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  • 15.01.2013 · IWW-Abrufnummer 130109

    Oberlandesgericht Saarbrücken: Urteil vom 10.07.2012 – 4 U 212/11

    1. Bei der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 InsO sind ratierende Verbindlichkeiten in nominaler Höhe einzubeziehen, wenn die Ratenabrede in Kenntnis des offen gelegten Unvermögens abgeschlossen wurde, die uneingeschränkt fällige Forderung zu begleichen.



    2. Der Anfechtungsgegner handelt nicht im Bewusstsein der Gläubigerbenachteiligung (§ 133 Abs. 1 Satz 1 InsO), wenn der Schuldner plausibel darlegen kann, dass in überschaubarer Zeit mit der Wiederherstellung der uneingeschränkten Liquidität gerechnet werden kann. Hierbei kann es im Einzelfall genügen, wenn der Schuldner auf ausstehende Vergütungsansprüche eines bereits aufgenommenen Großauftrags verweist.


    OLG Saarbrücken

    Urteil vom 10.7.2012

    4 U 212/11 - 64

    Tenor

    1. Unter Zurückweisung wird des weitergehenden Rechtsmittels wird der Beklagte auf die Berufung des Klägers unter Abänderung des Urteils der 4. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 6. Mai 2011 – 4 O 55/10 – verurteilt, an den Kläger 3.000 EUR nebst 8 Prozentpunkten Zinsen aus 3.000 EUR über dem Basiszinssatz seit dem 11.12.2008 sowie aus weiteren 7.185,79 EUR für die Zeit ab dem 11.12.2008 bis zum 2.2.2009 zu zahlen.

    2. Der Kläger trägt 5/6, der Beklagte 1/6 von den Kosten des Rechtsstreits.

    3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

    4. Die Revision wird nicht zugelassen.

    5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 18.536,65 EUR festgesetzt.

    Gründe

    I.

    Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt der Kläger das beklagte Land als Insolvenzverwalter über das Vermögen der C. W. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) auf Rückerstattung erhaltener Steuerzahlungen in Anspruch.

    Zum 19.12.2007 beliefen sich die Steuerrückstände der Schuldnerin auf 24.184,27 EUR, denen ein noch zu verrechnendes Körperschaftsteuerguthaben in Höhe von 2.651,11 EUR gegenüberstand. Aufgrund einer zuvor getroffenen Ratenzahlungsvereinbarung leistete die Schuldnerin im Zeitraum Februar bis April 2008 die im Tatbestand der angefochtenen Entscheidung aufgeführten Zahlungen in Höhe von insgesamt 15.073,65 EUR. Darüber hinaus erbrachte die Schuldnerin im Zeitraum 19.6.2008 bis zum 15.7.2008 weitere Zahlungen auf rückständige Steuern über insgesamt 7.185,79 EUR, die das Finanzamt H. jedoch am 2.2.2009 wieder an den Kläger zurückerstattete.

    Die katholische Kirchengemeinde L. beziehungsweise die katholische Kirchenstiftung St. M. führte unter dem 6.8.2008 an das Finanzamt H. Bauabzugsteuer in Höhe von 3.000 EUR ab. Dieser Zahlung lag eine Abschlagsrechnung der Schuldnerin über 20.000 EUR zu Grunde, nachdem diese Werkleistungen für die Kirchengemeinde erbracht hatte.

    Am 13.8.2008 stellte die Schuldnerin den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Am 10.9.2008 wurde der Kläger unter gleichzeitiger Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Mit Beschluss des Amtsgerichts Saarbrücken vom 6.11.2008 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

    Der Kläger hat beantragt,

    den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 25.722,44 EUR nebst acht Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz aus 25.572,44 EUR seit dem 11.12.2008, im Übrigen seit Rechtshängigkeit abzüglich am 2.2.2009 gezahlter 7.185,79 EUR zu zahlen.

    Der Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung wird auch hinsichtlich der darin enthaltenen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

    Mit seiner hiergegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klagebegehren in vollem Umfang weiter.

