07.12.2012 · IWW-Abrufnummer 123696
Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 18.07.2012 – 5 K 1348/09
1. Ein Betreuer hat die Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung auch für die vor seinem Eintritt in seine Funktion als Betreuer liegende Veranlagungszeiträume, soweit diese noch nicht festsetzungsverjährt sind.
2. Der Betreuer muss sich über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der von ihm betreuten Person informieren, sich bei dem Finanzamt über den Stand der Veranlagungen erkundigen und sich ggf. die für eine Steuererklärung notwendigen Unterlagen beschaffen.
3. Verletzt der Betreuer die ihm obliegenden steuerlichen Erklärungspflichten, kann der Tatbestand einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen vorliegen, der dem Steuerpflichtigen zuzurechnen ist.
Finanzgericht Rheinland-Pfalz v. 18.07.2012
5 K 1348 / 09
Tatbestand
Streitig ist, ob für das Streitjahr (1992) noch ein Einkommensteuerbescheid ergehen konnte.
Der Kläger ist Alleinerbe der am 19.04.1916 geborenen und am 26. 09 .2002 in A verstorbenen A. M. (M), geb. K. (Erbschein des Amtsgerichts Rn vom 15.03.2007, Az: VI 419/02, Bl. 734 Nachlassakten). M hatte nach dem Schwerbehindertenausweis vom 18.05.1994 einen Grad der Körperbehinderung von 100 %. Daneben waren diverse Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen festgestellt (Bl. 70 Rechtsbehelfsakten - RbA -). Durch Beschluss des Amtsgerichts M vom 09 .04.1997 (Az.: 27 XVII M 54/97) wurde der Kläger zum Betreuer von M für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung und Vermögenssorge bestimmt (Bl. 97 Prozessakten - PA -). Der Aufgabenkreis wurde am 31.03.1999 auf den Bereich Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post erweitert.
Am 02.06.1997 wurde der Kläger vom Amtsgerichts A als Betreuer der M verpflichtet und es wurde ihm eine Urkunde über seine Bestellung zum Betreuer ausgehändigt. (Bl. 99 PA). Am selben Tage überreichte der Kläger dem Amtsgericht ein Vermögensverzeichnis (Stand: 02.06.1997). Ausweislich der Vermögensaufstellung (Bl. 102 PA) verfügte M zu jener Zeit über ein Gesamtvermögen der Geldanlagen in Höhe von 1.092.250,67 DM. Konten der M bestanden demzufolge bei der S-Bank, der P-Bank, der D-Bank und der C-Bank und es wurden bei diesen Geldinstituten für M Giro- und Sparkonten, Geldmarkt- und Festgeldkonten geführt sowie Wertpapierdepots unterhalten. Mit Beschluss des Amtsgerichts R vom 15.10.1997 (Az.: XVII 163/1997, Bl. 104 PA) wurde auf Antrag des Klägers (Bl. 103 PA) die Auflösung der Konten der M bei der C-Bank und Transferierung der Guthaben zur S-Bank zur dortigen Neuanlage in Renten- und Aktienfonds vormundschaftlich genehmigt.
In einem Erbscheinverfahren gelangte das Landgericht K zu dem Ergebnis, M sei jedenfalls zum jeweiligen Zeitpunkt der Errichtung ihrer beiden Testamente vom 24.11.1995 und vom 1.02.1996 gemäß § 2229 Abs. 4 BGB testierunfähig gewesen (Beschluss vom 26. Juli 2007, Bl. 805 ff. Nachlassakten).
Am 21.12.1999 erteilte die Steuerfahndungsstelle einen Ermittlungsauftrag für sämtliche Steuern der M vom Umsatz, Einkommen, Ertrag und Vermögen, soweit die Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten ist. Der Kläger reichte am 31.01.2000 erstmals für M eine Einkommensteuererklärung für das Jahr 1997 ein. Die Abgabe der Steuererklärung wertete die Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamts K als Selbstanzeige. Am 21.02.2000 leitete sie ein Ermittlungsverfahren gegen M wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einkommen- und Vermögensteuer ab 1993 ein und gab dies dem Kläger als Betreuer der M am 23.02.2000 bekannt. Mit Schreiben vom 16.07.2001 wurde der Kläger aufgefordert, für M die fehlenden Steuererklärungen ab 1987 abzugeben.
