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  • 14.11.2012 · IWW-Abrufnummer 131135

    Finanzgericht München: Beschluss vom 08.05.2012 – 8 V 625/12

    Schätzung mit einer Lohnquote von 66 % der Abdeckrechnungsumsätze und dem Eingangssteuersatz der Steuerklasse VI bei Verputzer und Trockenbauer hält bei vorläufiger Beurteilung auch strafrechtlichen Maßstäben stand, wenn die Steuerfahndung umfassend, plausibel und detailliert dargelegt, weshalb die Lohnbuchhaltung des Antragstellers nur einen Teil der tatsächlich gezahlten Löhne ausgewiesen hat und mit ihren Ermittlungen herausgearbeitet hat, dass Scheinrechnungen für tatsächlich nicht erbrachte Subunternehmerleistungen verbucht wurden.


    Beschluss
    In der Streitsache
    hat der 8. Senat des Finanzgerichts München durch … ohne mündliche Verhandlung am 08. Mai 2012 beschlossen:
    1. Der Antrag wird abgelehnt.
    2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
    Gründe
    I.
    Der Antragsteller erbrachte im Streitzeitraum 2001-2006 mit seiner Einzelfirma Verputz- und Trockenausbauarbeiten für verschiedene Auftraggeber. Hierzu bediente er sich sowohl eigener Arbeitnehmer als auch diverser Subunternehmer. Ab dem Jahr 2002 fand bei dem Antragsteller eine gemeinsame Prüfung der Steuerfahndungsstelle des Finanzamts München und des Hauptzollamts Rosenheim (Ermittlungsgruppe Formica) für den Zeitraum 01/2001-12/2006 statt. Die Ermittler stellten fest, dass der Antragsteller lediglich für einen Teil der tatsächlich gezahlten Arbeitslöhne Lohnsteuer einbehalten und abgeführt hatte.
    Der Antragsteller zahlte nach den Ermittlungen an im Übrigen angemeldete Arbeitnehmer einen Teil der Löhne „schwarz” aus. Darüber hinaus führte er für einige Arbeitnehmer überhaupt keinen Lohnsteuerabzug durch, beschäftigte sie also gänzlich „schwarz”. Um dies zu verschleiern und entsprechende Geldmittel für die schwarze Lohnzahlungen zu schaffen, veranlasste der Antragsteller, dass in der Buchhaltung der Firma Scheinrechnungen (Abdeckrechnungen) über tatsächlich nicht erbrachte Leistungen von Subunternehmern verbucht wurden.
    Der Antragsgegner – das Finanzamt (FA) – nahm den Antragsteller mit Haftungsbescheid vom 10. Mai 2011 für die hierdurch im Zeitraum 09/2001-12/2006 verkürzten Lohnsteuern in Höhe von 112.200,38 EUR, Solidaritätszuschlag in Höhe von 6.170,78 EUR und Kirchenlohnsteuer in Höhe von 745,33 EUR in Haftung. Wegen der Ermittlungsergebnisse im Einzelnen wird auf den Prüfungsbericht der Ermittlungsgruppe Formica vom 8. April 2011 und der Steuerfahndungsstelle München vom 12. April 2011 verwiesen.
    Über den Einspruch des Antragstellers vom 20. Mai 2011 ist noch nicht entschieden. Den an das Finanzamt gerichteten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) vom 9. August 2011 lehnte das Finanzamt mit Bescheid vom 22. August 2011 ab, den Einspruch gegen die Ablehnung der ADV mit Einspruchsentscheidung vom 16. Januar 2012.
    Mit seinem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung an das Gericht trägt der Antragsteller vor, er habe keinen Schwarzlohn an seine Mitarbeiter gezahlt. Der Sachverhalt sei in den Ermittlungsberichten falsch dargestellt, weshalb eine Verurteilung des Antragstellers nicht zu erwarten sei. Lediglich ein Zeuge von den vernommenen 62 ehemaligen Mitarbeitern habe ausgesagt, dass er Schwarzlohn erhalten habe. Als Beleg führt er Auszüge aus den Vernehmungsprotokollen an. Die Lohnquote im Betrieb des Antragstellers habe im Durchschnitt ca. 50 % betragen. Daher sei die vom Finanzamt bei der Schätzung in nahezu allen Jahren zu Grunde gelegte Quote von 66,66 % viel zu hoch. Im Übrigen seien bei der Betrachtung der Lohnquote auch die Zahlungen an die Subunternehmer einzubeziehen. Täte man dies, so ergebe sich rechnerisch eine Lohnquote im Durchschnitt der Jahre von 52,35 %.
