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  • 13.05.2015 · IWW-Abrufnummer 144484

    Finanzgericht München: Urteil vom 28.11.2014 – 8 K 2038/13

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht München

    Urt. v. 28.11.2014

    Az.: 8 K 2038/13

    In der Streitsache
    Klägerin
    gegen
    Beklagter
    wegen
    Haftung für Lohnsteuer 2006
    hat der 8. Senat des Finanzgerichts München durch
    den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht,
    die Richterin am Finanzgericht und die Richterin am Finanzgericht,
    sowie die ehrenamtlichen Richter und
    auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2014
    für Recht erkannt:
    Tenor:

    1.

    Der Haftungsbescheid über Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer und Solidaritätszuschlag für 2006 vom 27. Dezember 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Juni 2013 wird aufgehoben.
    2.

    Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
    3.

    Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
    4.

    Die Revision wird zugelassen.

    Gründe

    I.

    Strittig ist, ob die Klägerin noch für Lohnsteuer, Solidaritätszuschläge und Kirchenlohnsteuern von fünf Mitarbeitern für das Jahr 2006 in Haftung genommen werden konnte. Bei der Klägerin fand aufgrund Prüfungsanordnung vom 9. April 2010 von Mai 2010 bis November 2012 eine Lohnsteuer - Außenprüfung für den Zeitraum 2006 bis 2009 statt.

    Dabei ergab sich folgender Sachverhalt:

    Die Klägerin hatte in den Jahren 2006 bis 2009 Sachzuwendungen an Arbeitnehmer, Kunden, Geschäftsfreunde und Vertriebspartner zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn bzw. zur vereinbarten Leistung/Gegenleistung oder als Geschenk erbracht. Es handelte sich dabei um Incentivereisen und - veranstaltungen, Privatanteile bei gemischt veranlassten Veranstaltungen wie Geschäftsführertreffen und Tagungen, Eintrittskarten für VIP - Logen, Belohnungsessen und sonstige Geschenke. Soweit es sich bei den Empfängern um Arbeitnehmer der Klägerin handelte, sah die Lohnsteuer - Außenprüfung hierin einen steuerpflichtigen geldwerten Vorteil. Auf Antrag der Klägerin erfolgte die Nachversteuerung dieser Zuwendungen für fünf Arbeitnehmer hinsichtlich des Jahres 2006 in Anlehnung an § 40 Absatz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) mit dem Bruttosteuersatz. Bei einem Steuersatz von 41,90 % auf eine unstrittige Bemessungsgrundlage von 1.524,28 € ergaben sich Mehrsteuern in Höhe von 638,67 € Lohnsteuer, 35,12 € Solidaritätszuschlag und 12,76 € Kirchenlohnsteuer. Für die Jahre 2007 bis 2009 übernahm die Klägerin die entsprechenden Beträge gemäß § 37b EStG. Auf den Lohnsteuer - Prüfungsbericht vom 10. Dezember 2012 sowie auf den Schriftsatz des Beklagten (des Finanzamts) vom 07. August 2014 bezüglich der Errechnung der Bemessungsgrundlage für die Zuwendungen an die Arbeitnehmer im Jahr 2006 wird hierzu verwiesen.

    Der Beklagte (das Finanzamt) erließ in Absprache mit der Klägerin daraufhin am 27. Dezember 2012 bezüglich des Jahres 2006 einen Lohnsteuer - Haftungsbescheid in Höhe von 686,55 € sowie bezüglich der Jahre 2007 bis 2009 einen Lohnsteuer - Nachforderungsbescheid in Höhe von insgesamt 13.107,80 €.

    Gegen den Lohnsteuer - Haftungsbescheid legte die (...) AG als Vertreterin der Klägerin Einspruch ein mit der Begründung, dass die Klägerin als Haftungsschuldnerin für das Jahr 2006 nicht mehr in Anspruch genommen werden könne, weil der streitgegenständliche Steueranspruch gegenüber den Steuerschuldnern (den Arbeitnehmern) im Jahr 2012 aufgrund Festsetzungsverjährung nicht mehr geltend gemacht werden könnte.

    Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 18. Juni 2013 als unbegründet zurückgewiesen. Hinsichtlich der Begründung wird auf die Einspruchsentscheidung verwiesen.