    Hinsichtlich der auf die Steuerrückstände erfolgten Ratenzahlungen lägen - so die Rechtsauffassung des Klägers - die Voraussetzungen für eine Anfechtung nach § 133 InsO vor. Das Landgericht habe die Kenntnis des Beklagten vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin rechtsfehlerhaft verneint. Der Beklagte habe die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gekannt, nachdem die Schuldnerin nicht in der Lage gewesen sei, die fällige Steuer seit August beziehungsweise September des Jahres 2007 zu begleichen. Auch hätte dem Beklagten die Bilanz des Jahres 2006 vorgelegen, aus der sich die Überschuldung ergeben habe. Der Umstand, dass die Schuldnerin danach keine weiteren Bilanzen mehr vorgelegt habe, hätte dem Beklagten signalisieren müssen, dass es um die Schuldnerin schlecht gestanden habe. Jedenfalls wäre der Beklagte gehalten gewesen, weitere Nachforschungen anzustellen.

    Hinsichtlich der Bauabzugsteuer sei der Anfechtungstatbestand des § 131 InsO verwirklicht, da der Leistungsempfänger die Steuer vor Fälligkeit der Steuerschuld abgeführt habe.

    Der Kläger beantragt,

    unter Abänderung des Urteils des Landgericht Saarbrücken vom 6. Mai 2011 - 4 O 55/10 - den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 25.722,44 EUR nebst acht Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz aus 25.572,44 EUR seit dem 11.12.2008, im Übrigen seit Rechtshängigkeit abzüglich am 2.2.2009 gezahlter 7.185,79 EUR zu zahlen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

    Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Er vertritt die Auffassung, dass die Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung nach § 133 InsO nicht vorlägen, da die Schuldnerin nicht mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gehandelt habe. Sowohl die Geschäftsführerin der Schuldnerin als auch die finanzierende Bank, die die Kontoentwicklung und die Einhaltung des Liquiditätsplanes wöchentlich überprüft hätten, seien davon ausgegangen, dass die Schuldnerin bei Konzedierung der Ratenzahlung ihren sämtlichen Zahlungsverpflichtungen hätte entsprechen können.

    Eine Inkongruenz der streitgegenständlichen Zahlungen sei auch nicht daraus herzuleiten, dass der Beklagte ein Gewerbeuntersagungsverfahren eingeleitet habe. Dies sei erst Anfang September 2008 geschehen. Zu Recht habe das Landgericht auch die Kenntnis des beklagten Landes vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin zum Zeitpunkt der Vornahme der Zahlung nicht als bestehend erachtet.

    Hinsichtlich der Bauabzugsteuer vertieft der Beklagte seinen Rechtsstandpunkt, dass eine Anfechtung nach Maßgabe der Vorschrift des § 130 InsO zu erfolgen habe, nachdem die Fälligkeit der Zahlung bereits nach dem Vortrag des Klägers noch vor der Insolvenzeröffnung eingetreten sei. Hinzu komme, dass die zur Annahme einer inkongruenten Deckung erforderlichen Verdachtsmomenten nicht vorlägen. Dies folge aus der zeitlichen Nähe der geleisteten Zahlung zur geschuldeten Leistungszeit sowie aus dem Umstand, dass die Zahlung nicht von der Insolvenzschuldnerin selbst, sondern ohne deren Einwirkung von einem unbeteiligten Dritten veranlasst worden sei.

    Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Berufungsbegründung vom 6.6.2011 (GA II Bl. 225 ff.), auf die Berufungserwiderung vom 11.8.2011 (GA II Bl. 253 ff.) sowie auf den Schriftsatz des Klägers vom 23.8.2011 (GA II Bl. 265 ff.) und des Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 18.4.2012 (GA II Bl. 273 f.) Bezug genommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll vom 12.6.2012 (GA II Bl. 277 ff.) verwiesen.

    II.

    A.

    Die zulässige Berufung des Klägers hat lediglich hinsichtlich der Anfechtung der geleisteten Bauabzugsteuer Erfolg (2.). Hinsichtlich der weiteren Steuerzahlungen unterliegt die Klage der Abweisung, da das Landgericht in für den Senat bindender Weise die Kenntnis des beklagten Landes vom Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin nicht als erwiesen erachtet hat (1.).

