14.02.2013 · IWW-Abrufnummer 130494
Finanzgericht des Saarlandes: Urteil vom 10.05.2012 – 1 K 2327/03
1. Bei Kapitalüberlassung an einen Dritten, über dessen Anlageverhalten dem Anleger keine Informationsmöglichkeit zusteht, ist von einer einkommensteuerbaren Kapitalanlage auszugehen. Alle Beträge, die dem Anleger aufgrund dieser Vereinbarung zugeflossen sind, sind Einnahmen aus Kapitalvermögen. Mit welchen Mitteln der Dritte die Begleichung seiner Zinszahlungsschuld herbeigeführt hat (z. B. mit dem Kapital anderer getäuschter Anleger oder sogar mit dem Kapital des Gläubigers selbst), spielt keine Rolle.
2. Entgelte, die der Dritte bei einer ausländischen Briefkastengesellschaft dem Anleger lediglich gutgeschrieben hat, die jedoch nicht zur Auszahlung gelangt sind, führen nicht zu Einnahmen aus Kapitalvermögen. Der Dritte als Anlagebetrüger ist kein leistungswilliger und leistungsfähiger Schuldner; die Forderung eines Anlegers gegen einen Anlagebetrüger stellt keine objektive Bereicherung des Anlegers dar.
3. Die Bewertung der Forderung und damit der Leistungsf ähigkeit des Anlagebetrügers hat unter Zugrundelegung der Kenntnisse zu erfolgen, die der Senat zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung über die Verhältnisse des Streitjahres hat.
FG des Saarlandes v. 10.05.2012
1 K 2327 / 03
Tatbestand
Der Kläger wurde mit seiner Ehefrau beim Beklagten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Er war bis zum 31. Juli 1993 Arbeitnehmer der X-AG und ist dann im Rahmen eines Sozialplans ausgeschieden. Seit 1992 beteiligte sich der Kläger an einer von A –, Gesellschafter-Geschäftsführer der A-GmbH, initiierten Vermögensanlage. Die Beteiligten streiten darüber, ob und in welchem Umfang der Kläger aufgrund der Vereinbarungen mit A Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt hat.
Auf Grund des als „Vereinbarung” bezeichneten Vertrages vom 6. Juli 1992, auf den wegen Einzelheiten Bezug genommen wird, zahlte der Kläger am 17. Juli 1992 50.000 DM an A zu Zwecken der Kapitalanlage. Bis zum 1. März 1995 zahlte er insgesamt weitere 102.000 DM. Die Verzinsung sollte mit einem garantierten Zinssatz von jährlich 12 % erfolgen. Zusätzliche Boni der Bank wurden zugesagt; ein Sonderbonus wurde in Aussicht gestellt. Vom 17. Juli 1992 bis zum 30. April 1996 wurden einem Bankkonto des Klägers Erträge i.H.v. insgesamt 71.480 DM gutgeschrieben. Der Kläger und seine Ehefrau richteten auf Veranlassung des A eigens dafür die Konten Nr. …42 und …42-1 bei der Y-Bank in der Schweiz – künftig: Y-Bank – ein. Weitere Erträge i.H.v. insgesamt 74.275 DM gelangten nicht zur Auszahlung, sondern wurden der Anlage des Klägers direkt als Kapital gut geschrieben. Im Einzelnen hat der Kläger – den Unterlagen des A zu Folge – die folgenden Beträge eingezahlt, entnommen und verrechnet:
…
Die ZK mit Sitz in Liechtenstein – künftig: ZK – war für A als Verwaltungsgesellschaft tätig. Die ZK residierte in Vaduz unter der Geschäftsadresse Aeulestraße 56 … und wurde von G vertreten. Diese Adresse und der Name des G sind dem Senat aus anderen Verfahren im Zusammenhang mit „Briefkastengesellschaften” in Liechtenstein bekannt. A erteilte dem Kläger über die Bewegungen des Sonderkontos durch die ZK „offizielle” Abrechnungen (mit Firmenkopf der ZK) und „inoffizielle” Abrechnungen (ohne Firmenkopf der ZK – „nur zu ihrer persönlichen Information”). Auszahlungen nahm er auf die zwei Konten vor, die der Kläger und seine Ehefrau bei der Y-Bank errichtet hatten.
A schloss von 1992 bis 1999 mit 44 weiteren Anlegerparteien vergleichbare Verträge und erhielt dadurch ein Anlagekapital i.H.v. insgesamt 6.798.520 DM (davon bis Ende 1994 5.037.000 DM). Nach den Ermittlungen einer im Jahre 2000 durchgeführten Steuerfahndungsprüfung wurden die ausgezahlten oder gutgeschriebenen Erträge von A tatsächlich nie erwirtschaftet. Das Kapital wurde nach Aussage des A von dessen Anlagepartnern veruntreut. Obwohl der Verlust schon 1993 feststand, setzte A die Anleger davon nicht in Kenntnis. Er wies vielmehr bis 1997 in den Abrechnungen Scheinerträge aus und zahlte sie auf Wunsch aus oder schrieb sie der Anlage gut.
Am 24. September 2001 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des A eröffnet …. Es wurde am 9. September 2010 abgeschlossen. Die Insolvenzquote betrug 1,54%. Dem Kläger, der 115.692,57 EUR im Insolvenzverfahren anmeldete, wurden im Jahre 2010 1.777,40 EUR ausgezahlt. A ist durch Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken … zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten zur Bewährung auf drei Jahre verurteilt worden.
Der Kläger berücksichtigte die Erträge aus der Anlage bei A nicht in seinen Steuererklärungen. Des Weiteren erhielt er Zinsen von der H-Bank, die er ebenfalls nicht erklärte. Die Summe der Zinseinnahmen betrug nach den Ermittlungen des Fahnders für
> 1992
3.116,80 DM,
>1993
17.766,84 DM,
>1994
50.314,68 DM (davon Reinvestition 23.400 DM),
>1995
50.451,38 DM (Reinvestition 45.200 DM)
Der Beklagte erließ am 16. Oktober 2002 diesen Ermittlungen entsprechende Einkommensteuerbescheide für 1992 bis 1995. Die dagegen gerichteten Einsprüche wies er mit Entscheidung vom 17. Oktober 2003 als unbegründet zurück.