    Mit der dagegen eingereichten Klage macht die Klägerin geltend, ihre Inhaftungnahme für die Lohnsteuer, Solidaritätszuschläge und Kirchenlohnsteuern für das Jahr 2006 sei rechtswidrig, da die Lohnsteuerschuld der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheides am 27. Dezember 2012 bereits festsetzungsverjährt gewesen sei. Die Festsetzungsfrist für die Haftung für Lohnsteuer 2006 habe gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 2 und § 170 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) mit dem Ablauf des Jahres 2010 bzw. 2011 geendet. Durch den Beginn der Lohnsteuer - Außenprüfung bei ihr als Arbeitgeberin sei der Ablauf der Festsetzungsfrist nicht nach § 171 Abs. 4 AO auch bei den Arbeitnehmern gehemmt worden. Entgegen der Rechtsansicht des Finanzamts habe der Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger Rechtsprechung (vgl. BFH - Urteile vom 15. Dezember 1989 VI R 151/86, BFHE 159, 296, BStBl II 1990, 526 [BFH 15.12.1989 - VI R 151/86]; vom 13. Dezember 2011 II R 52/09, BFH/NV 2012, 695) entschieden, dass in den Fällen, in denen ein Steuerentrichtungspflichtiger eine Abzugsteuer für Rechnung des Steuerschuldners anzumelden und zu entrichten habe, die Festsetzungsfrist gegenüber den Steuerschuldnern nicht durch eine Außenprüfung beim Steuerentrichtungspflichtigen gemäß § 171 Abs. 4 AO gehemmt werde. Sei - wie im Streitfall - die Festsetzungsfrist für eine Abzugssteuer gegenüber dem Steuerschuldner abgelaufen, so dürfe auch der Steuerentrichtungspflichtige aufgrund der Akzessorietät der Haftung, die in § 191 Abs. 5 AO normiert sei, nicht mehr in Haftung genommen werden. Der Gesetzgeber habe diese Schranke für die Inanspruchnahme von Entrichtungspflichtigen wegen Abzugssteuern gekannt. Deshalb habe er mit dem Jahressteuergesetz 2013 den § 171 AO um einen Absatz fünfzehn erweitert. Dieser regele, dass die Festsetzungsfrist gegenüber dem Steuerschuldner nicht vor derjenigen für den Entrichtungspflichtigen ablaufe und daher eine Haftungsinanspruchnahme des Steuerentrichtungspflichtigen bis zum Ablauf der für ihn geltenden Festsetzungsfrist zulässig sei.

    Die Klägerin beantragt daher,

    den Lohnsteuer - Haftungsbescheid für 2006 vom 27. Dezember 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Juni 2013 aufzuheben.

    Das Finanzamt beantragt,

    die Klage abzuweisen,

    hilfsweise wegen weiterer vergleichbarer Fälle die Revision zuzulassen.

    Zur Begründung verweist es auf seine Einspruchsentscheidung, in der es die Ansicht vertrat, zwar ende die Festsetzungsfrist bezüglich der Haftung für Lohnsteuer 2006 gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO grundsätzlich nach Ablauf von vier Jahren, mithin also am 31. Dezember 2010 für die Lohnsteuer Januar bis November 2006 bzw. am 31. Dezember 2011 für die Lohnsteuer Dezember 2006. Da jedoch bei der Klägerin gemäß Prüfungsanordnung vom 9. April 2010 am 3. Mai 2010 mit einer Lohnsteuer - Außenprüfung für den Zeitraum Januar 2006 bis Dezember 2009 begonnen worden sei, sei der Ablauf der Festsetzungsfrist auch gegenüber den Arbeitnehmern gemäß § 171 Abs. 4 AO gehemmt worden. Etwas anderes ergebe sich nicht aus der Rechtsprechung des BFH in den von der Klägerin angeführten Urteilen, da diese, zumindest teilweise, zur Inanspruchnahme von Steuer- und Haftungsschuldnern der Versicherungsteuer ergangen seien. Anders als bei der Versicherungsteuer, bei der Steuer- und Haftungsbetrag identisch seien, sei dies bezüglich der vom Arbeitgeber geschuldeten Lohnsteuer bzw. der vom Arbeitnehmer zu entrichtende Einkommensteuer gerade nicht der Fall. Eine etwaige Verjährung der Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers sei auch deshalb unbeachtlich, weil der Arbeitnehmer nicht zur Abgabe einer Lohnsteueranmeldung verpflichtet sei und damit die Vorschriften über die Anlauf- und Ablaufhemmung, insbesondere hinsichtlich des § 171 Abs. 4 AO nicht anwendbar seien. Beginn und Ende der Festsetzungsfrist seien auch insoweit - wie hinsichtlich der Lohn- und Einkommensteuer - bei Arbeitnehmer und Arbeitgeber unterschiedlich.

