen Straftaten gerechtfertigt ist. Dies wird ersichtlich auch vom Antragsgegner nicht anders gesehen; so bezeichnet er etwa in der Beschwerdeerwiderung die Steuerhinterziehung als den „Hauptvorwurf“.

    Erfolgreich ist die Beschwerde, soweit der Antragsteller die Aussetzung der Einbehaltung eines Teils seiner Dienstbezüge begehrt.

    Für die rechtliche Beurteilung der vom Antragsgegner mit Bescheid vom 15.10.2010 getroffenen Einbehaltungsanordnung ist von § 41 Abs. 1 Satz 1 LDG M-V auszugehen. Nach dieser Vorschrift – soweit hier von Bedeutung – kann die zuständige Behörde gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass bis zu 50 Prozent der monatlichen Dienstbezüge einbehalten werden.

    Soweit der Antragsteller das Vorliegen der Voraussetzungen für die Einbehaltung anzweifelt, ist ihm allerdings nicht zu folgen. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.

    Der Antragsteller rügt aber zu Recht, dass die Einbehaltung ihrer Höhe nach ermessensfehlerhaft ist.

    Im Rahmen des Verfahrens nach § 63 LDG M-V prüft das Gericht auch, ob die Einbehaltung von Dienstbezügen sich als ermessensfehlerhaft erweist. Auch die Einbehaltungsquote unterliegt der gerichtlichen Kontrolle. Denn der Beamte hat einen Anspruch auf ihre Überprüfung unter Würdigung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Lage (vgl. BVerwG, Beschl. vom 1.07.1991 - 1 DB 14/91 -, Rn. 16, zit. nach juris). Die Ermessensentscheidung ist auszurichten an dem in Artikel 33 Abs. 5 GG verankerten Alimentationsgrundsatz. Zwar wird dem Beamten eine Einschränkung seiner Lebensführung zugemutet. Gleichwohl sind ihm Bezüge in einem Umfang zu belassen, dass er allein mit diesen eine seinem Statusamt angemessene, wenn auch bescheidenere Lebenshaltung unter Berücksichtigung seiner bisherigen, nicht unverhältnismäßigen Wirtschaftsführung fortsetzen kann (vgl. Fürst, GKÖD, Band II M § 38, Rn. 123 f. m.w.N.). Der Dienstherr ist nicht berechtigt, dem Beamten die Möglichkeit der Tilgung seiner Schulden zu nehmen und ihn der Notwendigkeit preiszugeben, seinen ihm gesetzlich obliegenden oder vertraglich eingegangenen Verpflichtungen nicht nachkommen zu können (vgl. BVerwG, Beschl. vom 22.05.2000 - 1 DB 8/00 -, Rn. 12, m.w.N., zit. nach juris). Ein Ermessensfehler liegt auch dann vor, wenn der Dienstherr den von ihm festgestellten Bedarf des Beamten von den bisherigen Dienstbezügen absetzt und nicht von den Dienstbezügen, die dem Beamten aufgrund der Einbehaltungsanordnung verbleiben (vgl. BVerwG, Beschl. vom 1.07.1991 - 1 DB 14/91 -, Rn. 18, zit. nach juris). Die wirtschaftliche Situation des Beamten vor der geplanten Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge kann kein Maßstab für die Frage sein, ob die anerkennungsfähigen Bedürfnisse des Beamten nach der Einbehaltung noch einer angemessenen Alimentation entsprechen.

    Die Anwendung dieser Maßstäbe führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass anhand des Beschwerdevorbringens ein Ermessensfehler festzustellen ist.

    Der Antragsteller rügt zu Recht, dass der Antragsgegner bei der Frage, über welchen Betrag der Antragsteller (bzw. dessen Familie) nach der teilweisen Einbehaltung der Dienstbezüge verfügen kann, nicht von dem die – anerkannten – Verbindlichkeiten übersteigenden Teil des gekürzten Einkommens, sondern von dem diese Verbindlichkeiten übersteigenden Teil des bisherigen – ungekürzten – Einkommens ausgegangen ist. In der Anlage (Tabelle 1) zum Bescheid vom 15.10.2010, durch den die Einbehaltung verfügt worden ist, ist von den bisherigen Brutto- bzw. Nettobezügen des Antragstellers ausgegangen worden, so wie es das Landesbesoldungsamt dem Antragsgegner zuvor durch Schreiben vom 30.04.2010 (Bl. 51 BA K) mitgeteilt hatte. Der Antragsgegner hat in der Beschwerdeerwiderung auch nicht in Abrede gestellt, so vorgegangen zu sein, hält diese Methode aber für rechtmäßig. Dieser Auffassung ist jedoch nicht zu folgen, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt.

    Soweit der Antragsteller darüber hinaus etwa rügt, der Antragsgegner habe zu Unrecht von ihm angegebene Tilgungsleistungen als nicht nachgewiesen angenommen, braucht dies im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht weiter geklärt zu werden. Eine abschließende Prüfung kann insoweit vor dem Erlass einer eventuellen neuen Einbehaltungsanordnung erfolgen. Der Senat ist ohnehin nicht befugt, eine Neuberechnung der Einbehaltungsquote anstelle der zuständigen Behörde vorzunehmen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 1.07.1991, a.a.O.).

    Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78 Abs. 1 Satz 1, 77 Abs. 4 LDG M-V, 155 Abs. 1 VwGO.

    Der Beschluss ist unanfechtbar.

    RechtsgebietDG MVVorschriften§ 63 DG MV, § 15 Abs 2 DG MV, § 40 Abs 1 DG MV