Am 23. Oktober 2003 haben der Kläger und seine am 31. Dezember 2011 verstorbene Ehefrau Klage erhoben. Er beantragt,
unter Änderung der Einkommensteuerbescheide 1992 bis 1995, alle vom 16. Oktober 2002 und in Form der Einspruchsentscheidung vom 17. Oktober 2003, die Einkommensteuer ohne die auf Grund der Vereinbarung mit A angesetzten folgenden Einnahmen aus Kapitalvermögen festzusetzen:
> 1992:
2.000 DM
> 1993:
17.510 DM
> 1994:
50.190 DM
> 1995:
50.380 DM
Die Frage der Versteuerung der Beträge sei durch Herrn K, ein Mitarbeiter der A-GmbH, als vermeintlich fachkundigem Anlageberater damit beantwortet worden, dass Steuern bei dieser Form der Anlage nicht anfallen würden, da die Freibeträge nicht voll ausgeschöpft und Reinvestitionen getätigt würden. Solche Reinvestitionen seien steuerfrei. Auf diesen fachlichen Rat hätte sich der Kläger verlassen. Das Steuerstrafverfahren sei ohne Auflage eingestellt worden.
Das gesamte Kapital des Klägers stamme aus einer Lebensversicherung. Es handele sich nahezu um die gesamte Altersvorsorge, die nun verloren sei. Der Kläger verfüge nur noch über ein Eigenheim und eine geringe Rente.
Die „reinvestierten” Erträge i.H.v. 74.275 DM seien nie erwirtschaftet worden, da das Kapital veruntreut worden sei. Die ZK mit Sitz in Lichtenstein habe nicht existiert. Die Abrechnungsschreiben seien mit willkürlichen Zahlen versehen worden. Bei den Zinsen habe es sich um klassische Scheinrenditen gehandelt. Gelegentlich seien die Anleger ruhig gestellt und mit Anlegergeldern teilweise befriedigt worden. In den Büchern der die Anlage vermittelnden Firma habe es die Gutschriften nicht gegeben. Bei der Vielzahl von Anlegern und der Höhe der angelegten Gelder von mehreren Millionen DM sei bei A keine Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft vorhanden gewesen.
Ob es sich bei den Zahlungen des A an den Kläger um eine Kapitalrückzahlung oder um ein Entgelt für die Kapitalüberlassung gehandelt habe, hänge vom Leistungserfolg ab. Nach der Rechtssprechung des BFH (Urteil vom 30. Oktober 2001 VIII R 15/01) müsse diese Frage entsprechend § 366 Abs. 1 BGB beantwortet werden. Danach stehe das Leistungsbestimmungsrecht dem Schuldner zu (Vergleiche § 366 Abs. 1 BGB). Da der Schuldner A die zutreffende Bestimmung unterlassen habe, mache der Kläger von seinem Recht Gebrauch und verrechne die Beträge als Kapitalrückzahlung.
Die Beträge seien A zur selbständigen Verwaltung und Anlage überlassen worden. Es habe sich um ein faktisches Treuhandverhältnis gehandelt. Dem Treuhänder sei freie Hand bei der Anlage fremden Geldes gelassen worden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage als unbegründet abzuweisen.
Der BFH bestätige die Rechtsauffassung des Beklagten. Dem Kläger seien auf seinen Konten bei der Y-Bank und der H-Bank erhebliche Zinsen zugeflossen (1992: 3.116,80 DM, 1993: 17.766,84 DM, 1994: 26.914,68 DM, 1995: 5.251,38 DM).
Weitere Erträge seien nicht zur Auszahlung gelangt, sondern von A direkt der Anlage gutgeschrieben worden (1994: 23.400 DM, 1995: 45.200 DM). Über diese reinvestierten Beträge (Novation) hätte der Kläger zum damaligen Zeitpunkt offensichtlich verfügen können. Denn diese Gelder seien nach Aussage des Klägers im Schreiben vom 13. Dezember 2001 an die Steuerfahndung immer wieder „reinvestiert” worden.
Nach der BFH-Rechtsprechung sei für den Zufluss entscheidend, ob der Steuerpflichtige eine Auszahlung hätte erreichen können. Ausweislich der Feststellungen der Steuerfahndung habe A jedem Anleger, der auf Auszahlung der Scheinrenditen bestanden habe, diese bis in das Jahr 1998 auf sein Konto überwiesen. A sei in den Streitjahren 1994 und 1995 also durchaus leistungswillig und objektiv leistungsfähig gewesen. Der Kläger habe von den gutgeschriebenen Erträgen (1995: 20.700 DM, 1996: 15.675 DM) jeweils 10.000 DM entnommen und lediglich die verbleibenden Beträge wiederangelegt.
Dass A das ihm überlassene Kapital nie in der vorgesehenen Form angelegt habe, ändere nichts an der Tatsache, dass er in betrügerischer Absicht Scheinrenditen vorgetäuscht und auf Verlangen auch ausgezahlt habe. Dass den Scheinrenditen tatsächlich keine Kapitalanlagen zugrunde gelegen hätten, sei unbeachtlich. Denn die Erträge seien letztlich für die an A übergebenen Gelder gezahlt bzw. gutgeschrieben worden und damit den Klägern i.S.v. § 11 Abs. 1 EStG zugeflossen.
Durch Beschluss vom 27. Juli 2007 hat der Senat das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des BFH in der Sache eines anderen, ebenfalls durch A getäuschten Anlegers angeordnet. Nach Ergehen des Urteils des BFH vom 16. März 2010 VIII R 4/07, BFH/NV 2010, 1527 ist der Rechtsstreit am 1. Oktober 2010 wieder aufgenommen worden. Der VIII. Senat des BFH hat im vorgenannten Parallelverfahren die Vermögensteuer abgetrennt und an den II. Senat verwiesen. Der II. Senat hat über die Bewertung der gegen A gerichteten Forderungen durch Urteil vom 22. September 2010 II R 62/08, BFH/NV 2011, 7 entschieden.
