16.04.2014 · IWW-Abrufnummer 141143
Finanzgericht Münster: Urteil vom 10.12.2013 – 2 K 4490/12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster
2 K 4490/12
Tenor:
Der Haftungsbetrag wird unter Änderung des Haftungsbescheides vom 18.04.2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.11.2012 auf xxx € herabgesetzt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 81,5 % und der Beklagte zu 18,5 %.
T a t b e s t a n d
Zu entscheiden ist, ob eine GmbH gem. § 70 Abgabenordnung (AO) in Haftung genommen werden kann.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter der B GmbH (GmbH), über deren Vermögen das Amtsgericht F mit Beschluss vom 00.00.2012 das Insolvenzverfahren unter dem Aktenzeichen 000 IN 00/12 eröffnet hat. Gesellschafter der mit Vertrag vom 00.00.2002 gegründeten GmbH waren zunächst Herr N P (1.250 EUR) und Herr T E (23.750 EUR). Bei Aufnahme der Tätigkeit übertrug Herr N P seine Anteile auf Herrn T E . Dieser wurde mit Gründung der GmbH zu deren Geschäftsführer bestellt. Daneben war Herr N P faktischer Geschäftsführer der GmbH (vgl. Vermerk „Faktischer Geschäftsführereigenschaft N P bei B GmbH“, Anlage 8 zum steuerlichen Bericht …). Seit dem 14.04.2009 ist Herr N P alleiniger Geschäftsführer der GmbH. Gleichzeitig wurde die von Herrn N P beherrschte C GmbH Gesellschafterin der GmbH.
Der Beklagte nahm die GmbH mit Haftungsbescheid vom 18.04.2011 wegen Steuerverbindlichkeiten ihres Kunden Herr B Q i.H.v. xxx EUR (Einkommen- und Umsatzsteuer 2003 bis 2007 nebst Zinsen) nach § 70 AO in Anspruch. Der Beklagte meldete die noch rückständigen Steuerschulden des Herrn B Q bei der GmbH zur Insolvenztabelle an. Der Kläger bestritt diese Forderungen im Prüfungstermin am 05.06.2012. Er nahm das von der GmbH anhängig gemachte Einspruchsverfahren mit Schreiben vom 10.10.2012 auf. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 21.11.2012 als unbegründet zurück. Aufgrund von Drittzahlungen meldete der Beklagte nur noch Ansprüche i.H.v. xxx EUR zur Tabelle an.
Diesen Bescheiden liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Herr B Q betrieb in der Zeit von 2003 bis 2010 einen Dönerimbiss in D und von Ende 2005 bis 2009 einen Grill in S. Betriebsübernehmerinnen waren Frau I und Frau A Q . Herr B Q wurde in den Jahren 2003 bis 2007 von der GmbH beliefert. Nach dem Ergebnis einer bei ihm und der GmbH durchgeführten Steuerfahndung der Finanzämter für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N und J ermöglichten die Geschäftsführer der GmbH, die Herren T E und N P , Herrn B Q durch sogenanntes Rechnungssplitting nur einen Teil der tatsächlich getätigten Wareneinkäufe und damit auch die daraus erzielten Erlöse in seiner Buchführung und den Steuererklärungen anzugeben. Die gegenüber Herrn B Q nachträglich festgesetzten verkürzten Steuern beruhen zum Teil auf einer tatsächlichen Verständigung vom 03.11.2010 (2003 bis 2005) und zum Teil auf berichtigten Steuererklärungen (vgl. steuerliche und strafrechtliche Berichte vom 03.11.2010). Das Vorliegen einer Steuerhinterziehung des Herrn B Q ist insoweit unstreitig. Herr T E und Herr N P wurden nach vollumfänglichen Geständnissen u.a. wegen Beihilfe zu dieser Steuerhinterziehung mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts F vom 00.00.2011 (Az. …) zu jeweils vier Jahren Haft verurteilt. Herr B Q ist zahlungsunfähig. Das Insolvenzverfahren über sein Vermögen wurde am 00.00.2011 beim Amtsgericht N unter dem Az. 00 IK 00/11 eröffnet und mit Beschluss vom 00.00.2012 aufgehoben. Die Betriebsübernehmerinnen des Herrn B Q und die Geschäftsführer der GmbH, die Herren T E und N P , nahm der Beklagte jeweils mit auf § 75 und § 71 AO gestützten Haftungsbescheiden in Anspruch.