    Auf die Aufklärungsanordnung des Gerichts vom 8. Juli 2014 hin legte das Finanzamt im Einvernehmen mit der Klägerin eine Aufstellung vor für die fünf Arbeitnehmer, deren Bezug geldwerter Vorteile die Haftungsinanspruchnahme der Klägerin für das Jahr 2006 ausgelöst hatte. Dieser Auflistung war auch der Ablauf der jeweiligen Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer der Arbeitnehmer zu entnehmen. Mit Ausnahme des Arbeitnehmers J., war die Einkommensteuerfestsetzungsfrist bei den Mitarbeitern am 31. Dezember 2011 abgelaufen.

    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die eingereichten Schriftsätze, Akten und Unterlagen sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung am 28. November 2014 verwiesen.

    II.

    1. Die Klage ist begründet.

    Der Haftungsbescheid vom 27. Dezember 2012 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 18. Juni 2013 sind rechtswidrig, soweit die Klägerin für die Lohnsteuer, die Kirchenlohnsteuer und Solidaritätszuschläge des Jahres 2006 wegen des Bezugs geldwerter Vorteile in Haftung genommen worden ist.

    Der Haftungsinanspruchnahme stand aufgrund der Akzessorietät der Haftung gemäß § 191 Abs. 5 AO die Festsetzungsverjährung der Lohnsteuerschuld bei den Arbeitnehmern entgegen.

    Gemäß § 191 Absatz 1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners zweigliedrig (vgl. BFH - Urteil vom 11. März 2004 VII R 52/02, BFHE 205,14, BStBl II 2004, 579 [BFH 11.03.2004 - VII R 52/02] mit weiteren Hinweisen). Das Finanzamt hat zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsvorschrift erfüllt sind. Dabei handelt es sich um eine vom Gericht in vollem Umfang überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamts an, ob und wen es als Haftenden in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) auf Ermessensfehler (Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch) überprüfbar.

    a) Die Klägerin war als Arbeitgeberin der bei ihr tätigen Arbeitnehmer verpflichtet, für diese die Lohnsteuerabzugsbeträge einzubehalten (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG) und nach Anmeldung an das Finanzamt abzuführen (§ 41 Abs. 1 EStG). Dasselbe gilt für den Solidaritätszuschlag nach § 1 Abs. 1, Abs. 4 Solidaritätszuschlagsgesetz in Verbindung mit § 51a Abs. 1 und Abs. 2a EStG jeweils in der im Haftungszeitraum geltenden Fassung und für die Kirchenlohnsteuer nach Art. 13 Bayerisches Kirchensteuergesetz. Die Lohnsteuer entsteht in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt (§ 38 Abs. 2 Satz 2 EStG). Zum Arbeitslohn gehören neben den Löhnen alle Vorteile, die für die Beschäftigung gewährt werden (Krüger in Schmidt, Kommentar zum EStG, 33. Aufl. 2014, § 19 Rz. 10). Der Arbeitgeber haftet für die Beträge, die er vom Lohn des Arbeitnehmers nicht einbehalten und auch nicht abgeführt hat (§ 42d Abs. 1 Nr.1 EStG).

    Haftungsbegründende Pflichtverletzung ist somit die Nichtabgabe oder fehlerhafte Abgabe der Lohnsteuer - Anmeldungen (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) und die Nichteinbehaltung (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG) und Nichtabführung (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) der sich insoweit ergebenden Lohnsteuer.