Der Kläger hat nach dem Tode seiner Ehefrau als deren Alleinerbe das Verfahren auch für die Verstorbene aufgenommen und fortgeführt.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Akten des Beklagten, die aus dem Strafverfahren gegen A vor dem AG Saarbrücken beigezogenen Akten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und teilweise auch begründet. Sie ist begründet, soweit die Kapitalentgelte dem Kläger auf dem von A geführten Sonderkonto bei der ZK – ohne Auszahlung auf die Konten bei der Y-Bank – lediglich gutgeschrieben und zur Erhöhung des eingezahlten Kapitals verwendet worden sind (1994: 23.400 DM; 1995: 45.200 DM). Dagegen hat der Beklagte zu Recht die Beträge als weitere Einnahmen aus Kapitalvermögen der Kläger versteuert, die einem der Konten des Klägers bei der Y-Bank gutgeschrieben worden sind (1992: 2.000 DM; 1993: 17.510 DM; 1994: 26.790 DM; 1995: 5.180 DM).
1. Einkünfte des Klägers aus Kapitalvermögen
Der Kläger hat durch die Vereinbarung mit A vom 6. Juli 1992 die Grundlage zur Erzielung von Entgelten für die Überlassung von Kapitalvermögen an A geschaffen. Er hat sein Kapital nicht als Treugeber unter Einschaltung des A als Treuhänder selbst am Kapitalmarkt angelegt, sondern er hat es A entgeltlich überlassen. A hat mit dem ihm überlassenen Kapital seinerseits (erfolglose) Kapitalanlagen getätigt. Bei den Zahlungen, die A an den Kläger geleistet hat, hat es sich nicht um Kapitalrückzahlungen, sondern um Entgelte für die Kapitalüberlassung (Zinsen) gehandelt.
a. Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG bezieht, wer einem Anderen Kapitalvermögen gegen Entgelt zur Nutzung überlässt. Kapitalforderungen sind alle auf einen Geldbetrag gerichteten Forderungen des Privatvermögens, gleichviel auf welchem Rechtsgrund sie beruhen. Anzusetzen sind alle Entgelte, die für eine Kapitalüberlassung im weitesten Sinne zugeflossen sind (ständige Rechtsprechung des BFH, s. z.B. Urteil vom 26. Juni 1996 VIII R 67/95, BFH/NV 1997, 175 m.w.N.). Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören auch besondere Entgelte oder Vorteile, die neben den vorgenannten Einnahmen oder an deren Stelle gewährt werden (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG).
b. Bei der Anwendung der Einkunftsarten des Einkommensteuergesetzes – u.a. auch des § 20 EStG – ist nicht der innere Wille der beteiligten Personen maßgebend, sondern die Erscheinungsform der Sachverhalte, wie sie sich aus der Sicht des Steuerpflichtigen bei objektiver Betrachtungsweise darstellen. Die für die Auslegung von empfangsbedürftigen Willenserklärungen maßgeblichen Grundsätze der §§ 133, 157 BGB sind entsprechend anwendbar (BFH vom 14. Dezember 2004 VIII R 5/02, BStBl. II 2005, 739 m.w.N.). Geheime Vorbehalte des Vertragspartners sind unbeachtlich (§ 116 BGB; s. FG Schleswig-Holstein vom 27. Mai 2003 5 K 20215/99, EFG 2003, 1162). Der Umstand, dass sich der Anlagepartner – hier A – nicht an die Abmachungen hält (und beispielsweise mit dem ihm anvertrauten Kapital statt einer seriösen Anlage den Aufbau eines „Schneeballsystems” betreibt), macht den Vertrag nicht nach § 138 BGB nichtig, sondern berechtigt den Getäuschten zur Anfechtung (§ 123 BGB) und verpflichtet den untreuen Vertragspartner zur Schadensersatzleistung (s. für den Fall eines „Schneeballsystems”: BGH vom 21. März 2005 II ZR 310/ 03 , DStR 2005, 1824, 1826). Dem Schuldner steht zivilrechtlich das Leistungsbestimmungsrecht zu (§ 366 Abs. 1 BGB). Dies gilt entsprechend für die steuerrechtliche Beurteilung von Leistungen, die ein Schuldner an seinen Gläubiger erbringt (BFH vom 16. März 2010 VIII R 4/07, BFH/NV 2010, 1527; differenzierend: BFH vom 22. September 2010 II R 62/08, BFH/NV 2011, 7).
Die Voraussetzungen der Einkunftserzielung sind unter Zugrundelegung der Erkenntnisse zu prüfen, die das Gericht zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens über den Streitgegenstand gewonnen hat (§ 96 Abs. 1 FGO).
c. Der Kläger hat sein Kapital gegen Entgelt an A überlassen und dadurch die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG erfüllt. Der Senat hat hierzu bei der Beurteilung derselben Art von Verträgen anderer durch A geschädigter Anleger in seinem Urteil vom 6. Dezember 2006 1 K 165/ 03 , EFG 2007, 506 Folgendes ausgeführt:
„Die Verträge sind zweifelsfrei auf die Erzielung von Einnahmen aus der Anlage von Kapital gerichtet (s. z.B. Tz. 1.1: „Der Auftraggeber beabsichtigt, eine Kapitalanlage zu tätigen …”). Sie lassen zwar nicht ohne weiteres erkennen, ob die Kapitalüberlassung gegenüber A oder – unter Einschaltung des A als Treuhänder oder ansonsten Beauftragten – gegenüber Dritten vorgenommen werden sollte. Auch wenn in Tz. 2.4 (dort an der einzigen Stelle) von „dieser Treuhandvereinbarung” die Rede ist, sind die Verträge neutral als „Vereinbarung” überschrieben und die Kläger werden als „Auftraggeber” und A als „Herr A” bezeichnet. Die Anlage trägt die Überschrift „Anlage 1 zur Vereinbarung über eine Kapitalanlage zwischen Herrn XXX und Herrn A”.
Maßgebend für die Einordnung des Vertragsverhältnisses ist – zivilrechtlich wie steuerrechtlich – letztlich nicht dessen äußere Bezeichnung, sondern sein materieller Regelungsgehalt, der auf der Grundlage des Gesamtzusammenhangs der Abreden zu beurteilen ist. Ein Treuhandverhältnis zeichnet sich in erster Linie durch die umfassende Herrschaftsmacht bzw. Dispositionsbefugnis des Treugebers über das Treugut aus. Wesentliche Kriterien eines Treuhandverhältnisses sind deshalb die umfassende Weisungsgebundenheit des Treuhänders und dessen Verpflichtung, das Treugut jederzeit auf Anforderung zurückzuübertragen (Tipke/Kruse, § 39 AO Rdn. 33 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen). Dem Treugeber stehen weitreichende Informations-, Kontroll- und Abrechnungsbefugnisse gegenüber dem Treuhänder zu (§§ 675, 666 BGB). Diese Wesensmerkmale weisen die Verträge vom 10. Juni 1992 nicht auf.
