10.10.2013 · IWW-Abrufnummer 133182
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 16.04.2013 – 13 K 2328/12 E
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf
13 K 2328/12 E
Tenor:
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
T a t b e s t a n d :
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Die Beteiligten streiten darüber, ob Verluste aus der Veräußerung dreier ausländischer Kapitalanlagen, sog. Goals bzw. Kick-In Goals, die hinsichtlich ihrer Ausgestaltung Aktienanleihen (reverse convertibles bzw. barrier reverse convertibles) gleichkommen, bei den Einkünften aus Kapitalvermögen gem. § 20 EStG berücksichtigt werden können.
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Die Kläger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Im Rahmen der gemeinsamen Einkommensteuererklärung machte der Kläger bei den Einkünften aus Kapitalvermögen u.a. Einnahmen und gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG ermittelte Einlösungsverluste (Marktrenditen) aus ausländischen Kapitalanlagen bei der UBS Jersey in Höhe von 24.630,75 € geltend. Ausweislich der eingereichten Erträgnisaufstellung setzte sich dieser Betrag aus den Zins- und Prämienkomponenten für die drei Zertifikate „9,20% CHF Kick-In Goal on Worst of Julius Baer/Roche“, „11,00% CHF Goal on Credit Suisse“ und „13,00% CHF Bonus Kick-In Goal on Worst of Adecco/Holcim/Petroplus“ in Höhe von insgesamt 4.477,77 € und den negativen Marktrenditen in Höhe von insgesamt 29.108,52 € zusammen. Diese Beträge verteilten sich wie folgt auf die drei Aktienanleihen:
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9,2% Kick-In Goal
11% Goal on CS
13% Bonus Kick-In Goal
Zuteilungsdatum
23.4.2007
27.4.2007
10.12.2007
Anfangspreis (in CHF)
35.000,00
30.000,00
30.000,00
1. Zinskomponente
280,59
247,29
268,61
1. Prämienkomponente
712,27
779,19
935,51
2. Zinskomponente
0,00
0,00
279,81
2. Prämienkomponente
0,00
0,00
974,50
Marktrendite
-5.908,35
-8.390,67
-14.809,50
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Die drei Aktienanleihen waren so ausgestaltet, dass der Kupon, bestehend aus der Zins- und Prämienkomponente, in jedem Fall zur Auszahlung kam. Die Art und Höhe der Rückzahlung des Nominalwertes hing dagegen vom Kurs des bzw. der jeweils unterlegten Basiswerte ab. Im Falle des „11,00% CHF Goal on Credit Suisse“ sollte der Anleger 100% des Nominalwertes zurückerstattet bekommen, wenn der Kurs der Aktie der Credit Suisse an einem bestimmten Stichtag, dem Verfallstag („Expiration Day“), über dem Wert von 94,11 CHF („Strike Price“) schloss. Andernfalls sollte der Anleger die bereits bei Zeichnung vereinbarte Anzahl an Aktien der Credit Suisse geliefert bekommen. Die beiden „Kick-In Goals“ wiesen demgegenüber einen zusätzlichen Sicherheitspuffer auf. Solange der Kurs der unterlegten Basiswerte während der Laufzeit nie eine bestimmte Barriere (Kick-In Strike Level), die unterhalb des vereinbarten („normalen“) Basispreises („Strike Price“, s.o.) lag, berührte, erhielt der Anleger den Nominalbetrag in bar vollständig zurück. Für den Fall, dass es während der Laufzeit allerdings zu einem Barrierebruch kam, konnte der Anleger dennoch eine vollständige Rückzahlung erhalten, wenn die Kurse aller unterlegten Basiswerte zum jeweiligen Verfallstag über dem vereinbarten Basispreis („Strike Price“) lagen. War dies nicht der Fall, sollte die Tilgung durch Lieferung einer festgelegten Stückzahl des unterlegten Basiswerts erfolgen, und zwar desjenigen, dessen Wertentwicklung am schlechtesten verlaufen war. Für die Einzelheiten der Ausgestaltung der jeweiligen Aktienanleihen wird auf die vom Kläger vorgelegten Produktinformationsblätter Bezug genommen.
