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  • 27.07.2012 · IWW-Abrufnummer 122813

    Finanzgericht des Saarlandes: Urteil vom 29.02.2012 – 1 K 1342/09

    1. Die für einen durchlaufenden Posten gem. § 4 Abs. 3 S. 2 EStG erforderliche Verklammerung von „Vereinnahmung und Verausgabung für einen anderen” ist nicht mehr gegeben, wenn ein Rechtsanwalt, der seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermittelt, von einem Schuldner vereinnahmte Mandantengelder veruntreut, indem er sie bei Fälligkeit abredewidrig und wissentlich nicht an seinen Mandanten weiterleitet. Insoweit kommt es dann zu einer Gewinnerhöhung.


    2. Leistet er später Zahlungen an den, dem das Fremdgeld zusteht, so stellt dies – entsprechend den allgemeinen Grundsätzen – Betriebsausgaben dar.


    3. Bei dem Umstand, dass nicht weitergeleitete fällige Gelder nicht gewinnerhöhend berücksichtigt wurden, handelt es sich um Tatsachen i. S. v. § 173 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Diese sind dem Beklagten erst auf Grund der Betriebsprüfung und damit nach Abschluss der erstmaligen Veranlagung der Einkommensteuer für die Streitjahre bekannt geworden.


    IM NAMEN DES VOLKES
    URTEIL
    In dem Rechtsstreit
    hat der 1. Senat des Finanzgerichts des Saarlandes durch den Präsidenten des Finanzgerichts … als Vorsitzender, den Richter am Finanzgericht …, die Richterin am Finanzgericht … sowie die ehrenamtlichen Richter … und … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29. Februar 2012 für Recht erkannt:
    1. Unter Änderung der Einkommensteuerbescheide 1996 bis 2005vom 22. April 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Juni 2009 wird die Einkommensteuer 1996 bis 2005 jeweils ohne Berücksichtigung von 10 % der vom Beklagten als vereinnahmt angesetzten Fremdgelder – das entspricht 1.476 DM (1996), 512 DM (1997), 5.233 DM (1998), 4.799 DM (1999), 3.635 DM (2000), 2.020 DM (2001), 399 EUR (2002), 2.885 EUR (2003), 3.264 EUR (2004) und 2.896 EUR (2005) – als Einnahmen aus selbständiger Arbeit des Klägers niedriger festgesetzt. Im Übrigen wird die Klage als unbegründet abgewiesen. Dem Beklagten wird aufgegeben, die Steuer nach dieser Maßgabe neu zu berechnen.
    2. Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern zu 90 %, dem Beklagten zu 10 % auferlegt.
    3. Die Revision wird zugelassen.
    4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
    Tatbestand
    Die Kläger sind Eheleute, die in den Streitjahren 1996 bis 2005 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger erzielt als Rechtsanwalt in C Einkünfte aus selbständiger Arbeit gem. § 18 EStG. Er ermittelt seinen Gewinn durch Einnahmenüberschussrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG). Die Umsatzsteuer wird nach vereinnahmten Entgelten berechnet (§ 20 UStG). So genannte „Anderkonten” wurden nicht geführt. Ein bedeutender Mandant des Klägers war die D. Für diese übernahm der Kläger die Beitreibung von ärztlichen Honoraren gegenüber säumigen Patienten. Die Einkommensteuererklärungen wurden wie folgt beim Beklagten eingereicht: 1996 im April 1999, 1997 im September 1999, 1998 im Oktober 2000, 1999 im Februar 2001, 2000 im Februar 2002, 2001 im November 2002, 2002 im Dezember 2003, 2003 im September 2004, 2004 im August 2005, 2005 im August 2006.
    Im Rahmen einer im Jahr 2007 durchgeführten Betriebsprüfung u.a. für die Streitjahre wurde festgestellt, dass auf den betrieblichen Bankkonten des Klägers von Patienten eingegangene Beträge nicht unverzüglich an die D weitergeleitet wurden.
    Buchtechnisch behandelte der Kläger Zahlungen der Patienten vielmehr so, dass er zunächst gegen Kostenauslagen, dann gegen Erlöse (…8400- umsatzsteuergeschlüsselt) buchte, wie sich durch stichprobenartige Einsicht in einzelne Akten im Rahmen des Erörterungstermins bestätigte. Etwaige darüber hinaus gehende Zahlungen wies der Kläger als Verbindlichkeiten („Fremdgelder D” …55601) wie folgt aus (Bl. 19): saar_1_K_1342_09_01
    Auf zwei weiteren als „Fremdgelder” bezeichneten Buchhaltungskonten wurden ebenfalls Beträge gebucht (…57601 und …58801 – BP-A. Bl. 7, 8), die nicht die D betrafen und die auf den betrieblichen Bankkonten eingegangen sind und nicht weitergeleitet wurden. Hierbei handelt es sich um Beträge zum 31. Dezember 2005 i.H.v. 1.302,99 EUR (…57601) bzw. 10.000 EUR (…58801).
    Die Beträge auf diesen Fremdgeldkonten gingen nicht in den Gewinn des Klägers ein und wurden auch nicht der Umsatzsteuer unterworfen.
    Die Bankkonten des Klägers wiesen Minusbestände aus, die vereinnahmten Fremdgelder wurden zur Bestreitung von Betriebsausgaben und Lebenshaltungskosten verwendet (BP-Bericht Tz. 3.1.1, BP-A. Bl. 7).
    Die Betriebsprüferin behandelte die Bestandsveränderungen auf dem Fremdverbindlichkeitskonto D sowie die Erhöhungen auf den beiden weiteren Fremdgeldkonten als Betriebseinnahmen.