Ausweislich des Berichts über die Steuerfahndungsprüfung vom 20.12.2002 (Bl. 3 RbA) war M für die Veranlagungszeiträume bis einschließlich 1996 steuerlich nicht erfasst. Sie war seit dem 14.10.1988 verwitwet und bezog Versorgungsbezüge aus einem früheren Dienstverhältnis ihres verstorbenen Ehemannes. Aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhielt sie zudem eine Witwenrente. Aus der Vermietung von Wohneinheiten erzielte M Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Sie verfügte über erhebliches Vermögen und erzielte hieraus beträchtliche Kapitaleinkünfte. So unterhielt M u.a. Konten bei der D-Bank, der S-Bank und der C-Bank und sie war Inhaberin von Tafelpapieren (IHS S-Bank „S. 3”, „S. 2” und „S. 9”). Mitteilungen der Steufa zufolge - so der Fahndungsbericht - habe M bei der S-Bank M zumindest bereits im Jahre 1989 sog. Tafelpapiere erworben, die anschließend nach Luxemburg transferiert worden seien, teilweise seien auch Zinsscheine (sog. Kupons) im Ausland, nämlich in den Niederlande, eingelöst worden. Die Höhe der in den Jahren 1987 bis 1999 erzielten Kapitaleinnahmen sind in der Anlage zu dem Fahndungsbericht dargestellt (Bl. 16 ff. RbA). Dabei beruhen die für die Jahre 1987 bis 1991 angesetzten Beträge auf einer Schätzung seitens der Steufa, für die Jahre ab 1992 lagen der Steuerfahndung Erträgnisaufstellungen der Banken vor. Lediglich die Einnahmen für die IHS der S-Bank M „S. 9” wurden für das Jahr 1992 geschätzt, weil das Papier erst am 14.02.1992 erworben wurde. Für das Streitjahr 1992 ergaben sich danach Kapitaleinnahmen in Höhe von insgesamt 73.797,99 DM bei einem Kapitalvermögen zum 01.01.1992 von 1.225.000,00 DM. Nach einer Mitteilung der S-Bank M gegenüber der Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamts K vom 23.04.2002 wurde dem Kläger ab dem 01.07.1996 Vollmacht für alle zu diesem Zeitpunkt bestehenden Konten erteilt (Bl. 86 PA).
Der Kläger als Betreuer von M gab für das Streitjahr trotz Aufforderung keine Steuererklärung ab. Der Beklagte konnte die Einkünfte - bis auf diejenigen aus Vermietung und Verpachtung - konkret ermitteln. Die Höhe der tatsächlichen Mieteinnahmen und Werbungskosten konnte der Beklagte nicht feststellen und schätzte sie deshalb.
Mit nach § 165 Abs. 1 AO teilweise vorläufigem Bescheid vom 19.12.2006 (Bl. 1 RbA) setzte der Beklagte die Einkommensteuer für 1992 auf 23.815,- DM (= 12.176,42 €) fest. Dabei legte er u.a. Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 73.098,- DM (Einnahmen: 73.798,- DM abzgl. Werbungskostenpauschbetrag: 100,- DM abzgl. Sparerfreibetrag: 600,- DM = 73.098,- DM) zu Grunde. Diesen Bescheid stellte der Beklagte am 19.12.2006 der vom Amtsgericht R am 4.12.2006 amtlich bestellten Nachlasspflegerin, Rechtsanwältin P., R., zu (Bl. 634 Nachlassakten, Bl. 38 RbA).
Mit dem gegen diesen Bescheid eingelegten Einspruch ließ die Nachlasspflegerin durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers vortragen, die Festsetzungsfrist betrage nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre und diese sei beim Erlass des Bescheides bereits abgelaufen gewesen. Die 10-jährige Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO sei nicht anwendbar, da M unter einem hirnorganischen Psychosyndrom (senile Demenz vom Alzheimertyp) gelitten habe. Damit könne von einer vorsätzlichen Handlungsweise nicht ausgegangen werden (Bl. 56 RbA).