Das Kapital wurde A für mindestens 5 Jahre zur Verfügung gestellt und war erst danach mit einer 3-Monats-Frist kündbar gewesen (Ziff. 2.2.; 6.1 der Verträge). A sollte bei der Anlage des Kapitals nach außen hin im eigenen Namen handeln. Dies folgt zweifelsfrei aus Tz. 1.1 der Verträge und dem jeweils als Anlage 1 beigefügten Vertragsmuster, das A als im eigenen Namen handelnden Anleger vorsieht. Es entspricht zudem dem Umstand, dass A über „gepooltes” Kapital einer größeren Anzahl von Vertragspartnern verfügt hat, sowie der tatsächlichen Handhabung durch A ….
Die Art der Anlagegeschäfte war A lediglich beispielhaft in Anlage 1 der Verträge vorgegeben. Ziff. 3.1 der Verträge ist weitgehend unbestimmt (Absicherung, Zinssatz), zumal das Kapitalanlagebeispiel in der Anlage 1 der Verträge die Absicherung durch den Anlagepartner (nicht durch A) vorsah. A war hinsichtlich der durchzuführenden Geschäfte nicht den Weisungen der Kläger unterworfen. Die Verträge ließen offen, welche konkreten Geschäfte A mit welchen Partnern und unter Eingehung welcher (durch den Partner abgesicherter) Risiken durchführen sollte. Auskunftsrechte der Kläger bezüglich der Kapitalanlagen waren ausdrücklich ausgeschlossen (Ziff. 3.3). A war damit im Ergebnis eine umfassende Dispositionsfreiheit über die Kapitalanlage eingeräumt. Im Übrigen waren Einzelweisungen dadurch, dass die Anlagen aus einem Anlegerpool heraus erfolgen sollten, der Sache nach nicht möglich. Aus dieser Situation heraus erklärt sich auch Ziff. 2.3 der Vereinbarungen. Regelungen über gemeinschaftliche Weisungen aller Anleger gegenüber A waren nicht vorgesehen. Die Abrechnungen, die A den Klägern über deren Sonderkonto bei der ZK erteilt hat, waren von daher gesehen für diese auch nicht überprüfbar. A hatte an die Kläger nicht alle Erträge aus den Kapitalanlagen abzuführen, sondern nur „entsprechend dem Anspruch des Auftraggebers” (Ziff. 1.3), d.h. also bis allenfalls 24 % p.a. des Anlagekapitals. Welche Ansprüche dies waren, erfuhr der Anleger erst durch die – für ihn unkontrollierbaren – „inoffiziellen” Abrechnungen des A. Höhere Erträge konnte A für sich behalten. Auch die Verzinsung von 24% schuldete A nur, wenn er selbst entsprechende Anlagen tätigen konnte (was für den Anleger nach Vertragslage nicht überprüfbar war).
Solche Vereinbarungen sind mit dem Wesen der Treuhand oder einer sonstigen Geschäftsbesorgung unvereinbar. Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger sich am Unternehmen des A beteiligen oder ansonsten mit diesem zusammen unternehmerisch tätig sein wollten, sind weder vorgetragen noch ansonsten ersichtlich. Es ging den Beteiligten vielmehr darum, dass die Kläger (und anderen Anleger) dem A für einen mittelfristigen Zeitraum Kapital zur möglichst günstigen Anlage überlassen haben. Für Einzelheiten wollten, sollten und konnten sie sich nicht interessieren. Die hohen angestrebten Erträge gingen mit dem Risiko des Kapitalverlustes einher (Tz. 4.2 der Verträge). Dies alles spricht für das Verständnis der Verträge vom 10. Juni 1992 als einer entgeltlichen Kapitalüberlassung der Kläger an A.”
Dem ist für den inhaltsgleichen Vertrag vom 6. Juli 1992 zwischen A und dem Kläger nichts hinzuzufügen.
Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger einkommensteuerfreie Anlagen tätigen wollte. Da der Kläger – wie dargelegt – sein Kapital an A überlassen hatte und ihm keine Informationsmöglichkeit über das Anlageverhalten des A zustand, war von einer einkommensteuerbaren Kapitalanlage auszugehen. Alle Beträge, die dem Kläger aufgrund dieser Vereinbarung zugeflossen sind, sind somit Einnahmen aus Kapitalvermögen.
d. Der II. Senat des BFH hat in seinem Urteil vom 22. September 2010 II R 62/08 BFH/NV 2011, 7 Rdn. 24-26 zu demselben Vertrag, den ein anderer Anleger (im Urteil: „die Eheleute”) mit A (im Urteil: „C”) geschlossen hat, Folgendes ausgeführt:
„Die Zahlungen des C an die Eheleute sind zivilrechtlich und somit auch bewertungs- und vermögensteuerrechtlich unabhängig von dem von C angegebenen Zahlungsgrund und abweichend von der einkommensteuerrechtlichen Beurteilung als Kapitalrückzahlung zu werten. Da C nach den vom FG getroffenen Feststellungen von Anfang an aus den von ihm getätigten Anlagen keine Überschüsse erzielen konnte und die „Ertragszahlungen” an die Anleger daher aus der Substanz des eingesammelten Anlagekapitals erfolgt sind, standen den Eheleuten nach den getroffenen Vereinbarungen zivilrechtlich gegen C keine Ansprüche auf die Zahlung von Erträgen zu, die C hätte erfüllen können. Die Zahlungen des C können daher zivilrechtlich nur als Teilerfüllung von Rückzahlungsansprüchen der Eheleute gewertet werden.
Erklärt ein Schuldner gemäß § 366 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), eine von ihm geleistete Zahlung solle der Tilgung einer bestimmten Schuld dienen, ist diese Tilgungsbestimmung gegenstandslos, wenn die Schuld tatsächlich nicht besteht. Durch die Zahlung werden in einem solchen Fall nach Maßgabe des § 366 Abs. 2 BGB andere gegenüber dem Zahlungsempfänger bestehende Schulden des Schuldners getilgt (Urteile des Bundesgerichtshofs vom 21. November 2005 II ZR 140/04, Neue Juristische Wochenschrift –NJW– 2006, 509, und vom 9. Januar 2006 II ZR 72/05, NJW 2006, 906; Palandt/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 69. Aufl., § 366 Rz 7), sofern dem Zahlenden kein Rückforderungsanspruch etwa aus § 812 Abs. 1 BGB zusteht.
