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  • 10.08.2012 · IWW-Abrufnummer 122473

    Verwaltungsgericht Gießen: Urteil vom 14.06.2012 – 8 K 2454/10

    Ein Haftungsbescheid hinsichtlich einer Grundsteuerforderung kann gegen den Erwerber des Grundstücks auch dann ergehen, wenn die Behörde nicht alle in Betracht kommenden Vollstreckungsmöglichkeiten gegenüber dem Steuerschuldner ausgeschöpft hat.


    Geschäftsnummer 8 K 2454/10.GI

    VERWALTUNGSGERICHT GIESSEN

    Im Namen des Volkes

    Urteil

    In dem Verwaltungsstreitverfahren XXX

    wegen Kommunaler Steuern

    hat das Verwaltungsgericht Gießen - 8. Kammer – durch Richter am VG XXX als Einzelrichter auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 14. Juni 2012 für Recht erkannt:

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

    Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

    Tatbestand

    Die Klägerin wendet sich gegen einen von der Beklagten erlassenen Haftungsbescheid betreffend die Veranlagung von Grundsteuer.

    Mit Kaufvertrag vom 22.12.2006 kaufte die Klägerin die Flurstücke …und …, Flur …, im Stadtgebiet der Beklagten. Verkäuferin und Voreigentümerin war die Firma D., eine Gesellschaft nach luxemburgischen Recht. Gemäß Ziffer 6.2 des Kaufvertrages sollten die Lasten des Grundstücks bereits bei Besitzübergabe auf die Käuferin übergehen. Am 14.03.2008 erfolgte die Eintragung der Klägerin im Grundbuch. Die Beklagte nahm die Firma D. als Grundsteuerschulderin für die Jahre 2006 und 2007 mit Grundbesitzabgabenbescheid vom 26.09.2008 in Anspruch. Auf eine Mahnung vom 06.11.2008 erfolgte keine Zahlung. Unter dem 17.02.2009 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie, die Beklagte, habe mittlerweile Kenntnis darüber, dass die Firma D. Insolvenz angemeldet habe.

    Mit Amtshilfeersuchen vom 28.10.2009 versuchte die Beklagte die rückständige Grundsteuer im Wege eines Vollstreckungsersuchens in Luxemburg beizutreiben. Dieses blieb jedoch erfolglos, da die Steuerschulderin, die Firma D., nach Abschluss der freiwilligen Liquidation am 31.03.2009 am 10.04.2009 im luxemburgischen Firmenregister gelöscht worden war.

    Sodann wandte sich die Beklagte mit Schreiben vom 03.11.2009 an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin und setzte sie über die Steuerrückstände und die erfolglosen Beitreibungsversuche gegenüber der Steuerschulderin in Kenntnis. Ferner wies die Beklagte auf die beabsichtigte Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldnerin gemäß § 11 Abs. 2 GrStG hin und gab der Klägerin im selben Schreiben auch die Gelegenheit zur Stellungnahme.

    Am 07.04.2010 erging seitens der Beklagten ein Haftungsbescheid gemäß § 191 Abs. 1 AO gegen die Klägerin für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis in Höhe von 24.119,85 EUR für das Jahr 2007. Ferner wurde die Klägerin aufgefordert, als Erwerberin des Grundstücks und somit als Haftungsschuldnerin gemäß § 11 Abs. 2 GrStG den Haftungsbetrag in Höhe von 24.119,85 EUR zu zahlen. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Erwerber eines übereigneten Grundstücks hafte neben dem früheren Eigentümer für die auf den Steuergegenstand (Grundstück) entfallene Grundsteuer, die für die Zeit seit Beginn des letzten vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres zu entrichten sei.

    Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 06.05.2010 Widerspruch. Diesen begründete sie mit Schriftsatz vom 22.06.2010 im Wesentlichen damit, bezüglich der Vollstreckung in das bewegliche Vermögen der Voreigentümerin sei aus den ihr vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich, dass seitens der Beklagten entsprechende Bemühungen angestellt worden seien.

    Mit Bescheid vom 02.08.2010 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie aus, einer vorherigen fruchtlosen Vollstreckung in das Vermögen des früheren Eigentümers bedürfe es nicht.

    Der Widerspruchsbescheid wurde am 04.08.2010 zugestellt.