Der Beklagte führte in seinem Haftungsbescheid vom 18.04.2011 und in seiner Einspruchsentscheidung vom 21.11.2012 sinngemäß aus, dass auch die GmbH gem. § 70 Abs. 1 und 2 AO für die Steuerschulden des Herrn B Q hafte, weil ihr Geschäftsführer T E Herrn B Q vorsätzlich Beihilfe zu dessen vorsätzlicher Steuerverkürzung geleistet habe. Dies ergebe sich aus den rechtskräftigen Urteilen des Landgerichts F mit den Az. … bzw. … . Im übrigen ergebe sich der - unstreitige - Sachverhalt aus den in der Haftungsakte dokumentierten Feststellungen der Steuerfahndung und insbesondere aus dem der Einspruchsentscheidung beigefügten Vermerk vom 06.10.2009.
Mit der hiergegen erhobenen Klage macht der Kläger zunächst geltend, dass die Vorschrift des § 70 AO, die auf § 153 VereinsZollG und anderen ebenfalls vor 1919 bestehenden Haftungsvorschriften der damaligen Tabak-, Zigaretten- und Weinsteuergesetze beruhe, im Streitfall nicht einschlägig sei. Nach Sinn und Zweck des § 70 AO solle verhindert werden, dass durch Steuerhinterziehungen und leichtfertige Steuerverkürzungen der gesetzlichen Vertreter, der Vermögensverwalter und der Verfügungsberechtigten Steuerausfälle eintreten, weil die hinterzogenen oder leichtfertig verkürzten Beträge bei diesen nicht realisiert werden könnten. Dem liege der Gedanke zugrunde, dass den Vertretenen nicht nur die Vorteile der Vertretung durch Dritte zu Gute kommen sollten, sondern dass sie auch die Nachteile des Tuns dieser Personen zu tragen hätten. Zur Begründung verweist er auf die Kommentierung von Loose in Tipke/Kruse AO/FGO § 70 AO Tz. 1. Vorliegend sei die Haftung der GmbH aber auch gem. § 70 Abs. 2 Satz 1 AO ausgeschlossen, weil diese selbst keinen Vorteil durch die Taten der früheren Geschäftsführer gehabt habe. Die Vorteile seien ausschließlich auf der Ebene ihrer Kunden eingetreten. Aus Gleichheitsgründen sei die Vorschrift des § 70 Abs. 2 Satz 1 AO nicht nur auf natürliche, sondern auch auf juristische Personen anwendbar. Soweit der Beklagte meine, im Rahmen des § 70 Abs. 2 Satz 1 AO gen üge ein mittelbarer Vorteil, der darin bestehe, dass durch das betriebene Modell der Abrechnung die Kunden, deren Steuern verkürzt wurden, keinen Anlass gehabt hätten, den Lieferanten zu wechseln, sei der Vermögensvorteil nicht substantiiert dargelegt und berechnet worden. Ein Haftungsausschluss ergebe sich jedenfalls aus der Vorschrift des § 70 Abs. 2 Satz 2 AO. Denn entgegen der Auffassung des Beklagten hätten die Gesellschafter, Herr T E und Herr N P , sich ordnungsgemäß bestellt und überwacht. Sie hätten als Gesellschafter das Recht gehabt, sich zu Geschäftsführern zu bestellen. Darin liege eine ordnungsgemäße Auswahlentscheidung. Sie hätten sich darüber hinaus in ihrer Funktion als Gesellschafter und Geschäftsführer auch überwacht.
Soweit der Beklagte die GmbH wegen Zinsen in Haftung genommen habe, sei der Haftungsbescheid in jedem Fall rechtswidrig. Nach dem Wortlaut des § 70 Abs. 1 AO umfasse eine Haftung nach dieser Vorschrift nur Steuern.