Mit Einspruchsentscheidung vom 19.02.2009 (Bl. 186 RbA) wies der Beklagte den Einspruch im Wesentlichen mit der Begründung zurück, es sei noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten. M habe die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung erfüllt. Das Alter und die Krankheit der M stehe der Annahme des Vorsatzes in ihrer Person nicht entgegen. Auf die Einspruchsentscheidung wird Bezug genommen.
Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor: Von einer vorsätzlichen Handlungsweise der M könne nicht ausgegangen werden. Die subjektiven Voraussetzungen lägen aufgrund der Krankengeschichte nicht - zumindest nicht mit Sicherheit - vor
Auf den Hinweis des Gerichts, dass die verlängerte Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO nach Satz 3 dieser Bestimmung auch dann eingreift, wenn eine Steuerhinterziehung nicht durch den Steuerschuldner, sondern durch Dritte begangen worden ist und als Dritte in diesem Sinne u.a. Personen in Betracht kommen, die kraft Gesetzes steuerliche Pflichten für den Steuerschuldner erfüllen, mithin auch Betreuer, trug der Kläger ergänzend vor, erstmals durch die Aufforderung des Beklagten vom 16.07.2001, für M eine Steuererklärung abzugeben, habe er davon erfahren, dass M für das Streitjahr noch keine Erklärung abgegeben habe. Mangels Kenntnis der steuerlichen Situation der M habe er zwar keine Steuererklärung für 1992 eingereicht, soweit es ihm möglich gewesen sei jedoch im weiteren Verfahrensverlauf Informationen und Unterlagen beigebracht, die es dem Beklagten ermöglicht hätten, die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln. Vorher habe er weder Kenntnis von den Einkünften der M noch davon gehabt, dass diese nicht erklärt gewesen seien. Auch habe für ihn bis zur Aufforderung des Finanzamts keine Veranlassung bestanden, die steuerlichen Verhältnisse der M in 1992 zu überprüfen. Die Umstände, die seine eventuelle Handlungspflicht begründet hätten, seien ihm nicht bekannt gewesen. Als Laie und ohne Kenntnis der Einkünfte der Betreuten habe er auch keine Handlungspflicht in Bezug auf einen in eigener Person verwirklicht Tatbestand der Steuerhinterziehung erkennen können.
Der Kläger beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für 1992 vom 19.12.2006 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 19.02.2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner in der Einspruchsentscheidung vertretenen Rechtsauffassung fest.
Das Gericht hat die Nachlassakten des Amtsgerichts R (VI 419/02) beigezogen.
Gründe
Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid für 1992 zur Einkommensteuer vom 19.12.2006 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 19.02.2009 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Im Ergebnis zutreffend hat der Beklagte angenommen, dass hinsichtlich des Streitjahres 1992 noch eine Veranlagung der M zur Einkommensteuer möglich war, insbesondere keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist.
1. a)
Die Änderung einer Steuerfestsetzung ist nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Frist beträgt für die hier in Rede stehende Einkommensteuer regulär vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Soweit die Steuer hinterzogen worden ist, greift die zehnjährige Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO ein. Diese verlängerte Festsetzungsfrist gilt nach § 169 Abs. 2 Satz 3 AO auch dann, wenn eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung nicht durch den Steuerschuldner oder eine Person begangen worden ist, derer er sich zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten bedient, es sei denn, der Steuerschuldner weist nach, dass er durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat und sie auch nicht darauf beruht, dass er die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen unterlassen hat.