    Am 06.09.2010, einem Montag, hat die Klägerin Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, die Beklagte habe keine ausreichenden Bemühungen angestellt, die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen der Firma D. als Steuerschuldnerin zu realisieren, insbesondere habe es die Beklagte mangels Kenntnis unterlassen, nach der Liquidierung der Firma D., deren Rechtsnachfolgerin, die Firma E. in Anspruch zu nehmen. Daher sei nicht davon auszugehen, dass die Vollstreckung beim Steuerschuldner im Sinne von § 219 AO ohne Erfolg geblieben sei bzw. Vollstreckungsbemühungen aussichtslos sein würden. Die Voraussetzungen des § 191 Abs. 1 AO seien daher nicht erfüllt.

    Die Klägerin beantragt,

    den Haftungsbescheid vom 07.04.2010 und den Widerspruchsbescheid vom 02.08.2010 aufzuheben.

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Sie ist der Ansicht, die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Haftung der Klägerin gemäß § 191 Abs. 1 AO i.V.m. § 11 Abs. 2 GrStG lägen vor. Einer vorherigen fruchtlosen Vollstreckung in das Vermögen des früheren Eigentümers bedürfe es gerade nicht.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren und in dem Verfahren 8 K 2455/10.GI sowie auf die vorgelegte Behördenakte der Beklagten Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

    Entscheidungsgründe

    Die zulässige Klage ist unbegründet.

    Der Haftungsbescheid der Beklagten vom 07.04.2010 und der Widerspruchsbescheid vom 02.08.2010 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

    Die Beklagte konnte die Klägerin in rechtmäßiger Weise durch Haftungsbescheid in Anspruch nehmen. Rechtsgrundlage für den Erlass eines Haftungsbescheides ist § 191 Abs. 1 AO. Danach kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner).

    Die Rechtsgrundlage des § 191 Abs. 1 AO findet im vorliegenden Fall auch Anwendung. Zwar handelt es sich bei der betroffenen Grundsteuer um eine kommunale Abgabe. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 lit. b) KAG ist die Vorschrift des § 191 AO nämlich entsprechend anzuwenden. Auch die Tatbestandsmerkmale des § 191 Abs. 1 AO sind erfüllt. Die Klägerin haftet nämlich kraft Gesetzes für eine Steuer. Dies ergibt sich aus § 11 Abs. 2 S. 1 GrStG. Hiernach haftet der Erwerber neben den früheren Eigentümern für die auf den Steuergegenstand oder Teilen des Steuergegenstandes entfallene Grundsteuer, die für die Zeit seit dem Beginn des letzten vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres zu entrichten ist, wenn ein Steuergegenstand ganz oder zu einem Teil einer anderen Person übereignet wird.

    Haftungsbegründend wirkt die bürgerlich-rechtliche Übereignung des Grundstücks an die Klägerin durch Eintragung in das Grundbuch am 14.03.2008. Allein dies ist maßgeblich (BFH, U. v. 17.12.1970 - IV R 133/70 -, juris, Rdnr. 16).

    Bereits aus diesem Grund haftet die Klägerin für die auf das Grundstück entfallene Grundsteuer aus dem Jahr 2008 und aus dem davorliegenden Kalenderjahr 2007 neben dem früheren Eigentümer.

    Diese Haftung ist auch nicht durch § 11 Abs. 2 S. 2 GrStG ausgeschlossen. Es handelt sich nämlich vorliegend nicht um einen Erwerb aus einer Insolvenzmasse oder im Vollstreckungsverfahren.

    Ebenso wenig ist im Streitfall die Haftung der Klägerin durch die Regelung des § 219 AO ausgeschlossen. Nach dieser Norm darf ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Vorliegend hat die Beklagte jedoch bereits erfolglose Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Steuerschuldner ergriffen, insbesondere durch Einleitung eines Vollstreckungshilfeersuchens in Luxemburg.

    Das Ergebnis dieser erfolglosen Vollstreckung rechtfertigt die Annahme, dass weitere Vollstreckungsbemühungen aussichtslos erscheinen.