    Soweit die Haftung des Arbeitgebers reicht, sind der Arbeitgeber und Arbeitnehmer Gesamtschuldner der Lohnsteuer (§ 42d Abs. 3 Satz 1 EStG), der Arbeitnehmer als Steuerschuldner, der Arbeitgeber als Steuerentrichtungsschuldner.

    Im vorliegenden Streitfall hat die Klägerin unstreitig keine Lohnsteuer auf die den Arbeitnehmern gewährten geldwerten Vorteile einbehalten. Sie haftet daher grundsätzlich für diese Beträge.

    b) Ein Haftungsbescheid gegen die Klägerin durfte jedoch wegen § 191 Abs. 5 Nr. 1 AO nicht mehr ergehen, weil die Lohnsteuer gegen die Arbeitnehmer nicht festgesetzt wurde und wegen des Ablaufs der Festsetzungsfrist auch nicht mehr festgesetzt werden kann.

    Für die Festsetzung der Steuer gegenüber dem Steuerschuldner und den Erlass eines Haftungsbescheides gegenüber dem Steuerentrichtungsschuldner können unterschiedliche Verjährungsfristen laufen.

    aa) Im Streitfall war die Festsetzungsfrist für den Erlass eines Haftungsbescheides gegen die Klägerin am 27. Dezember 2012 noch nicht abgelaufen.

    Gegen den Arbeitgeber, der die Lohnsteuer auf den Arbeitslohn entweder nicht oder fehlerhaft angemeldet hat und die Lohnsteuer nicht einbehalten und nicht abgeführt hat, kann ein Haftungsbescheid erlassen werden (§ 191 Abs. 3 Satz 1 AO). Die Festsetzungsfrist für einen Haftungsbescheid beträgt grundsätzlich vier Jahre (§ 191 Abs. 3 Satz 2 AO). Auf den Erlass von Haftungsbescheiden sind die Vorschriften über die Festsetzungsfrist bei Steuerbescheiden entsprechend anzuwenden (§ 191 Abs. 3 Satz 1 AO). Nach § 191 Abs. 3 Satz 3 AO ist allein die Verwirklichung des Haftungstatbestandes das fristauslösende Ereignis (BFH - Urteil vom 09. August 2000 I R 95/99, BFHE 193, 12, BStBl II 2001, 13 [BFH 09.08.2000 - I R 95/99] unter 3.c) aa)). Ist der Haftende ein Entrichtungsschuldner, der eine Steuer anzumelden und abzuführen hat, so gilt für den Beginn der Festsetzungsfrist des Haftungsbescheides § 170 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 190 Abs. 3 Satz 1 AO.

    Ist der Entrichtungsschuldner wie im Streitfall ein Arbeitgeber, so hat dieser gemäß § 41a Abs. 1 Satz 1 EStG die Anmeldung und Abführung der entstandenen Lohnsteuer spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer - Anmeldungszeitraums - dies ist nach § 41 Abs. 2 Satz 1 EStG grundsätzlich der Kalendermonat - vorzunehmen. Die Festsetzungsfrist für einen Haftungsbescheid beginnt bei ordnungsgemäßer Erfüllung der gesetzlichen Pflichten des Arbeitgebers hinsichtlich der Lohnsteuer der Monate Januar bis November grundsätzlich mit Ablauf des entsprechenden Kalenderjahres zu laufen, hinsichtlich der Lohnsteuer des Monats Dezember mit Ablauf des Folgejahres.

    Im vorliegenden Streitfall hat die Klägerin die Lohnsteuer - Anmeldungen für das Jahr 2006 fristgerecht am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer - Anmeldungszeitraums abgegeben. Die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid begann daher für die Monate Januar bis November 2006 am 31. Dezember 2006 und für den Monat Dezember 2006 am 31. Dezember 2007 zu laufen. Am 31. Dezember 2010 bzw. 2011 wäre daher Festsetzungsverjährung für den Haftungsbescheid eingetreten. Der Ablauf der Festsetzungsverjährung war jedoch durch den Beginn der Lohnsteuer - Außenprüfung am 3. Mai 2010 gemäß § 171 Abs. 4 AO bis zum Erlass des Haftungsbescheides am 27. Dezember 2012 gehemmt.

    bb) Die Festsetzungsfrist für die Lohnsteuer bei den Arbeitnehmern durch Lohnsteuer -Nachforderungsbescheid war zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheids am 27. Dezember 2012 abgelaufen.

