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  • 14.11.2013 · IWW-Abrufnummer 133503

    Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 08.06.2012 – 4 K 104/11

    1. Zu den Voraussetzungen an die Leichtfertigkeit einer Steuerverkürzung.

    2. Ein Antrag nach § 9a StromStG kann nicht in einen Antrag nach § 10 StromStG umgedeutet werden.


    Finanzgericht Hamburg v. 08.06.2012

    4 K 104 / 11

    Tatbestand

    Die Klägerin wendet sich gegen eine Stromsteuervergütungsrückforderung.

    Die Klägerin stellt Produkte aus Porenbeton her. Sie beantragte mit mehreren Anträgen für die Jahre 2007 bis 2009 für den in der Produktion eingesetzten Strom nach § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG eine Stromsteuerentlastung. Die Anträge beinhalteten für 2007 eine Entlastung in Höhe von ... €, für 2008 in Höhe von ... € und für 2009 in Höhe von ... €. Für die Jahre 2007 und 2008 zahlte der Beklagte die Entlastung antragsgemäß aus, für 2009 zahlte er lediglich ... € und lehnte den Antrag im Übrigen ab.

    Die Klägerin verwendete den Strom tatsächlich nicht im Sinne von § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG als sog. Wärmestrom für die Herstellung bzw. Produktion, sondern setze ihn als sog. Kraftstrom für den Betrieb von Mühlen, Rührwerken, Förderbändern sowie Dampf- und Luftaggregaten ein, so dass er - wovon die Beteiligten übereinstimmend ausgehen - nicht entlastungsfähig gewesen ist.

    Am ... 2009 wurden bei der Klägerin in ihrem Werk in A und am ... 2010 in ihrem Werk in B im Hinblick auf § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG Steueraufsichtsmaßnahmen durchgeführt. In dem Prüfbericht vom ... 2009 heißt es unter anderem: „Da nur der Stromverbrauch entlastungsfähig ist, der nachweislich (...) für die Herstellung von Erzeugnissen aus Beton entnommen wurde, ist der Stromverbrauch für Büros, Sozialräume und die Werkstatt aus der Verbrauchsmenge herauszurechnen.” Als Ergebnis wurde unter anderem festgehalten, dass eine Neuberechnung der entlastungsfähigen Verbrauchsmengen nach Feststellung der nicht entlastungsfähigen Stromverbrauchsmengen für Büros, Sozialräume und Werkstätten erforderlich sei. In dem Prüfbericht vom ... 2011 wurde festgestellt, dass die Stromsteuer nur vergütet werden könne, soweit der Strom für die Herstellung von Erzeugnissen aus Beton zum Brennen, Schmelzen, Warmhalten oder Entspannen des Erzeugnisses verwendet worden sei, keine Entlastung werde für den für Motoren und Antriebe verbrauchten Strom gewährt. Da der eingesetzte Strom als Kraftstrom eingesetzt worden sei, sei die Steuerentlastung zurückzufordern.

    Am 08.02.2011 erließ das Hauptzollamt C gegen die Klägerin einen mittlerweile bestandskräftigen Bußgeldbescheid über ... €. In Bezug auf die unberechtigte Steuerentlastung nach § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG wurde der Vorwurf gem. § 378 Abs. 1 AO mit der Entnahme von Strom für den Betrieb von Büros, Sozialräumen und Werkstätten begründet.

    Mit Bescheid vom 08.03.2011 forderte der Beklagte Stromsteuer in Höhe von insgesamt ... € (... € für 2007, ... € für 2008 und ... € für 2009) zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Steuervergütung nur für den sog. Wärmestrom, also den Strom, der zum Brennen, Schmelzen, Warmhalten oder Entspannen bei der Herstellung von Erzeugnissen aus Beton entnommen worden sei, gewährt werde. Der Strom, der durch Motoren / Antriebe verbraucht werde (sog. Kraftstrom), wie z. B. zum Antrieb von Transportbändern, Ventilatoren oder von Prozessrechnern, Steuerungen bzw. Leitständen sei nicht entlastungsfähig.