Die Zahlungen des C an die Eheleute sind danach vermögensteuerrechtlich als Kapitalrückzahlungen zu werten und haben deshalb die bei der Berechnung der Vermögensteuer anzusetzenden Ansprüche der Eheleute auf Rückzahlung des eingesetzten Kapitals gemindert.”
Würde man sich dieser zivilrechtlichen Einordnung des II. Senats anschließen, wäre dies auch für die einkommensteuerliche Betrachtung der Vorgänge von entscheidender Bedeutung. Denn nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG unterliegt nur das „Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens” der Einkommensteuer, nicht aber die Rückzahlung des Anlagekapitals. Wären tatsächlich alle Zahlungen des A an den Kläger – wie der II. Senat des BFH es sieht – als Kapitalrückzahlungen zu werten, wäre der Klage in vollem Umfang stattzugeben.
Der Senat hat – bereits in seinem Urteil vom 6. Dezember 2006 1 K 165/ 03 , EFG 2007, 506, das der Revisionsentscheidung des II. Senats des BFH zugrunde lag – die „Vereinbarung” zwischen A und dem Kläger so ausgelegt, dass Anlagepartner des Klägers A selbst und damit auch A selbst Schuldner des Anspruchs des Klägers auf Zahlung des Entgelts für die Kapitalüberlassung gewesen ist. Hieran hält der Senat auch im vorliegenden Fall fest (s. oben c).
Die Vereinbarung vom 6. Juli 1992 und der aus ihr resultierende Zinszahlungsanspruch waren nicht bereits deshalb zivilrechtlich unwirksam, weil A seinerseits keine oder erfolglose Anlagen mit anderen Anlagepartnern getätigt hat. Ein entsprechender geheimer Vorbehalt des A spielt insofern keine Rolle (§ 116 BGB) und hätte den Kläger allenfalls zu einer Anfechtung des Vertrages berechtigt (§§ 123, 124 BGB). Dies ist – soweit ersichtlich – nicht geschehen. Mit welchen Mitteln A die Begleichung seiner Zinszahlungsschuld herbeigeführt hat (z.B. mit dem Kapital anderer getäuschter Anleger oder sogar mit dem Kapital des Klägers selbst), spielt keine Rolle. A hat vielmehr durch seine Zahlungen auf die Konten des Klägers bei der Y-Bank – und hierüber waren sich alle Beteiligten einig – die Entgelte für die Kapitalüberlassung, keine Kapitalrückzahlungen getätigt (§ 366 Abs. 1 BGB). Die Rechtsprechung des BGH zur Tilgungsbestimmung bei unwirksamer Schuld greift damit nicht ein. Der Senat kann dem II. Senat des BFH, der sich hierauf beruft, nicht folgen.
2. Zufluss und Höhe der Einnahmen
Dem Kläger sind nur die Entgelte als Einnahmen aus Kapitalvermögen zugeflossen, die A auf die Konten des Klägers bei der YBank überwiesen hat (1992: 2.000 DM; 1993: 17.510 DM; 1994: 26.710 DM; 1995: 5.180 DM). Dagegen führen die Entgelte, die A bei seiner Briefkastengesellschaft ZK für den Kläger lediglich gutgeschrieben hat, nicht zu Einnahmen des Klägers aus Kapitalvermögen (1994: 23.400 DM; 1995: 45.200 DM).
a. Einnahmen (§ 8 Abs. 1 EStG) sind i.S.d. § 11 Abs. 1 EStG zugeflossen, sobald der Steuerpflichtige über sie wirtschaftlich verfügen kann. Geldbeträge fließen dem Steuerpflichtigen i.d.R. dadurch zu, dass sie ihm bar ausgezahlt oder seinem Konto bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben werden.
Das Finanzamt trägt für den steueranspruchsbegründenden Umstand des Zuflusses die Feststellungslast. Ist ein Zufluss dem Grunde nach zwar erfolgt, sind aber exakte Ermittlungen über dessen Höhe nicht in zumutbarer Weise durchführbar, so kann der Umfang des Zuflusses nach Wahrscheinlichkeitsgrundsätzen durch Schätzung ermittelt werden (§ 162 AO).
b. Auch die Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten kann einen Zufluss bewirken, wenn in der Gutschrift nicht nur das buchmäßige Festhalten einer Schuldverpflichtung zu sehen ist, sondern auch zum Ausdruck gebracht wird, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verwendung zur Verfügung steht. Allerdings muss der Gläubiger in einem solchen Falle in der Lage sein, den Leistungserfolg ohne weiteres Zutun des im Übrigen leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners herbeizuführen (BFH 11. Mai 1999 VIII R 70/95, BFH/NV 2000, 18 m.w.N. auf die ständige Rechtsprechung). Die vorgenannte wirtschaftliche Verfügungsbefugnis steht dem Gläubiger zu, wenn er über den gutgeschriebenen Betrag frei disponieren kann, indem er ihn abholt, abruft oder beispielsweise auch beim Schuldner wieder neu anlegt (Novation).
Als Zahlungsunfähigkeit des Schuldners ist das auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende dauernde Unvermögen zu verstehen, seine sofort zu erfüllenden Geldschulden noch im Wesentlichen zu berichtigen. Hierbei kommt es nach der Rechtsprechung des BFH nicht auf die Gesamtheit der fälligen Beträge an, sondern lediglich auf die Summen, mit deren Auszahlung bei verständiger und objektiver Beurteilung der Sachlage zu rechnen gewesen ist. Für die Annahme einer durch den Zufluss beim Gläubiger erfolgten Vermögensmehrung ist es unerheblich, woher die Geldmittel stammen, mit denen der Schuldner seine Verbindlichkeiten begleicht. Zudem setzt der Zufluss von Einnahmen voraus, dass beim Steuerpflichtigen eine Vermögensmehrung, d.h. eine objektive Bereicherung eintritt (BFH vom 10. Juli 2001 VIII R 35/00, BStBl. II 2001, BStBl 2001 II S. 646, BStBl 2001 II S. 648 ff. m.w.N. auf seine ständige Rechtsprechung).
c. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann auch die Gutschrift in den Büchern eines Anlagebetrügers zum Zufluss der gutgeschriebenen Beträge beim Anleger führen, wenn der Anleger stattdessen auch eine Auszahlung der Beträge vom Anlagebetrüger hätte erreichen können. Hiervon geht der BFH aus, solange das „Schneeballsystem als solches funktioniert, d.h. die Auszahlungsbegehren der Anleger ohne Einschränkung bedient werden.” Der BFH hat seine ständige Rechtsprechung zu den Anlagebetrugsfällen mit Urteil vom 16. März 2010 VIII R 4/07, BFH/NV 2010, 1527 bestätigt.
d. Der Senat sieht sich – trotz des Urteils des BFH vom 16. März 2010 VIII R 4/07, BFH/NV 2010, 1527 im Falle eines ebenfalls von A betrogenen Anlegers – außer Stande, der vorgenannten Rechtsprechung zu folgen. Durch das Urteil des BFH vom 22. September 2010 II R 62/08, BFH/NV 2011, 7 und einen Beitrag in der Literatur (Wolff-Diepenbrock, Festschrift für Wolfgang Spindler zum 65. Geburtstag, Köln 2011, S. 897-912 – FS –) haben sich weitere bedenkenswerte Aspekte ergeben. Der Anlagebetrüger ist kein „leistungswilliger und leistungsfähiger Schuldner”. Die gegen ihn gerichtete Forderung, die durch Novation an Stelle des Zahlungsanspruchs tritt, ist nach den Grundsätzen des § 8 EStG zu bewerten. Die Forderung eines Anlegers gegen einen Anlagebetr üger stellt – generell wie auch im Entscheidungsfall – keine objektive Bereicherung des Anlegers dar.
(1) Die Gutschrift in den Büchern eines Anlagebetrügers kann – generell und auch vorliegend im Falle des A – nicht zum Nennbetrag in die Fallgruppe des Zuflusses durch Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten (s. oben 2 b) eingeordnet werden.
Der Anlagebetrüger ist kein „leistungswilliger und leistungsfähiger Schuldner”, sondern das exakte Gegenteil davon. Der Anlagebetrug ist der „größte anzunehmende Unfall”, der einem Anleger zustoßen kann. Auch wenn der Betrüger – um seinen Betrug aufrecht zu erhalten oder auszuweiten – alle an ihn gerichteten Forderungen zeitweise erfüllt, droht ständig die Aufdeckung des Betruges. Wird der Betrug – aus welchen Gründen auch immer – entdeckt, dann bricht das System von einem auf den anderen Tag zusammen und die Anleger erhalten allenfalls noch einen geringen Bruchteil ihres eingesetzten Kapitals zurück. Die laufenden Entgeltansprüche wegen der Kapitalnutzung sind dann i.a.R. vollständig verloren. Auch im Entscheidungsfall konnte der Kläger nur 1,54 % seiner gegen A gerichteten Ansprüche realisieren.
Allein aus der Begleichung aller gegen A gerichteten Zahlungsansprüche bis ins Jahr 1998 zieht der Senat nicht den Schluss, dass auch die gutgeschriebenen Beträge von A in den Streitjahren 1994 und 1995 tatsächlich beglichen worden wären. Dies beurteilt der Senat vielmehr an Hand aller Umstände des Einzelfalls. Die Liquidität des A ist hierbei nur ein Aspekt unter anderen. Im Übrigen legt der Senat gemäß § 96 FGO – wie bei allen Entscheidungen, die ein Finanzgericht zu treffen hat – unter freier Beweiswürdigung die Kenntnisse zu Grunde, die er im Verlaufe eines Verfahrens über den Streitgegenstand gewonnen hat.
Der Senat hat sich aufgrund dieser Kenntnisse nicht die Überzeugung bilden können, dass A ab etwa Mitte 1994 die dem Kläger und den übrigen Anlegern gutgeschriebenen Beträge auf Verlangen auch tatsächlich ausgezahlt hätte. Was der Anleger vom Anlagebetrüger tatsächlich erhält, weiß man erst, wenn der Betrüger gezahlt hat. Die Begleichung von gegen einen Anlagebetrüger gerichteten Forderungen ist dagegen stets ungewiss.
Vorliegend hat A bis etwa Mitte 1994 alle Zinsansprüche ohne weiteres durch Zahlung auf die Konten der Anleger bei der Y-Bank beglichen. Ab Mitte 1994 ist er aber dazu übergegangen, die Anleger telefonisch zur Neuanlage der Zins- und sonstigen Entgeltsbeträge aufzufordern. Die Neuanlagen sind von ihm formlos ohne neuerliche Vereinbarung schriftlich bestätigt worden. Zwar hat A dann gleichwohl Überweisungen getätigt, wenn der Anleger – wie teilweise auch der Kläger – auf der Auszahlung der Beträge bestanden hat. Gleichwohl lässt dieses Verhalten des A erkennen, dass A schon deutlich früher als 1998 in Zahlungsschwierigkeiten geraten wäre, wenn er nach wie vor die Zinsbeträge auf die Konten der Anleger hätte überweisen müssen. Nur weil ein Großteil der Anleger – teilweise auch der Kläger – im Hinblick auf die immer umfangreicher werdenden Versprechungen des A das Entgelt für die Kapitalnutzung wieder neu angelegt hat, war es A möglich, die Liquidität bis 1998 aufrecht zu erhalten. Aus den Ermittlungen der Steuerfahndung ist dem Senat des Weiteren bekannt, dass die Renditen, die A den Anlegern versprochen hat, von Anfang an niemals erwirtschaftet werden konnten und dass ein Großteil des Kapitals bereits bis 1994 durch Veruntreuungen der Anlagepartner des A verloren oder ansonsten bei A nicht mehr nachweisbar vorhanden war. Wie verzweifelt die Finanzlage des A bereits im Jahre 1994 gewesen sein muss, geht schon allein daraus hervor, dass A dem Kläger
> 1994 für ein Kapital von 125.000 DM (Stand 1. Oktober 1993) Entgelte i.H.v. (13.600 + 14.400 + 14.180 =) 42.180 DM (also rund 33,7 % !) und
>1995 für ein Kapital von 160.000 DM (Stand 1. September 1994) Entgelte i.H.v. (15.200 + 19.300 + 20.700 =) 55.200 DM (also rund 34,5 % !)
zugestanden hat.