    Bei der Berechnung der steuerlichen Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO ist auf die Steuer abzustellen, für die der Arbeitgeber in Haftung genommen wird. Es ist also nicht auf die individuelle Einkommensteuerschuld der betroffenen Arbeitnehmer, sondern auf die Lohnsteuerschuld abzustellen. Auch wenn die Lohnsteuer eine besondere Erhebungsform der Einkommenssteuer (Vorauszahlung auf die Einkommensteuer) darstellt, muss zwischen Lohn- und Einkommensteuerschuld unterschieden werden. Weder entstehen und verjähren Lohn- und Einkommensteuerschuld gleichzeitig noch decken sie sich betragsmäßig. Gesamtschuldner sind Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemäß § 42 d Abs. 3 Satz 1 EStG lediglich hinsichtlich der bei Lohnzufluss entstehenden Entrichtungsschuld. Ob der Arbeitnehmer überhaupt Einkommensteuer schuldet (z.B. wenn er Verluste aus anderen Einkunftsarten hat), ist unabhängig von einer etwaigen Lohnsteuerschuld. Deshalb ist im Zusammenhang mit der Lohnsteuer auch nicht von Bedeutung, ob und wann der Arbeitnehmer eine Einkommensteuererklärung abzugeben hat oder tatsächlich abgibt (BFH - Urteil vom 6. März 2008 VI R 5/05, BFHE 220, 307, BStBl II 2008, 597 [BFH 06.03.2008 - VI R 5/05]).

    Folglich ist im Streitfall bei der Berechnung der Festsetzungsfrist für die Lohnsteuer beim Arbeitnehmer hinsichtlich der Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nicht darauf abzustellen, ob eine Einkommensteuererklärung von den Arbeitnehmern abzugeben war oder abgegeben wurde. Maßgeblich ist vielmehr, ob und gegebenenfalls wann die Klägerin Lohnsteuer - Anmeldungen für die im Streitfall betroffenen Lohnsteuer - Anmeldungszeiträume abgegeben hat (vgl. BFH - Urteil vom 6. März 2008 VI R 5/05, a.a.O.). Denn für den Beginn der Festsetzungsfrist beim Steuerschuldner ist die Abgabe der Steueranmeldung das nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO maßgebliche Ereignis (BFH - Urteile vom 13. Dezember 2011 II R 26/10, BFHE 236, 212, BStBl II 2013, 596 [BFH 13.12.2011 - II R 26/10] unter II. 3. b) aa); vom 07. Februar 2008, VI R 83/04, BFHE 220, 220, BStBl II 2009, 703 [BFH 07.02.2008 - VI R 83/04]; vom 29. Januar 2003 I R 10/02, BFHE 202, 1, BStBl II 2003, 687 [BFH 29.01.2003 - I R 10/02]). Die Regelung in § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO setzt nur voraus, dass "eine Steueranmeldung einzureichen....ist". Die Formulierung bringt nicht zum Ausdruck, dass die Regelung nur Fälle erfassen soll, in denen die Verpflichtung zur Steueranmeldung

    den Steuerschuldner trifft. Nach grammatikalischer Auslegung ist § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO weit zu verstehen in dem Sinne, dass auch die Steuererklärungs- und - anmeldungspflichten Dritter die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Nr.1 AO für den Verjährungsbeginn auslösen können (BFH - Urteil vom 29. Januar 2003 I R 10/02, a. a. O.).

    Im Streitfall hat die Klägerin die Lohnsteuer - Anmeldungen für das Jahr 2006 - wenn auch ohne die geldwerten Vorteile für die Arbeitnehmer zu erfassen - fristgerecht am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer - Anmeldungszeitraums abgegeben. Die Festsetzungsfrist für die Lohnsteuer begann daher gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 170 Abs. 2 Nr. 2 AO für die Monate Januar bis November 2006 am 31.Dezember 2006 und für den Monat Dezember 2006 am 31. Dezember 2007 zu laufen. Sie endete nach Ablauf von vier Jahren (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO; BFH - Urteil vom 9. März 1990 VI R 87/89, BFHE 160, 202, BStBl II 1990, 608 [BFH 09.03.1990 - VI R 87/89] unter II.1.) am 31. Dezember 2010 bzw. 2011.