    Gegen den Kläger wurden ein Steuerstrafverfahren und ein Verfahren wegen Untreue eingeleitet. Im Zuge der dortigen Ermittlungen wurde ein Großteil der die D betreffenden Mandantenakten für jeden einzelnen Patienten analysiert und zuletzt ein Gutachten durch den Dipl.-Kfm. E in Auftrag gegeben mit dem wesentlichen Ziel festzustellen, welche vom Kläger als Rechtsanwalt für die D bearbeiteten Fälle tatsächlich abgeschlossen sind, welche Zahlungen er vereinnahmt und welche er an die D weitergeleitet hat (Gutachten vom 14. Dezember 2011 – Beihefter Strafakten). Das Gutachten, auf das wegen der Einzelheiten hier Bezug genommen wird, kommt im Wesentlichen zu folgenden hier relevanten Ergebnissen:
    Unter den beschlagnahmten Akten befanden sich 1612 „abgelegte Fälle” – abgelegt in dem Zeitraum 2005 bis 2010 –, in welchen insgesamt 86.647,78 EUR Patientengelder vereinnahmt und 86.169,65 EUR an die D weitergeleitet worden waren. Lediglich im Jahr 2005 vereinnahmte Beträge i.H.v. insgesamt 478,13 EUR wurden aus diesen „abgelegten Fällen” demnach nicht an D weitergeleitet (sie betreffen die Verfahren 50/2005 mit 294,15 EUR, 97/2005 mit 136,22 EUR, 274/2005 mit 3,34 EUR und 308/2005 mit 44,33 EUR).
    Weiterhin befanden sich unter den beschlagnahmten Akten 821 blaue Mandantenhefte, die „noch in Bearbeitung befindliche Aufträge” betrafen, also noch nicht abgelegt waren. Aus diesen 821 Verfahren ergeben sich zusammengefasst folgende Werte (sog. Tableau I des Gutachtens): saar_1_K_1342_09_02
    Bei dieser Aufstellung wurden den jeweiligen Patientenforderungen alle Zahlungen dieses Patienten auf die einzelne Arztrechnung gegenübergestellt (Kosten und Honorarzahlungen erfolgten daneben). Die Zahlungen („Geldeingänge”) erfolgten nicht immer (vollständig) im Jahr der jeweiligen Auftragserteilung, sondern teilweise mehrere Jahre später, teilweise in Raten. Ein kalenderjahrbezogener Abgleich der Geldeingänge in Bezug auf die einzelnen Patienten ist anhand des Gutachtens nicht möglich. Die in den Anlagen zum Gutachten ausgewiesenen Summen beziehen sich nicht auf das jeweilige Kalenderjahr, sondern auf das Jahr der Auftragserteilung, wie sich aus den Prozess-Aktenzeichen ergibt.
    Das Mandatsverhältnis zur D ist inzwischen beendet. D hat den Kläger vor dem Landgericht in H auf Auskunft und Zahlung verklagt (Az: 9 O 98/11, vgl. Bl. 68). Der Klägervertreter hat in der mündlichen Verhandlung ein Vergleichsangebot seitens D vorgelegt (Bl. 113 ff.).
    Der Beklagte folgte den Feststellungen und Wertungen der Betriebsprüfungsstelle und erließ am 22. April 2008 geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre. Er stützte die Änderungen für die Jahre 1996 bis 2000 auf § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO, für die Jahre 2001 bis 2005 auf § 164 Abs. 2 AO. Gegen die Einkommensteuerbescheide legten die Kläger Einsprüche ein, die der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 25. Juni 2009 (Bl. 5 ff.) als unbegründet zurückwies und argumentierte u.a., der Kläger verschleiere hinter den Fremdgeldern andere Umsätze.
    Am 23. Juli 2009 haben die Kläger Klage erhoben (Bl. 1). Sie beantragen,
    die Einkommensteuerbescheide 1996 bis 2001 vom 22. April 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Juni 2009 aufzuheben sowie
    unter Änderung der Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2005 vom 22. April 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Juni 2009 die Einkommensteuer jeweils ohne Berücksichtigung der vom Beklagten als vereinnahmt angesetzten Fremdgelder (s. Seite 2 des wesentlichen Akteninhalts) als Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit festzusetzen.
    Erstmals mit Ergehen der Einspruchsentscheidung werde der Kläger dem Vorwurf ausgesetzt, es handele sich nicht um Fremdgelder der D, sondern um Umsätze aus anderen Tätigkeiten, die der Kläger als durchlaufende Posten „getarnt” haben solle. Dies entbehre jeder Grundlage.
    Der Kläger vertrete seit 24 Jahren die D. Seine Beauftragung bestehe im Wesentlichen darin, zunächst im Wege des gerichtlichen Mahnverfahrens Forderungen geltend zu machen und falls erforderlich auch im Klageverfahren weiterzuverfolgen. Nach Titulierung der jeweiligen Forderungen betreibe er im Anschluss daran die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner bzw. es würden mit den Schuldnern Ratenzahlungsvereinbarungen getroffen. Bis zur endgültigen Beitreibung der Forderungen vergingen oftmals viele Jahre. Mit der D (dem ehemaligen Geschäftsführer F sowie dem jetzigen Geschäftsführer Herrn G) sei mündlich die Vereinbarung getroffen worden, dass eine Forderung erst dann an D ausgekehrt werde, wenn sie komplett beigetrieben worden sei. Dies könnten die Zeugen I und G von der D bezeugen (Bl. 19). Letzterer habe dies bereits gegenüber der Staatsanwaltschaft in H bestätigt. In erfolglosen Fällen, wenn also der Schuldner keinerlei Beträge leiste, habe der Kläger lediglich Anspruch auf die von ihm verauslagten Kosten (Gerichtskosten, Vollstreckungskosten, Einwohnermeldeamtanfragen etc.). Insoweit habe dann mit D abgerechnet werden sollen. Ein gesondertes Honorar stünde dem Kläger in diesem Fall nicht zu (Bl. 39). In den Fällen, in denen der Schuldner nur Teilbeträge leiste und kein weiterer Erfolg in Aussicht sei, habe eine Abrechnung unter Berücksichtigung der verauslagten Kosten erfolgen sollen. Bei weiteren Erfolgsaussichten habe das empfangene Geld beim Kläger bis zur endgültigen Erledigung verbleiben sollen. Die empfangenen Fremdgelder seien buchtechnisch auf dem Fremdgeldkonto im Haben, an D ausgezahlte Beträge im Soll verbucht worden.