Der Kläger beantragt,
den Haftungsbescheid vom 18.04.2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.11.2012 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung. An der Inanspruchnahme wegen Zinsen halte er nicht weiter fest. Die Haftungssumme verringere sich damit auf xxx EUR. Entgegen der Auffassung des Klägers liege im Streitfall kein Haftungsausschluss gem. § 70 Abs. 2 AO vor. Das FG Münster habe mit Beschlüssen vom 29.11.2011, Az. 2 V 2463/11 und vom 27.12.2010, Az. 2 V 785/10 die Auffassung vertreten, jede Verbesserung der Vermögenslage, also auch sonstige wirtschaftliche Vorteile, sofern sie unmittelbar durch die Tat des Vertreters erreicht worden seien, könne ein Vermögensvorteil i.S.v. § 70 Abs. 2 AO sein. Es bedürfe keines bezifferbaren finanziellen Vorteils in der Form von Steuern. Vorliegend könne ausreichen, dass die Art der Rechnungserteilung die Geschäftsbeziehungen zu den Kunden gesichert habe. Kunden, die die Steuern hätten verkürzen wollen, hätten keinen Anlass gehabt, den Lieferanten zu wechseln.
Ob die GmbH einen Vermögensvorteil erlangt habe, könne aber auch dahinstehen. Denn für die GmbH gelte § 70 Abs. 2 Satz 2 AO. Hiernach könne sich die vertretene GmbH zwar bei sorgfältiger Auswahl und Beaufsichtigung ihrer Vertreter entlasten. In Fällen, in denen - wie im Streitfall Herr T E - nicht nur als Geschäftsführer, sondern auch als Gesellschafter der GmbH gehandelt habe, komme eine Exkulpation nach § 70 Abs. 2 Satz 2 AO nicht in Betracht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtsvortrags der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze und auf die Haftungsakten des Beklagten verwiesen. Die Gerichtsakten 2 V 785/10 und 2 V 2463/11 sind beigezogen worden. Auf die den Beteiligten bekannten Aussetzungsbeschlüsse vom 27.12.2010 und vom 29.11.2011 wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gem. § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist nur teilweise begründet.
Soweit der Beklagte Zinsforderungen mit seinem Haftungsbescheid vom 18.04.2011 geltend gemacht hat, ist der Bescheid rechtswidrig und verletzt den Kläger bzw. die GmbH in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Dem hat der Beklagte insoweit Rechnung getragen, als nur noch xxx EUR zur Tabelle angemeldet werden. An der Einbeziehung der Zinsen hält er zu Recht nicht mehr fest. Im übrigen ist die Klage unbegründet.
Nach § 191 Abs. 1 AO kann derjenige, der kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner) durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners ist zweigliedrig. Das Finanzgericht muss zunächst prüfen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Haftungsvorschrift vorliegen. Denn dies ist eine im vollen Umfang überprüfbare Rechtsentscheidung. Auf der zweiten Stufe ist die Ausübung des Ermessens, insbesondere des Entschließungs- und Auswahlermessens gem. § 102 FGO zu prüfen. Das Entschließungsermessen ist bei besonders schwerer Schuld des Haftenden, insbesondere bei Erlass eines Haftungsbescheides wegen Steuerhinterziehung, vorgeprägt. Gleiches gilt, wenn eine anderweitige Realisierung des Steueranspruchs nicht möglich ist. Besondere Ermessenserwägungen sind in diesen Fällen daher nicht erforderlich. Bei Ausübung des Auswahlermessens kann die Haftungsinanspruchnahme mehrerer Personen nebeneinander ermessensgerecht sein, insbesondere wenn zu befürchten ist, dass einer allein nicht in vollem Umfang zahlen kann. Dies gilt auch dann, wenn ein Mithaftender die unmittelbare Verantwortung und/oder die größere Schuld trägt (vgl. Klein AO 11. Aufl. 2012 § 191 Rz. 30ff, 35ff, 58ff m.w.N.).
Der Senat hält die Haftungsnorm des § 70 AO im Streitfall für anwendbar.