Für die Anwendung des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO ist es dabei unerheblich, wer die Steuer hinterzogen oder leichtfertig verkürzt hat. Es kommt nur darauf an, dass es sich objektiv um hinterzogene oder leichtfertig verkürzte Beträge handelt. Die Eigenschaft einer Steuer, hinterzogen oder leichtfertig verkürzt zu sein, haftet dieser Steuer als solcher an (vgl. BFH-Urteil vom 19.12.2002 IV R 37/01, BStBl II 2003, 385). Die verlängerte Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO greift deshalb grundsätzlich auch dann ein, wenn nicht der Steuerschuldner selbst, sondern ein Dritter die Steuer hinterzogen oder leichtfertig verkürzt hat. Täter einer Steuerhinterziehung kann neben dem Steuerschuldner selbst jeder Dritte sein, selbst wenn ihm das Gesetz keine steuerlichen Pflichten zuweist (vgl. Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, Kommentar, § 169, Rz. 54). Demgegenüber können Täter einer leichtfertigen Steuerverkürzung nur Personen sein, die bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen gehandelt haben; das sind die Personen, die im Innenverhältnis zur Hilfeleistung herangezogen werden, etwa Angestellte des Steuerpflichtigen oder Angehörige der steuerberatenden Berufe. Nur in den Fällen, in denen die Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung durch einen Dritten begangen wird, der nicht als Erfüllungsgehilfe des Steuerschuldners tätig geworden ist, gibt § 169 Abs. 2 Satz 3 AO dem Steuerschuldner die Möglichkeit, die Anwendung der verlängerten Festsetzungsfrist zu vermeiden (Exkulpationsbeweis). Er muss dann nachweisen, dass er durch die Tat eines Dritten keinen Vermögensvorteil erlangt hat und dass die Tat auch nicht darauf beruht, dass er die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen unterlassen hat.
b)
Beginnen die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen, so läuft die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor die aufgrund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. Das Gleiche gilt, wenn dem Steuerpflichtigen die Einleitung des Steuerstrafverfahrens bekannt gegeben worden ist (§ 171 Abs. 5 Satz 1 und 2 AO).
Voraussetzung für die verjährungshemmende Wirkung der Fahndungsprüfung ist, dass Ermittlungshandlungen vor Ablauf der Festsetzungsfrist tatsächlich vorgenommen worden sind. Darüber hinaus muss für den Steuerpflichtigen erkennbar sein, dass in seinen Steuerangelegenheiten ermittelt wird. Für Steueransprüche, die nicht Gegenstand der Fahndungsprüfung waren, kann keine Ablaufhemmung eintreten (vgl. BFH-Urteil vom 9.03.1999 VIII R 19/97, BFH/NV 1999, 1186 und vom 13.02.2003 X R 62/00, BFH/NV 2003, 740). Die Ablaufhemmung endet nur dann, wenn aufgrund der Prüfung Steuerbescheide ergangen und diese unanfechtbar sind. Die zeitliche Grenze für den Erlass von Änderungsbescheiden im Anschluss an Fahndungsmaßnahmen wird durch den Eintritt der Verwirkung gezogen (vgl. BFH-Urteil vom 24.04.2002 I R 25/01, BStBl II 2002, 586).
c)
Eine Steuer ist u.a. dann hinterzogen, wenn der Steuerpflichtige den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO). Gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO sind Steuern namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden. Dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht (§ 370 Abs. 4 Satz 2 AO). Voraussetzung ist, dass die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung vorliegen. Ob die Tat strafrechtlich verfolgt und bestraft worden ist oder ob sie - etwa wegen einer Selbstanzeige - nicht bestraft werden konnte, ist für die Frage des Eintritts der Festsetzungsverjährung ohne Belang (vgl. Rüsken in Klein, AO, Kommentar, 11. Aufl. 2012, § 169 Rz. 26). Der Sinn der längeren Festsetzungsverjährung liegt darin, dass bei einer Steuerhinterziehung in aller Regel die Sachaufklärung erschwert ist und den Finanzbehörden deshalb ein längerer Zeitraum eingeräumt werden soll.
2. Ausgehend von diesen Grundsätzen war die Festsetzungsfrist bei Erlass des angefochtenen Einkommensteuerbescheides für 1992 noch nicht abgelaufen.