    Durch den Beginn der Lohnsteuer - Außenprüfung bei der Klägerin wurde der Ablauf der Steuerfestsetzungsfrist gegenüber den Arbeitnehmern als Steuerschuldner nicht gehemmt. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des BFH (vgl. dazu BFH - Urteile vom 15. Dezember 1989 VI R 151/86, BFHE 159, 296, BStBl 1990, 526; vom 9. März 1990 VI R 87/89, a.a.O.; vom 1. Dezember 1995 VI R 76/91, BFHE 179, 312, BStBl II 1996, 239 [BFH 01.12.1995 - VI R 76/91]; vom 13. Dezember 2011 II R 26/10, BFHE 236, 212, BStBl II 2013, 596 [BFH 13.12.2011 - II R 26/10] und II R 52/09, BFH/NV 2012, 695 [BFH 13.12.2011 - II R 52/09]) wird durch eine Außenprüfung beim Arbeitgeber als dem Steuerentrichtungsschuldner nicht der Ablauf der Festsetzungsfrist beim Arbeitnehmer als dem Steuerschuldner nach § 171 Abs. 4 AO gehemmt. Die Außenprüfung richtet sich unmittelbar und allein gegen den Arbeitgeber. Nur dem Arbeitgeber gegenüber ergeht die Prüfungsanordnung (§§ 196 ff. AO), die neben den tatsächlichen Prüfungshandlungen den sachlichen Umfang der Ablaufhemmung des § 171 Abs. 1 AO bestimmt. Die Lohnsteuer - Außenprüfung erstreckt sich auf die zutreffende Einbehaltung oder Übernahme und die richtige Abführung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber (§ 42 f Abs. 1 EStG). Sie dient der Überwachung der dem Arbeitgeber im Rahmen der Lohnbesteuerung gesetzlich auferlegten Pflichten. Werden bei einer solchen Prüfung - ihrer Natur nach zwangsläufig - auch die steuerlichen Verhältnisse der Arbeitnehmer als Schuldner der Lohnsteuer (mit) überprüft, so geschieht dies nur insoweit, als die Entrichtungs-, Einbehaltungs- und Abführungspflicht des Arbeitgebers reicht (BFH - Urteil vom 15. Dezember 1989 VI R 151/86, a.a.O.). Das Verfahren der Lohnsteuer - Außenprüfung beim Arbeitgeber und das Einkommensteuerveranlagungs- ebenso wie das Lohnsteuernachforderungsverfahren beim Steuerschuldner verfolgen unterschiedliche Ziele und betreffen jeweils andere Steuerrechtsverhältnisse. Ebenso wie das Veranlagungsverfahren hat auch das Lohnsteuer - Nachforderungsverfahren gegenüber dem Arbeitnehmer grundsätzlich von der materiell zutreffenden Steuer auszugehen. So kann der Arbeitnehmer gegen die Nachforderung einwenden, die Steuerschuld bestehe nicht oder nicht in der vom Finanzamt angenommenen Höhe. Er kann dazu alle bisher nicht berücksichtigten Ermäßigungsgründe, insbesondere Verluste aus anderen Einkunftsquellen, geltend machen (BFH-Urteil vom 26. Januar 1973 VI R 136/69, BFHE 108, 338, BStBl II 1973, 423 [BFH 26.01.1973 - VI R 136/69]). Demgegenüber erstreckt sich die Lohnsteuer - Außenprüfung nur auf die zutreffende Einbehaltung oder Übernahme und richtige Abführung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber (§ 42f Abs. 1 EStG). Hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer entsprechend den für ihn maßgeblichen Lohnsteuerabzugsmerkmalen und nach den für das Streitjahr gültigen Lohnsteuertabellen zutreffend berechnet, so hat er seinen steuerlichen Pflichten genügt und die Lohnsteuer vorschriftsmäßig einbehalten. Umstände, die die individuelle Steuerschuld des einzelnen Arbeitnehmers beeinflussen, hat er unberücksichtigt zu lassen, soweit diese auf der Lohnsteuerkarte bzw. bei der maschinellen Eingabe der Lohnsteuerabzugsmerkmale nicht erfasst worden sind. Dies gilt sowohl für Umstände, die zu Gunsten wie zu Lasten des Arbeitnehmers wirken (BFH-Urteil vom 9. März 1990 VI R 87/89, a.a.O.). Aus den unterschiedlichen Zielen und verschiedenen Steuerrechtsverhältnissen des Lohnsteueranmeldungs- und Lohnsteuernachforderungsverfahren ist nach der Rechtsprechung des BFH (BFH - Urteil vom 15. Dezember 1989 VI R 151/86, a.a.O.), der sich der erkennende Senat anschließt, zu folgern, dass die allein das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Finanzamt betreffende Lohnsteuer - Außenprüfung nur die Verjährung der aus diesem Rechtsverhältnis begründeten Haftungsansprüche gegen den Arbeitgeber hemmt, nicht hingegen die Verjährung des individuellen Steueranspruchs gegen den Arbeitnehmer.

