12.02.2013 · IWW-Abrufnummer 130463
Bundesgerichtshof: Urteil vom 18.12.2012 – II ZR 220/10
Die Darlegungs- und Beweislast des Sozialversicherungsträgers, der den Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung wegen Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen aus § 823 Abs. 2 BGB, § 266a Abs. 1 StGB in Anspruch nimmt, erstreckt sich auf den Vorsatz des beklagten Geschäftsführers; diesen trifft lediglich eine sekundäre Darlegungslast.
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. Dezember 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann, den Richter Dr. Strohn, die Richterinnen Caliebe und Dr. Reichart sowie den Richter Sunder
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der Zivilkammer 85 des Landgerichts Berlin vom 25. Juni 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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I. Der Beklagte war bis zum 30. Mai 2006 einer von zwei Geschäftsführern der L. GmbH, über deren Vermögen im Juli 2006 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die Klägerin, eine gesetzliche Krankenkasse, verlangt von ihm Schadensersatz in Höhe von 2.116,07 € wegen Nichtabführung der für vier Mitarbeiter in der Zeit von November 2005 bis März 2006 geschuldeten Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung. Im Berufungsverfahren hat sie außerdem beantragt, festzustellen, dass die Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Beklagten herrührt.
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Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat von der Darstellung des Tatbestandes unter Hinweis auf § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 ZPO abgesehen; das Berufungsurteil enthält auch keine Bezugnahme auf den Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils.
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Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsantrag und ihr Feststellungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Nr. 1, § 266a StGB lägen in subjektiver Hinsicht nicht vor, da der Beklagte der Klägerin die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht vorsätzlich vorenthalten habe. Der Beklagte habe in einer räumlich ausgelagerten Betriebsstätte gearbeitet, sei mit Verwaltungsoder Buchhaltungsaufgaben nicht befasst gewesen und habe von der drohenden Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens nichts gewusst. Für ihn habe kein Anlass bestanden, die ordnungsgemäße Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung in Zweifel zu ziehen. Es könne nicht angenommen werden, dass der Beklagte die Nichtabführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung durch den anderen Geschäftsführer billigend in Kauf genommen habe. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, da die Frage der Beweislast für das Vorliegen des subjektiven Tatbestandes des § 266a StGB im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB in der obergerichtlichen Rechtsprechung zum Teil unterschiedlich beurteilt werde.
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II. Das Berufungsurteil ist schon deshalb aufzuheben, weil es wegen unzureichender tatsächlicher Feststellungen eine revisionsrechtliche Überprüfung nicht ermöglicht.
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Wie die Revision zu Recht rügt, enthält das Berufungsurteil weder einen Tatbestand noch unter Verstoß gegen § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im amtsgerichtlichen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen. Das Berufungsgericht durfte hiervon nicht nach § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 ZPO absehen, da es die Revision selbst zugelassen hat.
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Einem Berufungsurteil, das den Anforderungen des § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht genügt, fehlt die für die revisionsrechtliche Nachprüfung nach §§ 545, 559 ZPO erforderliche tatsächliche Beurteilungsgrundlage. In einem solchen Fall ist das Berufungsurteil grunds ätzlich von Amts wegen aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2003 VIII ZR 122/03, NJW-RR 2004, 494; Urteil vom 14. Januar 2005 V ZR 99/04, NJW-RR 2005, 716, 717; Urteil vom 11. Januar 2007 IX ZR 181/05, NJW-RR 2007, 781 Rn. 6; Urteil vom 24. Februar 2011 VII ZR 169/10, WM 2011, 1777 Rn. 5; Urteil vom 11. Oktober 2012 VII ZR 10/11, NJW 2012, 3569 Rn. 6; s. auch BGH, Urteil vom 1. Februar 1999 II ZR 176/97, WM 1999, 871). Von der Aufhebung und Zurückverweisung kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn sich die notwendigen tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung hinreichend deutlich aus den Urteilsgründen ergeben (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2003 VIII ZR 122/03, NJW-RR 2004, 494; Urteil vom 11. Januar 2007 IX ZR 181/05, NJW-RR 2007, 781 Rn. 6; Urteil vom 11. Oktober 2012 VII ZR 10/11, NJW 2012, 3569 Rn. 6; s. auch BGH, Urteil vom 1. Februar 1999 II ZR 176/97, WM 1999, 871).