    Am 11 .04.2011 legte die Klägerin Einspruch gegen den Bescheid vom 08.03.2011 ein. Zugleich beantragte sie für die Jahre 2007 bis 2009 eine Umdeutung der Entlastungsanträge nach § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG in Entlastungsanträge nach § 10 StromStG und bat um Verrechnung des mit Bescheid vom 08.03.2011 festgesetzten Rückzahlungsbetrags mit den Entlastungsbeträgen für die Jahre 2007 bis 2009 gemäß § 10 StromStG. Am 18.04.2011 stellte sie Entlastungsanträge nach § 10 StromStG. Sie sei versehentlich davon ausgegangen, dass der bei der Herstellung von Porenbetonsteinen verbrauchte Strom nach § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG entlastungsfähig sei. Einen Entlastungsantrag nach § 10 StromStG habe sie nicht als erforderlich angesehen. Anlässlich der ersten Steueraufsichtsmaßnahme am ... 2009 sei sie durch das Hauptzollamt nicht darauf hingewiesen worden, dass die Voraussetzungen nach § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG nicht vorlägen.

    Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 19.05.2011 zurück. Die zu Unrecht geleisteten Entlastungen seien nach § 37 Abs. 3 AO zurückzufordern. Festsetzungsverjährung sei nach § 169 Abs. 2 AO noch nicht eingetreten. Die Verjährungsfrist betrage fünf Jahre. Die Anträge nach § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG könnten nicht in solche nach § 10 StromStG umgedeutet werden. Zwar handele es sich bei der Klägerin um ein Unternehmen in diesem Sinne, allerdings würden bei § 10 StromStG die Einspareffekte in der gesetzlichen Rentenversicherung bei der Festsetzung des sogenannten Höchstbetrages herangezogen. Aufgrund der differenzierten Betrachtungsweise bedürfe es einer eigenständigen Antragstellung, die aufgrund des Ablaufs der Antragsfrist nicht mehr möglich sei. Im Übrigen sei die Klägerin zum Ende der Prüfungsmaßnahmen am ... 2009 durch den zuständigen Prüfer auf mögliche Unstimmigkeiten hinsichtlich einer Stromsteuerentlastung im Rahmen bestimmter Prozesse und Verfahren hingewiesen worden.

    Mit Bescheid vom 19.04.2011 lehnte der Beklagte die am 18.04.2011 beantragte Entlastung von der Stromsteuer für die Jahre 2007 bis 2009 nach § 10 StromStG wegen Ablaufs der Antragsfrist gemäß § 18 StromStV ab. Der Antrag müsste bis zum 31. Dezember des folgenden Kalenderjahres gestellt werden. Dabei handele es sich um eine Ausschlussfrist, die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Nr. 1 AO sei abgelaufen.

    Am 04.05.2011 legte die Klägerin Einspruch gegen den Bescheid vom 19.04.2011 ein und beantragte erneut für die Jahre 2007 bis 2009 eine Umdeutung der Entlastunganträge nach § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG in Entlastungsanträge nach § 10 StromStG . Die Begründung entsprach ansonsten der des Einspruchs vom 11 .04.2011.

    Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 26.05.2011 zurück. Er legte zur Begründung dar, weshalb die Entlastungsvoraussetzungen nach § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG nicht vorgelegen hätten. Aus den bereits in der Einspruchsentscheidung vom 19.05.2011 genannten Gründen wurde der Umdeutungsantrag abgelehnt. Weiter legte er dar, dass aus denselben Gründen eine Aufrechnung nach § 226 AO zwischen dem Rückforderungsbetrag und einem möglichen Entlastungsbetrag nach § 10 StromStG nicht in Betracht komme. Schließlich führte er aus, dass auch ein Erlass nach § 227 AO ausscheide. Die Klägerin habe bereits zum Abschluss der Prüfungsmaßnahmen im ... 2009 Kenntnis von den fehlenden Voraussetzungen für eine Entlastung nach § 9a StromStG gehabt, es seien auch keine sachlichen oder persönlichen Billigkeitsgründe ersichtlich.