    Eine gesonderte Honorarabrechnung gegenüber D sei nicht erstellt worden. Alle über die Hauptforderung hinausgehenden Beträge haben beim Kläger verbleiben sollen. Im Falle eines erfolgreichen Abschlusses habe also nur der Hauptforderungsbetrag an D ausgekehrt werden sollen. Vorauszahlungen seien nicht erfolgt.
    Bei teilweisen Zahlungseingängen sei zunächst eine Verrechnung auf verauslagte Kosten und auf den Honoraranteil erfolgt. Das Fremdgeldkonto sei insoweit nicht angesprochen worden. Nur bei überschüssigen Beträgen, wenn also der erhaltene Betrag größer als die verauslagten Kosten und das Honorar gewesen sei, sei das Fremdgeldkonto angesprochen worden.
    Einen regelmäßigen Bestandsabgleich mit D hinsichtlich der offenen Forderungen habe es nicht gegeben.
    Programmtechnisch sei im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG die Saldenveränderung im Personenkontenbereich zunächst als Gewinn erfasst worden, so dass es einer manuellen Korrektur bedurft habe. Diese sei durch die Hinzu- bzw. Abrechnungen in den Einnahmenüberschussrechnungen erfolgt, so dass die Fremdgelder im Ergebnis erfolgs- und umsatzsteuerneutral behandelt worden seien.
    Eine Änderung der Bescheide 1996 bis 2001 sei wegen Festsetzungsverjährung nach § 169 AO nicht mehr möglich. Für eine verlängerte Verjährungsfrist sei mangels Vorliegens der Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung kein Raum (Bl. 20).
    Auch die übrigen Bescheide seien rechtswidrig, weil die vereinnahmten Fremdgelder keine Honorareinnahmen und damit keine Betriebseinnahmen im Rahmen der selbstständigen Tätigkeit des Klägers darstellten.
    Der Beklagte beantragt,
    die Klage als unbegründet abzuweisen.
    Der Vorwurf, es habe sich in Wirklichkeit um andere Honorareinnahmen als von D-Mandaten gehandelt, werde nicht länger aufrecht erhalten. Entsprechend der Zeugenaussage des Herrn G von D sei auch nicht mehr davon auszugehen, dass es sich nicht um Fremdgelder handele. Inzwischen gehe auch der zuständige Oberstaatsanwalt J ausweislich des Aktenvermerks (Bl. 32) davon aus, dass die Einlassung des Klägers zuträfen, dass es sich um Fremdgelder handele, die noch an die D abzuführen seien; die D habe inzwischen eine Zivilklage gegen den Kläger erhoben. Es seien daher die Herren F und G als Zeugen darüber zu hören, ob es eine solche ungeschriebene Vereinbarung zwischen D und dem Kläger gegeben habe.
    Im Übrigen stellten die vereinnahmten Beträge keine durchlaufenden Posten i.S.v. § 4 Abs. 3 S. 2 EStG dar, da sie nicht unmittelbar (etwa wie üblich innerhalb von drei Wochen) an den Auftraggeber ausgekehrt worden seien. Es erscheine unwahrscheinlich, dass Forderungen aus dem Jahr 2005 oder noch früher tatsächlich beigetrieben werden könnten, so dass die Einnahmen entsprechend der Absprache mit D – so sie denn getroffen worden sei – wohl endgültig beim Beschuldigten verbleiben dürften.
    Am 14. Dezember 2011 hat ein Erörterungstermin vor dem Berichterstatter stattgefunden, in dem der Kläger einräumte, dass er sich insoweit nicht an die Vereinbarung mit D gehalten habe, als er nicht immer dann, wenn Beträge fällig gewesen seien, diese an D gezahlt habe.
    Das Gericht hat auf Grundlage des Beweisbeschlusses vom 31. Januar 2012 (Bl. 85 f.) in der mündlichen Verhandlung Beweis erhoben über die Frage, wie die vertraglichen Beziehungen zwischen D und dem Kläger ausgesehen haben durch Vernehmung des ehemaligen und des aktuellen Geschäftsführers der D, die Herren F und G, als Zeugen. Hinsichtlich der Zeugenaussagen wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
    Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten (vgl. Bl. 31, 82) und die Auszüge aus den Strafakten der StA in H (vgl. Bl. 77), das dort enthaltene Gutachten des Dipl.-Kaufmanns E und die beigezogenen Einzelakten des Klägers (vgl. Bl. 73, 112) sowie auf die Protokolle des Erörterungstermins und der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
    Entscheidungsgründe
    Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig. Sie ist jedoch zum überwiegenden Teil unbegründet. Der Beklagte hat zu Recht, Änderungsbescheide gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO bzw. § 164 Abs. 2 AO für die Streitjahre erlassen. Lediglich insoweit, wie der Beklagte hierin sämtliche Beträge der Bestandsveränderungen auf dem sog. Fremdgeldkonto als Betriebseinnahmen in Ansatz brachte und keinen Abschlag für auf diesem Konto enthaltene, noch nicht zur Auszahlung an D fällige Beträge vornahm, ist die Klage begründet. Diese Abschlagsbeträge schätzt der Senat wie folgt: 1.476 DM (1996), 512 DM (1997), 5.233 DM (1998), 4.799 DM (1999), 3.635 DM (2000), 2.020 DM (2001), 399 EUR (2002), 2.885 EUR (2003), 3.264 EUR (2004) und 2.896 EUR (2005).
    I. Allgemeines
    1. Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO). Eine Änderung ist nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 S. 1 AO). Diese beträgt regelmäßig vier Jahre, im Falle einer Steuerhinterziehung zehn Jahre und im Falle einer leichtfertigen Steuerverkürzung fünf Jahre (§ 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und S. 2 AO). Die Festsetzungsfrist beginnt gem. § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO in den Fällen, in denen eine Steuererklärung einzureichen ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung beim Finanzamt eingereicht wird, spätestens aber mit Ablauf des dritten auf das Jahr der Steuerentstehung folgenden Kalenderjahres. Wird vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist mit einer Außenprüfung begonnen, so endet die Frist nicht vor Eintritt der Unanfechtbarkeit der entsprechenden Änderungsbescheide (§ 171 Abs. 4 AO).
    Eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung kann jederzeit geändert werden, solange der Vorbehalt wirksam ist (§ 164 Abs. 2 S. 1 AO). Der Vorbehalt der Nachprüfung entfällt, wenn die reguläre Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 164 Abs. 4 AO).
    2. Der Einkommensteuer unterliegen u.a. Einkünfte aus selbständiger Arbeit, wie etwa der freiberuflichen Tätigkeit eines Rechtsanwalts, wie dem Kläger (§ 2 Abs. 1 Nr. 3, 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Einkünfte sind in diesem Fall der Gewinn (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 EStG).
    2.1. Steuerpflichtige, die nicht auf Grund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen und die dies auch nicht tun – wie der Kläger –, können als Gewinn den Überschuss der Betriebseinnahmen über die (hier unproblematischen) Betriebsausgaben ansetzen (§ 4 Abs. 3 EStG). Betriebseinnahmen sind alle Zugänge in Geld oder Geldeswert, die durch den Betrieb veranlasst sind (BFH vom 22. Juli 1988 III R 175/85, BStBl II 1988, 995). Honorargutschriften eines Rechtsanwalts sind bei diesem typischerweise Betriebseinnahmen. Nicht zu den Betriebseinnahmen (und den Betriebsausgaben) gehören nach § 4 Abs. 3 Satz 2 EStG durchlaufende Posten. Dies sind nach der gesetzlichen Definition Einnahmen und Ausgaben, die im Namen und für Rechnung eines anderen vereinnahmt bzw. verausgabt werden. Es sollen nur solche Einnahmen und Ausgaben vom Betriebsergebnis ausgenommen werden, die der Steuerpflichtige von einem Dritten erhält, um sie in dessen Namen für dessen Rechnung weiterzuleiten (BFH vom 18. 12. 1975 IV R 12/72, BStBl II 1976, 370). Voraussetzung hierfür ist, dass im Zeitpunkt der Vereinnahmung/Verausgabung dem Grunde und der Höhe nach feststeht, dass der Steuerpflichtige in fremdem Namen und für fremde Rechnung gehandelt hat (BFH vom 27. Juni 1996 IV B 69/95, juris; BFH vom 30. Januar 1975 IV R 190/71, BStBl II 1975, 776). Kennzeichnend für durchlaufende Posten ist die Verknüpfung von Einnahme und Ausgabe zu einem einheitlichen Vorgang (BFH vom 15. Mai 2008 IV R 25/07, BStBl II 2008, 715). Demgemäß setzt die Annahme eines durchlaufenden Postens weder die Existenz eines Treuhandverhältnisses voraus (BFH vom 13. August 1997 I R 85/96, BStBl II 1998, 161) noch ist es erforderlich, dass die vereinnahmten Beträge gesonderten Konten gutgeschrieben werden (BFH vom 15. Mai 1974 I R 255/71, BStBl II 1974, 518 und vom 13. August 1997 I R 85/96, BStBl II 1998, 161). Nach § 159 AO hat der Steuerpflichtige nachzuweisen, dass Fremdgelder im Namen und für Rechnung eines anderen vereinnahmt und verausgabt werden.
    2.2. Leitet der Steuerpflichtige, der seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG ermittelt, auf seinem betrieblichen Bankkonto eingegangene „Fremdgelder” abredewidrig nicht an den, dem sie zustehen, weiter, so durchbricht er die auch nach der BFH-Rechtsprechung erforderliche Verklammerung von „Einnahmen und Ausgaben für Rechnung eines anderen”, so dass die Voraussetzungen für einen durchlaufenden Posten in diesem Moment entfallen. Daraus folgt, dass der allgemeine Grundsatz, dass betrieblich veranlasste Geldzuflüsse Betriebseinnahmen darstellen, zu befolgen ist, so dass in diesem Zeitpunkt die bis dahin als Fremdgeld ausgewiesenen Beträge den Gewinn erhöhen. Dies ergibt sich aus der Eigenart des durchlaufenden Postens beim Einnahmen-Überschuss-Rechner. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Steuerpflichtige von seiner Auskehrungsverbindlichkeit nicht frei wird; leistet er etwa später Zahlungen an den, dem das Fremdgeld zusteht, so stellt dies – entsprechend den allgemeinen Grundsätzen – Betriebsausgaben dar (vgl. etwa Weber-Grellet in Kirchhof/Söhn EStG, Rz. D 142 ff. zu § 4).
    II. Nach dieser Maßgabe durfte der Beklagte die hier streitigen Änderungsbescheide 1996 bis 2001 gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, für 2002 bis 2005 zudem gem. § 164 Abs. 2 AO erlassen. Bei dem Umstand, dass der Kläger nicht weitergeleitete fällige Gelder nicht gewinnerhöhend berücksichtigte, handelt es sich um Tatsachen i.S.v. § 173 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Diese sind dem Beklagten erst auf Grund der Betriebsprüfung und damit nach Abschluss der erstmaligen Veranlagung der Einkommensteuer für die Streitjahre bekannt geworden.
    1. Bei den hier streitigen Geldbeträgen, die der Kläger von den „Drittschuldnern” (Patienten) auf sein betriebliches Bankkonto eingezahlt bzw. überwiesen erhielt, handelt es sich zwar grundsätzlich um durchlaufende Posten i.S.v. § 4 Abs. 3 S. 2 EStG. Denn die Beträge erhielt der Kläger für Rechnung der D und er hatte diese grundsätzlich an D weiterzuleiten.