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Bei den beiden „Kick-In Goals“ wurden im Streitjahr die vereinbarten Barrieren berührt bzw. unterschritten. Darüber hinaus unterschritten in allen drei Fällen die Kurse der jeweils unterlegten Basiswerte zum vereinbarten Stichtag den festgelegten Basispreis, so dass jeweils eine Rückzahlung der Anleihen in Titeln erfolgte.
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Der Beklagte (das Finanzamt --FA--) forderte mit Schreiben vom 25.1.2010 die Emissionsprospekte, die Anlagebedingungen und die An- und Verkaufsabrechnungen an. Da der Kläger dem FA lediglich die letztgenannten Unterlagen zur Verfügung stellen konnte, erkannte dieses im Einkommensteuerbescheid für 2008 vom 22.12.2010 die geltend gemachten (negativen) Marktrenditen nicht an, sondern berücksichtigte nur die Zins- und Prämienzahlungen in Höhe von 4.478 € als Einnahmen.
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Den (u.a.) dagegen eingelegten Einspruch wies das FA mit Teileinspruchsentscheidung vom 18.5.2012 als unbegründet zurück. Die Kläger hätten die erforderlichen Unterlagen, die zu einer Klärung, um welche Art von Kapitalanlagen es sich handle, trotz mehrfacher Aufforderung nicht eingereicht. Eine Ermittlung eines Verlustes durch Ansatz der negativen Marktrendite sei nach der Rechtsprechung des BFH nur noch dann zulässig, wenn die Emissionsrendite nicht nachzuweisen sei oder das Wertpapier keine solche besitze und eine Trennung von Ertrags- und Vermögensebene nicht ohne Schwierigkeiten möglich sei. Die Möglichkeit einer Trennung sei im Streitfall aber nicht ausgeschlossen, so dass eine Ermittlung eines Verlustes nach der Marktrendite ausscheide.
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Hiergegen richtet sich die fristgemäß erhobene Klage. In tatsächlicher Hinsicht führen die Kläger ergänzend aus, dass sie bei der Bank die Emissionsprospekte und Anlagenbedingungen angefordert, aber lediglich die An- und Verkaufsabrechnungen erhalten hätten. Auf Nachfrage sei ihnen mitgeteilt worden, dass die Beschaffung der Emissionsprospekte nicht möglich und die Marktrendite die einzige errechenbare Größe sei. Erst nach einer erneuten Recherche im Rahmen der Vorbereitung des Klageverfahrens habe der Kläger im Zusammenhang mit anderen dienstlichen Aufgaben Kontakt zu einer Stelle der UBS erhalten, die die als Anlage beigefügten Unterlagen über die Aktienanleihen zur Verfügung gestellt habe.
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In rechtlicher Hinsicht habe das FA den geltend gemachten Verlust zu Unrecht nicht angesetzt. Bei den im Streitfall vorliegenden Aktienanleihen könne der im Rahmen der negativen Marktrendite ermittelte Verlust gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG angesetzt werden. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift bestehe zwischen der Besteuerung nach der Emissionsrendite und nach der Marktrendite ein echtes Wahlrecht. Das gelte selbst dann, wenn die Ermittlungen der Emissionsrendite durch Einholung einer Auskunft oder durch eigene Berechnungen des FA ermittelt werden könne. Es handle sich nicht um Gleitzins-Schuldverschreibungen, in Bezug auf die der BFH im Urteil vom 11.7.2006 VIII R 67/04 (BFHE 215, 86, BStBl II 2007, 553) entschieden habe, dass kein Wahlrecht zwischen Emissionsrendite und Marktrendite bestehe.
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Entgegen der Auffassung des FA handle es sich auch nicht um Termingeschäfte, sondern um eine besondere Form von festverzinslichen Wertpapieren mit einer besonderen Verfallklausel. Aufgrund ihrer Ausgestaltung würden die Papiere keine Emissionsrendite aufweisen, so dass die UBS im Rahmen der Erträgnisaufstellung zutreffend die Marktrendite zugrunde gelegt habe.
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Die Kläger beantragen sinngemäß,
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den Einkommensteuerbescheid für 2008 vom 22.12.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.5.2012 dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen um einen Verlust aus ausländischen Wertpapieren in Höhe von 29.108,52 € gemindert werden.