(2) Die Novation, d.h. die Umwandlung des Entgeltsanspruchs des Klägers wegen der Kapitalüberlassung an A in einen erhöhten Kapitalanspruch gegen A, führt nicht zum Zufluss des Kapitalnutzungsentgelts in Höhe des Nennbetrages.
Der Besteuerung werden normalerweise keine hypothetischen, sondern nur die tatsächlich verwirklichten Lebenssachverhalte zu Grunde gelegt. Es ist deshalb letztlich unerheblich, ob der Kläger auch bezüglich der gut geschriebenen Beträge eine Zahlung erhalten hätte, wenn er sie verlangt und auf sie bestanden hätte. Tatsache ist und bleibt, dass durch die von ihm gewählte Novation eine (Auszahlungs-) Forderung in eine (Kapital-) Forderung umgewandelt worden ist. Der Kläger hat im Rahmen seiner Einkünfte aus Kapitalvermögen tatsächlich keine Entgeltszahlung in Form von Zinsen u.ä., sondern stattdessen nur eine andere Forderung in Form eines erhöhten Darlehensanspruches erhalten (Wolff-Diepenbrock, FS, S. 909).
Durch die Novation wird kein Leistungsweg abgekürzt. Es wird nicht Geld hingegeben und sodann wieder zurückgegeben. Hätten sich die Vorgänge tatsächlich so abgespielt, wäre eindeutig ein Zufluss zum Nennbetrag des Geldes eingetreten. In der Tat handelt es sich aber um unterschiedliche Lebenssachverhalte, insbesondere wenn – wie es durch die Finanzverwaltung unter Anwendung der Rechtsprechung des BFH geschieht – jedem einzelnen der betrogenen Anleger vorgehalten wird, er hätte sein Geld tatsächlich ausgezahlt bekommen, wenn er nur darauf bestanden hätte. In einem solchen Falle hätte A den Anlagebetrug nach Überzeugung des Senats nicht bis zum Jahre 2000 verbergen können.
(3) Entstehen Forderungen aus einem Rechtsverhältnis, durch das Überschusseinkünfte erzielt werden (z.B. Lohn- oder Mietzahlungsansprüche), führt dies nicht zur Einnahmenerzielung nach § 8 EStG. Darin besteht der Unterschied zur Gewinnermittlung durch Bestandvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG. Werden jedoch zur Begleichung von Ansprüchen aus einem solchen Einkunftsverhältnis Forderungen überlassen (z.B. der Mieter tritt zur Begleichung seiner Mietrückstände Erfüllungs halber an den Vermieter eine Forderung gegen einen Dritten ab), so führt dies zu einem Zufluss, wenn der Steuerpflichtige wirtschaftlicher Eigentümer (Inhaber) dieser „Erfüllungs-”) Forderung wird. Die Forderung gehört dann zu den „Gütern, die in Geld oder Geldeswert bestehen” (§ 8 Abs. 1 EStG), die entsprechend § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG mit den „üblichen Endpreisen am Abgabeort” zu bewerten sind (Wolff-Diepenbrock, FS, S. 911; zu Arbeitnehmern eingeräumten Aktienoptionen: BFH vom 20. November 2008 VI R 25/05, BStBl II 2009, 382). Hierbei erfolgt eine objektive Wertbestimmung. Nur die tatsächlich eingetretene Bereicherung ist maßgeblich. Die Vorstellungen der Abtretungsbeteiligten zum Übertragungszeitpunkt spielen keine Rolle (Schmidt/Drenseck, EStG, 30. Auflage 2011, § 8 Rdn 12. f.; Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Bd 2, 15. Auflage 2003, § 8 Rdn. 36 ff.; Blümich/Glenk, EStG, KStG, GewStG, 2012, § 8 EStG Rdn. 21 jew. m.w.N.).
(4) Der Kläger ist mit der Vereinbarung eines erhöhten Darlehenskapitals anstelle der Entgeltauszahlung (Novation) und deren Gutschrift in den Büchern der ZK wirtschaftlicher Inhaber dieser Forderung geworden. Ob und in welchem Sinne der Kläger hierdurch über seinen Entgeltzahlungsanspruch verfügt hat, spielt ebenso wenig eine Rolle wie die bei einem gegenseitigen Rechtsgeschäft kaum zu klärende (aber immer wieder vom BFH gestellte) Frage, in wessen (größerem?) Interesse diese Vereinbarung gelegen haben mag. Mit der Novation ist die Forderung dem Kläger zugeflossen. Sollte diese Forderung später beglichen werden, ist der bereits durch die Novation erfolgte Zufluss zu berücksichtigen. Der Wert des Zuflusses ist durch eine Bewertung der Forderung zum Zuflusszeitpunkt festzustellen.
(5) Wie die Forderung eines Anlegers (im Urteil „die Eheleute”) gegen den Anlagebetrüger A (im Urteil: „C”) zu bewerten ist, hat der II. Senat des BFH in seinem Urteil vom 22. September 2010 II R 62/08, BFH/NV 2011, 7 – zu demselben Lebenssachverhalt – unter Rz. 30 – 32 ausgeführt:
„Soweit danach den Eheleuten an den Stichtagen 1. Januar 1993 und 1. Januar 1995 gegen C zivilrechtlich Zahlungsansprüche zustanden, ist ferner zu prüfen, ob diese Ansprüche wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des C (sic.: A) an diesen Stichtagen mit einem geringeren Wert als dem Nennwert anzusetzen sind oder ob sie wegen Uneinbringlichkeit völlig außer Ansatz bleiben müssen. ….
Abweichend von der Auffassung des FG setzt der Ansatz eines unter dem Nennwert liegenden Werts (einschließlich eines Werts von null DM) nach § 12 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2BewG nicht den Nachweis voraus, dass das Kapital zu den Stichtagen 1. Januar 1993 und 1. Januar 1995 bereits teilweise oder vollständig verloren war. Vielmehr kommt der Ansatz eines niedrigeren Werts bereits dann in Betracht, wenn die Einbringlichkeit der Ansprüche der Eheleute gegen C zum frühestmöglichen Fälligkeitszeitpunkt nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des C zum jeweiligen Stichtag zweifelhaft war. Es ist danach aus der Sicht des jeweiligen Stichtags eine Prognose über die Einbringlichkeit der Forderungen bei Fälligkeit vorzunehmen.