    1.1. Dass der Kläger die Beträge nicht unverzüglich an die D weiterleitete, wie es etwa § 43 a BRAO vorschreibt, steht der Annahme durchlaufender Posten nicht entgegen. Der Senat hat nach der Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, dass zwischen D und dem Kläger die mündliche Abrede bestand, dass er eingetriebene Geldbeträge erst dann an D weiterzuleiten hatte, wenn sie entweder vollständig eingegangen waren oder – sofern die Patienten die Forderungen nur teilweise beglichen haben – wenn eine weitere Eintreibung endgültig aussichtslos war. Die Vernehmung insbesondere des Zeugen G hat gezeigt, dass diese sehr ungewöhnliche Vereinbarung offenbar nur auf der besonderen Vertragsanbahnung mit dem Kläger basierte. Denn die D hatte neben dem Kläger sowohl einen weiteren Rechtsanwalt (Rechtsanwalt K in L), als auch das Unternehmen M mit der Beitreibung von (anderen) Forderungen beauftragt. Mit diesen beiden wurden schriftliche Verträge geschlossen und eingetriebene Geldbeträge bei Eingang monatlich an D weitergeleitet, welche sie dann wiederum monatlich an die Ärzte weiterleitet. Der Zeuge G hat nach seinen Bekundungen einmal versucht, die Vereinbarungen mit dem Kläger ebenfalls schriftlich zu dokumentieren und sie den Bedingungen mit RA K und M anzupassen, hat dies aber nach internen Gesprächen mit Mitarbeitern in der bei D eigens für diese Forderungseintreibung gegründeten „Klageabteilung” nicht weiterverfolgt, da ihm der Eindruck vermittelt worden sei, es laufe alles problemlos.
    Zwar wurde diese Fälligkeitsvereinbarung von dem Zeugen F so nicht bestätigt. Jener war sich nicht sicher, ob es eine derartige „Fälligkeitsvereinbarung” mit dem Kläger gegeben hatte, er könne sich dies nicht vorstellen, verwies aber letztlich auf den jetzigen Geschäftsführer, den Zeugen G. In Anbetracht des Umstandes, dass der Zeuge F bereits seit 2003 – also nunmehr fast neun Jahren – im Ruhestand ist und nur drei Jahre lang Geschäftsführer der D gewesen war, erscheint dies glaubwürdig und steht der Aussage des Zeugen G aus Sicht des Senats nicht entgegen.
    Wenngleich diese untypische Fälligkeitsvereinbarung zwischen D und dem Kläger den Senat auch sehr verwundert und sich die Frage aufdrängt, inwiefern dies von dem Einverständnis der Ärzte gedeckt war, so ändert es nichts daran, dass der Kläger in dieser Vertragsbeziehung mit D nach der Überzeugung des Senats nicht verpflichtet war, die Beträge vor dem vereinbarten Zeitpunkt zu zahlen.
    Der Zusammenhang der Vereinnahmung der Beträge als Mandantengelder mit der Verausgabung der Beträge bei Weiterleitung an die D war allein durch die Einhaltung dieser Vereinbarung nicht durchbrochen, so dass die Ausnahme greift und insoweit keine Betriebseinnahmen vorliegen.
    1.2. Allerdings hat sich der Kläger in einem Großteil der Eintreibungsfälle nicht an diese Vereinbarung mit D gehalten. Dies steht nach Vorliegen des Gutachtens des von der Staatsanwaltschaft beauftragten Gutachters E zur Überzeugung des Senats fest.
    Danach hat der Kläger in der absoluten Mehrzahl aller Fälle bereits vollständig eingegangene Zahlungen teilweise jahrelang nicht weitergeleitet. Der Gutachter hat dargelegt, dass sich zwar aus den bereits archivierten „Patientenakten” (gemeint sind die Mandantenakten des Klägers, die dieser für jede einzelne Forderung angelegt hat) ergab, dass eingegangene Zahlungen nahezu vollständig an D weitergeleitet wurden. Hingegen betraf der Großteil der einzutreibenden Geldbeträge Patientenakten, die noch nicht abgelegt (archiviert) waren, obwohl die einzutreibenden Forderungen teilweise schon seit zehn Jahren beglichen waren. Der Senat hat sich einige dieser Patientenakten des Klägers im Einzelnen angesehen (vgl. Bl 112, 113). Nur beispielhaft werden hier einige aufgeführt:

    • 610/97Rechnungsbetrag am 19. Februar 1999 vollständig gezahlt, keine Weiterleitung an D
    • 44/98Rechnungsbetrag am 14. Oktober 1999 vollständig gezahlt, keine Weiterleitung an D
    • 300/98Rechnungsbetrag am 5. Oktober 1999 vollständig gezahlt, keine Weiterleitung an D
    • 678/98Rechnungsbetrag am 16. Februar 2000 vollständig gezahlt, keine Weiterleitung an D
    Der Senat hat die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger nicht vorhatte, die Beträge irgendwann an D zu zahlen, und dass die ganze Angelegenheit nur durch die Betriebsprüfung ans Licht gekommen ist.
    Der Kläger hat die auf Grund der unüblichen Vereinbarung mit D für ihn selbst äußerst günstige Position ausgenutzt und das ihm seitens D entgegen gebrachte Vertrauen, dass er die Vereinbarung einhalten würde, nahezu routinemäßig missbraucht. Er hat zudem seine Liquiditätsengpässe mithilfe dieser Gelder überbrückt. Der Senat ist auf Grund des Gutachtens „ E” und der stichprobenartig selbst eingesehenen Beitreibungsakten des Klägers davon überzeugt, dass dieser wissentlich und willentlich über viele Jahre hinweg zum Nachteil der D bzw. der Ärzte, um deren Forderungen es letztlich ging, Geld veruntreut hat und zwar Beträge von insgesamt über 300.000 EUR. Dies gibt der Kläger zudem offenbar selbst zu; so hat er dies dem Grunde nach einerseits im Erörterungstermin eingeräumt, andererseits ist er offenbar bereit, zur einvernehmlichen Beilegung des gegen ihn gerichteten Rechtsstreits mit der D einen Betrag i.H.v. 331.245,28 EUR zzgl. Zinsen an D zu zahlen, wie sich aus dem vom Prozessbevollmächtigten der Kläger in der mündlichen Verhandlung überreichten Schriftsatz des Rechtsanwalts K vom 28. Februar 2012 ergibt (Bl. 113 ff. – „entsprechend Ihrer Zusage”).