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Das FA beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Entgegen der Auffassung der Kläger sei die geltend gemachte negative Marktrendite nicht anzusetzen. Bei den streitgegenständlichen Papieren handle es sich um solche, die grds. eine Emissionsrendite aufweisen würden. Eine solche sei aber nicht nachgewiesen worden. Wie aus den erstmals im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen hervorgehe, handle es sich um Finanzinnovationen, die, solange die Kurse der Basiswerte während der Laufzeit die jeweilige Barriere („Kick-in-Level“) nicht berührt hätten, einen Kapitalschutz genossen hätten. Nur in dem Fall, dass einer oder mehrere Basiswerte die festgelegte Grenze berührt oder überschritten hätten, sei der Schutz entfallen, mit der Folge, dass der Kläger in diesem Fall z.B. Aktien zurückerhalten habe, deren Anzahl im Voraus festgelegt worden sei. Im Streitfall seien die erworbenen Finanzinnovationen tatsächlich auch nicht verkauft worden, sondern verfallen bzw. wertlos geworden, da der Kläger von seiner Bank Wertpapiere erhalten habe, die keinen marktüblichen Handelswert gehabt hätten. Derartige Verluste seien steuerlich nicht zu berücksichtigen. Die Verluste lägen auf der privaten Vermögensebene, da sie durch das Erreichen des Kick-In-Levels entstanden seien und der Kläger den außerbörslichen Verkauf der im Gegenzug eingebuchten Wertpapiere nicht vorgenommen habe.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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I. Der Einkommensteuerbescheid für 2008 vom 22.12.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.5.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.
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Das FA hat die geltend gemachten, nach der Marktrendite gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG ermittelten Einlösungsverluste mit Recht nicht bei den Einkünften aus Kapitalvermögen berücksichtigt.
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1. Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG in der im Streitfall anzuwendenden Fassung Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder gewährt worden ist, auch wenn die Höhe des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. c EStG in der im Streitjahr anzuwendenden Fassung umfassen die Einkünfte aus Kapitalvermögen u.a. auch die Einnahmen aus der Veräußerung oder Abtretung von Schuldverschreibungen, Schuldbuchforderungen und sonstigen Kapitalforderungen mit Zinsscheinen oder Zinsforderungen, wenn Stückzinsen nicht besonders in Rechnung gestellt werden oder bei denen die Höhe der Erträge von einem ungewissen Ereignis abhängt, soweit sie der rechnerisch auf die Besitzzeit entfallenden Emissionsrendite entsprechen. Haben die Wertpapiere und Kapitalforderungen keine Emissionsrendite oder weist der Steuerpflichtige sie nicht nach, gilt der Unterschied zwischen dem Entgelt für den Erwerb und den Einnahmen aus der Veräußerung, Abtretung oder Einlösung als Kapitalertrag (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG). Dies gilt für die Einlösung der Wertpapiere und Kapitalforderungen bei Endfälligkeit entsprechend (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 4 EStG).
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2. Die hier begehrte Besteuerung nach den erzielten Marktrenditen setzt voraus, dass die Vorschrift des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG einschlägig ist. Im Streitfall hat der Kläger die Aktienanleihen im Rahmen einer Emission zugeteilt erhalten und bis zum Ende gehalten. In einem solchen „Durchhaltefall“ ist die Regelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG (seit der Neufassung des Wortlauts des Satzes 4 im § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG durch das Steueränderungsgesetz 2001) gegenüber § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG als das speziellere Gesetz und damit als vorrangig anzusehen (gl.A. Bödecker/Geitzenauer, FR 2003, 1209, 1210; Harenberg/Irmer, die Besteuerung privater Kapitaleinkünfte, 4. Aufl., Rn. 1080 und 1081). Allerdings setzt § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG das Bestehen einer Kapitalforderung im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG voraus, so dass beide Vorschriften im Zusammenhang zu prüfen sind.