Bei dieser Prognoseentscheidung müssen auch die vom FG zur Entscheidung über die Einkommensteuer getroffenen Feststellungen beachtet werden. Zu den danach zu berücksichtigenden Umständen gehört insbesondere, dass nach den Feststellungen des FG das Anlagesystem von vornherein unseriös war, C von Anfang an keine Überschüsse aus den von ihm getätigten Anlagen erzielen konnte und die Ertragszahlungen an die Anleger deshalb aus der Substanz des eingesammelten Kapitals erbrachte, bereits im Jahr 1992 eine Unterdeckung eingetreten war und die Eheleute auf fünf Jahre unwiderruflich auf eine Rückzahlung des Anlagebetrages verzichtet hatten und der Vertrag erst nach Ablauf dieses Zeitraums mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden konnte.”
Hiernach sind die Forderungen gegen A, die der Kläger als Entgelt für die Kapitalüberlassung in den Jahren 1994 und 1995 durch Novation erhalten hat, mit 0 DM zu bewerten. Denn A hatte bereits zu diesem Zeitpunkt einerseits einen Großteil des Anlagekapitals verloren. Andererseits war er den Anlegern gegenüber zur Zahlung erheblicher Kapitalnutzungsentgelte verpflichtet. Er konnte den Betrug nur noch durch neue oder „reinvestierte” Anlagegelder vertuschen. Damit war es bereits 1994 nur noch eine Frage der Zeit, bis der Betrug entdeckt werden würde. Diese Bewertung kann im Rahmen des § 8 EStG nicht anders als zu Zwecken der Vermögensteuer ausfallen. A war also bereits 1994 nicht mehr als „leistungsfähig” zu bezeichnen.
Der II. Senat des BFH geht davon aus, dass die Bewertung der Forderung und damit die der Leistungsfähigkeit des Anlagebetrügers unter Zugrundelegung der Kenntnisse zu erfolgen hat, die der Senat zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung über die Verhältnisse des Streitjahres hat. Der erkennende Senat weiß, dass es sich bei den in den Streitjahren erfolgten Gutschriften um Forderungen des Klägers handelt, die sich gegen einen (wegen der gegen ihn gerichteten Rückzahlungs- und Ersatzansprüche überschuldeten) Anlagebetrüger A richten, dessen Betrug kurz nach den Streitjahren erkannt worden ist und dessen Insolvenzverfahren nur zu einer geringfügigen Quote für die Gläubiger geführt hat.
Die Forderungen, die der Kläger 1994 und 1995 durch die Novationen erhalten hat, ist insbesondere nicht deshalb mit ihrem Nennwert zu bewerten, weil sie anstelle einer ansonsten erfolgten Zahlung des A getreten wäre. Denn zum einen konnte sich der Senat – wie dargelegt – keine Überzeugung dahingehend bilden, dass A tatsächlich entsprechende Zahlungen geleistet hätte, wenn der Kläger hierauf bestanden hätte. Diese nicht weiter aufklärbare Ungewissheit geht zu Lasten des Beklagten. Zum anderen ändert dies nichts an den tatsächlichen Geschehensabläufen und der Notwendigkeit einer objektiven Bewertung der Forderung, die von den Vorstellungen der Beteiligten unabhängig ist. Wie diese Bewertung im Entscheidungsfall ausfällt, wurde bereits dargelegt.
(6) Die Novation (Austausch der Zahlungsgegen eine Kapitalforderung) ist der Ausdruck der gelungenen bzw. erfolgreich aufrecht erhaltenen Täuschung des A. Sieht man – wie der BFH – in der Novation einen Zufluss zum Nennwert der Forderung, wird damit der gelungene Anlagebetrug besteuert. Dies entspricht nicht dem Besteuerungsgegenstand der Einkommensteuer, die an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen anknüpft. Durch den gelungenen Anlagebetrug wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Anlegers nicht vermehrt, sondern – nicht selten dramatisch – vermindert.
3. Keine Verjährung der Einkommensteuer
Der Beklagte hat am 16. Oktober 2002 Einkommensteuerbescheide für 1992 bis 1995 erlassen. Die Festsetzungsfrist war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen. Sie beträgt vorliegend 10 Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO). Dass der Kläger die hier streitigen Beträge nicht erklärt hat, war nach Überzeugung des Senats nicht auf seinen guten Glauben an die Einkommensteuerfreiheit der Anlagen zurückzuführen. Der Kläger hat diese Beträge vielmehr bewusst der deutschen Steuerpflicht entziehen wollen.
Dies geht schon daraus hervor, dass der Kläger, der den Beruf des Kalkulators ausgeübt hat, die Beträge nicht in seine Steuerklärungen der Jahre 1992 und 1993 aufgenommen hat. Für die übrigen Streitjahre hat er als Rentner keine Erklärungen abgegeben. Der unsubstantiierte Hinweis des Klägers auf die Auffassung des Herrn K über die Steuerfreiheit der Zinsen erscheint dem Senat als Schutzbehauptung. Wäre der Kläger in dieser Hinsicht tatsächlich gutgläubig gewesen, hätte es nahegelegen, die Zinsen nicht auf zwei Konten in der Schweiz, sondern auf ein Konto bei seiner Hausbank überweisen zu lassen. Zudem zeigt die gesamte Anlagenkonstruktion (als Verwalter fungiert eine Briefkastengesellschaft in Liechtenstein, Konten der Anleger werden in der Schweiz eingerichtet, „offizielle” und „inoffizielle” Mitteilungen an die Anleger, ein Konto für erklärte und ein Konto für nicht erklärte Einnahmen), dass sich der Kläger und im übrigen auch A der Steuerpflicht dieser Vorgänge durchaus bewusst waren. Ansonsten hätte es dieser recht umfangreichen und umständlichen Vorkehrungen nicht bedurft.
4. Die Kosten des Verfahrens werden gemäß § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO den Klägern zu 4/10 und dem Beklagten zu 6/10 auferlegt.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Verpflichtung des Beklagten zur Neuberechnung der Steuer beruht auf § 100 Abs. 2 Satz 2 und 3 FGO.
Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen, da wegen der Abweichung des erkennenden Senats von der „Zuflussrechtsprechung” des VIII. Senats BFH (s. I 2) und der widersprüchlichen Einordnung ein- und desselben Lebenssachverhaltes durch den VIII. und II. Senat des BFH die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gefährdet ist.