Der Auffassung der Klägerin, § 70 AO erfasse nur besondere Konstellationen (z. B. im Zollrecht, Verbrauchsteuerrecht), in denen für die GmbH keine Steuerschuld entstehe, kann nicht gefolgt werden. Zwar wurde § 70 AO insbesondere für bestimmte Fälle des Zoll- und Verbrauchssteuerrechts geschaffen (vgl. BFH-Urteil vom 30.08.1994 VII R 101/92, BStBl II 1995, 278; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler (HHS) AO/FGO § 70 AO Rdnr. 7; BT-Drucks. VI/1982, 119). Eine Beschränkung auf diese Fälle oder auf Abzugssteuern sieht die Vorschrift aber weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Zweck vor (so auch FG Düsseldorf, Urteil vom 18.02.2010 8 K 4290/06 H, EFG 2010, 998). Die Haftung wird auch nicht durch spezialgesetzliche Regelungen verdrängt. Denn insbesondere im Fall der Steuerhinterziehung kann eine Haftung nach § 70 AO in Betracht kommen, da sich in diesen Fällen die Festsetzungsfrist gem. § 191 Abs. 3 Satz 2 AO auf 10 Jahre verlängert (vgl. Boeker in HHS aaO § 70 AO Rdnr. Tz. 10).
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 70 AO sind erfüllt.
Nach § 70 AO haften die Vertretenen, soweit sie nicht Steuerschuldner sind, für die durch eine Steuerhinterziehung verkürzten Steuern, wenn die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen bei Ausübung ihrer Obliegenheiten eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung begehen oder an einer Steuerhinterziehung teilnehmen und hierdurch Steuerschuldner oder Haftende werden. Dadurch soll verhindert werden, dass Steuerausfälle dadurch eintreten, dass hinterzogene oder leichtfertigt verkürzte Beträge von dem Steuerschuldner oder den in § 70 AO genannten Vertretern nicht hereingeholt werden können. § 70 AO ist deshalb in allen Fällen anwendbar, in denen die genannten Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, sei es bei der Umsatzsteuer oder auch bei der Einkommensteuer (vgl. FG Düsseldorf Urteil vom 18.02.2010 8 K 4290/06 H aaO).
Vorliegend sind durch eine von Herrn B Q begangene Steuerhinterziehung Umsatzsteuern und Einkommensteuern der Jahre 2003 bis 2007 verkürzt worden. Durch seine Handlungen war sowohl der objektive, als auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO in dem in der tatsächlichen Verständigung und den Steuerberichtigungen angegebenen Umfang erfüllt. Herr B Q hatte diese Umsätze bewusst und gewollt nicht vollständig erklärt bzw. zu niedrig angegeben.
Es steht auch zur Überzeugung des Senates fest, dass Herr T E als bestellter und Herr N P als faktischer Gesch äftsführer zu dieser Steuerhinterziehung vorsätzlich Beihilfe geleistet haben. Sie wurden u.a. deshalb nach vollumfänglichen Geständnissen vom Landgericht F wegen vorsätzlicher Beihilfe zur Steuerverkürzung rechtskräftig zu jeweils vier Jahren Haft verurteilt. Für eine Beihilfehandlung der beiden Geschäftsführer spricht zudem die Art, in der die von ihren beiden Geschäftsführern gesteuerte GmbH Rechnungen erstellte. Wegen der Einzelheiten wird insbesondere auf die Vermerke vom 28.05.2008, vom 06.10.2009, auf Anlage 8 zum steuerlichen Bericht … („Faktische Geschäftsführereigenschaft N P bei B GmbH“) und auf das Schreiben der Steuerfahndung J vom 16.01.2012 verwiesen. Die getroffenen Feststellungen der Steuerfahndung beruhen auf den Aussagen der einzelnen Kunden, d.h. auch der des Herrn B Q sowie auf der Auswertung der technischen Organisation und der EDV der Firmengruppe B. Diese Feststellungen hat der Kläger - bezogen auf die Person des Herrn B Q - weder dem Grunde noch der Höhe nach in Abrede gestellt, obwohl die GmbH in dem gerichtlichen Aussetzungsbeschluss vom 20.11.2011 Az. 2 V 2463/11 auf die Vorschrift des § 166 AO hingewiesen wurde. Zudem steht aufgrund der unbestrittenen Feststellungen der Steuerfahndung J und der darauf beruhenden rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilungen zur Überzeugung des Senates fest, dass Herr T E und Herr N P das vorliegende System des Rechnungssplittings initiiert, aktiv angeboten und insoweit sogar als Berater bei der Umsetzung durch die Kunden fungiert haben. Damit hatten sie nicht nur auf der Ebene der GmbH Kenntnis von der Art der Rechnungserteilung, sondern sie wussten auch auf der Kundenebene von der weiteren Behandlung der Rechnungen. Sie nahmen somit zumindest billigend in Kauf, dass die Kunden ihre Umsätze und damit ihre Steuern verkürzten.