    1. Hinsichtlich der Zahlungen vom Dezember 2007 bis April 2008 über insgesamt 15.073,65 EUR liegen die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Insolvenzanfechtung nach dem allein in Betracht kommenden Insolvenztatbestand des § 133 InsO nicht vor, da der Kläger jedenfalls den ihm obliegenden Beweis für die Kenntnis des beklagten Landes vom Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin nicht erbracht hat.

    a) Eine erfolgreiche Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO setzt voraus, dass der Schuldner die anfechtbare Rechtshandlung mit dem Vorsatz vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen.

    aa) Dieser Benachteiligungsvorsatz ist nachgewiesen, wenn der Schuldner bei Vornahme der Rechtshandlung (§ 140 InsO) die Benachteiligung der Gläubiger im Allgemeinen als Folge seiner Rechtshandlung gewollt oder als mutmaßliche Folge - sei es auch als unvermeidliche Nebenfolge eines an sich erstrebten anderen Vorteils - gekannt und gebilligt hat. Hierbei handelt ein Schuldner, der seine Zahlungsunfähigkeit kennt, in aller Regel mit Benachteiligungsvorsatz. Jedoch ist der Benachteiligungsvorsatz auch schon dann zu vermuten, wenn der Schuldner seine drohende Zahlungsunfähigkeit kennt (BGH, Urt. v. 30.6.2011 - IX ZR 134/10, NJW-RR 2011, 1413).

    Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 17 InsO liegt zum einen dann vor, wenn der Schuldner innerhalb von drei Wochen nicht mindestens 90 % seiner fälligen Verbindlichkeiten erfüllen kann. Zum Nachweis dieser Voraussetzungen ist im Regelfalle die Aufstellung einer Liquiditätsbilanz erforderlich. Allerdings ist die Liquiditätsbilanz entbehrlich, wenn eine Zahlungseinstellung nach § 17 Abs. 2 S. 2 InsO die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit begründet (BGHZ 149, 178, 184; NJW-RR 2011, 1413; Urt. v. 21.6.2007 - IX ZR 231/04, WM 2007, 1616; Urt. v. 12. 10. 2006 - IX ZR 228/03, WM 2006, 2312; Braun, Insolvenzordnung, 5. Aufl. § 133 Rdnr. 17). Hierbei reicht die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten für eine Zahlungseinstellung aus. Dies gilt selbst dann, wenn die tatsächlich noch geleisteten Zahlungen beträchtlich sind, diese aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen (BGH, Urt. v. 11.2.2010 - IX ZR 104/07, WM 2010, 711; WM 2007, 1616). Auch die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit kann eine Zahlungseinstellung begründen, wenn die Forderung von insgesamt nicht unbeträchtlicher Höhe ist (BGHZ 149, 178, 185).

    bb) In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist festzuhalten, dass die Schuldnerin ihre Zahlungen hinsichtlich der laufenden Steuerschulden ab August bzw. September 2007 eingestellt hatte.

    Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten waren die Steuerforderungen als fällige Forderungen i.S. des § 17 Abs. 2 InsO bei der Bestimmung der die Zahlungsunfähigkeit begründenden Forderungen einzubeziehen. Insbesondere steht dem nicht entgegen, dass die Ratenzahlungsvereinbarung die Fälligkeit der Gesamtforderung nach Maßgabe des Ratenplans suspendierte.

    Die Besonderheit der vorliegend zu beurteilenden Stundungsabrede besteht darin, dass sie erst in Kenntnis der Steuerrückstände abgeschlossen wurde. Die Ratenabrede ist gewissermaßen das Ergebnis des von der Schuldnerin offengelegten Unvermögens, die uneingeschränkt fällige Schuld zu begleichen. In einer solchen Situation ist die Zahlungsunfähigkeit danach zu beurteilen, ob der Schuldner vor Abschluss der Ratenzahlungsvereinbarung i.S.v. § 17 Abs. 2 InsO zahlungsunfähig war. Eine andere Sichtweise erschiene nicht interessengerecht: Das Ziel der Gleichbehandlung der Gläubiger würde nicht erreicht, wenn ein einzelner Gläubiger die Möglichkeit besäße, nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit durch nachträgliche Ratenzahlungsvereinbarungen die ratierlichen Leistungen insolvenzfest zu behalten. Eine einmal eingetretene Zahlungseinstellung kann nur durch eine allgemeine Wiederaufnahme der Zahlungen überwunden werden (BGHZ 149, 178, 186 f.; Urt. v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, MDR 2010, 837). Dann darf ein Gläubiger den insolvenzrechtlichen Folgen der Zahlungsunfähigkeit auch nicht durch eine mit dem Schuldner abgeschlossene Vereinbarung entgehen, die die Fälligkeit der Forderung hinausschiebt.