Für das Jahr 1992 wurde keine Einkommensteuererklärung abgegeben. Damit fiel der Beginn der Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO auf das Jahresende 1995. Die reguläre Festsetzungsfrist endete damit mit Ablauf des Jahres 1999, die zehnjährige Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO mit Ablauf des Jahres 2005. Vor Ablauf dieser (verlängerten) Festsetzungsfrist, nämlich am 21.02.2000, leitete das Finanzamt K - Steuerfahndungsstelle - aber ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einkommen- und Vermögensteuer ab 1993 ein - wobei sich die Steuerfahndungsprüfung auf die Veranlagungszeiträume 1987 bis 1999 bezog (vgl. Bericht über die Steuerfahndungsprüfung vom 20.12.2002, Bl. 4 RbA) - und gab dies dem Kläger als Betreuer der M am 23.02.2000 bekannt. Danach ist im Streitfall die Festsetzungsfrist zum Zeitpunkt des Erlasses des Einkommensteuerbescheids am 19.12.2006 nicht abgelaufen, da in der Person des Klägers als Drittem im Sinne der Vorschrift des § 169 Abs. 2 Satz 3 AO ein Fall von Steuerhinterziehung anzunehmen ist. Dem liegen folgende Erwägungen zu Grunde:
a)
Den objektiven Tatbestand einer Steuerhinterziehung erfüllt nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, wer die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt. Pflichtwidrig handelt derjenige, der eine Rechtspflicht zur Offenbarung steuerlich erheblicher Tatsachen verletzt. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens hat der Kläger zur Überzeugung des Senats die von M erwirtschafteten Kapitaleinkünfte hinterzogen, indem er es pflichtwidrig unterließ, in den Jahren ab 1997, dem Jahr seiner Bestellung zum Betreuer, eine Einkommensteuererklärung für M für das Streitjahr 1992 abzugeben.
Die Erklärungspflicht der M ergab sich aus § 25 Abs. 3 Satz 1 EStG i.V.m. § 56 Abs. 1 Nr. 2b EStDV, da der für die Abgabepflicht maßgebliche Gesamtbetrag der Einkünfte damals in Höhe von 27.108 DM angesichts der Zinserträgnisse im Streitjahr von ca. 73.000 DM deutlich überschritten worden war.
Der Kläger, der mit Beschluss des Amtsgerichts M vom 09 .04.1997 (Az. 27 XVII M 54/97) zum Betreuer von M für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung und Vermögenssorge bestimmt worden war, hat für M für das Streitjahr keine Einkommensteuererklärung abgegeben. Hierzu war er indes in seiner Funktion als Betreuer - u.a. in Angelegenheiten der Vermögenssorge - verpflichtet. Denn als Betreuer war der Kläger gesetzlicher Vertreter der M ( § 1902 BGB) und hatte als solcher nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AO deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Er hatte insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die er verwaltet (§ 34 Abs. 1 Satz 2 AO). Die Pflicht, die steuerlichen Pflichten der vertretenen Person zu erfüllen, ist grundsätzlich umfassend. Sie beinhaltet die Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten ebenso wie die Erklärungs-, Auskunfts-, Vorlage- und Entrichtungspflichten. Der gesetzliche Vertreter ist also insbesondere zur Abgabe und ggf. zur Berichtigung von Steuererklärungen (§ 149 AO) verpflichtet (vgl. Jatzke in Beermann/Gosch, AO, Kommentar, § 34 Rz. 46). Eine Einschränkung ergab sich im vorliegenden Zusammenhang nicht, nachdem dem Kläger die Vermögenssorge für M vollumfänglich überantwortet war.
Zu den Erklärungspflichten des Klägers gehörte daher auch die Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung für zurückliegende Veranlagungszeiträume, soweit diese noch nicht festsetzungsverjährt waren. Denn beim Eintritt in die Funktion des Verpflichteten nach § 34 AO wird die Person mit allen Pflichten des Vertretenen belastet, auch wenn diese schon aus einer Zeit stammen, die vor dem Eintritt lag (wie hier: Schwarz in Schwarz, AO, Kommentar, § 34 Rz. 14).