    1.3. Bei diesen Beträgen, die der Kläger bewusst nicht an die D weiterleitete, obwohl sie zur Zahlung fällig waren, ist der für die Qualifizierung als durchlaufender Posten erforderliche Zusammenhang, also die Verklammerung der Vereinnahmung für fremde Rechnung mit der entsprechenden Auskehrung an die D – wie oben dargestellt – durchbrochen. Insoweit liegt kein durchlaufender Posten mehr vor. Wie der Kläger diese Beträge verwendet hat, insbesondere ob er sie für betriebliche Ausgaben oder für private Zwecke verwendete, ist im Ergebnis für die steuerrechtliche Einordnung beim Kläger ohne Bedeutung. Denn die Beträge wurden dem betrieblichen Bankkonto gutgeschrieben und stellten damit – soweit die Ausnahme nach § 4 Abs. 3 S. 2 EStG nicht greift – zwangsläufig Betriebseinnahmen dar, da sie durch die betriebliche Tätigkeit des Klägers veranlasst waren.
    1.4. Dem steht auch die von den Beteiligten angeführte Rechtsprechung des BFH nicht entgegen. Insbesondere können sich die Kläger nicht auf das von ihnen als Hauptargument benannte BFH-Urteil zur Veruntreuung durch einen Vermögenspfleger berufen. Nach der betreffenden Entscheidung stellen von einem Vermögenspfleger veruntreute Beträge, die dieser von Sparkonten, die zu dem von ihm verwalteten Vermögen gehören, pflichtwidrig abhebt und für eigene Zwecke verwendet, keine Betriebseinnahmen dar, da die Veruntreuungshandlung (anders als schlichte Fehler bei der Vermögensverwaltung) nicht durch den Betrieb, sondern privat veranlasst ist (BFH vom 19. März 1987 IV R 140/84, BFH/NV 1987, 577). In dem dortigen Entscheidungsfall verhielt es sich – anders als im Streitfall – jedoch so, dass die veruntreuten Beträge zu keiner Zeit in das Betriebsvermögen des Vermögenspflegers eingegangen waren, etwa durch Gutschrift auf seine betrieblichen Konten. Ein betrieblicher Zusammenhang schied damit von vornherein aus. Vorliegend verhielt es sich aber so, dass die Patientenzahlungen ausnahmslos auf dem betrieblichen Bankkonto des Klägers eingingen, ein betrieblicher Zusammenhang also bereits von Anfang an gegeben war. Auf die Abgrenzung, ob die Untreue „gelegentlich” der Mandatsausübung vorgenommen wurde, kommt es vorliegend deshalb nicht an.
    Auch die Entscheidungen des BFH zur Abzugsfähigkeit von Darlehenszinsen als Betriebsausgaben stehen den o.g. Grundsätzen der Betriebseinnahmen eines Einnahmen-Überschuss-Rechners nicht entgegen. So hatte der BFH in einem Fall des Tankstellenpächters, welcher Verkaufserlöse (aus Shops), die nach dem Vertrag mit dem „Kommissionär” unmittelbar mit Vereinnahmung in dessen Eigentum übergingen, bar entnahm und für private Zwecke verwendete, die Annahme von Betriebseinnahmen verneint, da das Betriebsvermögen nicht berührt worden sei (BFH vom 4. November 2004 III R 5/03, BStBl II 2005, 277); folglich hat er auch einen betrieblichen Veranlassungszusammenhang mit einem zur Finanzierung der Zahlung an den Kommissionär aufgenommenen Darlehen und dem folgend den Abzug der entsprechenden Zinsen als Betriebsausgaben verneint (ähnlich auch BFH vom 15. Mai 2008 IV R 25/07, BStBl II 2008, 715). Eine derartige Abrede, wonach das Geld nicht in das Eigentum des Klägers gelangt wäre, existiert vorliegend nicht. Hier war es vielmehr in das Betriebsvermögen des Klägers gelangt.
    2. Allerdings sind nicht alle vom Beklagten angenommenen Bestandserhöhungen auf dem Festgeldkonto als Einnahmen zu qualifizieren. Die Veränderungen auf diesem Konto stellen den Saldo dar aus solchen Beträgen, die in dem jeweiligen Kalenderjahr an die D ausgezahlt wurden und solchen, die der Kläger von Patienten vereinnahmt hat, soweit sie über Auslagen und Honorare des Klägers hinausgingen. In dieser sog. „Bestandsveränderung” sind auch solche Beträge enthalten, die der Kläger von Patienten als Teilzahlungen erhalten hat, betreffen also solche Forderungen, die noch nicht vollständig beglichen waren und deren Eintreibung auch noch nicht endgültig aussichtslos war. Solche Beträge waren noch nicht zur Auszahlung an D fällig und damit zu Recht als durchlaufende Posten erfasst.
    Welchen Anteil diese zu Recht nicht weitergeleiteten Beträge an dem Gesamtbestand bzw. den Bestandsveränderungen des Fremdgeldkontos ausmachten, kann der Senat unter Ausschöpfung der ihm zur Sachverhaltsermittlung gem. § 76 Abs. 1 FGO zumutbaren Möglichkeiten nicht erforschen. Das von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebene Gutachten des Dipl.-Kaufmanns E hat zwar die einzelnen Patientenforderungen aufgelistet und dahingehend analysiert, ob und in welcher Höhe die Forderungen beglichen wurden. Eine zeitliche Zuordnung der Zahlungen und damit eine Feststellung, wann welche Beträge vollständig beglichen wurden, ist anhand des Gutachtens jedoch nicht möglich. Ebenso ist es nicht eindeutig möglich festzustellen, wann eine (nicht vollständig beglichene) Forderung endgültig ausgefallen war. Um dies aufzuklären, hätte es eines erneuten Gutachtens bedurft, welches alle 821 Patientenakten noch einmal unter diesem Aspekt beleuchtet. Dies übersteigt das für das Gericht gem. § 76 Abs. 1 FGO zumutbare Ermittlungsmaß. Der Senat ist daher zu einer sachgerechten Schätzung entsprechend §§ 96 Abs. 1 FGO, 162 AO befugt. Bei einer Schätzung ist eine Schätzungsmethode zu wählen, die der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommt (grundlegend: BFH vom 31. August 1967 V 241/64, BStBl III 1967, 686; vom 16. November 1982, BStBl II 1983, 361). Bei der Schätzung nach Wahrscheinlichkeitsgrundsätzen besteht stets eine Bandbreite möglicher Wertansätze (Schätzungsrahmen). Der Schätzungsrahmen ist umso größer, je ungesicherter das Tatsachenmaterial ist, auf dem die Schätzung basiert. Der Steuerpflichtige hat keinen Anspruch darauf, dass sich die Schätzung bei Einnahmen u.ä. im untersten Rahmenbereich bewegt. Der seine Mitwirkungspflicht verletzende Steuerpflichtige soll nicht besser stehen als derjenige, der die Besteuerungsgrundlagen ordnungsgemäß aufzeichnet und erklärt. Bei groben Pflichtverletzungen (z.B. keine Abgabe der Steuerklärung), die darauf hindeuten, dass Einkünfte verheimlicht werden sollen, kann sich das Finanzamt im Gegenteil an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren (BFH vom 20. Dezember 2000 I R 50/00, BStBl II 2001, 381; vom 29. März 2001 IV R 67/99, BStBl II 2001, 484). Aber auch dann muss die Schätzung in sich schlüssig, ihre Ergebnisse müssen wirtschaftlich vernünftig und möglich sein (BFH vom 8. Dezember 1984 VIII R 195/82, BStBl II 1986, 226; vom 9. Dezember 2001 VI R 72/97, BStBl II 2001, 775).