Herr T E und Herr N P begingen die so geleistete Beihilfe zur Steuerhinterziehung des Herrn B Q bei Ausübung ihrer Obliegenheiten. Ein Vertreter begeht ein Delikt in Aus übung seiner Obliegenheiten, wenn er aufgrund seiner Stellung dazu in der Lage war. Die Tat muss im Rahmen der übertragenen Aufgaben des Vertreters - und nicht nur gelegentlich - begangen worden sein (Schwarz, AO § 70 AO Tz. 11).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Denn die Abrechnung der Lieferungen ist bei einer Vertriebs GmbH wesentlicher Bestandteil des Geschäfts und Aufgabe des oder der Geschäftsführer. Gerade die hier vorliegende Struktur der zweigeteilten Rechnungen gehört zum T ätigkeitsfeld des/der Geschäftsführer. Sie ist ohne dessen/deren Kenntnis und Zutun nicht möglich. Herr T E war als bestellter Geschäftsführer der Klägerin für den Verkauf, also auch für die Rechnungserteilung und die damit in Zusammenhang stehende Beratung der Kunden bei Anwendung des Rechnungssplittingsystems verantwortlich. Gleiches gilt für Herrn N P als faktischer Geschäftsführer. Beide waren zudem für die technische Einrichtung und die personelle Organisation des Rechnungsstellung verantwortlich. Waren die Geschäftsführer aber daran beteiligt, dass die Kunden Rechnungen nur über einen Teil der gelieferten Ware erhielten, schafften sie damit Voraussetzungen, die eine Steuerhinterziehung durch die Kunden ermöglichte und erleichterte. Die Geschäftsführer rechneten damit, dass man den Kunden eine Steuerhinterziehung nicht nachweisen könnte. Davon gingen auch die Kunden wie Herr B Q aus. Aus diesem Grunde hat er seinen Wareneinkauf und die entsprechenden Erlöse nur zum Teil erfasst und erklärt. Herr T E und Herr N P haben demnach bei Ausübung ihrer Obliegenheiten an einer Steuerhinterziehung teilgenommen und sind hierdurch Haftende gem. § 71 AO geworden.
Es liegt somit auch eine Haftung der GmbH für die hinterzogenen Steuern des Herrn B Q vor. Soweit der Kläger meint, Gegenstand der Haftung nach § 70 AO seien nur Steuern, nicht aber Haftungsansprüche für die Haftung der Geschäftsführer, verkennt er, dass die GmbH nicht für den Haftungsanspruch gegen den Geschäftsführer, sondern für den Steueranspruch des Beklagten gegenüber Herrn B Q in Anspruch genommen wird. Für diese Steuern können sowohl der bzw. die Geschäftsführer als auch die GmbH selbst haften.
Eine Haftung der GmbH ist auch nicht nach § 70 Abs. 2 AO ausgeschlossen. Für die Annahme eines Haftungsausschlusses müssten die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 Satz 1 und 2 AO (Fehlen eines Vermögensvorteils, Satz 1 und Exkulpation wegen sorgfältiger Auswahl und Beaufsichtigung, Satz 2) kumulativ vorliegen (vgl. z.B. Pahlke/ Koenig, Abgabenordnung, 2. Aufl. 2009 § 70 Rz. 11).
Beruft sich der Kläger zunächst darauf, dass die GmbH keinen Vermögensvorteil erlangt habe, kann der Senat dem nicht folgen. Ein Vermögensvorteil im Sinne des § 70 Abs. 2 AO ist nicht nur, wie der Kläger meint, ein finanzieller Vorteil in Form von Steuern. Als Vermögensvorteil ist jede Verbesserung der Vermögenslage bzw. jede unterbliebene Verschlechterung der wirtschaftlichen und finanziellen Lage zu verstehen. Vermögensvorteil können also auch alle sonstigen wirtschaftlichen Vorteile sein, die ohne die Tat des Vertreters nicht eingetreten wären (vgl. BFH-Urteil vom 02.05.1991 VII R 7/89, BFH/NV 1992, 219; Boeker in HHS aaO § 70 AO Rdnr. 21; Klein, aaO., § 70 Rdnr. 10; Schwarz aaO § 70 AO Rz. 14).