Dem kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegen halten, er habe nicht über die notwendigen Erkenntnisse zur steuerlichen Situation der M für frühere Veranlagungszeiträume verfügt. Denn es oblag ihm als Betreuer, sich über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der von ihm betreuten M zu informieren und sich - sofern er selbst nicht über die dazu notwendigen Unterlagen verfügte und auch in den bei M vorhandenen Unterlagen nicht fündig wurde - ggf. durch Dritte ins Bild setzen zu lassen und etwa Auskünfte bei Banken und Behörden einzuholen. So hätte er sich bei dem Finanzamt über den Stand der Veranlagungen informieren und sich Unterlagen, wie etwa Kontoauszüge, Erträgnisaufstellungen und sonstige für eine Steuererklärung notwendigen Belege, von den Kreditinstituten beschaffen müssen.
Ob der Kläger von seiner Erklärungspflicht positiv wusste, ist unerheblich. Denn die Kenntnis von der Handlungspflicht ist nicht erforderlich; vielmehr genügt es, dass der Steuerpflichtige die tatsächlichen Umstände kennt, die seine Handlungspflicht begründen (vgl. z.B. Hellmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, Kommentar, § 370 Rz. 233 f. m.w.N.). Davon ist im Streitfall aufgrund der Aktenlage auszugehen. So hat der Kläger in dem Betreuungsverfahren gegenüber dem Amtsgericht A unter dem 02.06.1997 in seiner Eigenschaft als Betreuer der M u.a. eine Vermögensaufstellung zu den Akten gereicht, ausweislich derer M zu jener Zeit über ein auf mehreren Giro- und Sparkonten, Geldmarkt- und Festgeldkonten sowie Depots liegendes Geldvermögen in beträchtlicher Höhe, nämlich ca. 1,092 Mio. DM, verfügte. Angesichts der dem Kläger bekannten Tatsache, dass Geldvermögen in dieser Art und Höhe bestand, musste sich dem Kläger die Überlegung aufdrängen, dass dieses Geldvermögen bereits in den Jahren vor 1997 Erträge abgeworfen haben musste. Dies gilt umso mehr, als sich der Kläger noch im Oktober 1997 bei dem Amtsgericht R - erfolgreich - um eine vormundschaftliche Genehmigung zur Auflösung der Konten der M bei der C-Bank und Transferierung der Guthaben zur S-Bank zur dortigen Neuanlage in Renten- und Aktienfonds bemüht hat (vgl. Bl. 104 PA) und ihm im Übrigen bereits seit dem 01.07.1996 Vollmacht für alle zu diesem Zeitpunkt bei der S-Bank bestehenden Konten erteilt war (vgl. Bl. 86 PA). Damit aber waren dem Kläger die tatsächlichen Umstände bekannt, die eine Handlungspflicht, nämlich die Abgabe entsprechender Steuererklärungen, begründen.
Indem der Kläger im Jahre 1997 die Einkommensteuererklärungen für M für das Jahr 1992 nicht abgab, obwohl er hierzu gesetzlich verpflichtet war, erreichte er, dass die Steuern dieses Jahres erst 2006 festgesetzt wurden. Bereits diese verspätete Steuerfestsetzung reicht gemäß § 370 Absatz 4 Satz 1 AO zur Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals der Steuerverkürzung aus.
b)
Die Steuerhinterziehung setzt Vorsatz voraus (§ 369 Absatz 2 AO i.V.m. § 15 StGB). Vorsatz bedeutet Wissen und Wollen der Verwirklichung des objektiven Tatbestands (vgl. Jäger in Klein, AO, 11. Aufl. 2012, § 370 Rz. 170). Zum Vorsatz der Steuerhinterziehung gehört daher, dass der Täter den bestehenden Steueranspruch dem Grund und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und dass er ihn entweder trotz dieser Kenntnis gegenüber der Steuerbehörde verk ürzen will oder dies zumindest billigend in Kauf nimmt. Unerheblich ist daher, ob der Kläger von der Erklärungspflicht gewusst hat, denn die Kenntnis von der Handlungspflicht ist nicht erforderlich. Es genügt vielmehr, dass er die tatsächlichen Umst ände kannte, die seine Handlungspflicht begründeten. Auch diese subjektiven Voraussetzungen werden von dem Kläger erfüllt. Insbesondere ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger im Jahre 1997 von der Existenz von Kapitalvermögen der M im Jahr 1992 und von der Steuerpflichtigkeit der Einkünfte der M aus diesem Kapitalvermögen wusste und daher jedenfalls billigend in Kauf nahm, dass durch die unterlassene Abgabe der Einkommensteuererklärung für 1992 - einschließlich der ihm bekannten Kapitaleinkünfte - gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO Steuern verkürzt werden.