    An die Zulässigkeit einer solchen Annahme im Sinne von § 219 AO, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde, sind ausgehend von der ratio legis des § 11 Abs. 2 GrStG und der gesetzessystematischen Zweiteilung in Steuer- und Haftungsschuldner keine unangemessen hohen Anforderungen zu stellen. Zu beachten ist nämlich insoweit, dass der Erwerber im Sinne von § 11 Abs. 2 GrStG kein Ersatzschuldner zum früheren Eigentümer, dem Steuerschuldner, ist, sondern von Gesetzes wegen neben diesem steht (vgl. Troll/Eisele, GrStG, 2006, § 11 Rdnr. 4). Dem staatlichen Gläubiger soll eine effektive Steuerbeitreibung durch einen zusätzlichen Schuldner gesichert werden. Dies bedingt, dass die Steuerbehörde nicht alle in Betracht kommenden Vollstreckungsmöglichkeiten gegenüber dem Steuerschuldner ausschöpfen muss, bevor sie den Grundstückserwerber als Haftungsschuldner in Anspruch nimmt (vgl. VG Dresden, U. v. 30.03.2010 - 2 K 351/08 -, juris, Rdnr. 23). Die aus der Regelung des § 11 Abs. 2 GrStG abzuleitende Privilegierung des Staates als Steuergläubiger liefe leer, wenn zunächst alle denkbaren Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber dem Steuerschuldner ergriffen werden müssten. Auch der Wortlaut des § 219 AO stützt diese Auslegung, da dort ausdrücklich eine negative Prognose hinsichtlich der Erfolgsaussichten der Vollstreckung für ausreichend erachtet wird.

    Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, da sie unterlegen ist (vgl. § 154 Abs. 1 VwGO).

    Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

    Rechtsmittelbelehrung
    Die Beteiligten können die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem
    Verwaltungsgericht Gießen
    Marburger Str. 4
    35390 Gießen
    zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt wird, bei dem
    Hessischen Verwaltungsgerichtshof
    Brüder-Grimm-Platz 1 - 3
    34117 Kassel
    einzureichen.
    Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
    1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
    2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
    3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
    4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
    5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
    Vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof besteht gemäß § 67 Abs. 4 VwGO Vertretungszwang. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird.
    Bei den hessischen Verwaltungsgerichten und dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof können elektronische Dokumente nach Maßgabe der Verordnung der Landesregierung über den elektronischen Rechtsverkehr bei hessischen Gerichten und Staatsanwaltschaften vom 26. Oktober 2007 (GVBl. I, S. 699) eingereicht werden. Auf die Notwendigkeit der qualifizierten digitalen Signatur bei Dokumenten, die einem schriftlich zu unterzeichnenden Schriftstück gleichstehen, wird hingewiesen (§ 55a Abs. 1 Satz 3 VwGO).

    Beschluss

    Der Streitwert wird auf 24.119,85 EUR festgesetzt.

    Gründe
    Die Streitwertfestsetzung hat ihre Grundlage in § 52 GKG. Das Gericht bemisst den Streitwert in Höhe des Haftungsbetrages (vgl. Bl. 10 d. A.).

    Rechtsmittelbelehrung
    Gegen die Streitwertfestsetzung steht den Beteiligten die Beschwerde zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt oder wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, in dem Beschluss zugelassen hat.
    Die Beschwerde ist bei dem
    Verwaltungsgericht Gießen
    Marburger Straße 4
    35390 Gießen
    schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
    Sie ist nur innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, zulässig.
    Soweit der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt wird, kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
    Anträge und Erklärungen können ohne Mitwirkung eines Bevollmächtigten schriftlich eingereicht oder zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 5 Satz 1 GKG.
    Für die Bevollmächtigung gelten die Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensordnung entsprechend, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 5 Satz 2 GKG.
    Bei den hessischen Verwaltungsgerichten und dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof können elektronische Dokumente nach Maßgabe der Verordnung der Landesregierung über den elektronischen Rechtsverkehr bei hessischen Gerichten und Staatsanwaltschaften vom 26. Oktober 2007 (GVBl. I, S. 699) eingereicht werden. Auf die Notwendigkeit der qualifizierten digitalen Signatur bei Dokumenten, die einem schriftlich zu unterzeichnenden Schriftstück gleichstehen, wird hingewiesen (§ 55a Abs. 1 Satz 3 VwGO).

    RechtsgebieteGrStG, AOVorschriftenGrStG § 11, AO § 219