Im Streitfall hat die GmbH einen Vermögensvorteil in diesem Sinne erlangt. Denn dafür reicht es nach Auffassung des Senates aus, dass die Art der Rechnungserteilungen die Geschäftsbeziehungen zu den Kunden vorliegend sicherte. Die Kunden, die die Steuern verkürzen wollten, hatten nicht nur keinen Anlass, den Lieferanten zu wechseln. Im Gegenteil, sie hätten entweder einen neuen Lieferanten mit einem vergleichbaren System finden oder u.U. einen auffallend hohen Umsatz erklären müssen. In jedem Fall liefen die Kunden der GmbH bei einem Lieferantenwechsel Gefahr, dass ihre Steuerhinterziehung entdeckt würde. Angesichts dieser Risiken konnte die GmbH sicher sein, dass ihre Kunden ihr lange Zeit treu blieben. Einer Bezifferung oder einer weiteren Konkretisierung dieses Vorteils bzw. des unterbliebenen Nachteils bedarf es nicht.
Folge ist, dass ein Haftungsausschluss auch dann nicht vorliegt, wenn die GmbH sich durch sorgfältige Auswahl und Beaufsichtigung ihrer Vertreter exkulpieren könnte. Aber auch hierauf kann sich die GmbH - wie nachfolgend dargelegt - nicht berufen.
Für die GmbH, die keine natürliche Person ist, gilt zwar § 70 Abs. 2 Satz 2 AO. Bei dieser Vorschrift ist, um einen Haftungsausschluss zu bewirken, zum einen erforderlich, dass der Vertretene keinen Vermögensvorteil erlangt hat. Bei anderen als gesetzlichen Vertretern natürlicher Personen ist dann weitere Voraussetzung, dass die Vertreter von den Vertretenen sorgfältig ausgewählt und beaufsichtigt werden. Ist dies - neben dem fehlenden Vorteil - der Fall, sollen die Vertretenen für das Verhalten des Vertreters nicht einstehen müssen (vgl. zur Rechtsvoraussetzungsverweisung auf § 70 Abs. 2 Satz 1 BFH-Urteil vom 02.05.1991 VII R 7/89 aaO; Boeker in HHS aaO § 70 AO Rdnr. 23; Klein aaO § 70 Rdnr. 11; Pahlke/ Koenig, aaO Rz. 12; Schwarz aaO § 70 Rz. 13, 18).
Vorliegend war jedenfalls Herr T E nicht nur Geschäftsführer, sondern auch Gesellschafter der GmbH. Er war damit sowohl die Person, die als (zivilrechtlicher) Geschäftsführer handelte als auch die Person, die den Geschäftsführer für die GmbH auswählte und überwachte. In derartigen Fällen kommt eine Exkulpation nach Auffassung des erkennenden Senats nicht in Betracht. Denn die Person, die als Geschäftsführer unstreitig Beihilfe zur Steuerhinterziehung der Kunden leistet, kann die GmbH nicht gleichzeitig in ihrer Eigenschaft als überwachender Gesellschafter entlasten.
Ermessensfehler i.S.v. § 102 FGO konnten nicht festgestellt werden.
Der Beklagte hat alle in Betracht kommenden Haftungsschuldner in Anspruch genommen, weil nicht zu erwarten ist, dass die nach § 71 AO wegen Steuerhinterziehung vorrangig haftenden Geschäftsführer T E und N P die Steuerschuld des Herrn B Q in vollem Umfang zahlen können. Aus dem Schreiben der Steuerfahndung J vom 16.01.2012 ergibt sich, dass die Herren T E und N P Rechnungen über rund 9 Millionen EUR nicht in Papierform erstellt und selbst Lieferungen von rund 4 Millionen EUR nicht versteuert haben. Soweit der Beklagte die Betriebsübernehmerinnen nach § 75 AO in Anspruch genommen hat, haften diese nur sachlich und zeitlich beschränkt auf Betriebssteuern, die seit Beginn des vor der Übernahme liegenden Kalenderjahres entstanden sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckung folgt aus §§ 151 Abs. 3 und 155 FGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und 711 Zivilprozessordnung.