    Als geeigneter Schätzungsmaßstab für diese zu Recht nicht ausgezahlten Beträge scheint dem Senat vorliegend das Gesamtverhältnis der in den gesamten Streitjahren an die D weitergeleiteten Beträge zu den in den Streitjahren von den Patienten vereinnahmten Beträgen zu sein. Klingt dies auch zunächst widersprüchlich, so spiegelt dieses Verhältnis doch den Anteil der Forderungen an den Gesamtforderungen wider, die der Kläger tatsächlich an D gezahlt und deren er sich im Ergebnis nicht zu Unrecht bemächtigt hat. Stellt dies auch den Gesamtzeitraum über mehrere Jahre dar, so ist es doch ein angemessener Anhaltspunkt für eine sachgerechte Größenordnung für die Bestimmung der Einnahmen in den einzelnen Streitjahren. Jede andere Schätzungsmethode beruht auf nicht überprüfbaren Prämissen und käme der Wahrscheinlichkeit nicht näher.
    Dieses maßgebliche Verhältnis beträgt gerundet ca. 10%. Denn nach den Feststellungen des Gutachters (vgl. S. 17 d. Gutachtens) wurden in den Streitjahren folgende Beträge von erhaltenen Zahlungen weitergeleitet: saar_1_K_1342_09_03
    Auf dieser Grundlage schätzt der Senat 90 % der vom Beklagten zu Grunde gelegten Bestandsveränderungen als Betriebseinnahmen des Klägers. Dies sind:
    1996: 14.759 DM * 90 %=13.283 DM (Differenz: 1.475 DM)
    1997: 5.128 DM * 90 % =4.615 DM (Differenz: 512 DM)
    1998: 52.333 DM * 90 %=47.099 DM (Differenz: 5.233 DM)
    1999: 47.993 DM * 90 %=43.193 DM (Differenz: 4.799 DM)
    2000: 36.356 DM * 90 %=32.720 DM (Differenz: 3.635 DM)
    2001: 20.202 DM * 90 %=18.181 DM (Differenz: 2.020 DM)
    2002: 3.990 EUR * 90 %=3.591 EUR (Differenz: 399 EUR)
    2003: 28.850 EUR * 90 %=25.965 EUR (Differenz: 2.885 EUR)
    2004: 32.640 EUR * 90 %=29.376 EUR (Differenz: 3.264 EUR)
    2005: 28.961 EUR * 90 %=26.065 EUR (Differenz: 2.896 EUR).
    3. Der Änderung der Einkommensteuerbescheide 1996 bis 2001 gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO stand keine Festsetzungsverjährung gem. § 169 Abs. 1 S. 1 AO entgegen.
    3.1. Nach dieser Norm darf eine Steuerfestsetzung nicht mehr geändert werden, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Diese beträgt regulär vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO) und beginnt mit Ablauf des Jahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens mit Ablauf des dritten auf das Jahr der Steuerentstehung folgenden Jahres (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO). Die Festsetzungsfrist beträgt hingegen zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen worden ist (§ 169 Abs. 2 S. 2 AO).
    3.2. Vorliegend ergingen die Änderungsbescheide vom 22. April 2008 innerhalb der hier maßgeblichen zehnjährigen Frist. Die Steuererklärungen für 1996 und 1997 wurden 1999, die Steuererklärungen für spätere Streitjahre später eingereicht (vgl. Stempel auf den Erklärungsvordrucken, ESt 1994 – 1996 Bl. 13, 36, 53; ESt 1999 ff. Bl. 4, 20, 34, 56, 66, 81, 94). Die zehnjährige Frist begann somit für 1996 und 1997 mit Ablauf des Jahres 1999 und endete mit Ablauf des Jahres 2008, die der Streitjahre ab 1998 offenkundig später.
    3.3. Die Frist betrug vorliegend zehn Jahre, da der Kläger nach der Überzeugung des Senats vorsätzlich Einkommensteuerverkürzungen begangen hat.
    3.3.1. Nach § 370 AO wird u.a. bestraft, wer Steuern vorsätzlich dadurch verkürzt, dass er den Finanzbehörden gegenüber unrichtige oder unvollständige Angaben macht bzw. die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt. Begeht der Steuerpflichtige dies leichtfertig, so handelt er nach § 378 AO ordnungswidrig.
    Auch bei der Prüfung einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit im Rahmen des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO hat das Finanzgericht den Grundsatz „in dubio pro reo” zu beachten. Dies hindert das FG hingegen nicht, auf Grund seiner Feststellungen zu der vollen Überzeugung zu gelangen, dass eine Steuerhinterziehung vorliegt (BFH vom 4. Mai 2005 XI B 230/03, BFH/NV 2005, 1485). Schätzungen der Höhe hinterzogener Steuern sind nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 162 AO 1977 trotz Geltung des Grundsatzes „in dubio pro reo” möglich (vgl. dazu auch BFH vom 1. August 2001 II R 48/00, BFH/NV 2002, 155, sowie BGH vom 13. Oktober 1994 5 StR 134/94, HFR 1995, 476; BGH vom 26. Oktober 1998 5 StR 746/97, HFR 1999, 578).