    Darüber hinaus läge für den Antragsteller bei Vollziehung des Lohnsteuerhaftungsbescheides eine unbillige Härte vor. Würde der Betrag vollstreckt, so wäre der Antragsteller zahlungsunfähig und gezwungen Insolvenz anzumelden. Er habe aufgrund der Nichtvorhersehbarkeit der Forderungen des Finanzamts keinerlei Rücklagen bilden können. Er verfüge auch über keinerlei Kapitalreserven.
    Der Antragsteller beantragt,
    die Vollziehung des Haftungsbescheids vom 10. Mai 2011 für die Dauer des Einspruchsverfahrens auszusetzen.
    Das Finanzamt beantragt,
    den Antrag abzulehnen,
    hilfsweise die Aussetzung der Vollziehung allenfalls gegen Anordnung einer Sicherheitsleistung in Höhe des streitigen Steuerbetrages zu gewähren.
    Es verweist im Wesentlichen auf die Ermittlungsberichte, nach denen keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen könnten. Auch eine unbillige Härte sei nicht gegeben. Eventuelle Härten durch die Erhebung der Steuern könnten im Vollstreckungsverfahren, beispielsweise im Rahmen von Ratenzahlungen, ausreichend berücksichtigt werden.
    II.
    Der Antrag ist nicht begründet.
    Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes im Sinne des § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) bestehen nach Aktenlage nicht.
    1. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei überschlägiger Prüfung anhand des aktenkundigen Sachverhalts neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, dagegen sprechende Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist bereits dann begründet, wenn ein nicht nur geringer Grad von Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der gegen den Verwaltungsakt eingelegte Rechtsbehelf Erfolg haben wird (Bundesfinanzhof-[BFH-]Urteil vom 7. Juni 1994 IX R 141/89, BStBl II 1994, 756; BFH-Beschlüsse vom 15. Januar 1998 IX B 25/97, BFH/NV 1998, 994; vom 25. August 1998 II B 25/98, BStBl II 1998, 674; vom 23. Juli 1999 VI B 116/99, BStBl II 1999, 684).
    Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.
    2. Bei der ADV-Verfahren gebotenen aber auch ausreichenden Würdigung des Sachverhalts und der Beweislage ist der angefochtene Haftungsbescheid dem Grunde und der Höhe nach rechtlich nicht zu beanstanden.
    Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung (AO) kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners zweigliedrig (vgl. BFH-Urteil vom 13. April 1978 V R 109/75, BStBl II 1978, 508). Das FA hat zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsvorschrift erfüllt sind. Dabei handelt es sich um eine vom Gericht in vollem Umfang überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des FA an, ob und wen es als Haftenden in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 Satz 1 FGO auf Ermessensfehler (Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch) überprüfbar. Prüfungsmaßstab hierfür ist allein die Sachlage und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (hier der Einspruchsentscheidung). Werden während des Einspruchsverfahrens Tatsachen vorgetragen oder Umstände bekannt, die für die Ermessenausübung von Bedeutung sind, muss das Ermessen folglich auch bei einer ursprünglich fehlerfrei getroffenen Ermessensentscheidung überprüft und ggf. erneut ausgeübt werden (vgl. BFH-Urteil vom 05. März 1993 VI R 79/91, BStBl II 1993, 692). Erstmals im gerichtlichen Verfahren vorgetragene Umstände können hingegen bei der Überprüfung der Ermessensentscheidung des FA durch das Gericht nicht mehr berücksichtigt werden.
    a. Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG abzuführen hat. Nach § 71 AO haftet der Täter einer Steuerhinterziehung für die verkürzten Steuern. Bei Anwendung des oben dargelegten summarischen Prüfungsmaßstabes ist eine Haftung des Antragstellers sowohl als Arbeitgeber, wie als Steuerhinterzieher zu bejahen.
    Die Steuerfahndung hat im Prüfungsbericht vom 8. April 2011 umfassend, plausibel und detailliert dargelegt, weshalb die Lohnbuchhaltung des Antragstellers nur einen Teil der tatsächlich gezahlten Löhne ausgewiesen hat. Sie hat mit ihren Ermittlungen herausgearbeitet, dass der Antragsteller Scheinrechnungen für tatsächlich nicht erbrachte Subunternehmerleistungen verbucht hat. Bei summarischer Beurteilung überzeugt die Beweisführung der Steuerfahndung, denn sie hat dieses Ergebnis nicht nur aus den Zeugenaussagen abgeleitet bei denen überwiegend ein eigenes Interesse an einer „geschönten” Darstellung erkennbar ist, sondern konnte es darüber hinaus auch aus der wirtschaftlichen Überlegung herleiten, dass die Summe der Subunternehmerrechnungen den Betrag der Unternehmerrechnungen (des Antragstellers) wohl kaum übersteigen werde. Dies hat die Steuerfahndung zusammen mit weiteren Indizien zutreffend und ohne logische Fehler gewürdigt. Auf den steuerlichen Ermittlungsbericht vom 12. April 2011 wird ergänzend verwiesen. Bei vorläufiger Beurteilung ist daher nach Auffassung des Senats zu erwarten, dass eine Zeugenvernehmung der Steuerfahnder den vollen – auch strafrechtlichen Anforderungen genügenden – Nachweis einer Lohnsteuerverkürzung und -hinterziehung dem Grunde nach erbringen wird.