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Nach Maßgabe dieses Gesetzesverständnisses handelt es sich vorliegend zwar um eine Kapitalforderung im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, da dem Kläger ein Entgelt zugesagt war. Es liegt jedoch keine der Fallgruppen des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG vor. Entgegen der herrschenden Auffassung im Schrifttum (vgl. etwa Delp, BB 2001, 1438, 1440; Geurts in Bordewin/Brandt, EStG, § 20 EStG a.F. Rn. 351 und 602 ff.; Schumacher, DStR 2000, 1218, 1219) und entgegen der Verwaltungsauffassung (vgl. etwa die am 30.7.2010 aktualisierte Kurzinformation Einkommensteuer 3/2008 der OFD Rheinland vom 21.1.2008 unter Hinweis auf die BMF-Schreiben vom 2.3.2001 IV C 1-S 2252-56/01, BStBl I 2001, 206 und vom 25.10.2004 IV C 3-S 2256-238/04, BStBl I 2004, 1034, dort Tz. 12) fallen jedenfalls die hier maßgeblichen Aktienanleihen nach Auffassung des Senats insbesondere nicht unter die Regelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. c EStG. Die Höhe der Erträge hängt bei Aktienanleihen nicht, wie tatbestandlich vorausgesetzt, von einem ungewissen Ereignis ab. Bei der Aktienanleihe wird die Zahlung eines Kupons vielmehr gerade fest zugesagt. Einen verdeckten Zins, dessen Erfassung die Regelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG bezweckt (vgl. etwa BFH-Urteile vom 24.10.2000 VIII R 28/99, BFHE 193, 374, BStBl II 2001, 97 unter 3.c und vom 20.11.2006 VIII R 97/02, BFHE 216, 79, BStBl II 2007, 555 unter II.2.) und der sich in einem über dem Nennbetrag liegenden Rückzahlungsbetrag materialisiert, kann es bei einer Aktienanleihe ebenfalls nicht geben, da sich hierbei der Rückzahlungsbetrag maximal auf den Nennbetrag der Inhaberschuldverschreibung beläuft. Allenfalls ließe sich erwägen, ob nicht der Verlust aus der Lieferung des Basiswerts als verdeckter „Negativzins“ anzusehen sein könnte. Die Differenz wäre dann gleichsam als Ertragskorrektiv zu den – zunächst als eine Art Vorschuss anzusehenden – laufenden Kuponzahlungen anzusehen (in diesem Sinne etwa Delp, BB 2001, 1438, 1439; Haisch/Danz, BBEV 2008, 157, 159, die von einem „negativen Ertragskorrelat“ sprechen). Der Senat hält diese Erwägung im Ergebnis jedoch nicht für durchgreifend. Ein etwaiger Wertverlust ist vielmehr ausschließlich der Ebene des Kapitalstamms zuzuweisen. Bei der Aktienanleihe geht der Anleger bewusst das Risiko ein, einen Totalverlust seines Vermögens zu erleiden. Dies geschieht zwar in der Absicht, deutlich über dem Marktniveau liegende Zinsen erzielen zu können. Dieser Zusammenhang rechtfertigt es aber nicht, den etwaigen Verlust des eingesetzten Kapitals in einen negativen „Ertrag“ im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. c EStG für die Kapitalüberlassung umzuinterpretieren. Ein aus der Einlösung oder Veräußerung resultierender Verlust beeinflusst daher zwar unstreitig die Rendite der Aktienanleihe, aber eben nicht, wie tatbestandlich in der Vorschrift gefordert, den „Ertrag“.
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3. Zu keinem anderen Ergebnis kommt man aber auch dann, wenn man entgegen der hier vertretenen Auffassung die Norm des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. c EStG als einschlägig ansehen würde.
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a) In diesem Fall wäre nach dem reinen Gesetzeswortlaut eine Versteuerung nach der Marktrendite gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG vorzunehmen, da Aktienanleihen keine Emissionsrendite aufweisen, weil zum Zeitpunkt ihrer Ausgabe unklar ist, ob und wenn ja, zu welchem Kurs die Rückzahlung in Aktien oder anderen Basiswerten erfolgt.