    3.3.2. Der Kläger hat die zu Unrecht nicht weitergeleiteten Geldbeträge in seinen Steuererklärungen nicht als Einnahmen deklariert und damit seinen Gewinn zu niedrig ausgewiesen, wodurch Einkommensteuer der Streitjahre verkürzt wurde. Das Gutachten und die „Patientenakten”, die der Senat stichprobenartig eingesehen hat, lassen den erschütternd großen Stil der Nichtweiterleitung auch in frühen Jahren erkennen, wobei zu bedenken ist, dass noch nicht einmal alle Unterlagen eingesehen wurden; die vor 2005 „archivierten Akten” lagen dem Gutachter nicht vor und sind folglich in Tableau II nicht enthalten.
    Dass der Kläger dies vorsätzlich tat, steht für den Senat auf Grund folgender Umstände fest:
    > Der Kläger hat in großem Stil über alle Streitjahre hinweg (und danach) Geldbeträge, die nicht ihm, sondern der D zustanden, veruntreut. Das Geld, welches er der D in Summe schuldete (zuletzt über 331.000 EUR) befand sich nicht auf seinem betrieblichen Bankkonto, wie die Betriebsprüfung ergab.
    > Als Rechtsanwalt wusste der Kläger um die Unrechtmäßigkeit und die Strafbarkeit seiner Handlung.
    > Als Rechtsanwalt hatte er im Rahmen seiner Gewinnermittlung nahezu ständig mit sog. durchlaufenden Posten zu tun, denn diese sind in seinem Beruf typisch (z.B. Gerichtskosten, Mandantengelder). Er hatte sich daher mit der Abgrenzung durchlaufender Posten von Betriebseinnahmen von Berufs wegen zu beschäftigen.
    > Der Kläger hat selbst nichts unternommen, um seine Verbindlichkeiten an D zurückzuzahlen. Er hat das „Betrugssystem” über viele Jahre hinweg nicht offen gelegt. Hätte die Betriebsprüfung diese Vorfälle nicht aufgedeckt, hätte der Kläger die Beträge womöglich nie an D gezahlt und auch nie versteuert.
    > Der Kläger kann sich zum Bestreiten des subjektiven Tatbestands nicht auf die von ihm angeführte Rechtsprechung des BFH zu Betriebseinnahmen bei Untreuehandlungen beziehen. Denn diese betraf durchgängig andere, nicht vergleichbare Fälle (vgl. obige Darstellungen), welches für ihn als Rechtsanwalt erkennbar war.
    > Der Kläger ist – wie er mit Schriftsatz vom 9. September 2009 vorträgt, seit „ca. 24 Jahren” und somit seit ca. 1985 für die D tätig. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Kläger nicht von Anbeginn an vertragsbrüchig gewesen ist, so steht für den Senat doch außer Zweifel, dass die Untreuehandlungen in jedem Fall bereits vor 1996 begonnen haben. Die Steuerhinterziehung stellt sich als Folgedelikt zur Untreue dar.
    4. Die weiteren „Fremdgelder”, die auf dem „Buchhaltungskonto” …58801 (BP-A. Bl. 7,8), eingegangen waren, hat der Beklagte zu Recht im Jahr 2005 vollständig als Betriebseinnahmen qualifiziert.
    4.1. Der Betrag von 10.000 EUR, der auf dem Konto …58801 am 21. Juli 2005 erfasst wurde (vgl. BP-Unterlagen. Bl. 218), wurde – im Gegensatz zu anderen auf diesem Konto erfassten „Eingängen” – nicht wieder „ausgebucht”. Insoweit ist auch hier in Anlehnung an die obigen Darstellungen davon auszugehen, dass der für einen durchlaufenden Posten erforderliche Zusammenhang durchbrochen ist und insoweit Betriebseinnahmen vorliegen. Der Kläger hat hierzu nicht vorgetragen, dass er berechtigt gewesen wäre, diese Fremdgelder über ein halbes Jahr zurückzuhalten. Ob die Beträge jemals an den Berechtigten ausgezahlt wurden, konnte der Senat nicht feststellen.
    4.2. Auch die Beträge auf dem Konto …57601 hat der Beklagte zu Recht als Betriebseinnahmen behandelt. Die Betriebsprüferin hat das Konto …57601 aufgelistet (BP-Unterlagen Bl. 220). Weitere Berechnungen sind zwar nicht in den Betriebsprüfungsunterlagen enthalten. Nach den Nachforschungen des Berichterstatters hat die Betriebsprüferin offenbar die Bestandsveränderungen, die in der Summe 1.998 EUR ergeben, von dem Anfangsbestand zum 1. Januar 2005 (-3.300,99 EUR) abgezogen. Die auf diese Weise ermittelte Differenz i.H.v. 1.302,99 EUR qualifizierte sie als (Brutto-)Einnahmen, wohl mit dem Argument, die Beträge seien zumindest über ein Jahre lang nicht ausgekehrt worden. Auch insoweit ist von einer Durchbrechung des Zusammenhangs eines durchlaufenden Postens auszugehen. Die vorigen Ausführungen gelten daher entsprechend.
    5. Die Kosten des Verfahrens waren den Beteiligten anteilig im Verhältnis des Obsiegens/ Unterliegens, dem Kläger folglich zu 90 % und dem Beklagten zu 10 % aufzuerlegen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
    6. Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der für einen Einnahmen-Überschussrechner – soweit ersichtlich – noch nicht höchstrichterlich entschiedenen Frage zugelassen, ob auf einem betrieblichen Bankkonto eingegangene und sodann vom Betriebsinhaber veruntreute Beträge Betriebseinnahmen i.S.v. § 4 Abs. 3 EStG darstellen.

    VorschriftenEStG § 4 Abs. 3, AO § 173 Abs. 1 Nr. 1