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  • 12.12.2013 · IWW-Abrufnummer 133915

    Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 08.08.2013 – 1 RVs 58/13

    1. Die nach §§ 100a, 100b StPO gewonnenen Überwachungsergebnisse dürfen in dem Verfahren gegen den Beschuldigten und alle Tatbeteiligten – auch bei Begünstigung, Hehlerei und Strafvereitelung – verwertet werden. Es liegen insoweit keine Zufallser-kenntnisse vor.

    2. Kommen nach den vorgetragenen Tatsachen mehrere Verfahrensmängel in Betracht, ist vom Beschwerdeführer. darzutun, welcher Verfahrensmangel geltend gemacht wird, um somit die Angriffsrichtung der Rüge deutlich zu machen. Im Falle Rüge der Verletzung der §§ 100a, 100b StPO haben die Rüge, es handele sich um nicht verwertbare Zufallserkenntnisse und die Rüge, die Beschlüsse des Ermittlungsrichters nach §§ 100a, 100b StPO hätten nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt, unterschiedliche Angriffsrichtungen.


    Oberlandesgericht Hamm

    1 RVs 58/13

    Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

    Im Umfang der Aufhebung wird die die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.

    Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

    Gründe

    I.

    Das Amtsgericht Dortmund hat den Angeklagten mit Urteil vom 07.09.2010 wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in 24 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 400 Tagessätzen zu je 30,00 EUR verurteilt. Gegen dieses Urteil haben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft Dortmund form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Mit Urteil vom 14.02.2013 hat das Landgericht Dortmund die Berufung des Angeklagten verworfen und ihn auf Berufung der Staatsanwaltschaft Dortmund nach erfolgter Beschränkung gem. § 154 StPO wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in 23 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Gegen dieses ihm auf Anordnung des Vorsitzenden vom 19.03.2013 am 18.04.2013 zugestellte Urteil hat der Angeklagte mit bei dem Landgericht Dortmund am 19.02.2013 eingegangenem Schreiben seines Verteidigers vom 15.02.2013 Revision eingelegt und diese mit bei dem Landgericht Dortmund am 29.04.2013 eingegangenem Schreiben vom 24.04.2013 mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet.

    II.

    Die zulässige Revision des Angeklagten hat teilweise Erfolg.

    1.

    Die Strafzumessungserwägungen im angefochtenen Urteil halten rechtlicher Überprüfung nicht Stand. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in Ihrer Antragsschrift insoweit zutreffend ausgeführt:

    „Der Strafausspruch kann keinen Bestand haben, weil das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung einen bestimmenden Strafmilderungsgrund nicht – zumindest nicht erkennbar – berücksichtigt hat. Zwar hat es zugunsten des Angeklagten „nicht unberücksichtigt“ gelassen, dass die Taten bereits „längere Zeit zurückliegen“. Mit dieser eher formelhaft wirkenden Erwägung hätte es aber nicht sein Bewenden haben dürfen. Denn damit verkennt die Kammer, dass nicht nur der Zeitablauf seit der Tat sondern auch eine lange Verfahrensdauer ein bestimmender Strafzumessungsgrund im Sinne des § 267

    Abs. 3 S. 1 StPO ist (vgl. Fischer, StGB, 60. Auflg., § 46 Rdn. 61). Die sich aus den Urteilsfeststellungen ergebenden Zeitangaben – Taten zwischen

    dem 01.07.2004 und 11.01.2005 (Bl. 325 ff Bd. II d.A.), erstinstanzliches Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 07.09.2010, Berufungsurteil (erst) vom 14.02.2013 – hätten die Strafkammer zu einer Erörterung des naheliegenden Strafmilderungsgrundes einer überlangen Verfahrensdauer veranlassen müssen. Dies gilt umso mehr, als eine solche in der Regel selbst dann strafmildernd wirkt, wenn sie – was vorliegend eher fern liegen dürfte – sachlich begründet gewesen sein sollte (Fischer, a.a.O.).“

    Diesen Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an und weist darauf hin, dass der – vom Senat von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmende – Strafbefehl aus April 2009 stammt.

    Einer Prüfung, ob auch die Nichterörterung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung allein auf die Sachrüge hin hier zum Erfolg geführt hätte, bedarf es nicht. Der o.g. Rechtsfehler führt bereits zur Aufhebung im Rechtsfolgenausspruch insgesamt und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts Dortmund (§§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 StPO) und gibt dem neuen Tatrichter auch die Möglichkeit, ggf. das Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zu prüfen und eine entsprechende Feststellungs- oder Kompensationsentscheidung zu treffen. Der neue Tatrichter wird dann auch erneut zu prüfen haben, ob ein minder schwerer Fall nach § 374 Abs. 2 S. 2 AO in der ab dem 01.08.2008 gültigen Fassung (§ 2 Abs. 3 StGB) gegeben ist.

    2.