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Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Zwar teilt das Berufungsgericht im Rahmen seiner rechtlichen Ausführungen einige tatsächliche Umstände mit, auf die es sich bei seiner Beurteilung stützt. Der für die Entscheidung maßgebende Sach- und Streitstand wird daraus aber schon deshalb nicht ausreichend deutlich, weil weitgehend nicht erkennbar ist, ob das Berufungsgericht die von ihm jeweils zugrunde gelegten Tatsachen als unstreitig (geworden) oder aus anderen Gründen nicht beweisbedürftig gewertet hat, oder ob es sie nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO für wahr erachtet hat, ohne hierbei in der nach § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO gebotenen Form die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
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Es kann nicht unterstellt werden, dass die im Berufungsurteil zur Begründung der rechtlichen Bewertung mitgeteilten tatsächlichen Umstände insgesamt unstreitig gewesen sind. So ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Beklagte in der Produktion und nicht im Bereich der Verwaltung oder Buchhaltung tätig gewesen sei. Dies hatte die Klägerin, wie die Revision rügt, unter Hinweis auf den Anstellungsvertrag des Beklagten bestritten. Weiter hat das Berufungsgericht angenommen, der Beklagte sei nicht am Hauptsitz der Schuldnerin, sondern in einer ausgelagerten Betriebsstätte in der Z. straße tätig gewesen, während die Klägerin, wie die Revision aufzeigt, unter Beweisantritt vorgetragen hatte, dass sich im streitgegenständlichen Zeitraum auch der Sitz des Unternehmens in der Z. straße befunden habe. Ferner hat das Berufungsgericht ausgeführt, nach der persönlichen Anhörung des Beklagten im Berufungsverfahren habe kein Anlass für eine "weitere Beweisaufnahme" bestanden, ohne allerdings die durch die Anhörung des Beklagten geklärten Streitpunkte konkret zu benennen. Auch wenn die persönliche Anhörung des beklagten Geschäftsführers nicht schon unmittelbar zur Feststellung vorsätzlichen Verhaltens führt, schließt dies ersichtlich nicht aus, den Beweis aufgrund äußerer Umstände als geführt anzusehen, die aber ihrerseits streitig und klärungsbedürftig sein können.
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Die durch die Nichtbeachtung von § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO bedingten und durch die weiteren Ausführungen in den Urteilsgründen nicht behobenen Unklarheiten hindern die revisionsrechtliche Nachprüfung nach §§ 545, 559 ZPO, für die es auch auf die Unterscheidung zwischen tatbestandlichen Feststellungen, die gegebenenfalls mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag angreifbar sind, und Feststellungen im Sinne von § 559 Abs. 2 ZPO ankommt, die der revisionsrechtlichen Verfahrensrüge unterliegen.
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III. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
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1. Der Sozialversicherungsträger, der den Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung wegen Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen in Anspruch nimmt und sich hierbei, wie die Klägerin im Streitfall, auf eine deliktische Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes stützt, hat grundsätzlich alle Umstände darzulegen und zu beweisen, aus denen sich die Verwirklichung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des Schutzgesetzes ergibt; den in Anspruch genommenen Geschäftsführer trifft lediglich eine sekundäre Darlegungslast (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2001 VI ZR 350/00, ZIP 2002, 524, 525 f. mwN). Die Darlegungs- und Beweislast des klagenden Sozialversicherungsträgers erstreckt sich auch auf den Vorsatz des Beklagten (OLG Schleswig, GmbHR 2002, 216, 217; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 6. Aufl., Rn. 615).