    Ob die rückständigen Steuerforderungen und die mit Schriftsatz des Klägers vom 6.4.2011 (GA I Bl. 113 ff.) weiter aufgeführten Forderungen bei einer Gesamtbetrachtung die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin belegen, bedarf im Ergebnis keiner Entscheidung. Eine Anfechtung scheitert jedenfalls daran, dass die subjektiven Voraussetzungen für eine Anfechtung auf Seiten des Anfechtungsgegners nicht bewiesen sind.

    b) Gemäß § 133 Abs. 1 S. 1 InsO setzt die Anfechtung voraus, dass der Anfechtungsgegner den Vorsatz des Schuldners zum Zeitpunkt der Vornahme der Handlung kannte.

    aa) Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte. Die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung sind unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles auf der Grundlage des Gesamtergebnisses der Verhandlungen und einer etwaigen Beweisaufnahme festzustellen (BGH, Urt. v. 12.7.2007 - IX ZR 235/03, ZIP 2007, 2084, 2087). Hierbei genügt es für den Nachweis der Kenntnis, dass der Anfechtungsgegner die tatsächlichen Umstände kennt, aus denen bei zutreffender rechtlicher Bewertung die drohende Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folgt (BGH, Urt. v. 19.2.2009 - IX ZR 62/08, ZInso 2009, 515, 516). Von der Kenntnis des beklagten Landes kann ausgegangen werden, wenn die maßgeblichen Sachbearbeiter des Finanzamts als dessen Vertreter über die Umstände im Bilde waren (BGH, Urt. v. 30.6.2011 - XI ZR 134/10, MDR 2011, 946; Urt. v. 4.10.2001 - IX ZR 81/99, WM 2001, 2181, 2182; Urt. v. 9.1.2003 - IX ZR 175/02, WM 2003, 400, 402).

    bb) Im zur Entscheidung stehenden Sachverhalt ist die Verwirklichung des Vermutungstatbestandes nicht bewiesen. Zum maßgeblichen Zeitpunkt waren der Steuerverwaltung nachweislich lediglich die mit Schreiben vom 4.1.2008 aufgelaufenen rückständigen Steuern und Säumniszuschläge als offene Forderung bekannt, die die Schuldnerin offensichtlich nicht begleichen konnte. Demgegenüber ist nicht bewiesen, dass die Steuerverwaltung darüber hinaus Kenntnis über die finanzielle Situation der Schuldnerin im Gesamten besaß. Die mit Schriftsatz des Klägers vom 6.4.2011 vorgelegten Unterlagen betreffen - dies gilt insbesondere für die Kontoauszüge - spätere Zeiträume. In der Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren durch die Firma R.-K. (GA I Bl. 178 ff.) werden zwar Forderungen des Baustofflieferanten aufgeführt, die im hier relevanten Zeitraum aufgelaufen waren. Indessen ist nicht nachgewiesen, dass die Steuerverwaltung Kenntnis von diesen Forderungen hatte. Ebenso wenig ist eine Kenntnis von den offenen Forderungen der Firma Gerüstbau S. und E. GmbH sowie der rückständigen Beiträge der Krankenkasse nachgewiesen. Des Weiteren ist nicht bewiesen, dass der Steuerverwaltung die Handelsbilanz des Jahres 2006 vorlag. Vielmehr hat der Beklagte vorgetragen, zum maßgeblichen Zeitpunkt hätten lediglich die Jahresabschlüsse der Jahre 2004 und 2005 vorgelegen (Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 29.4.2010, Seite 8, GA I Bl. 37). Diesem Vortrag ist der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten, da er nicht vorgetragen hat, bei welcher konkreten Gelegenheit die Handelsbilanz des Jahres 2006 übergeben worden sei. Der Beweisantrag, die Vorlage der Bilanz des Jahres 2006 durch Beiziehung der Akten zu belegen, dient ersichtlich der Ausforschung.