    Dies hat auch der Gesetzgeber erkannt. Aus diesem Grund hat er mit dem Jahressteuergesetz 2013 den § 171 Abs. 15 AO (gültig gemäß Art. 97 § 10 XI Einführungsgesetz zur AO für alle am 30. Juni 2013 noch nicht abgelaufenen Festsetzungsfristen) eingeführt. Danach führen nun mehr auch Außenprüfungen beim Arbeitgeber zu einer Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist beim Steuerschuldner (vgl. dazu Bundestagsdrucksache 178/11190, 3 f.).

    cc) Nach § 191 Abs. 5 Nr. 1 AO kann ein Haftungsbescheid gegen den Arbeitgeber nicht mehr erlassen werden, soweit die Lohnsteuer gegen den Steuerschuldner nicht festgesetzt worden ist und wegen des Ablaufs der Festsetzungsfrist auch nicht mehr festgesetzt werden kann. Ist also Festsetzungsverjährung für den Steueranspruch gegen den Steuerschuldner eingetreten und kann diese Steuerschuld darum nicht mehr durch Nachforderungsbescheid durchgesetzt werden, so darf auch kein Haftungsbescheid gegen den Steuerentrichtungsschuldner mehr ergehen.

    Steuerschuldner und Steuerhaftungsschuldner sind Gesamtschuldner nach § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG im Sinne von § 44 AO. Nach § 44 AO ebenso wie nach § 425 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wirken Tatsachen mit Ausnahme der in § 44 Abs. 2 AO genannten nur für und gegen den Gesamtschuldner, in dessen Person sie eintreten (Hübschmann/ Hepp/ Spitaler Kommentar zur AO und FGO § 44 Rz. 7). § 191 Abs. 5 AO ergänzt die Tatsachen, die für und gegen beide Gesamtschuldner wirken, allein um die Regelungen zur Festsetzungsund Zahlungsverjährung (Hübschmann/ Hepp/ Spitaler, Kommentar zur AO und FGO, § 191 Rz. 169). Für andere Tatsachen, die unter Umständen die Steuerfestsetzung verhindern bzw. verhindert haben, trifft § 191 Abs. 5 AO keine Regelung (Rader in Leopold/ Madle/ Rader Praktikerkommentar zur AO, § 191 Rz. 20).

    Im vorliegenden Fall ist die Frist für die Festsetzung der Lohnsteuer gegenüber den Arbeitnehmern, wie oben ausgeführt, bereits am 31. Dezember 2010 für die Monate Januar bis Dezember 2006 bzw. am 31. Dezember 2011 für die den Monat Dezember 2006 abgelaufen. Deshalb konnte die Klägerin für die auf den geldwerten Vorteil entfallende Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer und Solidaritätszuschlag gemäß § 191 Abs. 5 Nr. 1 AO nicht mehr mit Bescheid vom 27. Dezember 2012 in Haftung genommen werden..

    2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

    3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 und Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

    4. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

    RechtsgebietEStGVorschriften§ 37b EStG; § 40 Abs. 1 EStG