    In Übrigen weist das Urteil keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

    a) Die erhobene Rüge der Verletzung der §§ 100a, 100b, 261 StPO genügt bereits nicht den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 StPO.

    aa) Im Rahmen einer Verfahrensrüge muss der Revisionsführer alle Tatsachen, die den behaupteten Verfahrensfehler begründen, so vollständig und genau vortragen, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Revisionsbegründung prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, sollten die behaupteten Tatsachen zutreffen (Wiedner in: Graf, StPO, 2. Aufl., § 344 Rdn. 37). Das ist hier nicht geschehen. Die Revisionsbegründung nimmt an mehreren Stellen auf den Akteninhalt Bl. 24-35 Bd. I d.A. sowie an einer Stelle auf den Akteninhalt Bl. 1-20 d.A. Bezug. Der Inhalt dieser Aktenteile wird nicht näher wiedergegeben. Es wird lediglich mitgeteilt, dass es sich um „TKÜ-Ausdrucke“ bzw. um ein „Wortprotokoll“ handele. Ohne Mitteilung des näheren Inhalts dieser in Bezug genommenen Aktenbestandteile kann der Senat aber nicht prüfen, inwieweit deren Inhalte mit den von dem Revisionsführer in Bezug genommenen TKÜ-Beschlüssen des AG Görlitz überhaupt in Zusammenhang stehen. Im angefochtenen Urteil werden jedenfalls Erkenntnisse aus dem TKÜ-Sonderband wiedergegeben, nicht erkennbar aber auch solche aus den o.g. Fundstellen (UA S. 11 ff.). Dass das Landgericht sich im angefochtenen Urteil nicht näher mit der Verwertbarkeit der Erkenntnisse aus der Telekommunikations-Überwachung auseinandergesetzt hat, ist unschädlich. Dies gebietet § 267 StPO nicht (BGH, Beschl. v. 07.03.2006 – 1 StR 316/05).

    bb) Die Rüge ist aber auch unbegründet. Die Überwachungsergebnisse dürfen in dem Verfahren gegen den Beschuldigten und alle Tatbeteiligten – auch bei Begünstigung, Hehlerei und Strafvereitelung – verwertet werden (Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 100a Rdn. 30). Es liegen insoweit nämlich keine Zufallserkenntnisse vor (vgl. auch: Graf in: Graf, StPO, 2. Aufl., § 100a Rdn. 54; Allgayer NStZ 2006, 603, 604; Wolter in: Gedächtnisschrift für A. Kaufmann, 1989, S. 761, 766). Der Gesetzgeber hat bei Schaffung des § 477 Abs. 2 S. 2 StPO, der die Verwertbarkeit von Zufallsfunden regelt, klargestellt:

    „In rechtmäßiger Weise erlangte Erkenntnisse sind im Ausgangsverfahren

    – sowohl als Spurenansatz als auch zu Beweiszwecken – sowohl hinsichtlich anderer Begehungsformen der zunächst angenommenen Katalogtat als auch hinsichtlich sonstiger Straftatbestände und anderer Tatbeteiligten insoweit verwertbar, als es sich noch um dieselbe Tat im prozessualen Sinn handelt“ (BT-Drs. 16/5846, S. 66; vgl. auch BGH NJW 2009, 791).

    Die gewinnbringende Weiterveräußerung durch die dortigen Beschuldigten war aber bereits Gegenstand der Tatschilderung im Beschluss des AG Görlitz vom 18.05.2004 (8 Gs 729/04). Der Angeklagte als Aufkäufer der in das Bundesgebiet eingeschmug-

    gelten Zigaretten ist damit nur ein weiterer Tatbeteiligter innerhalb der von den Beschlüssen nach §§ 100a, 100b StPO erfassten prozessualen Tat. Es kommt damit auch nicht darauf an, dass die Verurteilung nicht wegen der seinerzeit angenommenen Katalogtat des § 129 StGB erfolgte.

    cc) Soweit der Angeklagte nunmehr in seiner Gegenerklärung auf die Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft Hamm ausführt, dass es nicht darauf ankomme, ob es sich um Zufallsfunde handele, weil die Beschlüsse des AG Görlitz nicht den gesetzlichen Anforderungen genügten, ist diese Rüge nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist angebracht worden. Kommen nach den vorgetragenen Tatsachen mehrere Verfahrensmängel in Betracht, ist vom Beschwerdeführer. darzutun, welcher Verfahrensmangel geltend gemacht wird, um somit die Angriffsrichtung der Rüge deutlich zu machen. Die Angriffsrichtung bestimmt den Prüfungsumfang seitens des Revisionsgerichts (BGH NStZ 2007, 161, 162; BGH NStZ 2008, 229, 230; Wiedner in: Graf, StPO, 2. Aufl., § 344 Rdn. 40). Die ursprüngliche Revisionsbegründung zielte indes allein darauf, dass die Beschlüsse des AG Görlitz nicht gegen den Angeklagten (und anfänglich auch nicht gegen den Zeugen C) richteten und es sich deshalb um Zufallsfunde handele.

    b) Auch die Sachrüge zeigt keine (weiteren) durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

    RechtsgebietStPOVorschriftenStPO §§ 100a, 100b, 477 Abs. 2 S. 2; StPO § 344 Abs. 2 S. 2