    Mit ihrer am 22.06.2011 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung trägt sie vor, im Rahmen der Betriebsprüfung am ... 2009 habe der Prüfer erklärt, der durch die Sandmühle und durch diverse Kranhydrauliken verursachte Stromverbrauch sei der Herstellung zuzurechnen, lediglich der Stromverbrauch für die Büros, Sozialräume und Werkstätten sei beanstandet worden. Es sei nicht beanstandet worden, dass sie den in der Produktion für Porenbeton eingesetzten Strom nicht als Prozessstrom zum Brennen, Schmelzen, Warmhalten oder Entspannen, sondern als Kraftstrom zum Antrieb von Transportbändern genutzt habe. Auch in der Anhörung durch das Hauptzollamt C vom 04.06.2010 sei der Verdacht der leichtfertigen Steuerverkürzung nur damit begründet worden, dass bei der Entlastung der Stromverbrauch für Büros, Sozialräume und Werkstätten nicht abgezogen worden sei. Der Rückforderungsbescheid vom 08.03.2011 sei rechtswidrig, weil Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Zwar seien die Voraussetzungen für eine Vergütung nach § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG nicht erfüllt, es greife jedoch die Festsetzungsfrist von einem Jahr, die auch für den letzten Entlastungsbetrag am 31.12.2010 abgelaufen sei. Eine zur Verlängerung der Festsetzungsfrist führende leichtfertige Steuerverkürzung könne ihr nicht vorgeworfen werden. Wenn schon dem Prüfer, dem der Sachverhalt am ... 2009 vollständig vor Augen geführt worden sei, nicht aufgefallen sei, dass die Voraussetzungen des § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG nicht vorgelegen hätten, spreche dies gegen ein leichtfertiges Handeln der Klägerin. Zu Recht würden daher nur der Verbrauch für Büros und Sozialräume für die Jahre 2007 bis 2009 in Höhe von geschätzt ... € sowie der nicht verjährte Rückforderungsbetrag in Höhe von ... € für das Jahr 2009 zurückgefordert. Jedenfalls hätte Stromsteuer für die Jahre 2008 und 2009 unbeschadet der Frist gemäß § 18 Abs. 1 StromStV gemäß § 10 StromStG vergütet werden müssen. Entweder sei im Hinblick auf die am 18.04.2011 gestellten Anträge nach § 10 StromStG Wiedereinsetzung zu gewähren oder die Anträge nach § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG seien in solche nach § 10 StromStG, der faktisch einen Auffangtatbestand darstelle, umzudeuten. Die Pflicht zur Umdeutung folge auch aus einem Verstoß gegen die Fürsorgepflicht gem. § 89 Abs. 1 S. 1 AO, da bei der Betriebsbegehung am ... 2009 nicht auf die Problematik hingewiesen worden sei. Hieraus resultiere ein Folgenbeseitigungsanspruch. Hilfsweise stehe ihr ein Erlassanspruch in Höhe des nach § 10 StromStG zu vergütenden Stromsteuerbetrages zu. Die Unbilligkeit ergebe sich schon aus dem Verstoß gegen die Fürsorgepflicht.

    Die Klägerin beantragt,

    1. den Rückforderungsbescheid über Stromsteuervergütung nach § 9a StromStG vom 08.03.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.05.2011 dahin zu ändern, dass der Rückforderungsbetrag auf ... € herabgesetzt wird,

    2. hilfsweise den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides über Entlastung von Stromsteuer nach § 10 StromStG vom 19.04.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.05.2011 zu verpflichten, eine Vergütung von Stromsteuer nach § 10 StromStG für das Jahr 2008 in Höhe von ... € und für das Jahr 2009 in Höhe von ... € festzusetzen,

    3. hilfsweise den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 19.04.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.05.2011 zu verpflichten, die zurückgeforderte Stromsteuervergütung in Höhe von ... € gemäß § 227 AO zu erlassen,

    4. hilfsweise den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 19.04.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.05.2011 zu verpflichten, den Erlassantrag der Klägerin nach § 227 AO unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

    Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

    Er bestreitet, dass der Prüfungsbeamte 2009 geäußert habe, dass Kraftstrom dem Herstellungsprozess im Sinne von § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG zuzuordnen sei. Vielmehr sei dieser davon ausgegangen, dass der von der Klägerin in Ansatz gebrachte Wärmestromverbrauch den tatsächlichen Gegebenheiten entspreche. Die Voraussetzungen einer leichtfertigen Steuerverkürzung seien erfüllt. Die Klägerin hätte aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung erkennen müssen, dass vorliegend eine Steuerermäßigung nur für Wärmestrom und nicht für Kraftstrom zulässig sei. Die von der Klägerin beantragte Umdeutung ihres Entlastungsantrags komme nicht in Betracht. Dagegen spreche schon, dass an eine Entlastung nach § 10 StromStG regelmäßig besondere Anforderungen gestellt würden. Es liege auch kein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht vor.

    In der mündlichen Verhandlung vom 08.06.2012 hat der Senat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen D und E. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Verhandlungsprotokoll verwiesen.

    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Sachakten des Beklagten Bezug genommen.


    Gründe

    Die Klage hat weder mit dem Hauptantrag noch mit den Hilfsanträgen Erfolg.

    I.

    Die Klage ist mit dem Hauptantrag sowie dem Hilfsantrag zu 2. zulässig, aber unbegründet. Mit den Hilfsanträgen zu 3. und 4. ist sie bereits unzulässig.

    1. Die Klage ist mit dem Hauptantrag unbegründet. Der Rückforderungsbescheid vom 08.03.2011 ist in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.05.2011 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 S. 1 FGO.

    Der Klägerin wurde eine Stromsteuervergütung gemäß § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG ohne rechtlichen Grund gezahlt, so dass gemäß § 37 Abs. 2 AO ein Rückforderungsanspruch des Beklagten besteht. Die Voraussetzungen für die von der Klägerin in Anspruch genommene Steuerentlastung nach § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG lagen nicht vor. Nach dieser Bestimmung wird auf Antrag die Steuer für nachweislich versteuerten Strom erlassen, erstattet oder vergütet, den ein Unternehmen des produzierenden Gewerbes für die Herstellung von Porenbetonerzeugnissen zum Trocknen, Brennen, Schmelzen, Erwärmen, Warmhalten, Tempern oder Sintern entnommen hat. Dabei handelt es sich um den sog. Wärmestrom, der von dem sog. Kraftstrom zu unterscheiden ist, der z. B. für den Betrieb von Motoren und Antrieben verbraucht wird. Unstreitig lagen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG für den von der Klägerin in ihren Betriebsstätten eingesetzten Strom, bei dem es sich - abgesehen von dem zum Betrieb der Büros, Sozialräume und Werkstätten benutzten Strom - ausschließlich um sog. Kraftstrom handelte, nicht vor. Für die erforderliche Prozesswärme setzte sie andere Energieträger ein. Weitere Ausführungen des Senats zur Frage der Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme der Stromsteuerentlastung bedarf es insofern nicht.

    Entgegen der Auffassung der Klägerin steht der Rückforderung, und nur darüber streiten die Beteiligten, der Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht entgegen. Da es sich vorliegend um leichtfertig verkürzte Steuern handelt, greift die Festsetzungsfrist von fünf Jahren gemäß § 169 Abs. 2 S. 2 AO und nicht die einjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Nr. 1 AO.

    Eine leichtfertige Verkürzung gemäß §§ 378 Abs. 1, 370 AO begeht, wer als Steuerpflichtiger oder bei der Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen den Finanzbehörden gegenüber über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder diese in Unkenntnis lässt und dadurch leichtfertig Steuern verkürzt.

    Unstreitig hat die Klägerin Anträge nach § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG für Stromentnahmen gestellt, ohne dass der Strom für steuerbegünstigte Zwecke entnommen worden wäre. Damit hat sie über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige Angaben gemacht und den objektiven Tatbestand einer leichtfertigen Steuerverkürzung verwirklicht, was sie selbst auch nicht bestreitet.