    cc) Darüber hinaus handelt der Schuldner nicht mit Benachteiligungsvorsatz, wenn er aufgrund realistischer Vorstellungen überzeugt ist, in absehbarer Zeit seine Gläubiger befriedigen zu können, er also aufgrund konkreter Umstände mit einer alsbaldigen Überwindung der Krise rechnen kann (BGH, Urteil vom 15.3.2012 - IX ZR 239/09, MDR 2012, 608; Urt. vom 24.5.2007 - IX ZR 97/06, WM 2007,1579; Jaeger/Henkel, Insolvenzordnung, § 133 Rdnr. 31). Hierbei ist es nicht erforderlich, dass der Schuldner mit Gewissheit vom Erfolg der Sanierung überzeugt ist. Jedoch muss das bereits ins Werk gesetzte Konzept aus Sicht eines unvoreingenommenen Dritten in absehbarer Zeit erfolgversprechend erscheinen (vgl. MünchKomm(InsO)/Kirchhof, 2. Aufl., § 133 Rdnr. 37; Kreft, Insolvenzordnung, 6. Aufl., § 133 Rdnr. 18; Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 13. Aufl., § 133 Rdnr. 21). Diese den Vorsatz des Schuldners betreffenden Rechtsausführungen gelten in gleicher Weise für die Kenntnis des Anfechtungsgegners: Auch der Anfechtungsgegner handelt nicht in dem Bewusstsein der Gläubigerbenachteiligung, wenn ihm der Schuldner plausibel aufzeigen kann, weshalb in überschaubarer kurzer Zeit mit der Wiederherstellung der uneingeschränkten Liquidität gerechnet werden kann.

    dd) Solche Umstände wurden dem Beklagten nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme benannt:

    So hat der Zeuge E. glaubhaft ausgesagt, dass die Schuldnerin im Herbst 2007 einen größeren Auftrag von der O. erhalten habe, um Innenputzarbeiten an 47 Neubauten durchzuführen. Hierbei habe ein Auftragsvolumen von ca. 250.000 EUR in Rede gestanden, weshalb die Schuldnerin im Vertrauen auf diesen Auftrag keine weiteren Aufträge angenommen habe. Die Bauarbeiten seien im Dezember 2007 aufgenommen worden. Zusammenfassend hat der Zeuge weiter ausgeführt, dass die planmäßige Ausführung des Auftrags der Schuldnerin hinreichende Liquidität verschafft hätte, um die Steuerrückstände zu begleichen und um das Konto bei der Sparkasse S., wenn auch nicht auf null, so doch soweit zurückzuführen, um der Schuldnerin Liquidität zu verschaffen.

    Diese Umstände über die positive wirtschaftliche Entwicklung waren in Gestalt des bereits erteilten Auftrags im Sinne der vorzitierten Rechtsgrundsätze hinreichend konkret. Sie wurden der Zeugin St. auch offen gelegt, die glaubhaft ausgesagt hat, mit dem Ehepaar W. über den Auftrag bei der O. gesprochen zu haben, dessen Ausführung bereits im Gange gewesen sei. Da die Zeugin keine Kenntnis von sonstigen Gläubigern besaß, sah sie keinen Anlass, die Angaben der Schuldnerin in Zweifel zu ziehen. Letztlich beruht ihr Einverständnis mit der Ratenzahlung gerade darauf, dass sie die Einschätzung der Schuldnerin zur möglichen Überwindung der Krise teilte. Da die nicht unerheblichen Raten bis April 2008 erfüllt wurden, waren auch in der Folgezeit an der Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin keine Zweifel veranlasst, weshalb eine Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz nicht gegeben war.

    ee) Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Zweifel gezogen hat, dass die Kenntnisse der Zeugin St. dem Beklagten zuzurechnen seien, da diese nicht die für die Erledigung der Steuerangelegenheiten der Schuldnerin zuständige Finanzbeamtin gewesen sei, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen: Die Zeugin St. war zum maßgeblichen Zeitpunkt nach Aussage des Regierungsoberrates B. vor dem Landgericht (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25.3.2011, S. 6; GA I Bl. 109) die zuständige Sachbearbeiterin, nachdem in der Steuerangelegenheit eine Rückstandsanzeige erfolgt war. Die Aussage der Zeugin lässt keinen anderen Schluss zu, als dass die Zeugin jedenfalls zum Zeitpunkt der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung die für die rückständige Steuer zuständige Finanzbeamtin war, deren Kenntnisse sich der Beklagte zurechnen lassen muss.