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Die vom Berufungsgericht angeführte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 13. Dezember 1984 III ZR 20/83, WM 1985, 590 f.) steht dem nicht entgegen. In dieser Entscheidung wird zu der Vorschrift des § 823 Abs. 2 BGB allgemein ausgeführt, wenn die Verletzung eines Schutzgesetzes objektiv feststehe, müsse der das Schutzgesetz Übertretende in aller Regel Umstände darlegen und beweisen, die geeignet seien, die daraus folgende Annahme seines Verschuldens auszuräumen. Dieser an die Beweislastverteilung nach § 282 BGB aF (jetzt § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB) angelehnte Grundsatz gilt jedoch nicht, wenn der Schadensersatzanspruch wie im Streitfall Vorsatz voraussetzt (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2008 XI ZR 411/06, ZIP 2008, 1673 Rn. 23; Urteil vom 23. März 2010 VI ZR 57/09, ZIP 2010, 1122 Rn. 38).
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2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt der wegen Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge in Anspruch genommene Geschäftsführer mit bedingtem Vorsatz, wenn er eine für möglich gehaltene Beitragsvorenthaltung billigt und nicht auf die Erfüllung der Ansprüche der Sozialversicherungsträger hinwirkt (BGH, Urteil vom 21. Januar 1997 VI ZR 338/95, BGHZ 134, 304, 314 f.; Urteil vom 9. Januar 2001 VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422, 423; Urteil vom 2. Juni 2008 II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 Rn. 11).
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Wenn die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung dem Aufgabenbereich eines anderen Geschäftsführers zugewiesen oder auf Angestellte übertragen ist, muss der Geschäftsführer im Rahmen der ihm verbliebenen Überwachungspflicht tätig werden, sobald Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung der Aufgaben durch den intern zuständigen Geschäftsführer oder den mit der Erledigung beauftragten Angestellten nicht mehr gewährleistet ist. Er muss dann durch geeignete Maßnahmen die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge sicherstellen sowie die Einhaltung der Pflicht überwachen. Anlass für konkrete Überwachungsmaßnahmen bieten insbesondere eine finanzielle Krisensituation oder ungeordnete Verhältnisse im Geschäftsablauf innerhalb der Gesellschaft (BGH, Urteil vom 2. Juni 2008 II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 Rn. 11 mwN).
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Bei der Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht, wie die Revision zu Recht beanstandet, die Äußerungen des Beklagten in seiner persönlichen Anhörung vor dem Amtsgericht bisher nicht ausreichend gewürdigt. Wurden Lieferantenrechnungen nicht pünktlich bezahlt und führte dies dazu, dass Materialien häufig nur gegen Vorkasse geliefert wurden, so konnte dies auf eine finanzielle Krise des Unternehmens oder ungeordnete Verhältnisse im Geschäftsablauf hindeuten. In diesem Zusammenhang ist auch die Bemerkung des Beklagten gegenüber dem Mitgeschäftsführer W. , er könne so nicht arbeiten, W. solle bitte die Rechnungen der Lieferanten pünktlich bezahlen, zu würdigen. Anders als das Berufungsgericht meint, sprach es auch eher für als gegen den Ernst der wirtschaftlichen Situation, wenn dem Beklagten mitgeteilt wurde, zur Abwendung einer Insolvenz wollten sich andere Unternehmen als Investoren beteiligen. Schließlich belegt die auf die Anhörung des Beklagten vor dem Amtsgericht gestützte Annahme des Berufungsgerichts, es seien ausreichende finanzielle Mittel vorhanden gewesen, um gegenüber Lieferanten in Vorlage zu treten, in Anbetracht der zuvor aufgetretenen Zahlungsschwierigkeiten noch nicht, dass das Unternehmen in der Lage gewesen ist, seinen finanziellen Verpflichtungen wieder vollständig nachzukommen.
Bergmann
Strohn
Caliebe
Reichart
Sunder
Von Rechts wegen
Verkündet am: 18. Dezember 2012