Dass dem Kläger das Bestehen eines erheblichen Kapitalvermögens und daraus erzielter Einkünfte bekannt war, ergibt sich aus der von ihm selbst erstellten Vermögensaufstellung zum 02.06.1997. Angesichts der Höhe des Geldvermögens und der Struktur ihrer Konten und Depots zur Mitte des Jahres 1997 war auch offenkundig, dass M in den Jahren zuvor Kapitalerträge erwirtschaftet haben musste. Von daher bestehen nach Auffassung des Senats keinerlei Zweifel daran, dass dem Kläger im Jahre 1997 die Erzielung erheblicher Zinserträge der M in den Vorjahren bewusst gewesen war und er folglich alle die Erklärungspflicht auslösende Tatumstände kannte.
Im Übrigen gehörte das Wissen um die Steuerpflichtigkeit der Einkünfte aus Kapitalvermögen bereits zu Beginn der 90-ziger Jahre zur Allgemeinbildung (vgl. Finanzgericht Münster, Beschluss vom 18.07.2000 - 4 V 1521/00 E , VSt -, EFG 2000, 1229). Denn die Zinsbesteuerung stellte seit der Verabschiedung des Steuerreformgesetzes 1990 im Jahre 1988 ein immer wiederkehrendes Thema in sämtlichen Medien dar. Um die steuerliche Erfassung von Kapitaleinkünften zu verbessern, wurde am 25.07.1987 das sog. Zinsamnestiegesetz ( BGBl 1988 I S. 1093 ff, 1128) verabschiedet, das eine Strafbefreiung für ab 1986 nachgeholte oder berichtigte Einkünfte aus Kapitalvermögen und zusätzlich eine Steuerbefreiung der Kapitaleinkünfte der Veranlagungszeiträume vor 1986 vorsah. Über 750.000 Personen haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, wie die Bundesregierung im Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Zinsbesteuerung unter Berücksichtigung der genannten Zinsamnestie angegeben hat. Dabei wurden Einkünfte aus Kapitalvermögen von über 2,4 Milliarden DM nacherklärt (vgl. BVerfG, Urteil vom 27.06.1991, 2 BvR 1493/89 , BStBl. II 1991, 654 ff <667>). Die dem genannten Urteil des Bundesverfassungsgerichts nachfolgenden Diskussionen, eine gleichmäßige Erfassung möglichst aller Kapitalerträge sicherzustellen, hat dazu geführt, dass am 09 .11.1992 das Zinsabschlagsgesetz ( BGBl 1992 I S. 1853) eingeführt wurde. Aufgrund dieser Ereignisse haben auch die Bankinstitute die Kapitalanleger ausgiebig über die Steuerfreibeträge und die dafür erforderlichen Erklärungen gegenüber ihren Instituten informiert. Dass dies einerseits für M, andererseits für den Kläger nicht gegolten haben könnte, hält der Senat für ausgeschlossen. Der Kläger musste also für den Fall, dass er die Kapitalerträge der M aus 1992 nicht deklarierte, damit rechnen, wegen Steuerhinterziehung belangt zu werden.
Da der Kläger als gesetzlicher Vertreter der M gehandelt hat, gilt nach § 169 Abs. 2 Satz 3 AO die verlängerte Frist des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO.
3. Auf die des Weiteren zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob (auch) in der Person der M die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung erfüllt sind und ob im Hinblick auf den Gesundheitszustand der M Schuldausschließungsgründe eingreifen, kommt es für die Entscheidung nicht an.
4. Nachdem die Höhe der von dem Beklagten der Besteuerung zu Grunde gelegten Einnahmen der M aus Kapitalvermögen zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, ist die Klage mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.