    ff) Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich aus der Einleitung des Gewerbeuntersagungsverfahrens für die maßgeblichen subjektiven Umstände der Anfechtungstatbestände nichts herleiten, da das Untersagungsverfahren nach dem erstinstanzlichen Vortrag erst im September 2008 eingeleitet wurde (so insbesondere im Schriftsatz des Klägers vom 1.6.2010, S. 3, 8, GA I Bl. 46, 51; unstreitige Feststellungen des Landgerichts, Urteil S. 14). Diesen Feststellungen ist der Kläger im zweiten Rechtszug nicht substantiiert entgegengetreten. Sein Vortrag, die Drohung mit der Einleitung des Gewerbeuntersagungsverfahrens sei „nach dem unstreitigen Vortrag bereits im Dezember 2007 erhoben worden“ (Schriftsatz vom 23.8.2012, S. 2; GA II Bl. 266), gibt den erstinstanzlichen Vortrag nicht zutreffend wieder. Auch in den Zeugenaussagen scheint eine Verbindung zwischen der Ratenzahlungsvereinbarung und der Androhung eines Gewerbeuntersagungsverfahrens nicht auf.

    gg) Schließlich lagen im vorliegenden Sachverhalt zum maßgeblichen Zeitpunkt keine Umstände vor, nach denen der Beklagte gehalten gewesen wäre, Nachforschungen über die Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin anzustellen (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 19.7.2001 - IX ZR 30/99, NJW-RR 2001, 1699; Urt. v. 4.10.2001 - IX ZR 81/99, MDR 2001, 1437).

    2. Demgegenüber steht dem Kläger hinsichtlich der abgeführten Bauabzugsteuer gem. § 143 Abs. 1 InsO ein Anspruch auf Rückgewähr der Leistungen zur Masse zu, da die Leistung der Anfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO unterliegt.

    a) Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten scheitert die Anfechtung nicht bereits daran, dass die Kirchengemeinde bzw. Kirchenstiftung (im Folgenden: Leistungsempfänger) eine eigene Leistung erbrachte. Auch das Argument, dass der Schuldnerin bei bestehender Leistungspflicht des Leistungsempfängers kein eigener Anspruch auf Zahlung des Abzugsbetrags zustand, weshalb das Vermögen und die Masse durch die Leistung des Leistungsempfängers nicht geschmälert worden sei, verfängt nicht. Vielmehr ist die Rechtshandlung des Leistungsempfängers aus den zutreffenden Erwägungen der angefochtenen Entscheidung der Schuldnerin zuzurechnen, weshalb sie im Grundsatz der Anfechtung nach Maßgabe der §§ 129 ff. InsO unterliegt:

    Zwar ist nach dem Wortlaut des § 48 Abs. 1 S. 1 EStG unter den dort genannten Voraussetzungen der Leistungsempfänger zur Abführung des Steuerabzugs verpflichtet. Gleichwohl ist die insolvenzrechtliche Wirkung dieser Leistung vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Intention zu bestimmen, die der Schaffung des steuerlichen Abzugsverfahrens zugrunde lag. Demnach dient das steuerliche Abzugsverfahren ausschließlich dem Ziel, Steuerausfälle zu vermeiden, die durch ein pflichtwidriges Verhalten des Steuerpflichtigen verursacht werden können (Diebold, DStZ 2002, 252; vgl. auch Loschelder, in: Schmidt, EStG, 30. Aufl., § 48 Rdnr. 1). Eine insolvenzrechtliche Besserstellung des Steuergläubigers sollte stattdessen nicht stattfinden, weshalb die Abführung des Steuerbetrages durch den Leistungsempfänger insolvenzrechtlich so zu behandeln ist, wie eine entsprechende Leistung des Schuldners selbst. Dieses Rechtsverständnis kommt im Wortlaut der Vorschrift insoweit zum Ausdruck, als der Steuerabzug „für Rechnung des Leistenden“ (§ 48 Abs. 1 und § 48a Abs. 1 S. 2 EStG) vorzunehmen ist (BFH, Beschl. v. 13.11.2002 - I B 147/02, NJW 2003, 1552).

    b) Soweit das Landgericht jedoch die Voraussetzungen einer inkongruenten Deckung nicht für nachgewiesen erachtet hat, begegnet die angefochtene Entscheidung durchgreifenden Bedenken:

    aa) Der Abführung der Steuer liegt eine inkongruente Leistung zugrunde, da der Beklagte die Leistung zum Leistungszeitpunkt noch nicht beanspruchen durfte. Die Steuer war noch nicht fällig, weshalb die Schuldnerin die Leistung in der Terminologie des § 131 Abs. 1 InsO „nicht zu der Zeit“ zu beanspruchen hatte:

    Die Steuer ist gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 EStG erst am 10. Tag nach Ablauf des Anmeldungszeitraums, der am 10. Tag nach Ablauf des Monats, in dem die Gegenleistung erbracht wurde, endet, fällig: Unstreitig wurde die Abschlagsrechnung am 24.7.2008 ausgestellt. Mithin wurde der Rechnungsbetrag frühestens am 24.7.2008 fällig. Früher als mit der Erteilung der Abschlagsrechnung kann die Steuerschuld nicht fällig geworden sein. Denn man wird den Vorschriften der §§ 48 f. EStG nicht den Sinn unterlegen dürfen, dass der Leistungsempfänger den Steuerabzug auf der Grundlage einer von ihm selbst geschätzten Gegenleistung ermitteln und noch vor Rechnungslegung durch den Leistenden abführen soll.

    Hat der Abrechnungszeitraum unabhängig von der Frage des Zeitpunkts der Leistungserfüllung durch den Steuerschuldner frühestens am 24.7.2008 begonnen, so endete der Abrechnungszeitraum am 10.8.2008, weshalb die Fälligkeit der Steuerschuld erst am 20.8.2008 eintreten konnte. Die Zahlung der Kirchengemeinde wurde jedoch bereits am 8.8.2008 vollzogen und demnach 12 Tage zu früh veranlasst. Dieser Zeitraum ist zu lang, als dass die Zahlung bei wertender Betrachtung wegen einer nur geringfügigen Zufrühleistung noch als inkongruent anzusehen wäre: Eine durch Banküberweisung erfolgte Zahlung, die beim Gläubiger früher als fünf Bankgeschäftstage vor Fälligkeit eingeht, ist als inkongruent anzusehen (BGH, Urt. v. 9.6.2005 - IX ZR 152/03, MDR 2005, 1312; Jaeger, InsO, § 131 Rdnr. 28; Andres/Leithauer, InsO, 2. Aufl., § 131 Rdnr. 6; Braun, aaO, § 131 Rdnr. 16).

    bb) Dem steht nicht entgegen, dass die Forderung wenige Tage nach der Leistung fällig geworden wäre, weshalb die Masseschmälerung auch bei Einhaltung der Leistungszeit nicht vermieden worden wäre. Diese Erwägung steht der Anfechtbarkeit nur dann entgegen, wenn eine nach Fälligkeit vorgenommene Masseschmälerung insolvenzfest geblieben wäre, weil sie durch eine von der Rechtsordnung nicht missbilligte Rechtshandlung des Schuldners herbeigeführt worden wäre. Daran fehlt es, wenn selbst eine (hypothetische) kongruente Leistung des Schuldners der Anfechtung unterlegen hätte (vgl. BGH, MDR 2005, 1312; MünchKomm(InsO)/Kirchhof, aaO, § 131 Rdnr. 45). Davon ist im vorliegenden Sachverhalt auszugehen: Was auch der Beklagte nicht anders sieht - dies zeigt seine Bereitschaft, die im Zeitraum 19.6.2008 bis 15.7.2008 erhaltenen Leistungen zurückzuerstatten -, lagen die Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit jedenfalls unmittelbar vor Stellung des Insolvenzantrags vor. Das Sanierungskonzept war spätestens im Sommer 2008 gescheitert. Auch die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit steht außer Zweifel, nachdem die Schuldnerin mit der Ratenzahlung in erheblichen Rückstand geriet. Demnach hätte eine nach Fälligkeit der Bauabzugsteuer erfolgte Zahlung der Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO unterlegen, weshalb die Zurechenbarkeit von Masseschmälerung und Gläubigerbenachteiligung nachgewiesen ist.

    cc) Die zeitliche Grenze des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eingehalten. Die Leistung erfolgte nur fünf Tage vor Stellung des Insolvenzantrags.

    3. Die Zinsforderung beruht auf § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 2 BGB.Die Anfechtung der am 19.6., 27.6. und 15.7.2008 erfolgten Zahlungen steht nicht im Streit, nachdem der Beklagte - handelnd durch das Finanzamt H. - die korrespondierenden Zahlungen an den Kläger zurückerstattet hat.

    B.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 713 ZPO. Ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 708 Nr. 10 ZPO) war aufgrund deren Abänderung in Ziffer 1) und 3) der vorliegenden Entscheidung nicht indiziert. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung besitzt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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