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b) Es handelt sich auch nicht um eine sog, unechte Finanzinnovation, die zwar keine Emissionsrendite hat, bei der aber eine Trennung der Ertrags- von der Vermögensebene möglich und daher nach der Rechtsprechung des BFH eine Besteuerung nach der Marktrendite von vornherein nicht gerechtfertigt ist. Der BFH hat insoweit – über den Gesetzeswortlaut hinausgehend – die Besteuerung nach der Marktrendite eingeschränkt (vgl. etwa BFH-Urteile vom 4.12.2007 VIII R 53/05, BFHE 219, 339, BStBl II 2008, 563 unter II.2.; vom 13.12.2006 VIII R 79/03, BFHE 216, 187, BStBl II 2007, 562 unter II.2.), da wegen der damit verbundenen Einbeziehung von realisierten Wertänderungen des Stammrechts, die eigentlich der Vermögenssphäre zuzuordnen sind, der Einkünftedualismus durchbrochen wird. Der BFH sieht diese Besteuerungsform daher als Ausnahmefall an, die vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) nur dann gerechtfertigt ist, wenn angesichts der Ausgestaltung der Finanzinnovation eine untrennbare Vermischung von Vermögens- und Kapitalnutzungsebene gegeben ist. Nach der herrschenden Meinung ist bei Aktienanleihen das Kapitalnutzungsentgelt im herkömmlichen Sinne nicht eindeutig von der zu realisierenden Wertentwicklung des Kapitals abgrenzbar (vgl. etwa Haisch/Danz, BBEV 2008, 157, 159; Hagen, BB 2008, 759, 760; Henkel, GStB 2009, 445, 448; Schmidt/Wänger, NWB Beratung aktuell Nr. 17 vom 21.4.2008, 1535, 1538).
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c) Ein Ansatz der Marktrendite scheidet gleichwohl im Ergebnis deshalb aus, weil nach der Ausgestaltung der Aktienanleihen eindeutig feststeht, dass es sich bei der Differenz zwischen dem Nominalbetrag und dem Veräußerungserlös nicht um ein Entgelt für die Überlassung von Kapitalvermögen zur Nutzung, sondern um einen teilweisen Ausfall des Kapitalstamms handelt.
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Der Senat macht sich insoweit die Grundsätze zu eigen, die der BFH in seiner Entscheidung zu den Indexzertifikaten mit Garantiezusage aufgestellt hat (BFH-Urteil vom 4.12.2007 VIII R 53/05, BFHE 219, 339, BStBl II 2008, 563). In dieser Entscheidung ist der BFH, nachdem er zuvor in einem ersten Schritt die Untrennbarkeit von Kapitalnutzungsentgelt und Vermögensebene bei derartigen Zertifikaten bejaht hat, in einem zweiten Schritt davon ausgegangen, dass der Gesetzeszweck es erfordere, solche Überschüsse nicht als Kapitalertrag zu behandeln, bei denen nach der jeweiligen vertraglichen Ausgestaltung eindeutig feststehe, dass es sich auch bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht um ein Entgelt für die Überlassung von Kapitalvermögen zur Nutzung handeln könne (vgl. BFH-Urteil vom 4.12.2007 VIII R 53/05, BFHE 219, 339, BStBl II 2008, 563 unter II.2.d). Positive und negative Erträge aus der Wertentwicklung des hingegebenen Kapitals seien daher auch dann nicht als Marktrendite zu besteuern, wenn sie sich nach der Ausgestaltung der Kapitalanlage klar von einem vereinbarten Nutzungsentgelt abgrenzen lassen würden (vgl. BFH-Urteil vom 4.12.2007 VIII R 53/05, BFHE 219, 339, BStBl II 2008, 563 unter II.2.d). Diese Rechtsauffassung führte im Fall der Indexzertifikate dazu, dass der BFH den Gewinn aus der Veräußerung nur insoweit den Einkünften aus Kapitalvermögen zugeordnet hat, als der Kläger aufgrund der Garantiezusage kein Risiko eines Kapitalausfalls eingegangen ist (vgl. zu den Einzelheiten der Berechnung BFH-Urteil vom 4.12.2007 VIII R 53/05, BFHE 219, 339, BStBl II 2008, 563 unter II.2.e).