    Auf der subjektiven Seite ist der Klägerin leichtfertiges Verhalten vorzuwerfen. Leichtfertigkeit bedeutet einen erheblichen Grad an Fahrlässigkeit, der etwa der groben Fahrlässigkeit des bürgerlichen Rechts entspricht, aber im Gegensatz dazu auf die persönlichen Fähigkeiten des Täters abstellt (Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 169 Rn. 15). Ein derartiges Verschulden liegt vor, wenn der Täter nach den Gegebenheiten des konkreten Falls und seinen individuellen Fähigkeiten in der Lage gewesen wäre, den sich aus den konkret einschlägigen gesetzlichen Regelungen ergebenden Sorgfaltspflichten zu genügen (BFH, Urteil vom 19.12.2002, IV R 37/01). Steuerpflichtige müssen sich über die steuerlichen Pflichten informieren (BFH, Urteil vom 19.02.2009, II R 49/07). In diesem Sinne unterliegt die Leichtfertigkeit des klägerischen Verhaltens keinem wirklichen Zweifel. Dies schon deshalb, weil sich bereits aus der Vorschrift des § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG unmissverständlich ergibt, für welche Zwecke der Strom entnommen werden muss, um die Voraussetzungen für die Steuerbegünstigung zu erfüllen. Die einzelnen Herstellungsschritte, für die die Begünstigung gilt, sind, wie sich aus dem Wortlaut eindeutig ergibt, enumerativ und nicht beispielhaft aufgelistet. Die Norm ist hinreichend klar gefasst, auch für den technischen und juristischen Laien ist ohne weiteres erkennbar, dass der Strom zum Trocknen, Brennen etc. von Produkten bzw. Erzeugnissen entnommen worden sein muss und eben nicht z. B. für den Betrieb eines Motors. Über diese rechtlichen Voraussetzungen hat sich die Klägerin entgegen ihrer Rechtspflicht offensichtlich nicht hinreichend informiert. Dieses Versäumnis relativiert sich auch nicht durch die Hinweise der Klägerin auf das Ergebnis der Betriebsprüfung im Jahre 2009, die Dauer des behördlichen Verfahrens sowie das Bußgeldverfahren. Richtig ist, dass anlässlich der speziell im Hinblick auf § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG durchgeführten Betriebsprüfung ausweislich des Prüfberichts vom ... 2009 lediglich der Stromverbrauch für Büros, Sozialräume und die Werkstatt moniert worden ist. Zwar hat der Prüfer offenbar die Entnahme durch die Klägerin in der Betriebsstätte in A rechtlich fehlerhaft als Entnahme zu steuerbegünstigten Zwecken nach § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG gewertet. Dafür spricht auch das Ergebnis der Beweisaufnahme, in der beide Zeugen ausgesagt haben, dass nach den Erklärungen des Prüfungsbeamten von produktionsbedingten Stromverbräuchen ausgegangen wurde. Doch lässt sich aus diesem Rechtsirrtum eines Zollbeamten und auch aus dem Umstand, dass die Betriebsprüfung in einem anderen Werk erst ein Jahr später stattfand und der Bescheid erst drei Monate nach der zweiten Prüfung erging, nicht schließen, dass die Rechtslage in einer Weise unklar oder schwierig ist, dass ihre Missachtung nicht als leichtfertig angesehen werden könnte. Dass sich auch Zollbeamte irren können, ändert nichts daran, dass die Rechtslage eigentlich von der Klägerin bei hinreichender Beachtung ihrer Informationspflicht unproblematisch hätte erfasst werden können. Nichts anderes ergibt sich vor dem Hintergrund des Bußgeldbescheides vom 08.02.2011. Auch, wenn dieser maßgeblich darauf abstellt, dass für die Klägerin erkennbar war, dass eine Entlastung nicht für den Stromverbrauch für Büros, Sozialräume und Werkstätten in Betracht kommt, lässt sich dem nicht entnehmen, dass eine Begrenzung der Begünstigung nur auf den sog. Wärmestrom von der Klägerin nicht hätte erkannt werden können.