    Auch die im Wege der Schätzung erfolgte Berechnung der verkürzten Lohnsteuern begegnet bei einer Würdigung nach dem obigen Maßstab keinen Bedenken. Das FA hat ausgehend vom bereinigten Umsatz – also dem Umsatz ohne echte Subunternehmerleistungen – die Lohnquote der angemeldeten Löhne ermittelt. Sodann hat es unterstellt, dass die Scheinrechnungen vollständig als Abdeckrechnungen gedient haben und folgerichtig die sich hieraus ergebende Lohnquote der Scheinrechnungsumsätze in Bezug zum bereinigten Umsatz ermittelt. Die Quote der angemeldeten Löhne und derjenigen aus den Scheinrechnungen hat es addiert und ist zu einer Gesamtlohnquote von durchschnittlich 67,23 % gekommen. Zu Gunsten des Antragstellers ist das FA im Jahr 2004 von dieser Quote nach unten abgewichen und hat lediglich eine Lohnquote von 50 % angesetzt. In den anderen Jahren hat es die Quote auf 66,66 % nach unten gerundet. Dieses Ergebnis hat es mit Erfahrungswerten aus anderen Fällen (u.a. auch aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung) verglichen und konnte es hiermit bestätigen. Damit genügt die Ermittlung der Lohnquote bei vorläufiger Beurteilung auch strengen strafrechtlichen Schätzungsmaßstäben. Der weitere Schätzungsweg, in dem es die angemeldeten Bruttolöhne von geschätzten Gesamtlohn wieder abgezogen hat und letztlich Unschärfen stets zu Gunsten des Antragstellers berücksichtigt hat, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Auch der hinreichend begründete Ansatz des Eingangsteuersatzes der Steuerklasse VI entspricht der Rechtsprechung.
    b. An die Ermessensausübung im Haftungsbescheid sind angesichts der bei summarischer Beurteilung zu bejahenden Steuerhinterziehung keine besonderen Anforderungen zu stellen. Das Finanzamt hat ausweislich der Erläuterungen zutreffend berücksichtigt, dass die Beträge von den „schwarz” beschäftigten Arbeitnehmern nicht nachgefordert werden können. Bei der Inanspruchnahme des Haupttäters einer Steuerhinterziehung fordert die Rechtsprechung darüber hinaus keine besondere Darlegung des Auswahlermessens, weil die Inanspruchnahme des Täters „vorgeprägt” ist. Im Übrigen waren dem Antragsteller bereits vor Erlass des Haftungsbescheides die maßgeblichen Erwägungen aus Tz. 3 des Ermittlungsberichts der Steuerfahndungsstelle vom 12. April 2011 bekannt (§ 121 Abs. 2 Nr. 2 AO; BFH-Beschluss vom 8 Juni 2007 VII B 280/06, BFH/NV 2007, 1822).
    3. Die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes ist auch nicht wegen unbilliger Härte gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO auszusetzen. Eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte im Sinne dieser Vorschriften liegt vor, wenn dem Steuerpflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung des eingezogenen Betrages nicht ausgeglichen werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz führen würde (BFH-Beschlüsse vom 21. Februar 1990 II B 98/89, BStBl II 1990, 510; vom 5. März 1998 VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325). Es reicht dabei nicht aus, dass eine unbillige Folge durch die Vollziehung des Steueranspruchs als solche entstünde. Vielmehr muss diese gerade durch die Vollziehung vor Unanfechtbarkeit des Bescheides ausgelöst werden (BFH-Beschluss vom 19. April 2011 I B 166/10, BFH/NV 2011, 1399).
    Eine derartige Härte könnte in der vom Antragsteller vorgetragenen Insolvenzgefahr unter bestimmten Umständen vorliegen. Indes ist das Gericht aufgrund des Fehlens jeglicher Substantiierung oder Glaubhaftmachung nicht in die Lage versetzt, diese behauptete Folge zu prüfen und ggf. zu bejahen.
    Nachdem Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides im Streitfall jedoch nahezu ausgeschlossen sind, käme ohnehin eine Aussetzung selbst dann nicht in Betracht, wenn die Vollziehung eine solche unbillige Härte – isoliert betrachtet – auslösen würde (BFH-Beschluss vom 26. Februar 1998 III S 8/97, Juris, m.w.N.).
    4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    VorschriftenEStG § 42d, AO § 71, AO § 162