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Nach Auffassung des Senats sind die vom BFH zu den teilgarantierten Indexzertifikaten aufgestellten Grundsätze auf Aktienanleihen sinngemäß anzuwenden. Unter dem Oberbegriff der derivativen (strukturierten) Wertpapiere wird eine Vielzahl von Produkten vermarktet, die zum Teil einen vollen oder zumindest teilweisen, zum Teil aber auch keinen Kapitalschutz aufweisen. Sowohl im Segment der Aktienanleihen als auch im Segment der Indexzertifikate sind Produkte mit und ohne Kapitalschutz erhältlich. Wenn der BFH daher im Bereich der Indexanleihen eine Aufteilung anhand des Umfangs des Kapitalschutzes vornimmt, kann für Aktienanleihen nichts anderes gelten (a.A. etwa Haisch/Danz, BBEV 2008, 157, 159). Eine Abweichung ist auch nicht aufgrund der unterschiedlichen Ausgestaltung beider Produkte gerechtfertigt. Sowohl bei einem Indexzertifikat als auch bei einer Aktienanleihe setzt der Anleger, jedenfalls soweit kein Kapitalschutz vorhanden ist, seinen Kapitalstamm aufs Spiel, um in den Genuss der Nutzungsvergütung zu gelangen. Der Unterschied besteht allein darin, dass in dem einen Fall die Nutzungsvergütung offen in einen Kupon gekleidet ist, während bei den Indexanleihen der Zinsanteil verdeckt in einer etwaigen Rückzahlung, die über dem Nennwert liegt, enthalten ist.
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Im Streitfall liegt ein klar abgrenzbarer Bereich des Risikos eines Vermögensverlustes vor. Dieser erstreckt sich auf den gesamten Kapitalstamm, da die vorliegenden Produkte nicht mit einer Garantierückzahlung ausgestattet waren. Da es umgekehrt an einem risikolosen Bereich fehlt, kann auch keine (anteilige) Zuordnung der ermittelten Marktrenditen zu den Einkünften aus Kapitalvermögen in Betracht kommen.
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d) Eine Auswirkung auf die Erfassung der laufenden Erträge gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG ergibt sich aus der hier vertretenen Auffassung nicht. Bei einer Aktienanleihe beruht der hohe Kupon allerdings wirtschaftlich betrachtet nicht allein auf einer Zinskomponente. Vielmehr geht der Erwerber der Inhaberschuldverschreibung faktisch zugleich eine Position als Stillhalter einer Put-Option ein, für die er eine Stillhalterprämie erhält. Vorliegend lassen sich beide Komponenten eindeutig beziffern, da die „V-Bank“ den Kupon für Zwecke der Besteuerung in der Schweiz in einen Zinsanteil und in eine „premium component“, die der im Produkt eingerechneten Stillhalterprämie entsprechen dürfte, aufgeteilt hat. Ungeachtet dessen folgt der Senat der verschiedentlich angestellten Erwägung, den laufenden Kupon in einen Zinsanteil und eine Optionsprämie aufzuspalten (so etwa Singer, DStZ 1999, 281, 281 f.), nicht. Da die Aktienanleihe als einheitliches Produkt ausgestaltet ist, sind die geleisteten Zahlungen auch für steuerliche Zwecke in ihrer Einheit unter das Tatbestandsmerkmal des „Ertrags“ im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu subsumieren.
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Auch wenn dies zur Folge hat, dass der gesamte Kupon als Einnahme aus Kapitalvermögen zu erfassen ist, während der Verlust des Kapitalstamms ggf. nicht für Zwecke eines Verlustausgleichs herangezogen werden kann, vermag der Senat hierin keine Übermaßbesteuerung zu erkennen (a.A. etwa Hagen, BB 2008, 759, 760; Henkel, GStB 2009, 445, 448; Schmitt/Krause, DStR 2008, 82, 84). Nicht in jeder ungünstigen Steuerfolge kann bereits eine Verfassungswidrigkeit gesehen werden, zumal dann nicht, wenn sich der Anleger für ein einheitliches Finanzprodukt entscheidet, obwohl dessen Teilkomponenten bei getrennter Betrachtung eine für ihn möglicherweise günstigere Steuerfolge aufweisen würden.
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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III. Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 1 Nr. 2 FGO. Der Senat hält die Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts für geboten, da zum einen gegen das Urteil des BFH vom 4.12.2007 VIII R 53/05 (BFHE 219, 339, BStBl II 2008, 563) in der Literatur auch Kritik vorgetragen worden ist (vgl. etwa Elicker, Steuerberatung 2011, 438, Geurts, DStZ 2008, 177; ders. in Bordewin/Brand, EStG, § 20 EStG a.F. Rn. 344c; Haisch/Oberhofer, DStR 2008, 1178). Zum anderen weicht der Senat von der Rechtsprechung des FG Berlin ab, das in seiner Entscheidung vom 22.4.2004 1 K 1100/03 (EFG 2004, 1450) die Besteuerung von Aktienanleihen mit der Marktrendite als gesetzeskonform angesehen hat.