    Schließlich kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, sie habe anlässlich der Betriebsbesichtigung im ... 2009 eine Falschauskunft seitens des prüfenden Zollbeamten erhalten. Unabhängig von der Frage, welche rechtlichen Folgen eine derartige Auskunft hätte und was genau von wem im Rahmen der Betriebsbegehung geäußert wurde, erfolgten diese Erklärungen erst, nachdem die Anträge für 2007 und 2008 bereits vollständig - leichtfertig - gestellt waren. Nach der Auflistung der Klägerin in der Klageschrift hat sie den letzten Antrag für 2008 am 28.01.2009 gestellt, so dass etwaige Erklärungen des Beamten im ... 2009 den Vorwurf der Leichtfertigkeit bei Antragstellung nicht entkräften können und in den für die Frage der Festsetzungsverjährung allein erheblichen Jahren 2007 und 2008 keine Rolle gespielt haben können.

    Die nach alledem geltende Festsetzungsfrist von fünf Jahren war mit Erlass des Rückforderungsbescheides vom 08.03.2011, der Steuerentlastungen in den Jahren 2007 bis 2009 betraf, ersichtlich nicht abgelaufen.

    2. Der Hilfsantrag, mit dem die Klägerin die Verpflichtung des Beklagten begehrt, eine Stromsteuervergütung nach § 10 StromStG festzusetzen, kann ebenfalls keinen Erfolg haben.

    Der am 18.04.2011 von der Klägerin gestellte Antrag nach § 10 StromStG ist ersichtlich außerhalb der Frist des § 18 Abs. 1 StromStV gestellt worden. Danach wird die Steuerentlastung nur gewährt, wenn der Antrag spätestens bis zum 31. Dezember des Jahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem der Strom entnommen worden ist, beim Hauptzollamt gestellt wird. Selbst für das Jahr 2009 wäre die Frist am 31.12.2010 abgelaufen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 Abs. 1 AO im Hinblick auf die Antragsfrist des § 18 Abs. 1 StromStV kommt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, der der Senat folgt, nicht in Betracht (BFH, Urteil vom 24.01.2008, VII R 3/07). Außerdem hätte die versäumte Handlung - hier die Stellung des Antrags nach § 10 StromStG - innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses nachgeholt werden müssen, § 110 Abs. 2 AO. Spätestens mit Erhalt des Rückforderungsbescheides vom 08.03.2011 wusste die Klägerin um die Notwendigkeit, noch einen Antrag nach § 10 StromStG zu stellen. Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt der Bescheid am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als zugegangen. Dann erfolgte die Antragstellung am 18.04.2011 außerhalb der Monatsfrist.

    Die von der Klägerin innerhalb der Frist des § 18 Abs. 1 StromStV gestellten Anträge gem. § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG können nicht in solche gem. § 10 StromStG umgedeutet werden. Willenserklärungen sind auch in steuerlichen Verfahren auslegungsfähig, so dass eine Umdeutung von Anträgen im Wege der Auslegung grundsätzlich möglich ist. Abzustellen ist auf den Empfängerhorizont. Weiter ist vorauszusetzen, dass die abgegebene Willenserklärung auslegungsbedürftig ist und einen der Auslegung - hier im Sinne der Klägerin - zugänglichen Erklärungsinhalt hat. Dies ist indes nicht der Fall. Die Anträge nach § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG haben einen eindeutigen Erklärungsinhalt, der der von der Klägerin begehrten Auslegung entgegensteht. Anträge nach § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG mussten nach der bis zum 29.09.2011 geltenden Fassung der Stromsteuerverordnung im Gegensatz zu solchen nach § 10 StromStG auf einem speziellen dafür vorgesehenen amtlich vorgeschriebenen Vordruck gestellt werden (§ 17a und § 18 StromStV). Entscheidend sind insbesondere die unterschiedlichen Voraussetzungen für die Begünstigungen, die entsprechende Angaben des Antragstellers voraussetzen. Dies ergibt sich schon aus den unterschiedlichen Voraussetzungen, die das StromStG für die verschiedenen Anträge jeweils stellt und zu denen entsprechende Angaben gemacht werden müssen. § 18 Abs. 4 StromStV verlangt für den Antrag nach § 10 StromStG u. a. eine Berechnung der zu vergleichenden Arbeitgeberanteile unter Angabe der jeweiligen Berechnungsgrundlage. Diese Angaben sind für eine wirksame Antragstellung nach § 10 StromStG erforderlich und wurden, weil sie für Anträge nach § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG gerade nicht erforderlich sind, von der Klägerin auch nicht gemacht. Aufgrund dieser erheblichen Unterschiede der Anträge sowohl was deren Form und Inhalt, als auch was den erforderlichen zollbehördlichen Prüfungsumfang betrifft, können die in den Jahren 2007 bis 2009 von der Klägerin gestellten Anträge nicht in solche nach § 10 StromStG umgedeutet werden.

    3. Der auf Verpflichtung zum Erlass der Rückforderung gerichtete weitere Hilfsantrag ist bereits unzulässig.

    Nach der Aktenlage hat die Klägerin keinen Erlassantrag gestellt. Gleichwohl hat der Beklagte in seiner Einspruchsentscheidung vom 26.05.2011 - was rechtlich ohne weiteres zulässig ist - geprüft, inwieweit ein Erlass nach § 227 AO in Betracht kommt. Billigkeitsmaßnahmen nach § 227 AO können ohne Antrag ergehen. Im Falle einer begünstigenden Entscheidung ist das Unterlassen der Anhörung des Steuerpflichtigen unschädlich. Im Falle einer belastenden Entscheidung - wie sie die Versagung des Erlasses darstellt - bedarf es jedoch insbesondere dann, wenn kein Antrag gestellt worden ist, zwingend einer Anhörung des Steuerpflichtigen. Nur wenn ihm die Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wird, ist er in der Lage, zu den Erlassvoraussetzungen vorzutragen. Ausdrücklich bestimmt § 367 Abs. 2 S. 2 AO, dass der mit dem Einspruch angefochtene Verwaltungsakt zum Nachteil des Einspruchsführers geändert werden kann, wenn dieser auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung unter Angabe von Gründen hingewiesen und ihm Gelegenheit gegeben worden ist, sich hierzu zu äußern. Entsprechend setzt die erstmalige Versagung eines Erlasses in der Einspruchsentscheidung insbesondere dann, wenn kein Erlassantrag gestellt worden ist, voraus, dass dem Steuerpflichtigen Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden ist. Andernfalls hat er keinerlei Möglichkeit und Anlass, die Voraussetzungen für einen Erlass darzulegen. Ihm wird auch nicht nur das Anhörungsrecht genommen, sondern auch die Möglichkeit, eine Verwaltungsentscheidung im Einspruchsverfahren überprüfen zu lassen, da ein Einspruch gegen eine Einspruchsentscheidung nicht statthaft ist.

    Vor diesem Hintergrund geht der Senat davon aus, dass die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung zum Erlass nicht als förmliche, im Klagewege der Überprüfung zugängliche Entscheidung über den Erlassanspruch, sondern lediglich als unverbindlicher Hinweis auf die Rechtslage verstanden werden müssen. Hierfür spricht im Übrigen auch der Tenor der Einspruchsentscheidung, mit dem der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen wurde. Eine Entscheidung über einen Erlassantrag ergibt sich daraus nicht.

    Der Klägerin ist es unbenommen, nunmehr erstmalig einen - nicht fristgebundenen - Erlassantrag zu erstellen.

    4. Aus den unter 3. genannten Gründen ist auch eine auf Neubescheidung eines Erlassantrags gerichtete Klage unzulässig.

    II.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.

    RechtsgebieteStromStG, AOVorschriftenStromStG § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG § 10 AO § 169 AO § 378 AO § 370 StromStV § 17a StromStV § 18